Sie fuhr aus dem Bett
Sie sprang aus dem Bett. Es war 5 Uhr morgens, das Telefon klingelte schrill. Jemand vom Krankenhaus. Sie musste schlucken. „Kommen sie bitte schnell. Ihre 14-jährige Tochter ist hier bei uns und sie werden dringend gebraucht.“ Sie dachte an alles, aber nicht an ihr Kind. Sie rannte die Treppe hoch. Ins Zimmer ihrer Tochter. Das Bett unversehrt. Um 22Uhr sollte das Mädchen von der Freundin wieder zu Hause sein. Sie war eingeschlafen, hatte nicht mitbekommen, ob es nach Hause gekommen war. Wo war Anna? Noch im Schlafanzug, zerzausten Haaren, blassem Gesicht schnappte sie die Autoschlüssel, eine Jacke und sprintete zum Auto. „War etwas Schlimmes passiert?“ Wünschte sich, mit ihrer Tochter gestern Abend den Film im Fernsehen angeschaut zu haben. Sie raste die Straßen entlang. Die Reifen quietschten, sie musste bremsen. Es regnete. Sie überlegte, wie es ihrer Tochter wohl gehe, was mit ihr geschehen war. Lichter spiegelten sich in den Pfützen. Lautes Hupen, spritzendes Wasser. Sie zitterte am ganzen Körper. Konnte sich kaum konzentrieren. Ungewissheit. Kummer. Sorgen. „Was ist mit ihr passiert? Ein Verbrechen, ein Unfall, Drogen? Hat sie getrunken? Nein, das nicht. Alkohol bekommt sie mit 14 Jahren nicht. Es gibt Gesetze.“ Sie parkte direkt vor dem Eingang. Ihre Stimme zitterte als sie am Empfang nach ihrer Tochter fragte. Zimmer 205. Intensivstation. Der Gesichtsausdruck der Krankenschwester verriet, dass es doch ernster war als sie vermutet hatte. Ihre schwitzigen Hände rutschten von der Türklinke ab. Sie hatte Angst. Angst ihre Tochter in diesem Zustand zu sehen. Sie ging hinein. Es roch nach Medikamenten, Putzmitteln und Alkohol. Sie setzte sich zu ihr aufs Bett. Die eigene Tochter. Blass. Bewusstlos. Übersäht mit Schläuchen und piepsenden Geräten. Sie spürte einen Arm um ihre Schulter. Die Krankenschwester stand neben ihr: „Ihre Tochter wurde vor etwa einer Stunde bei uns eingeliefert. Sie hat einen Alkoholpegel von 3,5 Promille. Sie wurde bewusstlos in einer Toilette der Disko gefunden. Können sie sich vorstellen, wie sie in die Disko und vor allem an den Alkohol gekommen ist? Wir konnten für ihre Tochter nicht viel tun, außer ihren Magen auspumpen. Nun müssen wir abwarten.“ Tränen rannen über ihr Gesicht. „Ich hätte schauen müssen, wohin Anna geht und mit wem sie sich trifft. Mich mehr
mit ihr beschäftigen müssen. Konnte nicht wissen, dass sie sich mit Alkohol ablenkt, nachdem ihr Vater uns verlassen hat. Ich war mit meinen Sorgen zu sehr beschäftigt. Fragte nicht, wie es Anna geht. Es muss sich etwas ändern!“ Selbst in den Nachrichten hört man ständig von Jugendlichen die sich mit Alkopops ins Koma trinken. Dass sich die Zahl der alkoholisierten Jugendlichen jährlich erhöht. Sogar Mädchen öfters als die Jungen betrunken sind. Immer jünger werdende, trotz strengen Verboten und Alterskontrollen. „Nie hätte ich gedacht, dass ich mal in diese Situation komme. Meine Tochter leblos vor mir liegt. Keiner weiß wie es weiter geht.“ Sie saß da, überlegte aber konnte keinen einzigen klaren Gedanken fassen. „Wie soll es weiter gehen?“ Sie wollte bei Anna bleiben, da sein, falls sie aufwachte. Aber sie konnte nichts tun. Die Krankenschwester wollte, dass sie heimging, sich ausruhte und auf Neuigkeiten wartete. Sie konnte nicht helfen. Es schmerzte sie, das Zimmer zu verlassen. Anna ihrem Schicksal zu überlassen, nicht helfen zu können. Nicht zu wissen, ob bleibende Schäden entstanden waren. Auf dem langen weißen Gang, kam ihr der Chefarzt entgegen. Er beruhigte sie: „An Wochenenden ist es fast Routine, dass Jugendliche unter 18 Jahren täglich mit Alkoholvergiftungen eingeliefert werden. Manche mit leichten. Andere mit schweren, die körperliche sowie psychische Folgen haben können. Wir werden unser Bestes für ihre Tochter geben.“
Auf dem Weg zum Auto, ihre Beine schienen zu versagen, sprach sie Annas Vater aufs Band. Er sollte sich melden. Sie legte den Kopf aufs Lenkrad, sammelte sich und fuhr nach Hause. Sie drehte den Schlüssel. Öffnete die Tür. Das Telefon klingelte.