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Sie kamen von Carredo
Prolog
Das Wetter war den ganzen Tag über unerträglich gewesen. Die Temperaturen waren bis auf vierzig Grad Celsius im Schatten geklettert, am Himmel zeigte sich nicht eine einzige Wolke.
Die kleine Gruppe Freischärler hatte sich den Tag über in einer kleinen Höhle am Fuße eines der Ausläufer des Merreret-Bergmassivs versteckt. Jetzt, in den Abendstunden, wagten sie sich wieder heraus. Sie wollten den Berg hinunter in das kleine Dorf marschieren, dorthin wo die Veneaner einen kleinen Polizeiposten eingerichtet hatten. Ihm galt ihre heutige sogenannte Strafaktion.
Venea war nicht gerne gesehen hier auf dieser relativ kleinen und unbedeutenden Welt, ungefähr zwanzig Sprungpunkte von der Hauptwelt des Imperiums entfernt.
Man hatte hier auf Pini lange Zeit gehofft, daß man sich nicht um diesen kleinen Planeten am Rande des Tritonnebels kümmern würde, vor allem deshalb, weil es von ihm nur eine Sprungverbindungskette in Richtung des bewohnten Universums gab - und die führte über mehrere andere sogenannte Sackgassensysteme ohne zur Kolonisation geeignete Planeten.
Man hätte es besser wissen können. Terra war nach den Kolonialkriegen zu einem Planeten mit lediglich mittelmäßigem Einflußgebiet herabgesunken. Das entstandene Machtvakuum wollten diverse aufstrebende Kolonialwelten ausfüllen. Die erfolgreichste unter ihnen war Venea. Langsam aber sicher erweiterte diese, von Hochindustrie und vor allem stetigem schlechten Wetter geprägte Welt ihre Machtposition. Zur Zeit des ersten Eintreffens von veneanischen Soldaten auf Pini gehörten bereits rund fünfzig Welten zum Imperium der Veneaner.
Wie gesagt, man hätte es besser wissen können. Auch wenn Pini strategisch wertlos war, wenn es sich ob der langen Transportwege nicht lohnte die vorhandenen Bodenschätze auszubeuten, Venea konnte es sich nicht erlauben einen unabhängigen Planeten in seinem Einflußbereich zu dulden. Schließlich war Pini lediglich rund vierzehn Lichtjahre von Delos, einer der Hauptwelten des Veneanischen Imperiums, entfernt. - Luftlinie sozusagen. Eine direkte Sprungpunktkette gab es nicht. Da war es schon schneller die ca. zweihundert Lichtjahre entfernte Welt Venea anzusteuern. Seltsamerweise führten in diesen Winkel der Galaxis lediglich äußerst spärliche Sprungpunktketten. Viele Sonnensysteme schienen darüber hinaus für die Menschen sogar unerreichbar, da keine Sprunkpunkte zu ihnen aufgefunden werden konnten. Ein, wenn man terranische oder auch veneanische Maßstäbe anlegte, unglaubliches Phänomen. Die Sonnensysteme, die von den Menschen zuerst besiedelt worden waren wimmelten geradezu von den überlichtschnellen Dimensionslücken, im Sprachgebrauch Sprungpunkte genannt. Es war keine Seltenheit in einem System einige Dutzend von ihnen zu finden.
Venea hatte, zu Recht, mit keiner nennenswerten Gegenwehr auf Pini gerechnet. Ein paar tausend Soldaten mit leichten Waffen ausgerüstet hatten die Aufgabe den vorwiegend landwirtschaftlich geprägten Planeten zu annektieren und dem veneanischen Imperium einzuverleiben.
Die hier und da sich formierenden Freiheitskämpfer stellten lediglich eine Minderheit in der Bevölkerung dar. Die Probleme des Alltags, wie z. B. das Einbringen der Ernte wogen schwerer als die Okkupation durch fremde Soldaten, zumal dies offensichtlich keine einschneidenden Folgen in das tägliche Leben haben würde. Trotzdem wurden die Freiheitskämpfer vom Volk unterstützt. Kein Bauer, gleich welcher politischen Couleur hätte einen Freiheitskämpfer von seinem Gehöft verwiesen. Niemand hätte seine Nachbarn bei den Besatzern angezeigt. Die Pinianer waren stolz auf ihren Nationalismus denn dieser ging ihnen über alles.
Der kleine Trupp Freischärler hatte den Fuß des Bergmassivs erreicht und schlich sich nun durch die sich dort befindliche Sumpf- und Moorlandschaft langsam dem Dorf entgegen. Einer der Freiheitskämpfer hatte die Aufgabe erhalten die Nachhut zu bilden. Er schlich ungefähr zweihundert Meter hinter seinen Kameraden, ständig nach hinten sichernd her.
Ein plötzlich auftretendes, hohes Pfeifen ließ sowohl ihn als auch seine Kameraden innehalten. Mit einer geübten Bewegung warf er sich hinter einen kleinen Busch und sondierte das Gelände. Dort, zur rechten Hand im Moor stand ein kleines, rundes untertassenähnliches Gebilde welches das Abendlicht rot reflektierte. Von ihm ging dieses hohe Pfeifen aus.
Die sich vor ihm befindenden Freischärler hatten es inzwischen auch bemerkt. Sie bildeten eine Schützenlinie um das Objekt anzugreifen.
Eine Art Tür öffnete sich an der Untertasse, zwei Gestalten in seltsam befremdlich wirkenden roten Raumanzügen, mit schwarzen, kugelrunden Helmen traten heraus, in den Händen Dinge haltend bei denen es sich unzweifelhaft um Waffen handelte.
Nun ging alles sehr schnell. Von wem die erste Aktion ausging konnte der Freiheitskämpfer später nicht mehr sagen. Geschossen wurde auf jeden Fall von beiden Seiten. Allerdings mit sehr unterschiedlichen Waffen. Die Strahlpistolen der Freiheitskämpfer suchten und fanden ihr Ziel in den Raumanzügen der Fremden, diese schienen jedoch eine Art Schutzschild um sich herum aufgebaut zu haben, denn die Strahlen konnten ihnen nichts anhaben. Die Waffen der Fremden hingegen hatten eine verheerende Wirkung. Ein Freiheitskämpfer nach dem anderen wurde innerhalb von Sekundenbruchteilen völlig desintegriert.
Das ganze Gefecht hatte kaum begonnen als es schon auf grausige Art beendet worden war. Der kleine Trupp Freiheitskämpfer war verschwunden, so als ob er noch nie existiert hätte, lediglich der die Nachhut bildende junge Mann kauerte sich angsterfüllt ins Gras und beobachtete aus den Augenwinkeln wie sich die Fremden in ihr Gefährt zurückzogen und kurze Zeit später mit diesem in den Nachthimmel aufstiegen, geradewegs dem Tritonnebel entgegen.
I
Venea
"Bist du da, Billy?" Seine Stimme hallte in der Wohnung nach. Natürlich war sie nicht da, sagte er sich. Warum sollte sie auch zu Hause sein wenn er von der Arbeit kam? Schließlich war er es gewesen, der ihr vorgeschlagen hatte die zwischen ihnen bestehende Beziehung doch etwas lockerer zu sehen. Nun, das hatte sie getan. Ihr war es wohl auch ziemlich auf die Nerven gegangen die letzten zwei Jahre ständig nur mit ihm ihre ohnehin spärliche Freizeit zu verbringen. Sie hatten sich irgendwie auseinandergelebt, dabei hatte alles so schön und so harmonisch begonnen.
Beide hatten zudem gute Chancen beruflich Karriere zu machen. Er wurde bereits als potentieller zukünftiger Leiter der Mordkommission hier in Venea-City gehandelt. Billy hatte sich eine eigene kleine Reiseagentur für außerplanetarische Pauschalreisen erarbeitet, wie gesagt beruflich konnte es kaum besser kommen.
Er warf seine Aktentasche auf das Sofa im Wohnzimmer und ging schnurstracks weiter auf die Duschzelle zu. Vielleicht wäre eine endgültige Trennung doch das Richtige, dachte er beim Duschen. Dieser Gedanke spukte ihm nicht zum erstenmal im Kopf herum und er argwöhnte, daß auch Billy sich mit einem ähnlichen Gedanken herumschlug. Aber sie hatten sich darauf geeinigt es noch einmal zu versuchen. Im Urlaub, wo sonst. Er seufzte tief. Billy hatte da so eine verrückte Idee...
"Kees, bist du da?" Ihre Stimme hallte bis in die Dusche. Seltsam, daß sie beide dazu neigten sich mit den gleichen Floskeln zu begrüßen oder nacheinander zu rufen. Auch ein Zeichen dafür, daß sich die Beziehung zu sehr abgenutzt hat, dachte er bevor er ihr antwortete.
"Ja, ich bin unter der Dusche, einen Moment, ich bin gleich fertig." Er griff nach den Armaturen um den Wasserstrahl abzuschalten.
Als er kurze Zeit später, in einen leichten Hausanzug neuester veneanischer Mode gekleidet, das Wohnzimmer betrat, hockte Billy bereits vor dem niedrigen Couchtisch. Vor ihr ausgebreitet lagen, wie so oft in letzter zeit, großformatige Fotos, sowie eine Landkarte. Innerlich stöhnte er auf, schon wieder. Er hatte sich ja überreden lassen mit ihr diesen Urlaub zu machen, aber warum zum Teufel mußte sie ihm nun ständig mit ihren Zukunftsplänen auf die Nerven gehen?
Sie blickte von den Fotos auf und sah ihn an. Früher hätte er für so einen Blick einer so schönen Frau alles gegeben. Ihre kurzgeschnittenen, schwarzen Haare rahmten ein geradezu klassisch schön zu nennendes Gesicht ein. Dezent angebrachtes Make-up betonte ihre dunkelbraunen Augen und rundete den Gesamteindruck perfekt ab. Gekleidet war sie in einen weiten Kaftan, die zur Zeit übliche Modeerscheinung auf Venea. Für seine Begriffe ein recht umständliches Kleidungsstück welches zudem noch wesentliche Einzelheiten der Figur der Trägerin vollends verdeckte, was bei Billy doppelt schade war. - Nun ja, vor zwei Jahren hätte er für einen so viel Freude ausstrahlenden Blick ihrerseits alles gegeben - und heute? Er wandte sich ab und ging in die Küche. "Möchtest du auch etwas zu trinken?" fragte er über die Schulter zurückblickend.
"Du könntest mich wenigstens begrüßen, findest du nicht?" war ihre scharfe Antwort.
"Tut mir leid, Billy. Ich hatte einen schweren Tag und..."
"Deine Tage sind immer schwer, Kees," unterbrach sie ihn. "Du könntest dich ein wenig mehr zusammennehmen, oder bedeute ich dir inzwischen nur noch so wenig?" Ihre Stimme war äußerst schneidend geworden.
"Billy, es tut mir leid, ehrlich. Aber was soll ich dazu sagen? Du hast schon wieder die Vergrößerungen deiner Fotos aus Kindertagen nebst allerlei anderem Zeug auf dem Tisch ausgebreitet. Ich kann dein Projekt inzwischen in- und auswendig - und ich glaube es hat Zukunft. Trotzdem muß ich es nicht mögen!" Er seufzte kurz und tief. "Billy, bitte versteh doch, ich habe dir versprochen den Urlaub auf Pini mit dir zu verbringen. Und ich werde auch versuchen dich dort zu unterstützen, so gut es geht. Aber bitte geh mir nicht an meinem Feierabend mit Geschichten von nichtmenschlichen Invasoren auf den Keks. - Die kannst und mußt du deinen Kunden auftischen sobald die Ferienanlagen auf Pini stehen, aber bitte verschon mich jetzt damit, okay?"
"Du bist ungerecht, Kees. Ich habe mit keinem Wort Pini erwähnt." Sie hielt kurz inne. "Aber vielleicht hast du recht. Ich sollte vielleicht wirklich ein wenig mehr Rücksicht nehmen. Allerdings müßtest auch du einiges an dir ändern," sie holte Luft um fortfahren zu können und Kees wußte, daß der Abend wieder einmal in fruchtlosen Diskussionen über ihre Beziehung enden würde.
II
Pini
Pini, eine unbedeutende Sackgassenwelt, so genannt, da sie nur über eine Reihe von Sonnensystemen zu erreichen ist, die alle lediglich zwei Sprungpunkte aufweisen. Das Pini-System selbst verfügt sogar lediglich über einen Sprungpunkt. Die Reise von Venea nach Pini verläuft über zwanzig Sprungpunkte. Ein schnelles Raumschiff kann diese Entfernung in ungefähr vier Standardtagen zurücklegen. Vor fünfzig Jahren dauerte die gleiche Reise noch ungleich länger. Veneas Truppen waren ungefähr einen Monat unterwegs um Pini zu erreichen.
Zum Vergleich, Delos lediglich vierzehn Lichtjahre von Pini entfernt, also in ungefähr demselben Abstand zu Venea gelegen, war damals über gleich drei optimale Sprungpunktketten innerhalb eines Tages von Venea aus erreichbar, heute ist es sozusagen ein Katzensprung von Venea nach Delos, viele Pendler arbeiten...
Billy legte die Broschüre zur Seite. Über Pini stand nichts verwertbares darin. Jedenfalls nichts was sie nicht bereits schon vorher gewußt hatte. Sie würde sich ihre eigenen Werbetexte machen müssen, soviel war ihr mittlerweile klar geworden. Darüber hinaus hatte Kees ihr klargemacht, daß sie wohl kaum eine Bank finden würde, die ihr die ihr vorschwebenden Ferienanlagen finanzieren würde. Vorerst mußten wohl Privatquartiere und kleine Pensionen reichen. Außerdem war die Schiffsverbindung zwischen Venea und Pini äußerst dürftig. Pro Monat ging gerade mal ein Schiff hin und her welches zudem nur relativ geringe Ladekapazitäten für Passagiere hatte, hier wurden hauptsächlich Luxusgüter in der einen und Erze in der anderen Richtung transportiert. Also mußte sie auch hier umdenken, nicht der reiche, Luxusurlaub gewöhnte Kunde mußte angesprochen werden, sondern eher der naturverbundene, abenteuerliche Typ.
Innerlich seufzend ob der vielen nicht bedachten Probleme griff sie nach dem nächsten Prospekt aus ihrer Reisetasche, der diesen Sektor des Veneanischen Reiches behandelte.
