- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 10
Sie schreiben doch so Geschichten, oder?
"Sie schreiben doch so Geschichten, oder?" Eine sonore Stimme links von mir, in dem kleinen Lokal, in dem ich immer so gerne sitze.
Ein Herr, etwa in meinem Alter, gut gekleidet, distinguiert nennt man so was wohl.
Die Gabel bleibt auf halbem Weg hängen und bewegt sich langsam wieder nach unten.
"Äh, ja... warum?" Meine Spaghetti sind gerade gekommen, ich bin ziemlich hungrig.
"Ist so was denn teuer?", kommt sofort die nächste Frage.
"Na ja, es kommt ganz darauf an, was sie denn genau möchten. Einen Roman...?"
"Nein, nein, keinen Roman. Den könnte ich mir bestimmt nicht leisten", erklärt er lachend.
"Also eine Kurzgeschichte?" frage ich hoffnungsfroh. Man ist ja als freier Autor dankbar für jede Einnahme.
"Eine Kurzgeschichte? Hm, wie kurz ist die denn?" will er neugierig wissen.
"Das liegt ganz an Ihnen. Wenn sie eine Kurzgeschichte von zwanzig Seiten wollen, bekommen Sie eine von zwanzig Seiten" erkläre ich ihm, während ich mit den Augen den Ober suche, damit er mir die Pasta noch mal warm stellt.
Er schüttelt den Kopf. "Nein, zwanzig Seiten ist auch viel zu viel"
Mittlerweile habe ich die erhofften Einnahmen bereits deutlich zurückgeschraubt. Der neue Porsche muss wohl noch warten und ein Umzug ins eigene Heim wird mit diesem Kunden auch nicht zu realisieren sein.
"Zehn Seiten?", frage ich zweifelnd.
"Was schreiben Sie denn da so?", kommt jetzt als Frage.
Aha, ich hab ihn. Zehn Seiten also. Jetzt nur nichts verkehrt machen, dann ist zumindest die nächste Rate für das Mofa der Tochter gesichert.
"Na, was immer sie wollen!", verspreche ich großspurig.
"Aber keine Sauereien, dass wir uns da klar verstehen! Ich will keine Sauereien haben, hören Sie?"
"Aber ich schreibe doch keine Sauereien, ich bitte Sie! So was würde ich doch nie machen!", verspreche ich hoch und heilig.
Sein Misstrauen ist noch nicht so ganz verflogen.
"Das können Sie wohl gar nicht, Sauereien schreiben, wie?"
Jetzt bin ich wieder in der Zwickmühle.
"Ich schreibe einfach keine Sauereien! So etwas tue ich einfach nicht", erkläre ich entrüstet.
"Na, dann hab ich sie ja doch richtig eingeschätzt", sagt er mit freudigem Gesichtsausdruck.
"Wissen Sie, ich will was mit Herz...", erklärt er, wobei er wie ein Professor wirkt, der vor seinen Studenten doziert. "...etwas mit richtigem Gefühl" Dabei sieht er schräg zur Decke hinauf.
Ich hingegen schaue durchs Lokal, um endlich einen Blick vom Ober zu erhaschen.
Meine Spaghetti kleben schon zusammen, meine Magen macht mir deutliche Zeichen der Anwesenheit. Es wird irgendwie schwer, sich wegen zehn Seiten voller Herzschmerz zu konzentrieren.
"Und wo und wann soll die Geschichte erscheinen?", frage ich, um endlich zum Schluss zu kommen.
"Erscheinen?"
"Na, in welcher Anthologie, welcher Zeitschrift, welcher Zeitung steht die Geschichte, wenn ich sie geschrieben habe?", frage ich ihn.
"Aber nicht doch! Sie sollen das doch für mich schreiben, doch nicht für eine Zeitschrift" lacht er.
Dieses Ansinnen ist mir zwar neu, aber was tut man nicht alles für den Fahrspaß der Tochter.
"Aber zehn Seiten, das wird zuviel, soviel Platz haben Sie gar nicht", meint er grübelnd.
"Keine zehn Seiten...", frage ich verblüfft, gerade als der Ober mal in meine Nähe kommen will,
"...vielleicht fünf?" Langsam werde ich ungeduldig.
Er schüttelt den Kopf erneut. "Nein, keine fünf. Dafür reicht der Platz nicht"
"Wofür brauchen Sie denn überhaupt eine Kurzgeschichte?", frage ich, jetzt leicht verärgert.
"Kurzgeschichte ist vielleicht nicht so das richtige Wort...", druckst er herum, "...wissen Sie, ich werde nächsten Monat fünfzig...."
"Herzlichen Glückwunsch!"
"...danke! Ja, fünfzig Jahre alt. Und da brauche ich für meine Einladungskarte einen kleinen Text. Aber fünf Seiten? Nein, fünf Seiten sind einfach zuviel. Kriegen Sie das hin mit, sagen wir, hundert Worten?
Und was würde mich das überhaupt kosten?"
"Ober, zahlen!"