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Sie ist weg...
Der Stein des Buschmanns
Der Stein des Buschmanns
Es war einmal ein kleiner Buschmann, Sekose genannt, der eines Tages sein Päckchen schnürte und in die Ferne zog. Dort angekommen baute er sich sein Lager und richtete sich ein.
Schnell fand er sich in der neuen Umgebung zurecht und gewann neue Freunde und alles schien so, wie er es sich vorgestellt hatte. Und doch fehlte etwas – jemand, mit dem er sich über Dinge unterhalten konnte, die nicht jeder sofort verstehen und nachempfinden kann.
Eines Tages ging er zu einem Fest. Es war schon spät, als plötzlich ein Mädchen vor ihm stand und mit ihm tanzen wollte. Man tanzte und begann, sich zu unterhalten. Nach einer Weile kam die Sippe, mit der das Mädchen zu dem Fest gekommen war und sagte ihr, dass man jetzt gehen müsse. Das Mädchen, Lotta genannt, verabschiedete sich jedoch nicht von Sekose, ohne ihm vorher den Ort ihres Lagers zu nennen.
Sekose blieb zurück und dachte eine Weile nach. Irgendetwas begann in ihm zu nagen. Wer war sie, dass sie ihn selbst in dem Zustand so zum Nachdenken bringen konnte? Etwas in ihm, vielleicht ein Gefühl, vielleicht eine Stimme, die sonst niemand hören konnte, brachte ihn dazu, dieses herauszufinden. Uns so machte er sich schließlich auf den Weg und suchte ihr Lager. Dort angekommen, klopfte er und das Mädchen ließ ihn ein. Lange saß man zusammen und unterhielt sich. Es war schon früh am Morgen, als Sekose schließlich in sein Lager zurückging. Bevor er jedoch ging, bat ihn das Mädchen, sich wieder bei ihr zu melden.
Am nächsten Tag meldete sich Sekose wie versprochen bei ihr, doch Lotta schien verunsichert und sagte nur kurz, dass der Zeitpunkt falsch ist und sie sich doch lieber bei ihm melden würde. Noch mehrmals versuchte Sekose Kontakt zu dem Mädchen zu bekommen, doch sie vertröstete ihn immer wieder aufs Neue, da sie zu viel mit anderen Dingen beschäftigt war.
Schließlich gab Sekose es auf und begann, sich auf andere Dinge zu konzentrieren, als er eines Tages eine Nachricht von Lotta bekam.
In der Dunkelheit traf man sich und sprach, ohne den anderen dabei sehen zu können, sehr lange und ausgiebig über alles, was einem so im Leben passiert ist. Schöne, traurige und nachdenkliche Geschichten und Erlebnisse – es schien nichts zu geben, was man nicht erzählen konnte. Selbst über besondere Gefühle und Stimmen, die sonst niemand hören kann, konnte man sprechen, ohne das der Gegenüber lachte oder mitleidig mit dem Kopf schüttelte. Kurz vor dem Hellwerden trennte man sich und beschloss, sich einmal bei Tageslicht zu treffen.
Als man sich so das erste Mal im Hellen traf, war zu Beginn alles doch irgendwie anders, als man es sich ausgemalt hatte. Schleppend und zäh verliefen die Gespräche und Lotta schien im Gedanken nicht immer dabei zu sein. Immer wieder schweifte ihr Blick ab, und es schien, als würde sie etwas in der Umgebung suchen. Ihre Gedanken gingen kreuz und quer und Sekose merkte, dass Lotta es nicht schaffte, diese in eine Richtung zu lenken. Noch mehrmals traf man sich und immer wieder schien sich alles zu wiederholen. Sekose wartete und gab Lotta Zeit, ihre Gedanken zu ordnen, denn schon einmal hatte er etwas Vergleichbares bei einem Menschen gesehen und wusste, dass es dafür nur eine Lösung gab: Geduld.
Eines Abends traf man sich wieder und Lotta war zum ersten Mal gedanklich frei und am Morgen zog Lotta davon, um Kinder einer anderen Sippe zu unterrichten.
Und doch weichte Lotta von Zeit zu Zeit wieder mit den Gedanken ab. Etwas aus ihrer Vergangenheit holte sie immer wieder ein und ließ nicht los.
Da ein großes Fest der einzelnen Sippen bevorstand, trennte man sich, obwohl beide sich eigentlich viel lieber über ihre Gemeinsamkeiten unterhalten wollten und deshalb Zeitpunkt und Grund dieser vorübergehenden Trennung für unglücklich hielten. Beide trafen sich ein letztes Mal und führten ein intensives Gespräch.
Kurze Zeit später bekam Sekose eine Nachricht von Lotta, in der sie ihm schrieb, dass er Recht hatte, als er feststellte, dass sie immer wieder an ein Erlebnis aus der Vergangenheit denken müsse. Er brauche sich aber keine Sorgen machen, da sie sicher ist, mit der Sache zu Recht zu kommen und sie beginne, die Situation nun klar zu sehen.