Vom Imperium zur Demokratie, die Auswirkungen der unblutigen Revolution auf den delosianischen Sektor. - Sie warf einen Blick in das Impressum, dreißig Jahre alt, geschrieben als sie als Kind auf Pini aufgewachsen war. Sie wußte selber, daß die unblutige Revolution auf Venea keine Auswirkungen auf das gesellschaftliche Leben auf Pini gehabt hatte, dieses Buch dürfte für werbetextzwecke äußerst ungeeignet sein, sie warf es zurück in die Reisetasche.
Die Tür zu ihrer äußerst spartanisch eingerichteten Kabine öffnete sich, Kees trat ein. Mittlerweile hatte er es gelernt seinen Kopf beim umherschreiten im Schiff einzuziehen. Anfangs war er fast ständig überall, vorzugsweise an den relativ niedrigen Türen, mit seinem Kopf angestoßen, was einige blutige Striemen auf der nur noch reichlich dünn mit Haaren besetzten Kopfhaut hinterließ. Nun merkte er selbst einmal, daß er mit seinen 1,90 Meter Körpergröße nicht überall vorteilhaft ankam, dachte sie schnippisch. Sie selbst präferierte eigentlich Männer, die in etwa so groß waren wie sie selbst, also rund dreißig Zentimeter kleiner als Kees. Er hatte ihr damals mehr durch seine kühle Art imponiert, denn durch seine äußerliche Erscheinung. Groß und dabei sehr schlaksig, so wirkte er noch heute auf sie. Äußerlich konnte ihn auch heute noch nichts aus der Ruhe bringen, innerlich dagegen meinte sie mittlerweile einschätzen zu können, innerlich ging es in ihm ganz anders zu.
"In ungefähr drei Stunden sind wir im Orbit von Pini, hab's gerade vom Kapitän erfahren," brummte er ihr zu, während er sich auf sein Bett fallen ließ. "Ich kann es kaum erwarten endlich aus dieser engen Kajüte hier herauszukommen. Ich denke du wirst da noch einige Schwierigkeiten mit deinen Kunden bekommen, wenn du ihnen nur eine solche Passage anbieten kannst."
"Du bist ein alter Schwarzseher, Kees. Meine Kunden werden mehr als entschädigt werden, wenn sie den Nachthimmel über Pini sehen." Sie geriet ins schwärmen. "Stell dir doch vor, zwei Drittel des Himmels nimmt der Tritonnebel ein, ein rötlicher wie Wasserdampfschwaden geformter Nebel - und mittendrin Carredo, ein weißer Zwergstern um den sich viele Legenden ranken."
"Nicht zuletzt die von den Nichtmenschen, die dort hausen sollen und die Pini bereits mindestens einmal besucht haben sollen," fiel er ihr ins Wort. "Ich weiß, aber diese Legende ist doch total unglaubwürdig. Du weißt selbst, daß es keinen Sprungpunkt nach Carredo oder sonstwohin in oder hinter den Nebel gibt. Das ist ein Gebiet wo noch nie ein Mensch gewesen ist und wo vor allem auch niemals ein Mensch hinkommen wird, mangels Sprungpunktmöglichkeit. Ergo kann auch von dort niemals ein Nichtmensch hierher gelangen." Er schüttelte seinen Kopf wie um einen Alptraum loszuwerden. "Billy, die Story die uns dein Großvater..."
"Großonkel," fiel sie ihm ins Wort.
"Also gut dein Großonkel. Aber diese Story mit den Nichtmenschen ist hanebüchen. Das Universum ist leer, das ist bereits mehrfach von Wissenschaftlern bewiesen ..."
"Wie kann man meinen etwas beweisen zu können, wenn man nur einen Bruchteil dessen was man beurteilen will kennt? Niemand ist je dort gewesen - da gebe ich dir recht. Aber mein Großonkel hatte vor rund fünfzig Jahren diese Begegnung mit den Nichtmenschen, sie haben damals seine Kameraden getötet, vergiß das bitte nicht."
"Billy, ich kenne diese Geschichte zu genüge. Ein Beweis ist sie aber in keinem Fall. Wer weiß warum dein Großvater..."
"Großonkel," warf sie mittlerweile wütend geworden ein.
"Also schön, Großonkel. Wer weiß warum er diese Geschichte erzählt. Vielleicht will er sich lediglich interessant machen - was weiß ich. Aber du setzt dich dem Gespött der Menschheit aus, wenn du das alles als bare Münze hinstellst. - Nimm die Story am Rande in deine Werbeprospekte auf, als nette Story die sie nun mal auch ist, nicht mehr aber auch nicht weniger. Aber versuche nicht sie als Hauptkonzept für deine Unternehmung zu nutzen, das geht in die Hose, glaub mir."
"Mir ist es hier zu eng, ich muß ein wenig herumlaufen." Mit diesen Worten erhob sich die Frau und verließ die Kabine. Zurück blieb ein verstimmter Polizist im Urlaub bei dem keine rechte Urlaubsstimmung eintreten wollte.
III
Pierre Samag
Billy hatte nicht zuviel versprochen, Der Sternenhimmel, sofern man von einem solchen sprechen konnte, über Pini war einfach grandios und mit nichts zu vergleichen was Kees von anderen Welten her kannte. Der Tritonnebel bot ein überwältigendes Naturschauspiel. Fast genau in seiner Mitte, diese Angabe war natürlich relativ und bezog sich lediglich auf die Position eines Betrachters auf Pini, war der weiße Zwergstern Carredo auszumachen. Diese sonderbare Konstellation eines Sackgassensystems mit dem Nebel und seinem weißen Zwergstern konnte schon Gemüter in Wallung bringen und der Legendenbildung Vorschub leisten.
Sie waren mit einem der ersten Shuttle von dem Raumschiff auf Pini-Station, dem Raumhafen Pinis abgesetzt worden. Nun mußten sie noch auf das Transfershuttle warten, welches sie auf die andere Planetenseite zu dem Anwesen von Billys Großonkel bringen würde. Pini hatte lediglich einen Raumhafen, was die Abwicklung von Urlaubsflügen nicht gerade erleichtern würde.
Vier Stunden später langte man endlich in Denebola, einem kleinen Dorf am Fuße des Merreret-Bergmassivs an. Von dort gelangten sie mit einem gemieteten Bodenwagen bis zum Landsitz der Samags. Die frühen Abendstunden brachten Abkühlung für den heißen Sommertag, den diese Region Pinis hinter sich gebracht hatte. Bedingt durch die mehrfache Zeitverschiebung wußten die beiden Urlauber nicht so recht, ob sie sich nun zu Bett begeben oder lieber noch die Nacht aufbleiben sollten, die Entscheidung wurde ihnen jedoch abgenommen.
"Magdalena, ich freue mich dich endlich mal wiederzusehen. Komm in meine Arme, mein Kind." Aus dem alten, aus Bruchsteinen errichteten Haupthaus des Anwesens stürzte ein alter Mann mit schlohweißem Haar heraus und auf den Bodenwagen zu. Er war seltsam in eine Art Uniform gekleidet, auf seinem Kopf saß eine kleine Schirmmütze, welche an der Vorderseite das Abbild des Tritonnebels nebst einer kleinen Sonne darin trug. "Magdalena, laß dich ansehen. Mein Gott, du bist ja eine richtige Frau geworden!" Wie von Billy befürchtet benutzte ihr Großonkel ihren ursprünglichen, hier auf dem erzkatholischen Pini sehr gebräuchlichen Namen.
"Was sollte wohl sonst aus ihr geworden sein, Onkel?" ließ sich eine Frauenstimme aus der geöffneten Tür vernehmen. Kees blickte verwundert zu der dort stehenden Person hinüber. Eine Frau ungefähr in Billys Alter, in enge, kurze Hosen und T-Shirt gekleidet lehnte lässig am Türrahmen, ihre langen blonden Haare fielen ihr bis auf den Rücken herab.
"Sei nicht so schroff, Maria. Freust du dich denn nicht, das deine Großkusine wieder zu Hause ist?" Der alte Mann wandte sich wieder Billy zu. "Magdalena, wie geht es dir?" Er hielt kurz inne als er den zweiten Insassen des Bodenwagens zu bemerken schien. "Wer, ach ja du hast von ihm geschrieben. Er ist Polizist, nicht wahr? Sein Name, bitte verzeihen sie mir," sagte er zu Kees gewandt, "ich habe ihren Namen vergessen."
"Kees, Kees Danton. Ich bin.."
"Ich weiß wer sie sind. Und ich hoffe sie werden mir helfen," bemerkte der alte Mann verschwörerisch.
"Wollt ihr denn nicht erst mal ins Haus kommen? Ich finde es recht ungemütlich hier draußen auf dem Hof herumzustehen, drinnen ist ein kleines Begrüßungsessen vorbereitet, na los rein mit euch." Die in der Tür stehende Frau drehte sich um und ging ins Haus zurück.
Kees, Billy und der alte Mann folgten ihr, während letzterer in seinem Redeschwall nicht zu bremsen zu sein schien. Drinnen entpuppte sich das Haus als gemütlich eingerichtet. Es war, wohl mit Absicht, recht verwinkelt gebaut worden um möglichst viele Nischen und Erker gewinnen zu können. In diesen waren fast überall Regale eingelassen, welche mit Büchern überquollen. Hier und da waren kleine Sitzecken eingerichtet die geradezu dazu einluden es sich in ihnen gemütlich zu machen. Kees mußte an Billys Worte denken, das Anwesen ihres Großonkels als Ferienpension nutzen zu wollen. Bezüglich der Räumlichkeiten hatte sie nicht untertrieben, es würde sicherlich Sinn machen hier eine Pension einzurichten, blieb nur noch der Onkel zu überzeugen.
In der geräumigen Küche war ein kaltes Buffet aufgestellt worden. Zu den vorzüglich mundenden Speisen wurde ein einheimischer Wein gereicht, der allen Anwesenden vorzüglich schmeckte. In gelockerter Atmosphäre saß man so noch lange zusammen, wobei der Onkel sich als großartiger Geschichtenerzähler erwies. Geschickt verstand es Billy, die es mittlerweile aufgegeben hatte ihrem Onkel auszureden sie mit ihrem von ihr auf Venea abgelegten Geburtsnamen anzureden, das Thema auf die Vorkommnisse während der Besatzungszeit durch Venea zu lenken. Ihr Onkel sprang sofort darauf an und erzählte die Geschichte in allen Einzelheiten und vor allem mit einer solchen Inbrunst, daß sogar Kees sie geglaubt hätte wenn er es nicht besser zu wissen glaubte. Aber damit war Pierre Samag noch nicht am Ende angelangt. Nach einem tiefen Schluck aus seinem Weinglas fuhr er fort.
"Außerdem weiß ich, daß sie wiederkommen werden," sagte er mit verschwörerisch wirkender Miene. "Ja, ich will sogar noch weitergehen, sie sind bereits hier! Ich habe sie gesehen! Leider waren sie zu weit von mir entfernt, ich konnte nichts unternehmen, aber sie strolchten da unten an der Straße um das Denkmal herum, was ich für meine toten Kameraden errichtet habe. Ich sage euch, noch mal werden sie mir nicht entkommen, ich habe vorgesorgt." Mit diesen Worten riß er aus der Innentasche seiner uniformähnlichen Jacke eine kleine Strahlpistole heraus und fummelte damit vor Kees Gesicht herum, diesem wurde recht mulmig zu Mute. "Ihr seht ich bin vorbereitet, es kann nichts mehr passieren, diesmal entgehen sie mir nicht."
"Ist ja gut Onkel, rege dich nicht zu sehr auf, sonst muß ich Doktor Lagar rufen, du weißt, dein Blutdruck..." Maria Samag nahm ihrem Großonkel die Waffe aus der Hand und legte sie hinter sich auf das Buffet. "Ich glaube wir sollten mal abräumen, ich habe euch das Gästezimmer in der ersten Etage zurechtgemacht, weißt du welches ich meine, Billy?" fragte sie in Richtung ihrer Kusine gewandt.
"Würde es dir viel ausmachen uns zwei Zimmer zur Verfügung zu stellen? Ich brauche mal meine Ruhe..."
"Oh, sorry, ich dachte, na ja kein Problem. Nimm du das Gästezimmer , für Kees nehmen wir das blaue Zimmer im Anbau, okay?"
Billy nickte zustimmend und erhob sich. "Ich will ja nicht unhöflich erscheinen, aber es war ein harter Tag, ich würde mich gerne zurückziehen."
"Aber natürlich, Magdalena. Und morgen früh werden wir beide mal über deine Pläne sprechen, du hast mich ja richtig neugierig gemacht mein Kind."
"Ich zeige dir dein Zimmer, Kees. Es ist nicht weit." Maria stand auf und deutete auf den zum Anbau führenden Flur.
"Ist diese Strahlwaffe nicht ein wenig gefährlich in seiner Hand?" fragte Kees nachdem die beiden die Küche verlassen hatten.
"Die was? Ach so, nein ich habe die Energiekammer entfernt und durch ein Stück Blei ersetzt. Damit kann man keiner Fliege etwas zu Leide tun. Und ihm gibt sie das Gefühl von Sicherheit, seitdem er sich einbildet unten am Denkmal die Fremden wiedergesehen zu haben ist er ein wenig paranoid geworden. Er hat sogar ein Komitee ins Leben gerufen, welches die Nichtmenschen hier von Pini vertreiben soll. Na ja, Schrullen von alten Männern."
"Ein Komitee?"
"Ja, einige seiner Freunde haben auch in der Widerstandsbewegung gegen Venea gekämpft, die hat er reaktiviert, wie er es nennt. Jetzt sitzen sie allabendlich zusammen und beratschlagen was zu tun ist, neben der Aufnahme von alkoholischen Getränken und dem Kartenspiel versteht sich. Es ist mehr ein geselliger Altherrenabend, nichts von Bedeutung. - So hier ist dein Zimmer." Sie öffnete eine vom Gang abgehende Tür. "Billy will ja morgen früh mit Pierre über ihre Pläne reden, da sind wir zwei hier eigentlich überflüssig, soll ich dir vielleicht ein wenig die Gegend zeigen?" Kees nickte, angenehm überrascht über das Angebot, ihm stand nicht der Sinn danach schon wieder mit Ferienanlageplänen zu tun zu bekommen. "Also gut abgemacht, morgen in aller Frühe, Frühstücken können wir am Meer." Mit diesen Worten drehte sie sich um und ging den Flur entlang zurück in Richtung Küche. Kees blickte ihr lange nach bevor er in sein Zimmer schritt.
***
Sie waren bereits vor Sonnenaufgang unterwegs. Maria hatte ihn früh geweckt und hatte dann schnell etwas Proviant in einen Bodenwagen gepackt. Sie schien es zu genießen früh aufzustehen, Kees hingegen war eher der Typ, der an freien Tagen bis Mittags im Bett liegen blieb, nun diesmal war auch er bereit seinen Gepflogenheiten abzuschwören. Es reizte ihn ungemein mit der entfernten Kusine seiner Lebensgefährtin diese Spritztour zu unternehmen.
