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Sie meint

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27.05.2008
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Sie meint

Sie meint: Es wäre aber schnell gegangen mit der Neuen!
Ich meine, zu weinen, in aller Öffentlichkeit, an einem Ort der Zerstreuung und Lust verspricht, und zwar wie ein Schlosshund, das zeugt von tiefer, schmerzlicher Reue. Nur eine halbundhalb mitleidige Hand auf der Schulter zu spüren, ein - man könnte sagen - väterliches Bedauern über die Ungehaltenheit des Leidenden, das ist nichts, was die Tränen trocknen könnte, keine Mauer wider den Sturm. Und dann hinauszugehen, auf einen halb lächelnden, väterlichen Rat hin, einen Alles-wird-schon-wieder-gut-Rat, das verquollene Gesicht gesenkt an der Garderobe, damit niemand die Schande bemerke, den Mantel blind entgegen nehmend und in die Nacht hinaus verschwindend, gemieden, verstoßen, allein mit den allseitigen Vorwürfen - das ist das Gegenteil von Geschwindigkeit. Es ist Stillstand in tödlichem Ausmaß.
Sie meint: Es wäre aber schnell gegangen mit der Neuen!
Ich meine, Briefe zu schreiben, viele Briefe, die sich ähneln, teils nur im Wortlaut verschieden, gefärbt von unterschiedlichen Stimmungen und Befindlichkeiten, mal verzweifelt, mal selig taub, mal auffahrend bestimmt, aber doch immer nur das Eine herbei sehnend, das zeugt von einer festen, inneren Überzeugung ohne Kompromisse. Und niemals diese Briefe abzuschicken, bis auf einen, der unbeantwortet bleibt, und zwar sie nicht abzuschicken aus Scham über die eigenen Gefühle, aus Scham vor der Nichtachtung der eigenen Person und ihren zarten, aber unumstößlichen Wünschen, das ist eine lange und kaum zu überwindende Demütigung. Eine negativistische Demütigung, die nicht durch tätliche Bestrafung einer anderen Hand zustande kommt, sondern durch das Ausbleiben eben dieser Hand. Ein Sich-selber-strafen der schlimmsten Sorte. Man weint, wenn man solche Briefe schreibt, weil alles drinnen steckt, was wahr und hernach förderlich erscheinen mag. Und ebenso weint man, wenn die Couverts in den Müll fliegen, ungelesen, vom Verfasser schon halb vergessen und von weniger Wert als das Papier, auf dem sie geschrieben sind.
Sie meint: Es wäre aber schnell gegangen mit der Neuen!
Ich meine, über Gespräche und Umwege zu erfahren, dass eben die Adressatin auf den Umschlägen dieser Briefe für ein paar Tage in der Stadt sein wird, und diese Tage sich im Kalender zu markieren, sie wieder und wieder ins Gedächtnis zu rufen, mitten am Tag, mitten in der Nacht, eigentlich andauernd, das zeugt von etwas wie unerschütterlicher Dankbarkeit und Zuneigung. Man weiß ja, dass alles echte Leid der letzten Wochen und Monate mit dieser einen Person zusammen hing, und dort, wo nicht man selbst der Auslöser war, sie es gewesen sein musste, und doch redet man sich ein, man paukt es sich ein, dass an diesem ausgebrannten Kampfplatz irgendwo doch noch eine verborgene Blume blühen mag. Man wälzt sich hin und her, sieht die Stunden sich dehnen, glaubt kaum das Warten ertragen zu können - nicht einmal das! - und dann, wenn sie wirklich da ist, diese Todesfee und Madonna, und man sich, bereit zu Lieben und zu Sterben, an sie wendet, und sie nichts sagt als: Du passt nicht in den Zeitplan, ich muss so viele Menschen sehen!, dann ekelt einen vor der eigenen Leidenschaft. Und selbst jetzt noch sucht man den Fehler bei sich. Man muss zu wichtig genommen haben, was eigentlich belanglos ist. Man muss sich Luftschlösser gebaut haben in der kühlen Einsamkeit, geklammert wie ein Ertrinkender an einen dürren Ast, der diesen nun zu lieben begonnen hat wie sein eigenes Leben. Das eigene Herz ein großes Kindertheater! Und man will zuschanden gehen an den neuerlich aufschießenden Tränen, weint noch heftiger über das elende Weinen selbst. Geht und geht, nur um Fortzukommen, von was auch immer.
Sie meint: Es wäre aber schnell gegangen mit der Neuen!
Ich meine, die Wüste, die wir hinterlassen haben, kennt keinen Frieden und wird ihn niemals kennen. Ich meine, die Leidensbereitschaft in meinem Herzen ist zu groß geworden für das eigentliche Vergehen, sie steht in keinem Verhältnis mehr zu deiner Person und deiner Zukunft. Ich meine, dass das, was ich einmal vergaß, in einer einzigen Nacht und fortan und immer bereuen werde, von dir nun fortan und dauerhaft vergessen wird, dass deine Rache oder Unfähigkeit - ich weiß es nicht - darin besteht, fortwährend zu vergessen, dass ich dich liebte, und dafür kostete ich, bis heute, bereitwillig vom Becher meines Untergangs.
Dieser Konflikt ist zu verworren, zu asymmetrisch und zu grotesk geworden, als das er noch auf jedwede Lösungsversuche anspräche.
Also: Geh weiter auf deinen stumpfen, ja folgerichtigen Pfaden, aber wage es ja nicht, und nie wieder!, auch nur einen deiner Finger auf meine Befindlichkeiten zu legen! Es mag eines Tages, ich weiß nicht wie, so kommen, dass du in die Augen deines Sohnes blickst, der, ganz anders als du, feingliedrig, grüblerisch und etwas scheu geraten ist, und siehst, wie in diesen tiefen, eigentlich dunklen Augen sich etwas regt, das eine bedingungslose Treue dir gegenüber verspricht, noch über jedes vernünftige Maß hinaus. Und vielleicht wird dann, mit einer Wucht, die dir fremd sein muss, dein Blick trüb werden, du wirst heulen ob dieser offenen Wunden, dieser kindlichen Opferkelche, und kaum noch wissen, wen du damals zurück ließest, mit eben diesen dunklen Augen, die eigentlich hell waren. Aber da war jemand.
Und nun meine nichts mehr über mich.

