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Sibirische Löcher

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31.08.2008
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Sibirische Löcher


"Der Alte schlummert wie das Kind,
Und wie wir eben Menschen sind,
Wir schlafen sämtlich auf Vulkanen."
- Zahme Xenien – Johann Wolfgang von Goethe

Hektisches Treiben auf dem Moskauer Flughafen. Sergej wartete ungeduldig darauf, dass die Passagiere des Fluges aus New York City durch die Tür kämen. Hoffentlich ist Roger dabei. Er hatte angekündigt, heute zu fliegen, aber eine letzte Bestätigung war ausgeblieben – oder hatte ihn nicht erreicht. Doch nun war Roger da; strahlend schob er seinen Bauch durch die Menge und lief auf Sergej zu.
„Hi Roger! Schön, dich zu sehen. Wie geht es dir?“
„Danke, gut. Und dir, Sergej?“
„Du weißt ja, außer der Arbeit ist da nicht viel. Wie geht es deiner Familie?“
„Die Kinder machen sich gut, Aileen auch – auch ohne mich.Schon okay.“
„Immerhin versorgt sie dich gut“, er blickte auf Rogers Bauch, „das hast du mir voraus.“
„Voraus, meinst du? Weil die Wampe vorn ist? Und du“, er erwiderte mit einem Blick auf Sergej von den Füßen bis zum Kopf, „kommst immer noch nach Hause und findest einen leeren Kühlschrank? Tja, jeder ist seines Glückes Koch – aber, wie geht es weiter?“
Roger konnte es nicht erwarten, mit Sergej zu den neuen sibirischen Kratern zu fliegen; dafür war er schließlich gekommen. Sergej hatte seinen Freund von den USA nach Russland eingeladen, um Hilfe zu erhalten, oder Ratschläge, vielleicht auch nur Bestätigung für die Hypothesen, die er verfolgte. Er freute sich sehr, dass Roger gleich angesprungen war, nicht eine lange Prozedur mit Finanzierungsanträgen eingeleitet, sondern einfach die nächste Maschine nach Moskau genommen hatte. Wenn etwas so interessant klang wie Sergejs Geschichte, dann war es ihm gleichgültig, ob die Flugkosten erstattet würden.
„Wir fliegen gleich weiter, morgen geht es dann mit dem Hubschrauber zu meinem Lieblingskrater – dann sehen wir mal. Ich denke, einen der vielen Krater gründlich anzuschauen, reicht; die anderen erzählen keine neuen Geschichten.“
„Sehr gut, Sergej. So sehe ich das auch.“