"Ich schlage vor, daß wir erst mal ans Meer fahren und dort den Vormittag verbringen, auf der Rückfahrt zeige ich Dir dann die Gegend." Mangels eines besseren Vorschlages war er auf ihre Vorstellungen den Tag zu verbringen eingegangen.
Die Fahrt durch die bergige Landschaft im Morgengrauen war an sich schon ein tolles Erlebnis. Maria hatte einen nach oben offenen Bodenwagen aus der Garage ihres Großonkels geholt. So konnte Kees die noch kühle Morgenluft und vor allem das langsame Aufgehen der Sonne am Horizont voll genießen.
"Beeindruckt?" fragte die nur sehr leicht mit T-Shirt und kurzer Hose bekleidete Frau neben ihm.
"Oh, ich glaube ich habe vor mich hin geträumt. Ja, es ist beeindruckend. Dieses Bergpanorama und der Sonnenaufgang. Ich glaube, daß Billy wirklich eine Goldgrube entdeckt hat, wenn sie es richtig vermarkten kann," entgegnete er. "Auf Venea gibt es nichts vergleichbares. Wir haben dort nur ständig diesiges Wetter. Eigentlich ist Venea als Planet nicht dazu geeignet von Menschen besiedelt zu werden. Es mußten seinerzeit umfangreiche Terraformingmaßnahmen durchgeführt werden, um ihn einigermaßen bewohnbar zu machen. Es war allerdings unumgänglich in einem so von Sprungpunkten wimmelnden System einen Stützpunkt zu haben, daß man damals weder Kosten noch Mühen scheute. Na ja, bis heute haben es die Terraformer allerdings noch nicht geschafft uns einen blauen Himmel zu zaubern, insofern ist das hier schon überaus überwältigend."
"Was hat Billy vor?" fragte Maria direkt.
"Sie will hier die Ferienindustrie ankurbeln. Hotels, Ferienanlagen etc., alles vorzugsweise auf dem Gelände eures Großonkels. - Vorausgesetzt er stimmt zu," setzte er rasch hinzu.
Ein heiteres Lachen ihrerseits war als Entgegnung auf seine Ausführungen zu vernehmen.
"Was ist daran so lustig?" fragte er unbekümmert.
"Billy hätte sich vielleicht mal etwas mehr um uns hier kümmern sollen. Seit sie von hier weggegangen ist hat sie Pini kein einziges mal einen Besuch abgestattet. Lediglich ein paar Briefe sind hier mal eingetroffen. Und jetzt plötzlich, wo sie eine Idee hat, wie man Pierres Land besser nutzen kann, da taucht sie hier unvermittelt auf. - Na ja, sie wird merken wie er darauf reagiert." Maria legte einen anderen Gang in den für Kees Begriffe recht veralteten Bodenwagen ein, um die Steigung der Straße ausgleichen zu können.
"Was heißt das, wird er ablehnen?" Kees hatte das Interesse an der vorübersausenden Landschaft verloren und wandte seine Aufmerksamkeit nun ganz Maria zu.
"Ablehnen, das ist ein viel zu schwaches Wort. Er wird einen Tobsuchtsanfall kriegen." Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, welche ihr der Wind aber kurze Zeit später wieder vor die Augen blasen würde. "Ich habe es aufgegeben ihn davon zu überzeugen hier statt der landwirtschaftlichen Nutzung doch etwas anderes zu machen. Bergbau zum Beispiel. Einer seiner besten Freunde hat ein Bergwerk drüben am kleinen Gipfel des Merreret. Er ist fest davon überzeugt, daß unter unserem Land viele Erzvorkommen zu finden sind. Aber Onkel Pierre lehnt seit Jahren seine Angebote zwecks Ausbeutungsverträgen ab." Sie blickte ihm für einen Sekundenbruchteil tief in die Augen, was in Kees nicht unbedingt mehr Zutrauen in den Bodenwagen, die Strecke und ihre Fahrkünste weckte. "Wir könnten stinkreich sein, verstehst du? Aber er lehnt immer alles ab. Das Land muß so bleiben wie es ist, dann kommen die Fremden irgendwann wieder und er kann sich an ihnen rächen - das sind so ziemlich seine Worte."
"Recht irrationale Argumente," bemerkte Kees. "was ist denn dran an diesen Geschichten über die Nichtmenschen?"
"Wenn du mich fragst, nichts. Und das ist so ziemlich die Meinung von jedem anderen hier in der Umgebung. Auch seine Freunde im Komitee suchen eigentlich nur einen Grund um sich allabendlich zu treffen und einen zu heben. - Glauben tut ihm die Geschichte keiner so richtig. Aber er kann halt gut Anekdoten erzählen, das ist alles."
"Und damals, die getöteten Freiheitskämpfer? Was ist mit ihnen, immerhin existiert ein Denkmal. Wenn sie nicht von Fremden getötet wurden, von wem dann, Veneaner vielleicht?" fragte er.
"Keine Ahnung, böse Zungen behaupten sogar, daß es diese Gruppe von Freiheitskämpfern niemals gegeben hat. Aus der Gegend soll ja nach Pierres Aussagen auch niemand darunter gewesen sein. Alles seiner Phantasie entsprungen, behaupten sie, wer will es wissen? Und das Denkmal, das hat er selbst aufbauen lassen, also auch kein Beweis," fügte sie hinzu. "Aber jetzt sollten wir mal von was anderem reden, da vorne ist das Meer."
Oberhalb einer Steilklippe parkten sie den Bodenwagen und kletterten dann einen halsbrecherischen Pfad hinunter zum Wasser. Unten schloß sich ein kilometerlanger Sandstrand mit verträumten Buchten an die Klippen an. Ein regelrechtes Ferienparadies, mit Hindernissen, wie Kees gerade noch einfiel als er an den alten Mann dachte, dem dies hier alles gehörte.
"Los komm schon, ab ins Wasser, dafür sind wir doch hier, oder?" Maria hatte ihr T-Shirt bereits abgesteift und war dabei sich auch des Restes ihrer Kleidung zu entledigen.
"Ich, äh... Ich habe keine..." Kees war sichtlich verlegen während er die mittlerweile nackt vor ihm stehende Frau ansah.
"Ich habe auch keine Badesachen mit, hier auf Pini wird darauf in der Regel sowieso kein Wert gelegt, also los mach schon. Ich warte im Wasser." Mit diesen Worten rannte sie auf die Brandung zu.
***
Stunden später trafen die beiden wieder am Anwesen der Samags ein. Vor der Tür im Hof saß Billy auf einem Stuhl in der Hand einige Bilder und Pläne, ihre Reisetasche mit den Prospekten neben sich. "Ah, da seid ihr ja endlich," bemerkte sie gelangweilt. "Ich habe schon lange auf euch gewartet. Habt ihr einen schönen Tag gehabt?"
"Kann nicht klagen, Kusinchen," entgegnete Maria schnippisch. "Ich glaube du solltest gut auf ihn aufpassen. Hier in der Gegend gibt es einige Junggesellinnen, die ein Auge auf ihn werfen könnten." Mit diesen Worten ergriff sie ihre Reisetasche und verschwand im Haus.
"Wo habt ihr euch denn rumgetrieben, am Meer?"
Der sichtlich verlegene Kees nahm neben ihr auf einem leeren Stuhl platz. "Ja, wir waren ein wenig schwimmen. Danach hat sie mir noch das Dorf und das Denkmal unten an der Straße gezeigt. Ein netter Tag. Und wie ist es bei dir gelaufen?"
"Grauenvoll, Onkel Pierre hat mich fast hinausgeworfen als ich ihm von meinen Plänen erzählte. - Aus der Traum, er meinte ich müsse schon bis zu seinem Ableben warten, dann könne ich mit den Ländereien machen was ich wolle, vorher aber nicht."
"So was ähnliches hat Maria auch angedeutet als ich ihr davon berichtete. Nun ja, du kannst ja vielleicht mit jemand anderem ins Geschäft kommen, deinem Onkel gehört doch bestimmt nicht die ganze Küste."
"Nett von dir, daß du versuchst mich aufzumuntern, aber ich weiß wann ich verloren habe." Sie erhob sich und raffte ihre Sachen zusammen. "Ich glaube ich fahre noch ein wenig ins Dorf, vielleicht treffe ich ja Pierre und kann noch mal mit ihm in Ruhe darüber reden, heute morgen hatte er wohl denkbar schlechte Laune."
"Soll ich mitkommen?" fragte Kees pflichtbewußt.
"Nein ich will dir nicht auch noch den ganzen Urlaub verderben. Amüsier dich ruhig mit Maria, ich glaube ihr versteht euch recht gut, oder?"
"Sie ist ganz nett, wenn du das meinst..."
"Also dann ist ja alles klar, bis heute abend dann." Billy stieg in den Bodenwagen ein und ließ des Motor an. Kees blickte ihr noch lange nach als sie vom Hof fuhr.
IV
Das Komitee
In der Küche hatten sich, wie so oft in letzter Zeit die Herren des Komitees gegen die nichtmenschliche Bedrohung Pinis zusammengefunden. Das Kartenspiel welches auf dem Tisch lag, war Kees unbekannt, sowohl was das Blatt als auch was die Regeln anging.
"Wollen sie nicht mitspielen, junger Mann?" fragte Dr. Lagar, ein Mann, der die Blüte seines Lebens schon lange überschritten zu haben schien, wie auch seine beiden Kollegen, der Bauer und Großgrundbesitzer Ras Lemment und der Minenbesitzer Roland Batir.
"Laß ihn, er kann das Spiel doch gar nicht," bemerkte der alte Samag launisch.
"Heute nicht bei bester Laune, was Pierre?" fragte der Minenbesitzer Batir amüsiert. "Wieder keinen der Nichtmenschen getroffen, hm? In meiner Mine ist heute auch keiner vorbeigekommen..."
"Wenn ihr euch heute alle über mich lustig machen wollt, dann bitte schön, ich stehe zu eurer Verfügung." Pierre Samag schien wirklich recht aufbrausend zu sein. "Ich habe sie gesehen, damals wie auch in der letzten Woche, das sage ich euch, wer's nicht glaubt der soll sofort mein Haus verlassen."
"Nun mal ruhig, Pierre. Roland hat doch nur einen Witz gemacht, denk an deinen Blutdruck." Der Arzt griff schlichtend ein.
"Ja, ich bin sicher es war als Witz gemeint, Pierre," bemühte sich jetzt auch Ras Lemment zu sagen. "Wer ist denn eigentlich dran mit geben?"
"Nein laßt mal gut sein für heute, ich muß los. Wer weiß was für Notfälle heute nacht noch über mich hereinbrechen." Dr. Lagar erhob sich von seinem Stuhl.
"Dein Sozius hat doch sicherlich alles unter Kontrolle, Cheng. Du kannst doch noch ein bißchen hierbleiben." Ras Lemment schien das Spiel sehr am Herzen zu liegen.
"Nein, ich muß los. Richard soll sich mal nicht zu früh dran gewöhnen die Praxis alleine zu führen. Bis dann also." Der Arzt griff nach seiner Tasche und machte sich auf den Weg nach draußen. "Ich glaube, Ras, auch für dich ist die Partie zu Ende, deine Tochter kommt gerade an," rief er vom Hof aus. Ein Bodenwagen fuhr gerade in die Hofeinfahrt hinein.
"Ach, schon so spät. Ich hätte geschworen..." Auch Ras Lemment erhob sich und begab sich, leicht wankend nach draußen.
"Das sollte mir mal passieren, daß ich mir von meinem Sohn Vorschriften machen lasse wann ich nach Hause zu kommen habe, was Pierre?" brummte der im Raum verbliebene Batir vor sich hin. "Der steht doch ganz unter dem Pantoffel der Kleinen. Ich weiß nicht ob ich das so gutheißen kann."
"Misch dich nicht ein, Roland. Das geht uns nichts an. Sollen wir noch ein wenig ins Kaminzimmer gehen, ich habe da doch noch den alten 47er, du weißt?" Pierre Samags Augen glühten verheißungsvoll.
"Oh, das Angebot nehme ich dankend an. Wir sollten auch noch besprechen, wie wir in nächster Zukunft so vorgehen sollen, wegen der Invasion, du verstehst?"
Nachdem die beiden alten Männer die Küche verlassen hatten erschien Maria, um ein wenig aufzuräumen. Erstaunt bemerkte sie den allein in der Küche sitzenden Kees.
"Mich will keiner abholen, geschweige denn ins Kaminzimmer mitnehmen, hast du eine Idee was man mit dem angefangenen Abend anfangen könnte?" fragte er erwartungsvoll.
"Tut mir leid, Kees. Ich muß ins Bett. Bin hundemüde. Aber wenn du willst könnten wir morgen einen kleinen Ausflug in die Berge machen. Vielleicht kann ich dir ja das Anwesen der Lemments zeigen. Nicole ist eine gute Freundin von mir, sie hat sicherlich nichts dagegen. Abgemacht?"
Kees, ein wenig enttäuscht ob des kaputten abends, nickte ihr zu und zog sich dann in sein Zimmer zurück.
***
"Ihr wollt wieder weg?" Billy schien ein wenig eingeschnappt zu sein, lehnte dann jedoch das Angebot Marias ab auch mitzukommen. So fuhren Kees und Maria am nächsten morgen nach dem Frühstück los in Richtung Berge.
"Sag mal, was ist denn jetzt eigentlich mit dir und Billy los?" fragte Maria nachdem sie einige Zeit schweigend nebeneinander sitzend gefahren waren.
Kees seufzte tief. "Das ist eine schwierige und lange Geschichte. Genau weiß ich es selbst nicht. Aber ich schätze es ist aus, auch wenn keiner von uns es noch nicht offiziell kundgetan hat, du verstehst?"
"Ich will ja nicht weiter in dich dringen, aber es wäre mir schon wichtig das genau zu wissen, Kees. Ich will mich da nicht in was reinhängen was..." Sie unterbrach sich selbst als der Wagen nach einer scharfen Kurve das Anwesen der Lemments erreichte. "Das ist Lemment-Castle, wie es hier scherzhaft genannt wird. Aber wenn man genau hinsieht ist es einer Burg wirklich nicht unähnlich, oder?"
Kees, dankbar für den Themawechsel, ging sofort auf das vor ihnen sichtbar gewordene Bauwerk ein. Es sah wirklich aus wie eine kleine Burg, eng an den Felsen gebaut. Auch hier könnte man sicherlich eine recht nette Ferienanlage installieren, schoß es ihm unbewußt durch den Kopf.