 

Und nun meine nichts mehr über mich.

Hallo Richy –

ich weiß, wir begegnen uns das erste Mal, und daher erst einmal, für dergleichen sollte es nie zu spät sein, herzlich willkommen!,

und der zitierte Schlusssatz zeigt Deinen feinen Text als das an, was er ist: ein Monolog über verflossene Chancen, sinnierend mit dem Kernsatz (m. E.)

Ich meine, die Leidensbereitschaft in meinem Herzen ist zu groß geworden für das eigentliche Vergehen, sie steht in keinem Verhältnis mehr zu deiner Person und deiner Zukunft.
kurz, wenn ich es so sagen darf: Selbstmitleid.

Der Icherzähler tritt sich bis zum Schlusssatz als ein Anderer entgegen (oder, was ich aber nur glaube: er liegt mit einem andern – was sich gleich klären wird – zu Bett und grübelt im Halb[bei]schlaf, was dann den Satz vor der Klammer als „der Icherzähler liegt mit einem andern durch [Gedanken]gänge einem Schluss[satz] entgegen)".

„Ander“ stand bis in die Neuzeit hinein im Deutschen für die heutige Ordinalzahl „zwei“ – und wer wollte bezweifeln, dass sich nicht mindestens zwei Seelen (ach!) in seiner Brust befänden (ich hab bei mir sogar acht ausgemacht, von denen aber sechs im Dachstübchen unter der Schädeldecke hocken: die sechs Himmelsrichtungen – drei Paare: oben und unten, lechts und rinks, um auch mal Jandl zu zitieren, vorne und hinten).

Dabei hätte ich dann doch ein wenig zu bekritteln, das harmlose zu erst!

Ich meine, zu weinen, in aller Öffentlichkeit, an einem Ort der Zerstreuung und Lust verspricht, und zwar wie ein Schlosshund, …
Beim „Schlosshund“ stock ich mit drei Fragezeichen … kann es sein, dass Du jene niedliche(n) Hunderasse(n) meinst, die auf einem Schoß Platz findet/-n wie Chihuahua, Malteser, Mops und alle, die mit Zwerg- anfangen?, also Schloss ohne L aber dafür in der alten Schreibweise?
Nicht zu verschweigen, dass zwischen Ort und Relativpronomen ein Komma gehörte.

Nur eine halbundhalb mitleidige Hand auf der Schulter zu spüren, …
Besser „halb und halb“ (ggfs. mit Bindestrichen „verknüpft“), wenn das Zahladjektiv„halb“ – wie in diesem Falle, „teils“ ersetzt (halb und halb = halbe, halbe = teils, teils).

Es folgt eine Konstruktion, die in ihrem kleist’schen Format – keine bange, ich neige selbst dazu, Bandwurmsätze zu produzieren - eine Infinitivgruppe übersieht, die mit Kommas abzugrenzen wäre
…, glaubt kaum[,] das Warten ertragen zu können - nicht einmal das! -[,] und dann, wenn …

Und noch einmal wären zwei Kommas nachzutragen, erst hier

… Einsamkeit, geklammert[,] wie ein Ertrinkender an einen dürren Ast, der diesen …
dann besser auch noch ein letztes Mal hier
Das eigene Herz[,] ein großes Kindertheater!

Zu mindest die Zeichensetzung kann man umgehn, wenn man sich traut, was Joyce im letzten Kapitel des Ulysses mit dem Monolog der Molly getraut hat über ein eine Kurzgeschichte übersteigendes Maß traut ...

