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Sich anstellen
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Siebzehn Leute vor mir. Naja, oder auch nicht. Darauf kommt es auch nicht an. Es wird ohnehin Stunden dauern. Oder auch nicht. Aber so vorkommen wird es mir sicherlich.
Ganz da hinten, weit hinter der Kasse, da ist diese Schleuse in die Freiheit. Die Glastüren, die sich öffnen und schließen, Menschen hinein- und herauslassen.
Stück für Stück rücken wir vor. Nein, eigentlich nicht. Ein wenig doch, aber ich glaube nicht wirklich daran. Die Frau vor mir zupft schon die ganze Zeit an ihrem Begleiter rum. Irgendwas hat sie gegen seine Kleidung. Sicher, hätte ich auch, die Socken in den Sandalen scheinen sie aber gar nicht so sehr zu stören. Sie konzentriert sich auf das Hawaiihemd, das – zugegeben – auch nicht gerade der Knaller ist. Aber zu dem Wetter passt es immerhin. Er ist nicht glücklich, aber er lässt es über sich ergehen. Mal wieder, vermutlich.
Zum vierten Mal. Mir reicht’s. Schon wieder stößt der Wagen hinter mir an meinen Po. Immer nur so stark, dass ich einen Stups bekomme und den Druck kurz spüre. Dann drücke ich dagegen. Mit einem kleinen Ruck, damit er zurückrollt. Ich hab keine Lust mehr darauf. Soll ich mich jetzt umdrehen, und was sagen? Sicherlich ein Kind. Na, hoffentlich steht die Mutter daneben. Mit dem Kind allein will ich mich nicht rumärgen.
Fünf. Gleich drehe ich mich wirklich um. Ein fester Rückstoß, jetzt ist aber gut. Der Mann vor mir, vielleicht auch mehr ein Junge, wehrt die Zupferei mit der Hand ab. Die Bewegung wirkt ungehalten. Ja, Socken hin oder her, ich hätte auch genug davon. Bei weit über dreißig Grad versteht sowieso keiner Spaß.
Links neben mir schließen sie grad die Kasse. Das darf doch nicht wahr sein. So kurz vor Feierabend, und die machen eine zu. Jetzt dauert es ja noch länger. Na gut, ich steh ja hier schon, also kann mich das nicht betreffen, aber trotzdem. unmöglich ist das. Sechs. Ich fahre herum. Die Frau ist Mitte fünfzig, schlechte Dauerwelle, Zähne nicht besser. Der Blick ein wenig leer, die Hand am Wagen. Vor, zurück, trifft mich, diesmal von vorn, sieht gar nicht hin.
Was sagt man dazu? Ich sage gar nichts. Drehe mich zurück und denke einfach noch mal drüber nach. Mit den Fingern klimpere ich auf das Gitter des Einkaufswagens. Immer schneller. Das Gitter klebt, und ich versuche, die Hand an einer anderen Stelle abzuwischen.
Mein Blick fällt auf die tausend Einzelteile vor mir. Ob ich das alles brauche? Ob ich was vergessen habe? Egal. Keinen Zenitmeter weg hier.
Jetzt schreit irgendwo ein Kind. Kann das nicht aufhören? So ein kleines, bei dem man nur das Jammern hört. So nervtötend. Was kann denn nur so schlimm sein? Ach, halt die Klappe.
Sieben. Der Countdown läuft. Mir sollte was einfallen. Ich werd gleich was sagen. Mein Blick fixiert stattdessen die Glastür: Auf und zu. Immer wieder. Mittlerweile haben sie die Eingangsseite zugesperrt. Ich sehe auf die Uhr und muss feststellen, dass es fast acht ist. Wundervoll! Warum kann die da vorn nicht schneller machen? Ich will raus hier. Mein Gott, so schwer ist es wohl nicht, mit einer Scannerkasse umzugehen. Aber irgendwie kriegt die Kleine da vorne das nicht hin.
Acht. Nein! Das ist ja nun echt nicht wahr. Ich weiß immer noch nicht, was ich sagen soll. Ein noch festerer Rückstoß sollte wohl auch reichen.
Drei Meter vorgerückt insgesamt. Kaugummi. Jetzt liegt es griffbereit, bunt, und nervend nur noch ein paar Schritte vor mir. Ich warte auf Nummer neun. Kommt nicht, aber sicher gleich. Die Kühlbox mit den Getränkeflaschen brummt so laut, dass sie trotz der vielen Menschen noch nerven kann. Die Frau hinter mir lässt ihren Wagen los und geht zur Box. Aber sie streckt nur beide Hände tief in die Kühltruhe. Na, nun komm schon. So heiß ist es ja nun auch nicht.