Aus dem Haus stürmte eine junge Frau von ungefähr zwanzig Jahren. Kees glaubte in ihr die Fahrerin des Wagens von gestern abend wiederzuerkennen, die Ras Lemment abgeholt hatte.
"Darf ich vorstellen, Kees Danton, das ist Nicole Lemment. Nicole das ist..."
"Laß den Blödsinn, Maria. Ich weiß wer er ist. Das pfeifen die Spatzen mittlerweile von den Dächern. Auch von eurem Ausflug ans Meer wird bereits im Dorf berichtet. Ich glaube da ist jemand indiskret gewesen in eurem Haus," fügte sie verschmitzt hinzu. "Aber ich hoffe ihr seid mir nicht böse, wenn ich euch jetzt sage, daß ich sofort los muß. Unten an der Weide Nummer 58 ist ein Pipeline-Bruch gemeldet worden, ich muß hin und sehen wie schlimm es wirklich ist. Wollt ihr mitkommen? Wir können ja danach vielleicht ein wenig reiten, ich wette er hat noch nie auf einem Donkey gesessen." Mit diesen Worten war sie auch schon an den beiden vorbei in ihren Bodenwagen gesprungen und vom Hof gebraust.
"Was ist ein Donkey?" fragte Kees verwundert, nachdem Maria ihren Wagen gewendet und hinter Nicole hergefahren war.
"Ein Donkey ist das einheimische Reittier. Ein echtes hier auf dem Planeten entstandenes Tier welches noch an manchen Stellen gezüchtet wird, ansonsten ist von der ursprünglichen Fauna und Flora nicht viel übriggeblieben. Die hier eingeführten terranischen Pflanzen und Tiere haben alles ursprüngliche fast komplett verdrängt," fügte sie bedauernd hinzu. "Sieh mal, da oben läuft Pierre!" Sie deutete auf einen ungefähr zweihundert Meter vor ihnen rechts neben der Straße liegenden Hügel. Kees konnte an dessen höchstem Punkt eine Gestalt ausmachen, die heftig mit den Armen winkend auf sich aufmerksam machen wollte. Nachdem Maria den Bodenwagen zum stehen gebracht hatte lief der Mann so schnell er konnte querfeldein Richtung Moor los.
"Was ist denn nun los?" fragte Kees überrascht. "Macht er das oft?"
"Nein, ich erlebe so etwas zum ersten mal. Er will uns wohl etwas wichtiges zeigen," entgegnete Maria.
"Na dann..." Kees unterbrach sich selbst als plötzlich ein sehr hohes Pfeifen die bisherige Stille störte. "Was ist das?" fragte er und blickte in panikerfüllte Augen der Frau neben ihm.
"Kees, das hier ist die Stelle von der Pierre immer erzählt hat, du weißt die Fremden..."
"Los wir müssen zu ihm." Kees sprang, dicht gefolgt von Maria aus dem Wagen und rannte den Hügel hinauf. Bedingt durch die Unterhaltung hatte Pierre Samag bereits einen erheblichen Vorsprung vor ihnen. Er lief ungefähr dreihundert Meter vor ihnen einen anderen Hügel hinauf. Kees und Maria mußten erst eine kleine Senke durchqueren und einen Bach überwinden bevor sie auch diesen Hügel in Angriff nehmen konnten. Das Pfeifen war mittlerweile unerträglich geworden. Plötzlich setzte unheimliche Stille ein, direkt gefolgt von einem markerschütternden Schrei. Kees und Maria hatten mittlerweile den letzten Hügel erklommen und blickten nun auf das vor ihnen liegende Tal.
Ungefähr fünfzig Meter weiter unten am Hang lagen fein säuberlich der Länge nach ausgebreitet die Kleider Pierre Samags, so als ob er der Länge nach hingefallen wäre und die Arme seitwärts von sich gestreckt hätte. Von ihm selbst war keine Spur zu sehen.
"Kees, das kann doch nicht wahr sein," flüsterte Maria fassungslos. "Er lief doch vor uns her, sie können ihn doch nicht... Kees sie haben ihn desintegriert, wie damals!" Maria schrie laut auf. "Da, da unten am Wald, da hat sich etwas bewegt!"
"Wo, ich habe nichts gesehen?"
"Dort, links neben der Viehtränke, dort unten!" Sie deutete mit ihrem Arm in die angegebene Richtung. Kees rannte bereits den Hang herab, auch er hatte nun die Bewegung wahrgenommen. Er glaubte eine Gestalt in einem roten Anzug durch das Wäldchen rennen zu sehen. "Kees, paß auf. Blieb hier sie werden..." er hörte nicht zu was Maria hinter ihm herrief, in ihm war der Jagdinstinkt des Polizisten erwacht. Irgend jemand hatte Pierre Samag ermordet Mensch oder Nichtmensch, das tat jetzt nichts zur Sache. Derjenige mußte gestellt werden.
Nach kurzer Zeit erreichte auch Kees das Wäldchen, die Bäume standen zum Glück nicht sehr dicht, so daß er die fliehende Gestalt recht deutlich ausmachen konnte. Sie rannte in Richtung Straße zurück. Kees blieb ihr auf den Fersen, ja er konnte sogar einige Meter gutmachen. Der Mörder schlug plötzlich einen Haken und rannte wieder ein wenig in den Wald zurück, Kees, der damit nicht gerechnet hatte strauchelte kurz. Als er sich wieder aufrichtete war der Fremde verschwunden. Kees ging langsam nach allen Seiten hin Ausschau haltend auf die Straße zu. Plötzlich erblickte er das von Pierre Samag errichtete Denkmal, welches hier neben der Straße lag.
Es handelte sich dabei um eine kleine Gartenanlage von vielleicht hundert Quadratmetern Fläche, in ihrer Mitte stand eine ungefähr zehn Meter hohe und zwei Meter Durchmesser umfassende Säule an der verschiedene Gedenktafeln angebracht waren.
Kees ging auf das Tor der Umfriedung zu und versuchte es zu öffnen. Erstaunlicherweise öffnete es sich sofort, als er die Torklinke herunterdrückte, gestern, als Maria ihm diesen Ort gezeigt hatte war er verschlossen gewesen. Vorsichtig begab sich Kees in den Garten. Einem Instinkt folgend drehte er sich unvermittelt um. Nur drei Meter hinter ihm stand der Nichtmensch, eingehüllt in seinen roten Raumanzug, ein ballonartiger, schwarzer undurchsichtiger Helm saß auf seinem Kopf. In der Hand hielt er eine auf Kees gerichtete Waffe. Kees machte noch einen Schritt nach hinten, da krümmte die Gestalt den Finger um den Abzug.
***
"Tut mir leid, danach weiß ich nichts mehr, einfach knock out," berichtete Kees, im Bett liegend den um ihn herumstehenden Menschen.
"Auf jeden Fall müssen sie sich schonen, das war ein Energiestoß der ihren ganzen Organismus ganz schön durcheinander gebracht hat," diagnostizierte ein junger Mann, der neben seinem Bett stand.
"Da gehe ich mit dir einig, Richard. Er muß sich unbedingt schonen." Der alte Arzt seufzte tief. "Und für meinen armen Freund Pierre kam jede Hilfe zu spät. Wer hätte aber auch gedacht, daß seine Geschichte stimmt. - Ich jedenfalls nicht."
"Schonen, tut mir leid meine Herren, aber das kann ich wohl kaum. Der Tatort muß untersucht werden, angefangen bei der chemischen Analyse der Fußspuren bis hin zu den Auswirkungen der Strahlung auf die übriggebliebenen Kleidungsstücke Pierres," Kees wandte sich zu dem Polizisten der am Fußende des Bettes stand. "Ich nehme an, sie haben bereits alles Notwendige veranlaßt?"
Der etwas korpulente Polizist sah betreten drein. "Ich weiß, daß sie auf Venea eine relativ hohe Stellung bei der Polizei bekleiden, Herr Danton. Hier auf Pini haben wir aber leider nicht die ihnen dort zur Verfügung stehenden Mittel. Derartige Analysen wie sie sie ansprechen sind uns leider nicht möglich," der Polizist wand sich regelrecht vor Unbehagen. "Zumindest habe ich die Kleidung als Beweismittel sichergestellt," fügte er ein wenig stolz hinzu und deutete auf die neben ihm auf einem Stuhl liegenden, ordentlich zusammengelegten Kleidungsstücke.
Für Kees brach eine Welt zusammen. Er wußte zwar, daß man an Pini nicht die hohen Ansprüche stellen durfte wie an eine reiche, industrialisierte Welt wie Venea, aber die Sorglosigkeit mit der der Polizist mit Beweismitteln umging verschlug ihm fast die Sprache. Er fühlte sich zu einer bissigen Bemerkung veranlaßt. "Haben sie die Kleider denn wenigstens bereits gewaschen?"
"Gewaschen...? Ich verstehe nicht ganz?" antwortete der Polizist.
"Er meint, daß du evtl. etwas vorschnell gehandelt hast, Bibi." Die Stimme gehörte Maria, die unbemerkt von Kees das Zimmer betreten hatte.
"Vorschnell, ich weiß nicht..."
"Er ist ein hohes Tier bei der Mordkommission in Venea-City, vergiß das nicht, Bibi. Vielleicht solltest du ihn bitten mit dir zusammen die Spuren zu sichern. Wir müssen herausfinden wo sie sich versteckt haben! Sollten wir nicht auch die Regierung verständigen?" Maria versuchte sachlich zu bleiben, an ihrer Stimme konnte man jedoch ablesen, daß ihr dies nicht gelang. "Ich meine das ist doch der Beginn einer Invasion, oder nicht?"
"Bislang ist lediglich ein Mann verschwunden und Herr Danton überfallen worden, von einer Invasion würde ich noch nicht sprechen, Maria." Der Polizist versuchte Haltung zu bewahren, was ihm allerdings nur schwer gelang.
"Ohne Beweise die Pferde verrückt zu machen, davon halte ich allerdings ebenfalls recht wenig," ließ sich der Arzt vernehmen. "Schließlich konnten wir lediglich feststellen, daß unser lieber Freund von Venea hier einen elektrischen Schlag erhalten hat und deshalb jetzt einige Zeit Ruhe braucht, ein direkter Beweis für die Existenz von nichtmenschlichen Intelligenzen hier auf Pini ist das nicht gerade, oder Richard?"
Der angesprochene Assistenzarzt schien irgendwie verwirrt, antwortete jedoch sogleich. "Sie vergessen, Dr., daß er sie gesehen hat, sie haben mit einer für uns neuartigen Waffe auf ihn geschossen und..."
"Papperlapapp, er hat jemand gesehen der mit etwas auf ihn geschossen hat. Das muß nicht zwangsläufig ein Nichtmensch gewesen sein." Der alte Mann fixierte seinen Assistenten scharf. "Ich bin noch nicht so verkalkt, als daß ich nicht noch logische Schlüsse ziehen könnte. - Aber um zum Kern der Sache zu kommen, ich verordne ihnen jetzt unbedingte Bettruhe, zumindest für die nächsten zwei Tage. Sie mögen ja ein toller Hecht auf Venea sein, aber wir hier auf Pini sind auch dazu in der Lage unerklärliche Phänomene zu untersuchen, nicht wahr Sergeant?"
Der Polizist nickte kaum merklich. "Nichtsdestotrotz wäre ich ihnen dankbar, Herr Danton, wenn sie mir bei diesem Fall unter die Arme greifen könnten. Im Normalfall habe ich es hier in der Gegend mit Verkehrsdelikten, Raufereien oder manchmal mit einem Viehdiebstahl zu tun, ich bin etwas aus der Übung was das Vorgehen bei anderen Delikten angeht, sie verstehen was ich meine?"
"Heute abend werden wir weitersehen, ich komme dann noch einmal vorbei und bringe ihnen ein paar Tabletten mit. Unter Umständen sind sie dann morgen bereits wieder auf den Beinen." Der Arzt packte langsam seine Sachen zusammen und bedeutete seinem Assistenten seinem Beispiel zu folgen. Auch der Polizist nutzte die Aufbruchstimmung um sich zu verabschieden. Zurück blieben Maria, Kees und Billy - in einem ansonsten total leer und ungemütlich wirkenden Haus. Diese Gefühle wurden allein von der Abwesenheit Pierre Samags und vor allem durch den Grund derselben hervorgerufen.
***
"Hiermit erkläre ich die erste Sitzung des Komitees gegen die nichtmenschliche Bedrohung Pinis nach Beginn der Invasion für eröffnet," Ras Lemment ließ bedeutungsschwer einen kleinen Holzhammer auf eine filzunterlegte kleine Holzscheibe fallen. "Zum Schriftführer der heutigen Sitzung wird Maria Samag ernannt, der ich hier nochmals in unser aller Namen unser herzliches Beileid aussprechen möchte. Neben dir, liebe Maria, begrüße ich einen weiteren Neuzugang in unserer Mitte. Herr Danton, würden sie sich bitte erheben."
"Was soll der Quatsch, Ras? Komm endlich zur Sache," fiel ihm ein wenig genervt Dr. Lagar ins Wort.
Die Augen zu kleinen Schlitzen wütend verengt wandte sich der so gerügte seinem Widersacher zu. "Du meinst wohl nur weil du studiert hast mich eines besseren bezüglich unserer Satzung belehren zu können, was? Laß dir gesagt sein, daß..."
"Hört auf euch zu streiten, wir haben hier wichtiges zu bereden," mischte sich Roland Batir ein. "Außerdem solltet ihr bedenken, daß es gestern einen hinterhältigen Anschlag auf unser Komitee gegeben hat, dem unser Freund Pierre zum Opfer fiel. - Wir müssen jetzt dringend Gegenmaßnahmen gegen die Vorboten der Invasion von Carredo beschließen und vor allem Beweise für die Invasion sammeln. Wie ihr wißt geht die Polizei momentan lediglich von einem Vermißtenfall aus."
"Und was stellst du dir da so vor?" fragte Ras Lemment genervt.
"Wir müssen vor allem im Moorgebiet patrouillieren und versuchen ihre Verstecke ausfindig zu machen," schlug Maria Samag vor. "Wir müssen die Existenz dieser Carredoner beweisen, ohne Beweise können wir niemanden von der Bedrohung überzeugen."
"Wie willst du die Beweise beschaffen, Maria?" ließ sich nun auch Kees Stimme vernehmen. "Ein echter Beweis wäre, so denke ich, lediglich die Gefangennahme eines Fremden oder vielleicht die Analyse einer ihrer Waffen. Aber wie sollen wir das anstellen? Wir sind hier lediglich fünf Personen. Unter Umständen könnten wir noch Bibi mit hinzuzählen. Damit wären wir zu sechst. Wie sollen wir das komplette Moorgebiet überwachen? - Das ist einfach unmöglich."