Nun aber zwo andere Probleme:

„Echtes“ Leid genießt momentan eine kleine Konjunktur, dass ich hier glatt den Beitrag zu einer andern Geschichte wiederholen kann, ohne dass mir nun in beiden Fällen (wenn man denn „Leid“ mit einem Adjektiv verbinden will, um es vom gespielten Leiden absetzen will) ein besseres Adjektiv einfiele

Man weiß ja, dass alles echte Leid der letzten Wochen und Monate mit dieser einen Person zusammen hing, …

War „echt“ vordem Begriff der Rechtsprache (wie „authentisch“ zB auch), abgeleitet vom ahd. Substantiv „ewa“( heute: „Ehe“ = „Recht/Gesetz“), so ist es heute verkümmert zum Widerwort und steht nicht so sehr gegen „unecht“, sondern zu „falsch/künstlich“ und lässt mich stocken wie bei Adjektiven wie wirklich und wahr, die sofort – jedenfalls bei mir - Zweifel an der Aussage wecken.
Was wäre ein falsches Leid?, frag ich mich – und weiß auch durchaus die Antwort, wenn nämlich einer spielt und behauptet, es täte im „echt“ Leid. Und dann geschieht noch einmal, was mich eigentlich (auch so ein ungeliebtes Wort, eigentlich) herauskatapultiert, wenn es heißt
…, und siehst, wie in diesen tiefen, eigentlich dunklen Augen sich etwas regt, das eine bedingungslose Treue dir gegenüber verspricht, …
und hernach
…, mit eben diesen dunklen Augen, die eigentlich hell waren.
„eigentlich“ hat auf mich eine ähnliche Wirkung – denn was wäre „uneigentlich“? Es will mich an den Jargon der Eigentlichkeit Heideggers & co. erinnern, denen das Sein auch mal west.

Die Herkunft des Adjektivs erkennt man, wenn man die mhd. Form liest: „eigenlich“ und weiß, das „eigen“ das bedeutet, was es heute noch im EIGENtum ist, und lich der Leib ist: eigenlich bedeutet „leibeigen“, unfrei.

Zum „echt“ - dessen Zweifelhaftigkeit ja weniger durch seine Bedeutung als durch inflationären Missbrauch befördert wird – und weil nun, wie schon erwähnt, an anderer Stelle hierorts ein ähnliches Problem mir vors Auge kam, konnt ich mir nicht verkneifen, an die Quelle, zur Etymologie des Rechtes, zu greifen (Köbler, Gerhard, Deutsches Etymologisches [Rechts-]Wörterbuch, 1995). Unterm Stichwort „echt“ finden sich da neben dem buchstäblichen echt auch andere Bedeutungen wie „unverfälscht, richtig“ und später „gesetzlich, gesetzmäßig“ aber auch „gerecht, heilig“. Im gotischen Wörterbuch des gleichen Autors findet sich unter dem erstaunlichen „heilig“ das Adj. aírkns, dass als Wortzusammenfügung zu aírkniþa wird (þ = dem heutigen engl. th), das aber nicht etwa Heiligkeit, sondern vielmehr „Echtheit, Lauterkeit und Reinheit“ bedeutet(e) – wäre da nicht, um echt aus dem Dilemma herauszukommen, vielleicht liegt da die Lösung wider’s ungekünstelte Leid zur reinen, lauteren Kunst …

Gruß

Friedel,
der die Geschichte gern gelesen hat ...

 

Hallo Richy,

handlungsarme Geschichten, die sich im Inneren einer Person abspielen und von deren Befindlichkeiten erzählen, mag ich gerne. Daher mochte ich auch deine. Die Melodie der Sprache hat mich – stellenweise - in ihren Bann gezogen. Sätze wie: „Und man will zuschanden gehen an den neuerlich aufschießenden Tränen, weint noch heftiger über das elende Weinen selbst.“ Und „Und nun meine nichts mehr über mich.“ fand ich poetisch und berührend.

Was ich mich etwas gestört hat, war der Gebrauch des Kursiven. Das hat sich mir nicht erschlossen. Beispielsweise Schlosshund. Das ist weder ein Fremdwort, noch gilt es eine mögliche Zweideutigkeit auszuschließen. Bei das Eine und andauernd gilt das Gleiche. Was noch? Die Stellen, wo häufig das verallgemeinernde „man“ zu lesen war, fand ich stilistisch schwächer als den Rest. Und die kindlichen Opferkelche waren mir, glaube ich, bisschen zu dick aufgetragen.

So, das ist die bescheidene Meinung einer Leserin, die sich an ihren ersten Kommentar gemacht hat.

Gruß
Coti

p.s.: Wovon ich selbst sehr profitiert habe, war die Lektüre des vorvorherigen Kommentars zum Thema Füllwörter. Der ständige Gebrauch der geliebten Eigentlichs, Echts, Sos, Wirklichs, Auchs, etc. dieser Welt ist eine echte Volkskrankheit.

 

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