Mitglied
- Beitritt
- 27.05.2008
- Beiträge
- 66
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 2
Sie meint
Sie meint: Es wäre aber schnell gegangen mit der Neuen!
Ich meine, zu weinen, in aller Öffentlichkeit, an einem Ort der Zerstreuung und Lust verspricht, und zwar wie ein Schlosshund, das zeugt von tiefer, schmerzlicher Reue. Nur eine halbundhalb mitleidige Hand auf der Schulter zu spüren, ein - man könnte sagen - väterliches Bedauern über die Ungehaltenheit des Leidenden, das ist nichts, was die Tränen trocknen könnte, keine Mauer wider den Sturm. Und dann hinauszugehen, auf einen halb lächelnden, väterlichen Rat hin, einen Alles-wird-schon-wieder-gut-Rat, das verquollene Gesicht gesenkt an der Garderobe, damit niemand die Schande bemerke, den Mantel blind entgegen nehmend und in die Nacht hinaus verschwindend, gemieden, verstoßen, allein mit den allseitigen Vorwürfen - das ist das Gegenteil von Geschwindigkeit. Es ist Stillstand in tödlichem Ausmaß.
Sie meint: Es wäre aber schnell gegangen mit der Neuen!
Ich meine, Briefe zu schreiben, viele Briefe, die sich ähneln, teils nur im Wortlaut verschieden, gefärbt von unterschiedlichen Stimmungen und Befindlichkeiten, mal verzweifelt, mal selig taub, mal auffahrend bestimmt, aber doch immer nur das Eine herbei sehnend, das zeugt von einer festen, inneren Überzeugung ohne Kompromisse. Und niemals diese Briefe abzuschicken, bis auf einen, der unbeantwortet bleibt, und zwar sie nicht abzuschicken aus Scham über die eigenen Gefühle, aus Scham vor der Nichtachtung der eigenen Person und ihren zarten, aber unumstößlichen Wünschen, das ist eine lange und kaum zu überwindende Demütigung. Eine negativistische Demütigung, die nicht durch tätliche Bestrafung einer anderen Hand zustande kommt, sondern durch das Ausbleiben eben dieser Hand. Ein Sich-selber-strafen der schlimmsten Sorte. Man weint, wenn man solche Briefe schreibt, weil alles drinnen steckt, was wahr und hernach förderlich erscheinen mag. Und ebenso weint man, wenn die Couverts in den Müll fliegen, ungelesen, vom Verfasser schon halb vergessen und von weniger Wert als das Papier, auf dem sie geschrieben sind.
Sie meint: Es wäre aber schnell gegangen mit der Neuen!
Ich meine, über Gespräche und Umwege zu erfahren, dass eben die Adressatin auf den Umschlägen dieser Briefe für ein paar Tage in der Stadt sein wird, und diese Tage sich im Kalender zu markieren, sie wieder und wieder ins Gedächtnis zu rufen, mitten am Tag, mitten in der Nacht, eigentlich andauernd, das zeugt von etwas wie unerschütterlicher Dankbarkeit und Zuneigung. Man weiß ja, dass alles echte Leid der letzten Wochen und Monate mit dieser einen Person zusammen hing, und dort, wo nicht man selbst der Auslöser war, sie es gewesen sein musste, und doch redet man sich ein, man paukt es sich ein, dass an diesem ausgebrannten Kampfplatz irgendwo doch noch eine verborgene Blume blühen mag. Man wälzt sich hin und her, sieht die Stunden sich dehnen, glaubt kaum das Warten ertragen zu können - nicht einmal das! - und dann, wenn sie wirklich da ist, diese Todesfee und Madonna, und man sich, bereit zu Lieben und zu Sterben, an sie wendet, und sie nichts sagt als: Du passt nicht in den Zeitplan, ich muss so viele Menschen sehen!, dann ekelt einen vor der eigenen Leidenschaft. Und selbst jetzt noch sucht man den Fehler bei sich. Man muss zu wichtig genommen haben, was eigentlich belanglos ist. Man muss sich Luftschlösser gebaut haben in der kühlen Einsamkeit, geklammert wie ein Ertrinkender an einen dürren Ast, der diesen nun zu lieben begonnen hat wie sein eigenes Leben. Das eigene Herz ein großes Kindertheater! Und man will zuschanden gehen an den neuerlich aufschießenden Tränen, weint noch heftiger über das elende Weinen selbst. Geht und geht, nur um Fortzukommen, von was auch immer.
Sie meint: Es wäre aber schnell gegangen mit der Neuen!
Ich meine, die Wüste, die wir hinterlassen haben, kennt keinen Frieden und wird ihn niemals kennen. Ich meine, die Leidensbereitschaft in meinem Herzen ist zu groß geworden für das eigentliche Vergehen, sie steht in keinem Verhältnis mehr zu deiner Person und deiner Zukunft. Ich meine, dass das, was ich einmal vergaß, in einer einzigen Nacht und fortan und immer bereuen werde, von dir nun fortan und dauerhaft vergessen wird, dass deine Rache oder Unfähigkeit - ich weiß es nicht - darin besteht, fortwährend zu vergessen, dass ich dich liebte, und dafür kostete ich, bis heute, bereitwillig vom Becher meines Untergangs.
Dieser Konflikt ist zu verworren, zu asymmetrisch und zu grotesk geworden, als das er noch auf jedwede Lösungsversuche anspräche.
Also: Geh weiter auf deinen stumpfen, ja folgerichtigen Pfaden, aber wage es ja nicht, und nie wieder!, auch nur einen deiner Finger auf meine Befindlichkeiten zu legen! Es mag eines Tages, ich weiß nicht wie, so kommen, dass du in die Augen deines Sohnes blickst, der, ganz anders als du, feingliedrig, grüblerisch und etwas scheu geraten ist, und siehst, wie in diesen tiefen, eigentlich dunklen Augen sich etwas regt, das eine bedingungslose Treue dir gegenüber verspricht, noch über jedes vernünftige Maß hinaus. Und vielleicht wird dann, mit einer Wucht, die dir fremd sein muss, dein Blick trüb werden, du wirst heulen ob dieser offenen Wunden, dieser kindlichen Opferkelche, und kaum noch wissen, wen du damals zurück ließest, mit eben diesen dunklen Augen, die eigentlich hell waren. Aber da war jemand.
Und nun meine nichts mehr über mich.