Aus der Schlage rechts neben uns geht ein junger Mann zur Box. Er nimmt eine Flasche Cola Light heraus und geht zurück zu seinem Wagen. In meinem Kopf läuft ein Spot ab. Aber eben nur da. Hier läuft gar nichts. Dabei wär der gar nicht schlecht in so einem Spot. Oder sonst wo. Doch, könnte passen. Sogar meine Phantasien sind träge. Aber kann man ja auch verstehen, bei dem Wetter. Die Frau kommt zurück, drängt sich wieder hinter ihren Wagen. Neun? Nein, sie schafft es irgendwie anders. Sie hat es wohl gemerkt. Na, endlich.
Die Schlange rückt wieder ein Stück vor. Jetzt bin ich zwischen den Schokoriegeln eingefädelt. In der letzten Zone vor der Kasse. Warum steht man immer wieder in der Schlange, die am langsamsten vorwärtskriecht? Und das auch noch in dieser Hitze. Ich will nach Hause. Mittlerweile ist es nach acht. Kann das nicht schneller gehen? Das Mädchen an der Kasse ist höchstens achtzehn. Und irgendwie absolut nicht fähig, ihren Job zu machen. Warum sitzen da immer Aushilfen?
Einen Schlüssel? Wozu braucht sie den denn? Storno, nein! Jetzt bitte kein Storno. Doch. Können die Leute nicht vorher überlegen, was sie haben wollen? Meine Güte. Mein Seufzen ist sicher nicht leise.
Zwei Minuten mindestens. Wenn nicht länger, oder auch nicht. Dann kommt die Kollegin mit dem Schlüssel, beide tippen auf der Kasse rum, dann geht’s endlich weiter.
Hier vorn zwischen den Regalen ist es noch heißer, als weiter hinten in der Schlange. Oder ich bilde mir das nur ein? Ist auch egal. Jedenfalls muss ich hier raus.
Endlich ist das Ende des Laufbands frei. So ein paar Zentimeter. Ich angele mir einen von diesen Balken, drücke ihn gegen die Ware vor mir, die Frau hat so an den Sachen rumgezupft, wie an ihrem Mann, oder Freund, oder was auch immer. Er ist inzwischen gar nicht mehr da. Ist mir nicht aufgefallen, dass er gegangen ist. Muss sich wohl durchgedrängt haben, und schon mal draußen sein. Unmöglich! Lässt sie hier allein stehen.
Der Platz auf dem Band reicht nie aus, um meine Sachen draufzupacken. Aber ich stapele eben. Schnell fertigwerden. Hab’s ja eilig. Die Familienpackung Eis ist schon ein Milchshake, na, beinahe. Ich bin wirklich in Versuchung, sie hier liegen zu lassen. Merkt ja keiner, oder? Vielleicht ist ja doch noch was zu retten. Nehm sie wohl doch mit.
Neun. Jetzt, wo ich nicht damit gerechnet habe. Mein Gesicht ist jetzt sicher schon rot angelaufen. Aber irgendwie beherrsche ich mich grade noch. Sie lehnt sich weit über ihren Wagen, angelt nach dem Knopf über dem Zigarettenregal. Das Gitter rasselt hoch und sie fischt drei Päckchen Marlboro heraus. Mit ihrem Wagen in meinem Hintern. Mein Siedepunkt ist so gut wie erreicht. Der bissige Spruch zum Thema Rauchen, der mir auf der Zunge liegt, ist nicht wirkungsvoll genug. Also schlucke ich ihn runter.
Endlich. Das Laufband rückt vor, ich mit. Jetzt zahlt die Frau vor mir. Oh, da ist ihr Typ wieder. Mit einer Eistüte in jeder Hand. Mit Karte. Sie zahlt mit Karte. Und es dauert. Dauert. Bitte schön, jetzt Geheimzahl eingeben und dann zwei Mal bestätigen. Danke schön, Moment noch Ihr Bon. Auf Wiedersehn.
Na, endlich. Sie zieht alles über den Scanner, was ich auf das Band getürmt habe. Schneller, als ich es in den Wagen zurückpacken kann. Meine Güte, jetzt sei doch vorsichtig. Sonst zerdrückt das Brot!
Zehn. Sie hat es tatsächlich geschafft, jetzt wo ich beim Packen bin, jetzt, wo ich nichts sagen kann. Endlich. Die Summe erschreckt mich, wie jedes Mal. Ich hab noch nicht mal alle Teile im Wagen, da sagt sie siebenunddreißig Euro. Das kann doch gar nicht sein. Wahrscheinlich doch. Bitte schön, jetzt Geheimzahl eingeben und dann zwei Mal bestätigen. Danke schön, Moment noch Ihr Bon. Auf Wiedersehn.
Gerade will ich mich umdrehen, und doch noch was zu der Frau sagen, als neben mir der Cola-Typ bezahlt. Er sieht zu mir herüber. An mir vorbei. Auf das Kassenmädchen. Unvermittelt verdreht er die Augen und beide lächeln.
Draußen ist es noch heißer, als im Laden. Schwül außerdem. Der Wagen kocht. Ich muss immer wieder an den Typen denken. Warum passiert mir sowas nie?