"Was ist mit Billy, würde sie uns nicht unterstützen? Immerhin war Pierre auch ihr Großonkel," warf Maria ein.
"Sie ist zu sehr mit ihrem Ferienprojekt beschäftigt," antwortete Kees. "Außerdem ist sie der Meinung, daß man die Aufklärung des Falles den Behörden überlassen sollte," Kees ließ einen tiefen Seufzer hören. "Sie hat mit mir sogar einen kleinen Streit vom Zaun gebrochen, weil ich mich einmische, nein, von ihr können wir keine Unterstützung erwarten."
"Und Bibi ist absolut unfähig. Das war er schon immer, auch damals als er mit meiner Tochter zur Schule gegangen ist. Er bildete sich doch tatsächlich ein, er könne in meinen Hof einheiraten, aber Nicole hat ihm rechtzeitig gezeigt was eine Harke ist und..."
Dr. Lagar fühlte sich veranlaßt den abschweifenden Lemment wieder zum Thema zurückzuholen. "Die Story kennen wir zu genüge, Ras. Aber zum Glück tut sie hier nichts zur Sache, außerdem glaube ich, daß du so langsam deine Sachen packen solltest. Ich kann da draußen ein paar Scheinwerfer erkennen, die sich die Straße entlang bewegen. Schätze deine Tochter wird bald hier sein." Dr. Lagar der als einziger am Fenster saß deutete aus diesem hinaus.
"Du solltest vielleicht doch mal mit ihr reden, Ras. Schließlich bist du kein kleines Kind mehr," bemerkte Roland Batir bissig. "Wie lange hast du denn am Wochenende Ausgang wenn du in der Woche bei Einbruch der Dunkelheit zu Hause sein mußt?
"Laß ihn zufrieden, Roland. Nicole ist lediglich besorgt wegen der gestrigen Vorfälle," mischte sich Dr. Lagar ein. Der Arzt konnte beobachten wie der Bodenwagen von der Straße aus in die kurze Zufahrt zum Anwesen der Samags einbog und dann auf dem Hof anhielt. Kurze Zeit später traten zwei Menschen in das geräumige Zimmer ein, in dem die Versammlung des Komitees stattfand.
"Sieh an, sieh an, Roland. Ich glaube auch du wirst bereits recht früh abgeholt," frotzelte Lemment, der wohl als erster bemerkt hatte, daß seine Tochter Nicole von Batirs Sohn Mark begleitet wurde.
"Hallo Papa," begrüßte Mark Batir seinen mißmutig dreinblickenden Vater. "Nicole und ich waren zusammen im Dorf als ich hörte, daß sie..."
"Ich bin kein kleines Kind, brüllte der inzwischen mit hochrot angelaufenem Kopf dasitzende Batir seinen Sohn an. "Ich kann noch immer alleine entscheiden was und vor allem wann ich etwas tue! Ich dachte, das hätten wir bereits schon lange geklärt!"
Die Beschwichtigungsversuche Dr. Lagars waren fast noch zusätzliches Wasser auf die Mühlen. Allen Ärgers zum Trotz brachen die beiden Komiteemitglieder ungefähr eine halbe Stunde später zusammen mit ihren Kindern auf. Zurück blieben Dr. Lagar, Kees und Maria welche sich nachdem sie die anderen nach draußen begleitet hatten wieder in die Sessel fallen ließen.
"Besonders ergiebig war die heutige Sitzung ja nicht gerade," bemerkte Kees trocken, nachdem er die auf dem Tisch stehenden Weingläser erneut gefüllt hatte.
"Oh, ich habe nichts anderes erwartet. Unsere Treffen laufen immer so ab. Etwas Existentielles kommt dabei so gut wie nie heraus," antwortete der Arzt während er sein Glas vom Tisch nahm. "Die zwei sind einfach alte Streithähne, die zu allem Überfluß meinen auch noch Probleme mit ihren Kindern zu haben," er nahm einen Schluck aus seinem Glas. "Pierre wirkte immer noch irgendwie beruhigend auf unsere Runde - nun das wird ja in Zukunft nie mehr der Fall sein."
"Dr., was halten sie denn von der ganzen Sache," ließ sich jetzt Maria vernehmen.
"Ich weiß nicht so recht was ich dazu sagen soll. Die Fakten sprechen an sich ja eine recht klare Sprache. Pierre ist verschwunden, auch wenn Bibi davon ausgeht, daß er sich einfach nur ausgezogen hat und dann nackt weggelaufen ist kann ich mich dieser Meinung nicht anschließen. Die Zeit zwischen dem Verschwinden Pierres zwischen den Hügeln und ihrem Eintreffen bei den Kleidungsstücken, Kees, diese Zeitspanne war dafür einfach zu kurz. - Nein, so leid es mir tut es sagen zu müssen, die Desintegration durch die Fremden erscheint, obwohl physikalisch so gut wie unmöglich, ungleich wahrscheinlicher. Vor allem vor dem Hintergrund, daß sie, lieber Kees, einen der Fremden gesehen haben. Auf der anderen Seite sollten wir nicht vergessen, daß es von diesem System hier keinen Sprungpunkt in Richtung Carredo gibt. Ich weiß, daß seit Anbeginn der Kolonisation Pinis diese Geschichten herumgeistern, daß es irgendwo versteckte Sprungpunkte geben soll, die die Erforschung Carredos und der Gebiete hinter dem Tritonnebel möglich machen sollen - aber das sind alles nur Wunschgedanken. Fest steht, daß es hier nur einen Sprungpunkt gibt und der führt in die andere Richtung. Woher sollen also diese Fremden gekommen sein? Von Venea vielleicht? - Wie gesagt, ich weiß nicht was ich glauben soll, aber man muß zugeben, daß diese Geschichte von den fremden Intelligenzwesen recht unwahrscheinlich klingt."
"Das hört sich ja alles recht nett an Dr., aber Tatsache ist doch, daß die Fremden hier sind, wie auch immer sie das geschafft haben mögen ist doch von untergeordneter Bedeutung," entgegnete Maria.
"Ja, da hast du wohl recht. - Aber es ist schon spät, ich werde auch mal so langsam aufbrechen. Als Fazit der heutigen Sitzung sollten wir denke ich festhalten, daß wir immer und überall die Augen offenhalten sollten, vielleicht können wir ja tatsächlich den Beweis für die Existenz der Nichtmenschen erbringen."
Dr. Lagar verabschiedete sich mit dem Versprechen am morgigen abend nochmals vorbeizuschauen um nach Kees zu sehen.
"Kees," fragte Maria nachdem der Arzt das Haus verlassen hatte, "was ist denn eigentlich mit Billy los?"
"Ich glaube, sie will mit all dem hier jetzt nichts mehr zu tun haben, der Weg für ihr Ferienprojekt ist jetzt frei, sie wird die Hälfte des Besitzes hier erben - und mit dir als Miterbin wird sie wohl reden können, oder?" Maria nickte schweigend. "Na bitte, sie ist heute den ganzen Tag in der Gegend herum gefahren, hat Fotos gemacht und sitzt jetzt wahrscheinlich in ihrem Zimmer über irgendwelchen Detailplänen. - Mir hat sie darüber hinaus zu verstehen gegeben, daß sie meine Hilfe nicht mehr braucht, dies schien recht endgültig zu sein, in jeder Hinsicht."
Maria legte behutsam ihre fein manikürte Hand auf seinen Arm. "Ich glaube mich erinnern zu können, daß das von Anfang an irgendwo im Raum stand, oder?" Kees nickte mit dem Kopf und sah sie fragend an. "Wie müde und mitgenommen bist du eigentlich?" fragte sie keck während sie ihre zu einem Pferdeschwanz im Nacken zusammengebundenen Haare löste, so daß diese locker auf ihre Schultern herabfielen. "Ich meine, hast du heute nacht noch etwas vor?" Kees Mimik drückte lediglich Unverständnis aus, so daß sie fortfuhr. "Na komm schon, Kees. Das war ein Antrag, sollte ich mich derart in dir getäuscht haben? Beim Schwimmen dachte ich mehr Interesse deinerseits gespürt zu haben, und das eigentlich recht deutlich," fügte sie noch schmunzelnd hinzu.
Kees, der rot anlief wie ein kleiner Schuljunge, der bei einer Dummheit erwischt worden war stammelte irgendein unverständliches Zeug vor sich hin, ließ es aber zu, daß sie ihn behutsam in Richtung seines Zimmers schob.
V
Die Fremden
Der nächste Tag brachte kaum Abwechslung. Kees und Maria, die erst relativ spät am Morgen aufgestanden waren, fanden die Überreste eines spärlichen Frühstücks in der Küche vor. Billy war, wie es schien, recht früh aufgebrochen um die Gegend weiter zu erkunden.
Gegen Mittag ließ sich Bibi noch einmal sehen, der sich danach erkundigte ob Pierre Samag evtl. doch wieder aufgetaucht sei. Neue Erkenntnisse hatte er bislang nicht gewinnen können.
Kees, dessen Nervensystem sich mittlerweile wieder voll regeneriert hatte, wäre am liebsten zu einer ausgedehnten Wanderung ins Moor aufgebrochen. Maria hatte sich jedoch in den Kopf gesetzt den armen kranken Mann gebührend zu pflegen, was er sich dann auch gefallen ließ. Am frühen Abend saßen die beiden im Hof und beobachteten den Sonnenuntergang, als Mark Batir unerwartet dem Anwesen der Samags einen Besuch abstattete.
***
"Richard, wo steckt meine Tasche?" rief der alte Mann von seinem Schreibtisch im Hinterzimmer der spärlich eingerichteten Arztpraxis aus.
"Sie muß doch da irgendwo auf dem Schreibtisch liegen, Dr., dort liegt sie doch immer," antwortete der Assistenzarzt genervt.
Kurze Zeit später erschien Dr. Lagar im Behandlungszimmer, die Tasche unter den Arm geklemmt. "Bist du hier fertig, Richard? Wir sind spät dran, ich wollte doch noch zu den Samags hinaus um mir diesen Danton noch einmal anzusehen."
"Es wird bereits dunkel, Dr.," antwortete Richard Shiem leise.
"Na und? Unser Wagen hat Licht oder etwa nicht?" Der Arzt sah seinen Assistenten erstaunt an. "Hast du etwa Angst vor diesen Fremden?"
"Im Dorf werden seltsame Geschichten erzählt, Dr. Angeblich will eine Bäuerin einen von ihnen am Denkmal gesehen haben. Außerdem hat Batir in der Schenke lautstark für die Aushebung einer Bürgerwehr plädiert," er unterbrach sich kurz und blickte seinen Chef direkt an. "Halten sie es für klug ausgerechnet jetzt die Straße zu den Samags hinaus am Denkmal vorbei zu benutzen, ich meine morgen früh könnten wir doch auch..."
"Richard, Richard, ich hätte niemals gedacht, daß diese Sache dich derart einschüchtern könnte," lachte der alte Mann. "Sieh zu, daß du die Sachen zusammengepackt bekommst, wir fahren jetzt!"
Die Straße Richtung Meer führte von dem Dorf Denebola aus ostwärts erst durch Wald und später dann durch die wilde und zugleich ungastliche Moor- und Sumpflandschaft.
Die beiden Insassen des Bodenwagens saßen schweigend nebeneinander. Richard schien sich recht unwohl in seiner Haut zu fühlen denn er blickte ständig aus dem Seitenfenster hinaus in die Finsternis, so als fürchte er von dieser Seite aus plötzlich von einem der Fremden angefallen zu werden. Dr. Lagars Laune hingegen schien immer besser zu werden, er grinste vor sich hin, hauptsächlich wohl wegen der offensichtlichen Besorgnis seines Assistenten.
Die Straße war in dem Streckenabschnitt, in dem sie sich gerade befanden, sehr kurvenreich. Richard, der den Wagen steuerte fuhr in Anbetracht seiner Angst eigentlich zu schnell. So kam es, daß er den Wagen, der direkt hinter einer Kurve am Straßenrand abgestellt war, erst im letzten Augenblick sah und so zu einem gewagten Ausweichmanöver gezwungen war. Der Wagen geriet ein wenig ins Schleudern, konnte von Richard Shiem jedoch stabilisiert werden. Ungefähr fünfzig Meter hinter dem geparkten Fahrzeug kamen sie zum stehen.
"Da war doch Rolands Wagen, entfuhr es Dr. Lagar. "Was macht der hier?"
Richards Augen waren panikerfüllt. "Lassen sie uns weiterfahren, Dr., wer weiß..."
"Aber da ist ja jemand im Wagen," unterbrach der Arzt seinen Assistenten. "Roland hat sicher eine Panne, da er steigt aus dem Wagen aus. Los setz zurück, wir müssen ihn mitnehmen."
Während Richard den Rückwärtsgang einlegte und dann langsam den Wagen zurückfuhr, winkte der inzwischen aus dem stehenden Wagen ausgestiegene Mann mit beiden Armen. Plötzlich jedoch drehte er sich unvermittelt um und rannte quer über die Straße in den angrenzenden Wald hinein. Lagar und Shiem sahen ihm verständnislos nach.
"Dr., hören sie das auch," bemerkte Richard Shiem in die nächtliche Stille hinein.
"Was?" fragte der Arzt, unterbrach sich dann aber selbst wieder als er das hohe Pfeifen vernahm, welches sich über die ruhige Nachtlandschaft legte.
"Das sind sie, Dr.," schrie Richard. "Sie sind zurückgekommen, sie wollen uns..."
"Ruhe," fuhr der Arzt ihn an. "Hast du gesehen wohin Roland gelaufen ist?"
"Ich glaube dort hinüber," Richard deutete schräg über die Straße.
"Wenn er die Richtung beibehält, dann müßte er den Wald am Denkmal wieder verlassen," murmelte Dr. Lagar vor sich hin. "Die Straße macht dort hinten eine Kurve. Komm schnell, wenn wir uns beeilen erwischen wir ihn dort."
Richard, froh wieder in den Wagen steigen zu können, beeilte sich den Anweisungen seines Chefs nachzukommen und startete den Wagen. Das hohe Pfeifen war mittlerweile immer schriller geworden. Sekunden später hielt der Wagen an der Einmündung des kleinen Sandweges, der von der Straße zu der Denkmalparkanlage führte, an.