Als das Fest vorüber war, traf man sich wieder und plötzlich schien alles so zu sein, wie man es sich vorgestellt hatte. Nichts schien sie in diesem Moment aufhalten zu können und Sekose genoss die gemeinsame Zeit. Die Savanne erstrahlte in sattem Grün unter der wärmenden Sonne und alles erschien schön, friedlich und entspannt. Und doch überkam ihn nach kurzer Zeit eine Spannung, vielleicht ein Gefühl, vielleicht eine Stimme, die sonst niemand hören konnte: Da war etwas, dass den Frieden störte…
Wieder stand ein Fest bevor und Sekose zögerte, überlegte hin, überlegte her; sollte er Lotta auf dieses Gefühl ansprechen, oder sah er Gespenster, „wilde Kerle“, wo gar keine waren?
Abends traf man sich mit anderen Buschleuten aus der Gegend und schon bald war für Sekose klar, dass ihm sein Kopf doch keinen Streich gespielt hatte. Etwas lag in der Luft und er begann, sich nach seiner eigenen Sippe und ihrer Geborgenheit zu sehnen. Nach einer scheinbar unendlichen Zeit klärte Lotta ihn schließlich auf und sagte, dass die Vergangenheit sie eingeholt hat und sie nun doch wieder in diese Zeit zurück wolle.
Man trennte sich und Sekose ging in sein Lager zurück. Er hatte Lottas Worte zwar gehört, doch erst am nächsten Morgen verstand er so richtig ihre Bedeutung. Ziellos wanderte er durch die Savanne, über Dornen, die seine Füße zerstachen und unter einer Sonne, die ihn, statt zu wärmen, unnachgiebig verbrannte. Hier war nichts grün; alles war karg, verdorrt und rau. Doch all dies schien gegen den Knoten in seinem Herzen geradezu erträglich zu sein.
Und wieder überkam ihn dieses Gefühl, vielleicht eine Stimme, die sonst niemand hören konnte: „Auch wenn du glaubst, dass es nicht weiter geht, gibt es einen Weg! Du musst ihn dir nur bahnen! Nimm aus dem, was war, die guten Sachen und bewahre sie für das, was kommen wird.“
„Du hast gut reden“, antwortete Sekose, „Warst Du es nicht, der mal sagte: Glück und Unglück sind zwei Zustände, deren äußere Grenzen wir nicht kennen.“
„Ball’ keine Fäuste, sondern lass die Hände geöffnet, der Rest kommt von allein.“
„Was meinst du?“
„Sekose, schau doch mal hinaus in die Savanne. Sie ist doch wie dein Leben. Auf der einen Seite gibt es verdorrte unwirtliche Stellen und an anderer Stelle ist sie wiederum wunderschön. Auf deinem Weg durch diese Savanne findest du einen Stein. Im ersten Moment unscheinbar und doch muss er besonders sein, denn sonst würdest du ihn nicht aufheben. Du beginnst, ihn hier ein bisschen zu schleifen und dort ein wenig zu polieren und plötzlich erstrahlt der vorher so unscheinbare Stein in seinem vollen Glanz. Fortan erfreust du dich Tag für Tag an dem Stein und es sieht so aus, als würde er jedes Mal ein wenig stärker glitzern. Als du ihn verlierst, bist du nicht nur traurig, sondern auch wütend. Mit geballten Fäusten läufst du durch die Gegend, ohne so Recht zu wissen, was zu tun ist. Doch so lange wie du deine Hände zu Fäusten ballst, könntest du den Stein nicht aufheben, selbst wenn du ihn wieder findest. Bleib’ bei deiner Suche besonnen. Mag sein, dass du den Stein nicht zurückbekommst, vielleicht findest du aber auch einen Schöneren, der noch viel stärker glitzert. Oder du triffst jemanden, der dir den Stein bringt oder zumindest sagen kann, wo er liegt. Vielleicht blinkt er dich aber auch eines Tages an. Sekose – selbst wenn du ihn nie wieder findest, so liegt er doch für dich dort draußen und verleiht der Savanne mit seinem Glitzern selbst in der Dunkelheit einen gewissen Glanz. Aber wenn du schon vorher Hoffnung und Geduld aufgibst, so hat die Suche keinen Sinn. Es ist nicht das erste Mal, dass du etwas Besonderes verloren hast und es wird sicherlich auch nicht das letzte Mal sein. Aber so wie man manchmal etwas verliert, findet man auch Dinge wieder. Es muss nicht immer das sein, was man verloren hat – manchmal reicht es auch nur, dass es einen an etwas Schönes aus der Vergangenheit erinnert.“
Noch lange saß Sekose in dieser Nacht vor seinem Feuer und grübelte. Hoffnung? Geduld? Geöffnete Hände? Nur langsam begann er, zu verstehen und während er so dasaß und in die Dunkelheit hinausblickte, sah er in der Ferne ein Schimmern. Als er einschlief hoffte er, dass die Sonne ihn dieses Mal am Morgen nicht verbrennen, sondern wieder wärmen würde…