Nach einer Nacht im Gasthaus in Norilsk stiegen sie in einen Hubschrauber und ließen sich einige Stunden in Richtung Norden an die Küste des Polarmeeres fliegen. Dort landeten sie direkt neben einem der neuen Krater. Ein Loch in der Erde, tief, mit Wasser gefüllt, vielleicht fünfzig Meter im Durchmesser, umgeben von einem Kraterrand von vielleicht drei Metern Höhe, der leicht zu überwinden war. Unten, in rund zwanzig Metern Tiefe, sah man das Grundwasser stehen. Roger kannte die Krater von Fotos.
„Wie frisch ist das alles hier? Guck dir die Erde an … ganz frisch. Wann hat es hier zuletzt geregnet?“
Roger griff mit der Hand in den lockeren Boden. Sergej nickte.
„Vor ein paar Tagen. Lässt sich herausfinden.“
„Ich möchte da runter. Sicherst du?“
Sergej nickte. Er ging zum Hubschrauber und holte Geschirr zum Abseilen. Er war vor ein paar Wochen schon im Krater gewesen; hatte sich alles angesehen. Seit es diese Krater in Nordsibirien gibt, hatte er alle studiert. Sie ließen ihn nicht los. Tiefe, schachtförmige Krater. Ein kleiner Kraterrand, locker, wenig Material, aber immer frisch. Wann sind sie entstanden? Wie sind sie entstanden? Hingen diese Krater, die sich über ein Gebiet von über eine Million Quadratkilometern verteilten, irgendwie zusammen? So etwas hatte es noch nie gegeben. Sergej ergriff die Leinen und bereitete sie vor, um Roger zu sichern.
Roger legte das Seil an. Sie trieben einen Stahlpfosten in den festen Boden außerhalb des Kraters, um das Abseilen zu sichern. „Hält der?“, fragte Roger misstrauisch.
„Wenn nicht; ein Mann wie du geht ja nicht unter“, erwiderte Sergej.
„Aber das Wasser könnte über den Rand schwappen, Sergej, dann trifft es auch dich!“
Roger legte das Geschirr an, Sergej sicherte. „Good luck!“
Roger seilte sich schnell auf große Tiefe ab, den oberen Bereich hatte er schon vom Rand aus inspizieren können. Nachdem er in einer Tiefe von etwa zwanzig Meter war, stoppte er und untersuchte die Kraterwand. Der Krater war präzise zylindrisch, auch hier unten. Feine senkrechte Spuren erregten seine Neugier. Geschrammt, geschliffen, immer parallel – Spuren, die das Material hinterlassen hatte, als es hier hochgeschossen war. Was für Material? Schade, dass unten Wasser stand. Wie tief ging es da wohl weiter? Er gab das Zeichen zum Aufsteigen. Oben angekommen, trafen ihn die erwartungsvollen Blicke von Sergej. Roger verschnaufte erst einmal. Dann bot er Sergej eine Zigarette an. Sie ließen ihre Blicke schweifen; die Tundra lag schon im Abendlicht; es war Zeit, aufzubrechen.
„Nun?“ Sergej war natürlich gespannt. Es hatte viel Einsatz gekostet, den Kollegen hierher zu holen; er kannte ihn von Konferenzen und dachte sich, dem müssen wir das hier zeigen, wo wir doch alle nicht wissen, wie wir weiter machen sollen. Sein Institut und die Sicherheitsleute hatten diesen Kontakt genehmigen müssen. Rogers Interesse hatte er geweckt, mit wenigen Mails. Roger hatte sofort angebissen.
„Und? Was denkst du nun?“ fragte Sergej.
„Alles neu. Vergesst die Methanexplosionen; das wisst ihr doch selbst. Wie tief liegt Methan? Wo wird die Energie frei, wenn es explodiert? Na also, hier oben. Hier ist der Sauerstoff. Und was erzählt uns das Loch?“ Sergej nickte. Genau das hatte ihn auch umgetrieben, diese zylindrischen Löcher, diese Schächte, wie … er mochte es nicht denken.
Roger sagte es: „Eine oberflächliche Explosion hinterlässt weite flache Krater. Dies hier ist anders, Schächte wie Kanonenrohre. Die Energie kommt aus der Tiefe.“
„Aber welcher Tiefe? Hier ist kein Vulkanismus! Hier ist alles ruhig!“
„Aus sehr großer Tiefe. “ Roger sah ihn an. „Sehr großer Tiefe. Ich habe mich vergewissert: die Schrammspuren an den Wänden, sie zeigen ja den Austritt des Materials mit großer Geschwindigkeit, aber keine Explosion, nicht ein nach allen Seiten auseinander fliegendes Material, sondern präzise aus dem Schacht noch oben schießendes … wo ist das jetzt? Der Kraterrand ist ja mickrig. Es müsste doch Einschlagsstellen geben, wo es wieder runter kommt? Nichts bekannt?“
Sergej schüttelte den Kopf. „Nichts.“