Dr. Lagar sprang geradezu hinaus und starrte in die Dunkelheit des Waldes. Aus dieser Richtung mußte Batir kommen. Da, der Arzt meinte eine Gestalt ausmachen zu können, die sich durch das Unterholz kämpfte, eine Gestalt in einem rot schimmernden Anzug. Rot schimmernd schoß es ihm durch den Kopf, "Richard, schnell. Da ist einer von ihnen," schrie er seinem Begleiter zu. und ohne über sein weiteres Handeln nachzudenken rannte er der Gestalt hinterher in den Wald hinein. Richard Shiem folgte ihm nur zögernd. Ein plötzlich aufflammendes, grelles Licht und ein markerschütternder, Schrei ließen beide kurz in ihrer Bewegung innehalten. "Das kam von links, Richard. Das war Roland, er braucht sicher Hilfe, wir müssen rüber." Dr. Lagar lenkte seine Schritte in die Richtung aus der das Licht und der Schrei gekommen waren.
Richard Shiem fand seinen Chef fassungslos auf einer kleinen Waldlichtung stehend. Wenige Meter von dem alten Arzt entfernt stand ein mächtiger Bonuß-Baum, Zeuge der einzigartigen Flora dieses Planeten, dessen Stammumfang wenigstens fünf Meter ausmachte. In der Rinde des Stammes konnte man die sicherlich bis zu fünf Zentimeter tief eingebrannten Umrisse eines menschlichen Körpers entdecken. Unwillkürlich mußte Richard Shiem in den Himmel blicken, den Himmel der von dem rot leuchtenden Tritonnebel beherrscht wurde. Wie immer wurde sein Blick magisch von dem kleinen weißen Zwergstern angezogen, den die Menschen Carredo nannten.
***
"Pierre, Roland, wer mag der Nächste sein?" Ras Lemment warf diese Frage leise in die versammelte Menschenmenge hinein, die sich zu einem Gedenkgottesdienst auf der kleinen Waldlichtung eingefunden hatte.
"Das ist doch ganz klar, Ras," antwortete Dr. Lagar auf die gestellte Frage. "Man will das Komitee ausschalten. Die Frage ist nur warum?"
"Vielleicht sind sie ihnen einfach zu gefährlich geworden," mischte sich Kees Danton ein. "Die Fremden wollen ihre Entdeckung solange wie möglich herauszögern und..."
Kees wurde vom lauten Lachen des Arztes durch das dieser böse Blicke von den anderen Anwesenden erntete unterbrochen. "Von ihnen als Polizisten hätte ich mehr erwartet, Danton. Überlegen sie doch mal. gibt es eine bessere Möglichkeit auf sich aufmerksam zu machen als spektakuläre Morde zu begehen und dazu noch Zeugen wie sie lebend davonkommen zu lassen? - Nein, irgend etwas stimmt da nicht, das meine ich mit Bestimmtheit sagen zu können. Nur was, das entzieht sich noch meiner Kenntnis."
"Nun, die Suche nach dem Täter führt immer über das Motiv," entgegnete Danton. "Wenn das Motiv des Nichtentdecktwerdens nicht korrekt ist, welches können sie alternativ anbieten?"
"Ich weiß es nicht, aber ist es denn nicht auffällig, daß sie von den Fremden zwar außer Gefecht gesetzt aber nicht getötet worden sind? Gleiches gilt übrigens für mich und Richard," sinnierte der Arzt. Darüber hinaus erscheint mir die Wahl ihrer Waffen äußerst merkwürdig. Bedenken sie, wir kennen derzeit drei verschiedene! Pierre wurde desintegriert, seine Kleidung blieb allerdings vollkommen unversehrt. Roland hingegen wurde vollständig, incl. Kleidung in seine Einzelbestandteile aufgelöst, ja sogar der Baum der hinter ihm stand wurde in Mitleidenschaft gezogen. Sie hingegen, Danton. Sie wurden lediglich betäubt, nein wir übersehen irgend etwas Wesentliches, etwas das mehr Licht ins Dunkel bringt."
"Du phantasierst zuviel, Cheng," äußerte sich nun Ras Lemment. "Es müssen keine unterschiedlichen Waffen sein. Auch unsere herkömmlichen Strahlwaffen können auf unterschiedliche Intensität geschaltet werden, warum also nicht auch ihre?"
"Das erklärt aber immer noch nicht warum Danton hier das Ganze überlebt hat," entgegnete der Arzt hitzig.
"Seid doch ruhig, ihr stört den Gottesdienst," flüsterte die hinzugetretene Billy Samag. "Ich denke wir können froh sein, daß Kees überlebt hat und sollten es dabei belassen."
***
Die folgenden zwei Tage verliefen äußerst ruhig. Billy strolchte weiterhin alleine und nur mit ihrer Kamera bewaffnet durch die Gegend um die einzelnen Sehenswürdigkeiten im Bild festzuhalten. Kees und Maria hielten sich vorzugsweise auf dem Anwesen der Samags auf, unternahmen aber auch immer wieder kurze Wanderungen zu den Stellen an denen Pierre Samag und Roland Batir unter so mysteriösen Umständen ums Leben gekommen waren.
Auch die Polizei ging mittlerweile vom Tode der beiden Männer aus, auch wenn keine sterblichen Überreste auffindbar gewesen waren.
Die Todesfälle und vor allem auch der Besuch von Venea schienen eine außerordentliche Anziehungskraft auf die Bevölkerung des Dorfes Denebola und die umliegenden Anwesen auszuüben. Fast ständig kam irgendeiner der Bewohner unter einem fadenscheinigen Vorwand auf dem Anwesen der Samags vorbei nur um die eigene Wißbegierde über das Leben auf Venea zu befriedigen.
Die ständig sich wiederholenden Fragen nervten Kees mittlerweile zu Tode während Billy sich in der allgemeinen Aufmerksamkeit geradezu sonnte. So kam es, daß der Besuch Nicole Lemments für Kees eine willkommene Abwechslung bedeutete, da sie nicht seinet- oder Billys wegen gekommen war, sondern Maria einen normalen Freundschaftsbesuch abstattete. Im Laufe des Gesprächs erfuhr Kees viel über den Planeten Pini und vor allem die hiesige Region während der letzten Jahrzehnte. Die beiden Frauen berichteten mit wachsendem Vergnügen über die Zeit ihrer Jugend und ihre damaligen Träume und Wünsche und vor allem deren Nichtverwirklichung. Irgendwie drängte sich Kees der Eindruck auf, daß beide mit ihrem Leben hier unzufrieden waren - und dies lediglich mangels einer Alternative so führten bzw. geführt hatten. Nur Billy hatte seinerzeit den Absprung gefunden. Wobei sich deren Motive im Rückblick für die beiden anderen Frauen nur sehr nebulös darstellten. Da Billy momentan wieder auf Fotosafari war, konnte sie selbst darüber keine Auskunft erteilen. Kees, der in seinem Gedächtnis kramte, konnte zu seiner Verwunderung keine Erinnerung an ein mit Billy geführtes Gespräch aufrufen in dem es um dieses Thema ging. Anscheinend hatten sie beide trotz des Zusammenlebens auf engem Raum doch nicht alles miteinander geteilt.
Das im Hof bei Kaffee und Gebäck geführte Gespräch wurde durch das Schrillen des Comphones unterbrochen. Maria sprang auf und ging ins Haus um den Kontakt mit dem Gesprächsteilnehmer aufzunehmen.
"Wir haben hier noch immer keine mobilen Einheiten, ein wenig rückständig dieses Pini, findest du nicht?" fragte Nicole den neben ihr auf der schlichten Holzbank sitzenden Kees. "Auf Venea sind diese mobilen Teile doch sicher schon lange Standard, oder?"
Kees lachte in sich hinein. Jede kleinste technische Errungenschaft erweckte unter der Bevölkerung von Pini eine unwahrscheinliche Sehnsucht danach sie auch besitzen zu können. Sicherlich würde diese Techniksucht über kurz oder lang auch von Pini komplett Besitz ergreifen, wie sie von Venea schon seit langem Besitz ergriffen hatte, er für seine Person konnte jedoch behaupten, daß er dieser Entwicklung doch sehr skeptisch gegenüberstand.
"Nicole, es ist dein Vater," rief Maria aus dem Haus. "Er will dringend mit dir sprechen..." Nicole sprang auf und lief ins Haus. Ein lauter Aufschrei aus dem Haus ließ Kees zusammenfahren. Maria stürmte aus der Haustür heraus und rannte zu den seitlich abgestellten Bodenwagen hinüber. "Kees, beeile dich, wir müssen zu den Lemments, die Fremden sind da." Mittlerweile war auch Nicole wieder im Hof angelangt. Die drei jungen Leute sprangen in Marias Wagen und brausten davon.
"Was genau ist denn los?" versuchte Kees zu erfahren.
"Vater hat zwei Gestalten beobachtet, die sich an der Eingangstür zu schaffen gemacht haben, sie trugen diese roten Raumanzüge mit schwarzen, kugelrunden Helmen. - Wir müssen uns beeilen, während Vater mit mir sprach haben sie wohl die Tür aufgebrochen, jedenfalls war ein lauter Knall und dieses hohe Summen zu hören," fügte Nicole fahrig hinzu.
Kees wünschte sich jetzt seine Dienstwaffe, die er auf Venea zu Beginn seines Urlaubes zurückgelassen hatte - und verfluchte vor allem die pinianischen Behörden, die es abgelehnt hatten den Komiteemitgliedern Personenschutz zu gewähren.
Die Fahrt dauerte lediglich rund zehn Minuten, da Maria diverse, Kees bis dato unbekannte Abkürzungen nahm um schneller am Ziel zu sein.
Das Anwesen der Lemments machte auf den ersten Blick keinen ungewöhnlichen Eindruck. Erst als die drei Menschen aus dem Bodenwagen ausgestiegen waren und sich der Haustür des Wohnhauses genähert hatten, sahen sie das Unfaßbare. Die Tür hing nach wie vor an der einen Seite in ihren Angeln und an der anderen Seite im Schloß. In der Mitte jedoch fehlte ein großes Stück der mit Schnitzereien versehenen Holztür. Ein Stück, welches die Umrisse der Raumanzüge der Fremden ziemlich genau wiedergab. Es hatte den Anschein, als seien sie einfach durch die Tür hindurch marschiert und hätten dabei die Teile der Tür, die ihnen im Weg waren einfach atomisiert.
Nicole rannte, ohne sich Gedanken über ihr Handeln zu machen durch die entstandene Lücke in der Tür ins Haus hinein. Maria und Kees folgten ihr auf dem Fuße. Im Arbeitszimmer Ras Lemments bot sich ihnen ein grauenhafter Anblick. Nicoles Vater lag reglos in seinem Schreibtischstuhl zurückgelehnt da. Seine Augen waren geradezu aus dem Kopf herausgequollen. Sein ganzes Gesicht war zu einer schrecklichen Fratze verzerrt.
***
"Die Todesursache, Dr.?" fragte der inzwischen aus Denebola herbeigerufene Polizist.
"Schwer zu sagen, Bibi. Auf den ersten Blick sieht alles nach einem Tod durch Ersticken aus. Genaueres kann ich aber erst nach der Obduktion sagen. Was meinst du, Richard?" fragte der alte Arzt seinen Assistenten.
Dieser wandte seinen Kopf fahrig in Richtung seines Chefs, auf seinem Gesicht zeigte sich die pure Angst. "Vakuum, absolutes Vakuum," stammelte er. "Ich habe einmal ein Praktikum auf einem der Erzfrachter der Linie Pini-Venea absolviert. Dort war ein Arbeiter in einem defekten Raumanzug dem Vakuum des Raumes ausgesetzt gewesen. - Das waren die selben Symptome."
"Mach dich nicht lächerlich, Richard. Immer auf dem Teppich bleiben," bremste ihn Dr. Lagar. "Es gibt viele Ursachen die solche Symptome hervorrufen können."
"Aber die müssen andere Spuren hinterlassen, Dr.," erwiderte Richard Shiem.
"Richtig, und die werden wir morgen finden, Richard. Davon bin ich überzeugt." der Doktor wandte sich zu dem Polizisten um. "Bibi mir ist da etwas aufgefallen was unter Umständen eine etwas andere Sichtweise bei diesen mysteriösen Todesfällen zuläßt, ich denke wir sollten uns morgen darüber unterhalten."
Der Polizist, sofort hellhörig geworden hakte nach. "Was meinen sie damit, Dr.?"
"Im Moment ist es noch zu früh, Bibi. Ich möchte die Ergebnisse der Obduktion abwarten, ohne Beweise eine Behauptung in die Welt setzen, das schickt sich nicht. - Richard, übernimmst du die Überführung der Leiche in die Praxis? Für mich wird es langsam Zeit ins Bett zu kommen, auch als alter Mensch benötigt man Schlaf. Sie sollten sich ein Beispiel an mir nehmen, meine Herren." Der Arzt blickte suchend im Zimmer umher. "Wo ist denn eigentlich Nicole?" fragte er. "Ich habe ihr noch nicht mein Beileid aussprechen können."
"Maria hat sie in ihr Zimmer gebracht und ist bei ihr geblieben. Es war ein furchtbarer Schock für sie ihren Vater so zu sehen, vor allem da er kurze Zeit vorher noch bei uns angerufen und um Hilfe gebeten hatte."
"So, so - nun dann will ich dort lieber nicht stören." Dr. Lagar griff nach seiner Tasche und wandte sich zur Tür. "Bis morgen, meine Herren, ich wünsche allseits eine gute Nacht." Mit diesen Worten trat er in die bereits fortgeschrittene Nacht hinaus.
"Was hat er wohl damit gemeint, daß ihm eine andere Sichtweise aufgefallen sei?" Der Polizist grübelte vor sich hin.
"Keine Ahnung, Bibi. Aber es hörte sich fast so an, als ob er da etwas wichtiges entdeckt hat. - Morgen werden wir mehr wissen. Allerdings muß ich sagen, daß ich diesmal auch ein etwas seltsames Gefühl habe. Bedenken sie, wir haben hier wieder eine andere Todesursache. Man sollte meinen den Fremden wäre daran gelegen möglichst schnell ihre Opfer zu finden und die Sache hinter sich zu bringen, warum dann so unterschiedliche Methoden?" Kees war ins Grübeln gekommen.
"Vielleicht wollten sie diesmal die Aufmerksamkeit von sich ablenken und einen natürlichen Tod darstellen," meldete sich Richard Shiem von der geöffneten Tür her. Wie lange er dort bereits gestanden hatte nachdem er seinen Chef zum Wagen begleitet hatte konnten weder Kees noch Bibi sagen.
"Na ja, besonders normal empfinde ich diesen Tod nicht gerade. Und von sich ablenken können die Fremden bei der zum Teil desintegrierten Tür wohl kaum," ließ sich Bibi vernehmen.
"Aber genau das ist doch der Punkt, Bibi," warf Kees ein. "Für die Tür haben sie ihre spektakuläre Waffe benutzt, warum dann eine andere bei Lemment? Irgend etwas ist hier äußerst unlogisch."
"Das mag ja sein, aber ich glaube das führt uns nicht weiter. Außerdem muß ich noch einen Leichnam überführen," Richard Shiem wand sich ein wenig bei diesem Gedanken. "Würde es einem von ihnen etwas ausmachen mich dabei zu begleiten, ich meine es ist doch etwas seltsam so alleine durch die Dunkelheit mit..."
Kees unterbrach den Assistenzarzt. "Schon gut, ich fahre mit ins Dorf. Bibi, sie fahren hinterher und setzen mich dann später bei den Samags ab, ja? Ich würde mich gerne noch ein wenig mit ihnen unterhalten," fügte er hinzu.
Der Polizist nickte und begann zusammen mit den beiden anderen Männern die Leiche in Shiems Wagen zu verstauen.
Die Fahrt durch die Dunkelheit schien tatsächlich extrem an den Nerven des jungen Arztes zu zerren. Richard Shiem wurde zusehends nervöser je länger die Fahrt andauerte. Ständig stierte er nach draußen zum Wegesrand, so als ob er geradezu erwartete, daß jeden Augenblick einer der Fremden aus der Moorlandschaft auftauchen würde. Zum Glück mußte sich Shiem nicht so sehr auf die Straße konzentrieren, da der Polizist als erster vorneweg gefahren war und sich Shiem somit an den Rücklichtern seines Wagens orientieren konnte. Als der Polizeiwagen jedoch plötzlich und unerwartet abbremste war es nur Kees Geistesgegenwart und seinem Griff zu den Steuerkontrollen zu verdanken, daß eine Kollision verhindert wurde. Sie kamen quer zur Fahrbahn zum Stehen.
"Was," stammelte Richard, aber Kees war bereits aus dem Wagen gesprungen ohne ihm eine Antwort zu geben. Draußen bot sich ein unheimliches Bild. Am Straßenrand, kurz vor dem Polizeiwagen stand der Bodenwagen von Dr. Lagar, im Scheinwerferlicht des Polizeiwagens hell erleuchtet, die Tür an der Fahrerseite stand weit auf, der Wagen war leer.
Wenige Meter vor dem Gefährt konnte Kees die in den Straßenbelag eingebrannten Umrisse eines Menschen erkennen. Bibi stand bereits neben diesen, sein Gesicht war zu einer eisernen Maske erstarrt. Er drehte sich zu Kees um, als dieser sich ihm näherte. "Sie haben ihn hier gestoppt, er versuchte wohl wegzulaufen und dann..." Bibis Stimme versagte.
"So soll es zumindest aussehen," antwortete Kees. "Aber sehen sie mal da vorne rechts, das Gras am Straßenrand ist stark zerdrückt, so als ob dort ein Bodenwagen angehalten hätte." Kees deutete mit der Hand auf eine Stelle, die wenige Meter vor den in den Straßenbelag eingebrannten, menschlichen Umrissen lag. "Es kann demzufolge nicht sehr lange her sein, daß hier ein Wagen gehalten hat, warum und zu welchem Zweck frage ich sie?"
Der Polizist zuckte mit den Schultern. "Vielleicht jemand der den Wagen des Dr. gesehen hat und jetzt weiter gefahren ist um die Sache zu melden?" schlug er vor.
"Sicherlich, das ist eine Möglichkeit, wir werden erfahren, ob sie zutrifft. - Ich vermute aber etwas anderes. Sehen sie sich die Radstellung der Vorderräder des Wagens des Dr. an. Wenn mich nicht alles täuscht, dann könnte es so gewesen sein, daß der Wagen des Arztes zurückgesetzt wurde."
"Aber warum sollte Dr. Lagar den Wagen um die paar Meter zurücksetzen?" fragte der Polizist erstaunt.
"Das weiß ich auch nicht, Sergeant. Aber ich denke es könnte wichtig sein. Vielleicht hat er im Scheinwerferlicht irgend etwas gesehen und wollte sich durch das Zurücksetzen nochmals davon überzeugen. Leider wurde das dann wohl zu seinem Todesurteil, wäre er nur weitergefahren," fügte Kees bedauernd hinzu. "Haben sie hier die technischen Möglichkeiten um festzustellen ob die Spuren da vorne von diesem Wagen stammen?" fragte er den Polizisten nachdem beide eine Zeitlang schweigend dagestanden hatten.
"Nicht hier," gestand dieser ein. "In Denebola habe ich lediglich etwas antiquiertes Gerät, um Fotos zu machen und Gipsabdrücke herzustellen müßte es aber reichen."
"Wenigstens etwas. Holen sie die Ausrüstung her und nehmen sie am besten den Arzt ins Schlepptau, ich fürchte das hier ist alles einfach zuviel für ihn," bemerkte Kees mit einer angedeuteten Kopfbewegung in Richtung des noch immer im Wagen wartenden Richard Shiem. "Ich bleibe solange hier und passe auf, daß nichts verändert wird."
***
Die mittägliche Hitze lag drückend über dem kleinen Dorf am Fuße der Ausläufer des Merreret-Bergmassivs. Niemand wagte sich auf die Straße, das Dorf wirkte ausgestorben. Auch in der kleinen Arztpraxis welche in einem Hause am Rande des Marktplatzes untergebracht war, stand die Luft geradezu. Die anwesenden drei Menschen hatten jedoch andere Probleme und schienen die äußeren Umstände ihres Beisammenseins überhaupt nicht wahrzunehmen. "Also eindeutig Tod durch Ersticken, etwas anderes kommt nicht in Frage?" Der Sergeant wollte sicher gehen.
"Genau, Bibi. Um genauer zu sein, er wurde einem zeitlich und örtlich begrenztem Vakuum ausgesetzt. - Wie das möglich sein soll ist mir zwar schleierhaft, aber es ist einfach der Fall," antwortete Richard Shiem äußerst hastig, Schweißperlen standen auf seiner Stirn.
"Dr. Lagar erwähnte andere Möglichkeiten der Todesursache, die die gleichen Symptome zur Folge hätten. Derartiges ist ausgeschlossen?" fragte Kees.
"Absolut Herr Danton, absolut! Es gibt da einige pflanzliche Gifte die ähnliche Wirkungen zeigen würden, aber die hätten Spuren hinterlassen und solche konnte ich nicht finden." Shiem sortierte die vor ihm auf dem Schreibtisch liegenden Notizen, die er sich bei der Obduktion der Leiche gemacht hatte. "Eindeutig Tod durch Ersticken, ohne äußerlich sichtbare Gewaltanwendung," murmelte er nochmals wie zur Bekräftigung.
"In Ordnung, Bibi, ich denke wir sollten diese Ergebnisse von einem weiteren Arzt hier auf Pini bestätigen lassen und die Leiche dann nach Venea zur eingehenden Untersuchung schicken. Gibt es hier in der näheren Umgebung einen weiteren Arzt, Dr. Shiem?" Kees hatte, so schien es zumindest, die Leitung der Untersuchung übernommen.
"Einen weiteren Arzt? Ich verstehe nicht...," Richard Shiem war inzwischen völlig kopflos. "Warum soll die Leiche von Ras Lemment nach Venea geschickt werden? Viel wichtiger ist doch, daß endlich etwas unternommen wird, wir brauchen die Armee hier und..."
"Wenn ihre Obduktionsergebnisse wirklich stimmen, dann haben wir hier in Person dieses Toten den ersten richtigen und echten Beweis für die Existenz nichtmenschlicher Intelligenz im Universum, ich denke das erfordert eine genaue und vor allem auf höchster Ebene durchgeführte Untersuchung, oder nicht?" entgegnete Kees.
"Ich glaube, da hat er recht, Richard," ließ sich nunmehr auch der Sergeant vernehmen. "Wir müssen Venea einschalten, wir brauchen die Flotte hier, wer weiß wann die Invasion von Carredo im großen Stil beginnt! - Aber das geht nur mit Beweisen für die Existenz der Fremden."
Richard Shiem, dem inzwischen eine Mischung aus Panik und Angst im Gesicht stand, nickte verstehend. "Gut, ich werde die Formalitäten erledigen. Allerdings ist der nächste Arzt eine ganz schöne Wegstrecke von hier entfernt - und wir haben hier nur unzureichende Kühlmöglichkeiten. Wenn Lemment dann noch nach Venea transportiert werden soll bedeutet das unter Umständen, daß die Ärzte dort vielleicht nicht mehr viel obduzieren können. Wir sollten ihn vielleicht lieber direkt nach Pini Station bringen und dort einfrieren lassen, das ist sicherlich die vernünftigere Alternative."
"In Ordnung, sie kümmern sich darum, Dr.?" Bibi wandte sich zum gehen nachdem der Arzt zustimmend genickt hatte. "Soll ich sie jetzt bei den Samags absetzen?" fragte er in Richtung Kees´ gewandt.
"Das wäre praktisch, Sergeant," antwortete dieser und verließ, sich noch von dem Arzt verabschiedend, die kleine Praxis.
Der Polizeiwagen, welcher zum Glück direkt vor dem Haus geparkt war, war mit einer Klimaanlage ausgestattet, so daß sich die Fahrt zum Anwesen der Samags hinaus relativ angenehm gestaltete.
"Richards Panik angesichts der Bedrohung durch Carredo ist ja unübersehbar," bemerkte der Polizist nachdem sie eine Weile schweigend nebeneinander sitzend unterwegs waren.
"Ja, und das ist ein Vorgeschmack darauf, was in der Bevölkerung los sein wird, wenn die Geschichte allgemein bekannt wird. Momentan ist lediglich Denebola betroffen - können sie sich vorstellen welche Panik von Pini, ja vom ganzen veneanischen Imperium ausgehen wird, wenn die Sache allgemein bekannt ist?" Kees beobachtete die Wirkung seiner Worte bei dem Polizisten, dieser blieb aber wider Erwarten ruhig.
"Sie trauen Richard nicht, nicht wahr?" fragte er nach einer kurzen Pause. "Sonst hätten sie nicht auf weiteren Obduktionen bestanden!"
"Dr. Lagar schien mir recht sicher zu sein mit seiner Hypothese einer anderen Todesursache. Er hat doch auch in ihrem Beisein seinen Assistenten regelrecht vorgeführt..."
"Sie dürfen nicht vergessen, daß der Dr. bereits recht alt war und keine Meinung neben seiner gelten ließ sobald er sich einmal festgelegt hatte. Er fürchtete immer, es könne ihm als Schwäche ausgelegt werden, wenn er Fehler eingestünde. - Was ist los, was haben sie?" fragte der Polizist den plötzlich aus dem Fenster starrenden Kees.
"Das war doch eben die Stelle an der wir gestern Dr. Lagars Wagen gefunden haben, nicht wahr?" Der Polizist nickte und Kees fuhr fort. "Und hinter dieser Kurve da vorne kommt das Denkmal, stimmt's?"
"Ja, aber ich verstehe nicht..."
"Ich auch noch nicht, Sergeant. Ich auch noch nicht," unterbrach Kees den Polizisten. "Aber irgendwie ist es schon auffällig, daß die Fremden sich immer einen Ort in der Nähe des Denkmals ausgesucht haben wenn sie zuschlagen."
"Bis auf das eine Mal bei Ras Lemment," warf der Polizist ein.
"Aber auch dort ist eine Verbindung vorhanden, die morastige Hügellandschaft, die hinter dem Denkmalpark beginnt zieht sich bis zu Lemments Anwesen hin! - Bibi, wir müssen uns das Denkmal genauer ansehen, halten sie bitte hinter der Kurve an." Kees Stimme sprühte über vor Eifer.
Der Polizist lenkte den Wagen in die kleine Auffahrt, die zum Park führte und stellte ihn dort ab. Nach der angenehmen Temperatur im Wagen empfanden die beiden Männer die Luft außerhalb des Fahrzeugs als recht grausam. Trotzdem machten sie sich auf den Weg.
Der Park mit dem Denkmal in seiner Mitte lag verlassen da. Die Hitze hatte dazu geführt, daß der Pflanzenbewuchs an vielen Stellen bereits verdorrt war. Derartige Vorgänge waren Kees, der bislang selten seinen Heimatplaneten Venea verlassen hatte, gänzlich unbekannt.
"Ungefähr hier müßte sie der Energiestoß aus der Waffe des Fremden getroffen haben, nicht wahr?" tönte Bibis Stimme durch die fast absolute Stille.
"Ja, der Fremde tauchte plötzlich wie aus dem Nichts hinter mir auf," entgegnete Kees während er sich eingehend umsah.
"Tauchte er wirklich aus dem Nichts auf oder hat er sich lediglich irgendwo hier versteckt gehabt?" fragte Bibi.
"Eine gute Frage. In der Erinnerung sieht so etwas immer sehr viel spektakulärer aus als es in Wirklichkeit gewesen sein mag. - Wenn ich ehrlich bin muß ich sagen, daß ich es nicht mehr genau weiß. Er könnte sich auch irgendwo versteckt und sich dann hinter mir hergeschlichen haben..."
"Oder ein zweiter hat sie von hinten erledigt. - So kommen wir nicht weiter," unterbrach der Polizist Kees. "Außerdem habe ich bereits mehrfach hier alles abgesucht. - Sie können mir glauben, wenn es hier Fremde geben würde dann hätte ich sie gefunden. - Kommen sie, lassen sie uns weiterfahren, nur Verrückte sind um diese Tageszeit draußen zu finden."
"Wahrscheinlich haben sie recht, aber mir gehen die Worte des Dr. nicht aus dem Sinn. Ihm war irgend etwas aufgefallen, etwas, das ihn an dem Motiv der Fremden zweifeln ließ. - Bibi, wir haben etwas vergessen. Wir sollten die Praxis des Dr. auf den Kopf stellen, vielleicht hat er ja ein Tagebuch oder ähnliches geführt und dort etwas notiert. - Darauf hätte ich schon früher kommen müssen."
"Machen sie sich mal keine Vorwürfe, es ist ja nicht zu spät dafür. Außerdem sind wir bereits recht lange auf den Beinen, da kann einem schon mal etwas durchgehen," antwortete der Polizist. "Na dann los, lassen sie uns zurückfahren."
Die Fahrt zurück ins Dorf kam Kees wie eine Ewigkeit vor. Als der Polizeiwagen endlich vor der kleinen Arztpraxis hielt sprang er fast aus dem Inneren heraus, besann sich dann jedoch eines besseren und wartete darauf, daß der Sergeant den Wagen verriegelte und ihm folgte. Die Eingangstür zur Praxis war unverschlossen. Kees und Bibi traten ein. Im Vorderzimmer saß der junge Arzt über einen Schreibtisch gebeugt und blätterte in einem Stapel Papier. Vollkommen verstört blickte er jäh auf als sich die Tür öffnete. "Sie," stammelte er, "was..."
"Wir haben etwas vergessen," Bibi hatte das Wort ergriffen. "Weißt du ob der Dr. unter Umständen..." der Polizist unterbrach sich und lauschte angestrengt. "Was sind das für Geräusche, Richard? - Da ist doch jemand im Nebenzimmer." Ohne auf eine Antwort zu warten stürmte er durch die Verbindungstür in den eigentlichen Behandlungsraum, in dem die Leiche Ras Lemments aufgebahrt lag. Kees mußte sich regelrecht beeilen um den Anschluß nicht zu verlieren. Im Nebenzimmer erwartete sie eine Überraschung. Zwei der mit den roten Raumanzügen bekleideten Fremden versuchten gerade die Leiche Ras Lemments aus der Hintertür der Praxis hinauszubugsieren.
Mit einer flinken Bewegung, die Kees ihm angesichts seiner Leibesfülle eigentlich nicht zugetraut hätte, zog Bibi plötzlich seine Strahlwaffe und richtete diese auf die Fremden.
"Schön langsam, meine Herren. Legen sie bitte erst einmal den Toten ab. Und dann bitte die Hände hoch über den Kopf heben - und alles wie bereits gesagt, schön langsam," Bibi schien in seinem Element zu sein. Erstaunlicherweise handelten die Fremden genau nach seiner Anweisung und legten die Leiche Ras Lemments auf den Fußboden. Durch die schwarzverspiegelten Helmoberflächen konnte man ihre Gesichter nicht erkennen. Der Körperbau wies sie allerdings als humanoid aus. An den schwarzen, um ihre Hüfte baumelnden Gürteln hingen zwei unschwer als Waffen zu definierende Dinge. Kees hielt insbesondere diese ständig im Auge, immer darauf vorbereitet einschreiten zu müssen falls einer der beiden Fremden danach greifen sollte. Die Gefahr kam jedoch aus einer völlig unerwarteten Richtung. Hinter Kees und Bibi war auch Richard Shiem in den angrenzenden Raum eingetreten. Dieser warf sich nunmehr auf den die Strahlwaffe haltenden Bibi.
Den Augenblick der Verwirrung nutzend entwand einer der Fremden Bibi in einem Handgemenge die Waffe während der andere Kees bedrängte. Ein fauchender Strahlwaffenschuß in die Decke machte den Handgreiflichkeiten ein Ende. Kees und Bibi sahen sich plötzlich in der Hand der Fremden!
"Was machen wir jetzt mit ihnen? fragte Richard Shiem in die sich ergebende Stille.
"Das hättest du dir vorher überlegen sollen," antwortete ihm einer der beiden Fremden.
Trotz der durch den Helm leicht verzerrten Stimme glaubte Bibi den Sprecher identifiziert zu haben. "Nicole, bist du das?" fragte er irritiert.
"Wir sollten die Chefin fragen," bemerkte der andere, bislang schweigsame Fremde, Bibis Frage geflissentlich überhörend.
"Richtig, Bibi. Das dort drüben ist Nicole Lemment - und hier haben wir Mark Batir, wenn mich nicht alles täuscht." Kees schlug sich mit der Hand vor den Kopf. "Wir waren blind, Bibi. Das Motiv lag die ganze Zeit über vor uns. Das älteste Motiv aller Zeiten für Mord, die Habgier, nur sehr gut verschleiert. Wir haben hier vor uns die Bande der Erben. Dazu haben wir und auch die Opfer den Tätern jeweils Alibis verschafft. Geschickt eingefädelt, ich schätze, daß es nicht Pierre Samag und Roland Batir waren, die vor mir bzw. vor Dr. Lagar wegliefen, nicht wahr?"
"Nein, das waren..." Richard Shiem wurde von Mark Batir unterbrochen.
"Du quatscht zu viel, Richard. Wir haben jetzt andere Probleme. Hier nimm die Waffe und paß auf sie auf. Ich rufe die Chefin an. Nicole, du machst den Wagen klar, verstanden?" Während Batir sich in den Vorraum zum Comphone begab ging Nicole Lemment durch die Hintertür nach draußen. Leise konnte man Batirs Stimme durch die geschlossene Tür vernehmen.
"Richard, du weißt, daß ihr damit nicht durchkommen werdet. Es sind bereits zu viele Todesfälle passiert. Wenn ihr jetzt noch uns beide beiseite schafft und die Leiche Lemments verschwinden laßt wird das sicherlich große Untersuchungen nach sich ziehen. Man wird auf den Gedanken kommen, daß Lemment vielleicht doch durch Gift gestorben ist. Gift aus deinen Beständen, Richard. - Vergiß nicht, Danton hier ist veneanischer Bürger, ein hoher Polizeibeamter dazu. Glaubst du, daß die veneanischen Behörden den Fall so auf sich beruhen lassen werden?" Auf Richard Shiems Stirn bildeten sich nach und nach große Schweißperlen während Bibi ihm in allen Farben ausmalte, wie die veneanischen Untersuchungen ablaufen würden. "Ich denke du solltest dir gut überlegen jetzt auszusteigen, unter Umständen könnte sich das strafmildernd für dich auswirken, gib mir die Waffe, Richard, dann werde ich mich vor Gericht für dich einsetzen."
"Das muß er gar nicht, Bibi," bemerkte Kees trocken und bewegte sich langsam auf den Arzt zu. "Die Waffe ist gesichert, da er sich nicht mit solchen Dingen auskennt hat er das nicht bemerkt. Wir brauchen sie ihm nur abzunehmen." Kees hatte Shiem mittlerweile fast erreicht. Voller Panik blickte der Arzt auf die Waffe und suchte verzweifelt nach der angesprochenen Sicherung. Kees, der auf diesen Augenblick gewartet hatte, schlug mit einer gekonnten Handbewegung die Waffe aus Shiems Hand. Bibi reagierte sofort und warf sich auf die Strahlpistole. Durch den Lärm angelockt kam Batir aus dem Vorderzimmer zurück.
"Was ist denn hier los, Richard?" waren seine Worte bevor er Bibi entdeckte, der mit der Pistole im Anschlag auf ihn zielte.
"Mach jetzt keine Dummheiten, Mark," antwortete er ihm. "Das Blatt hat sich gewendet, ruf jetzt Nicole rein - aber schnell."
***
Zwei Stunden später waren Kees, Bibi und zwei weitere aus Nachbardörfern angeforderte Polizisten unterwegs zu dem Anwesen der Samags. Die drei Fremden von Carredo waren weiteren Polizisten zur Aufsicht übergeben worden.
"Es war sehr riskant ihm die Waffe auf diese Weise abzunehmen, Danton," sagte der am Steuer des Polizeiwagens sitzende Polizist in die seit einiger Zeit im Wagen herrschende Stille hinein.
"Es war die einzige Möglichkeit. Sobald Batir oder Nicole Lemment zurückgekommen wären, wäre alles zu spät gewesen. Shiem kannte sich nicht aus, er mußte einfach irgendwie auf meine Behauptung reagieren - nachdem er bereits dermaßen in Panik geraten war bestand eine gute Chance dafür, daß er so reagieren würde, wie er reagiert hat."
"Aber das Risiko, er hätte nur abdrücken müssen..."
"Er hat es nicht getan, das ist die Hauptsache! - Außerdem hatten wir keine andere Möglichkeit. Sie hätten uns auch töten müssen, insofern war es ein kalkulierbares Risiko," Kees hielt kurz inne. "Wir sind gleich da, wie sollen wir vorgehen?"
"Ich schätze, daß uns das Handeln abgenommen werden wird. Durch den Anruf ist sie gewarnt, sind sie sicher, daß sie mitkommen wollen, ich meine, ich könnte sie auch hier raus lassen und..."
"Nein, nein. Vielleicht kann ich ja durch meine Anwesenheit etwas bewirken. Immerhin haben wir Jahre zusammengelebt," Kees trommelte unruhig mit seinen Fingern auf dem Armaturenbrett. "Ich hoffe Billy dreht nicht durch und tut etwas unüberlegtes."
Kurze Zeit später erreichten die Wagen das Anwesen der Samags. Die zwei Polizisten, die in dem weiteren Wagen saßen blieben, das Haus aufmerksam beobachtend bei den Wagen während Kees und Bibi langsamen Schrittes zur Eingangstür gingen. Bevor sie allerdings die Tür erreichten wurde diese von Innen geöffnet. Im Türrahmen konnte man unschwer Maria Samag erkennen, die ihre Hände hinter dem Kopf verschränkt haltend nun ins Freie trat.
"Zurück, geht bitte zurück und laßt uns durch," flehte sie die Polizisten an. Nun konnte man auch hinter ihr eine Bewegung wahrnehmen. Dort stand Billy, die alte Strahlwaffe ihres Großonkels auf die vor ihr stehende Maria gerichtet.
"Richtig," rief sie mit schriller, vor Angst verzerrter Stimme. "Macht platz, oder ich drücke ab. Na los macht schon. Ich nehme einen eurer Wagen und vor allem Maria hier als Geisel. - Wehe ihr wenn ihr mir folgt."
"Maria - nein," entfuhr es Kees dessen Gesichtsausdruck zwischen Bestürzung und Enttäuschung hin und her schwankte. Aus den Augenwinkeln nahm er eine plötzliche Bewegung Bibis wahr. In Sekundenbruchteilen registrierte er, daß dieser seine Strahlwaffe gezogen hatte und dabei war sie in Schußposition zu bringen. Mit einem Aufschrei riß Kees den Arm des Polizisten zur Seite. Der sich lösende Energiestrahl traf die vor Kees stehende Maria in die Brust. Aufgrund der hohen Intensität des Strahls setzten die Lähmungserscheinungen der Glieder übergangslos ein, Maria sackte sofort in sich zusammen.
"Sie Idiot, was haben sie getan," schrie Bibi während er versuchte Kees Hand von seinem Arm abzuschütteln. Kees ging darauf allerdings nicht ein, sein Augenmerk galt den anderen Polizisten, die hinter den Wagen in Deckung gegangen, ihre Waffen in Anschlag gebracht hatten.
"Nicht schießen," rief er ihnen zu. "Auf keinen Fall schießen!" Und zu Billy gewandt fuhr er fort, "es ist alles vorbei, Billy. Laß die Waffe fallen, sonst passiert noch ein Unglück." Die Waffe polterte auf den Boden und Billy riß die Hände vor ihr Gesicht, die Anspannung der letzten Minuten war zu viel für sie gewesen.
***
"Sie schalten schnell, Danton. Das muß man ihnen lassen. Eigentlich hätte ich auch drauf kommen müssen. Jeder hier im Dorf wußte, daß Pierre Samag mit einer unbrauchbaren Waffe auf seine Streifzüge ging - also konnte sich Maria von dieser Waffe überhaupt nicht bedroht fühlen. Wir hatten sie in unsere Überlegungen nicht einkalkuliert, da wir immer nur Billys Erbanspruch betrachtet hatten, bedingt durch das Tamtam welches sie durch ihre Ferienanlagenpläne ständig gemacht hatte. - Außerdem war sie die Einzige, die ständig ohne Alibi die Gegend durchstreifte," Bibi hielt inne und griff nach dem vor ihm auf dem Tisch stehenden Weinglas. "Billy kann wirklich von Glück sagen, daß sie die Sachlage so schnell durchschaut haben," fügte er hinzu nachdem er einen tiefen Schluck aus seinem Glas genommen hatte.
"Vor allem kann sie sich glücklich schätzen, daß Maria keine Zeit gefunden hat die Bombe die sie ihr in die Tasche gesteckt hatte mit dem Fernzünder zur Explosion zu bringen. Marias Finger lag ständig auf der Taste, sie hat allerdings nicht erwartet, daß wir auf sie schießen. Wahrscheinlich hätte sie Billy in die Luft gesprengt, sobald wir auf sie geschossen hätten. Wir hätten sicherlich angenommen, daß einer unserer Schüsse die Bombe ausgelöst hätte, nun ja sie hat Glück gehabt - in vielfacher Hinsicht."
"Was werden sie beide jetzt machen, Danton?" fragte der Polizist leise.
"Ich denke, ich werde nach den Beerdigungen der alten Männer wieder zurück nach Venea gehen," Kees unterbrach sich für einen Augenblick und starrte in den sich verfinsternden Himmel an dem der Triton-Nebel und Carredo langsam sichtbar wurden. "Billy wird hierbleiben und ihre Pläne nach und nach in die Tat umsetzen. Publicity hat sie ja jetzt genug. Die Banken werden sich darum reißen ihr Kredit zu geben. Sie hat alles was sie sich erträumt hat." Kees schwieg und starrte weiterhin in den Himmel. "Sie ist schon sehr gerissen, selbst die Höhle in der die Leichen der Komiteemitglieder versteckt wurden will sie in ihre Werbebroschüre aufnehmen."
"Und sie Kees, was ist mit ihnen?"
"Maria wird lange Zeit im Krankenhaus und danach sicherlich im Gefängnis verbringen," sinnierte er. "Ich weiß nicht was ich machen werde, Bibi. Ich weiß es nicht. - Was halten sie denn eigentlich von der alten Geschichte Pierre Samags, sie wissen schon die Fremden von Carredo, die vor ca. fünfzig Jahren hier waren?" fragte er um vom Thema abzulenken.
"Die Fremden, ja. Eine schwierige Frage. Wichtigtuerei eines alten Mannes oder vielleicht doch ein Körnchen Wahrheit? - Wir müssen den Sprungpunkt finden. Den Sprungpunkt der nach Carredo führt, dann wissen wir mehr. - Irgendwo muß es ihn geben, da bin ich sicher, wenn nicht hier in diesem System, dann woanders. Bislang hat man noch immer eine Möglichkeit gefunden jeden Stern zu erreichen wo man hinwollte. Oft sind jedoch gerade die kurzen Entfernungen nur mit sehr großen Umwegen zu überbrücken. - Wir werden es irgendwann sehen, Kees. Irgendwann werden wir es sehen." Der Polizist griff schweigend nach seinem Glas und nahm einen tiefen Schluck. Über den beiden Männern war mittlerweile das volle Panorama des Triton-Nebels am Himmel zu bewundern. Carredo funkelte als einziger Stern vor diesem bombastischen Hintergrund.
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