Sie flogen zurück. Nach rund drei Stunden Flug mit dem Helikopter kamen sie in einem Dorf an, wo sie in einem Gasthaus übernachten konnten. Sie räumten ihre Sachen in die Zimmer und trafen sich in der Gaststube. Es saßen nur einige alte Männer an einem Tisch. Der Wirt brachte ihnen Bier und Wodka und nahm ihre Bestellung auf; es gab nur Soljanka.
Sie stießen an.
„Wie geht es weiter?“ fragte Sergej.
Roger sah sehr ernst in sein Bier. „Was habt ihr für Daten? Geländehebungen? Schwerefeldmessungen per Satellit? Was habt ihr?“
„Wir haben Infrarotdaten.“
„Brauchen wir nicht. Wie dick ist die Kruste hier? Na also. Was hier vor sich geht, ist so tief, das verrät sich nicht mit Wärmestrahlung. Geländehöhen, großräumig, ich meine wirklich großräumig, wie verhält sich Nordwestsibirien zum Rest von Asien, habt ihr das?“
„Wir haben es versucht, aber als die Sowjetunion zusammenbrach, sind alle derartigen Messprogramme aufgegeben worden. Warte – ich kenne da einen pensionierten Kollegen, den skype ich mal an.“ Er ging auf sein Zimmer und holte den Laptop. Als er mit dem Ding in der Hand zurückkam, hatte er ihn schon hochgefahren. In wenigen Minuten hatte er Dimitri dran.
„Hallo, ich sitze hier mit einem amerikanischen Kollegen und fachsimple über die neuen Löcher; der fragt nach großräumiger Topographie und Gravimetrie; habt ihr damals so was gemacht? Kennst du die Daten?“
„Nein, wir haben es versucht, aber ihr sucht doch sicher Zentimetergenauigkeit; das ging damals noch nicht. Ich weiß aber, dass die Amis heute so etwas haben. Natürlich keine zeitlichen Trends, dafür ist die Datenreihe zu jung, aber vielleicht kommt ihr damit ja trotzdem weiter. Und Schwerefeld, natürlich, gibt es schon lange per Satellit, weißt du selbst, aber was wollt ihr damit? Was zum Teufel denkt ihr euch dabei?“
„Wir verfolgen die Hypothese, dass die Löcher vulkanischen Ursprungs sind. Ist noch nicht wirklich spruchreif, aber ich halte dich auf dem Laufenden – danke dafür.“ Sergej klappte den Laptop zu.
Roger sinnierte: „Wir müssen auch Seismik treiben, die Schächte vermessen, mal sehen, wie sie in der Tiefe aussehen, und Tiefenseismik – wir müssen wissen, wie es an der Grenze zum Erdmantel aussieht; ich bin sicher, da tut sich was. Kannst du das veranlassen?“
Sergej atmete tief durch. Dies wurde ja eine sehr große Nummer, zu groß für ihn und seine Abteilung, fürchtete er.
Der Wirt brachte das Essen, dazu Wodka. Sie stießen an.
Roger war entspannt. „Freut mich, das alles. Sehr spannend. Anreisen und die Lösung parat haben, wäre schön für mein wissenschaftliches Ego gewesen, aber auch irgendwie langweilig. Mich lässt nicht los, dass wir nicht wissen, wo das Zeug herunterkommt. Das Material im Kraterrand ist ein Bruchteil dessen, was im Schacht fehlt; das sieht man sofort. Wo ist der Rest?“
„Sibirien ist groß“, meinte Sergej. „Die Menschen sind es gewohnt, dass etwas vom Himmel fällt. In der Weite, bei klarer Nacht, sieht man viel. Deshalb macht keiner eine Meldung.“
„Da sagst du was. Sibirien ist groß – das heißt auch, dass das Zeug weit fliegt, sehr weit. Und das heißt, dass das Gebiet unter sehr großem Druck steht. Das ganze Gebiet, in dem die Löcher auftreten. So etwas hat es noch nie gegeben, jedenfalls kenne ich es nicht. Eine Magmaschicht unter Druck, erzeugt Eruptionen in einem Gebiet von einer Million Quadratkilometern – fast unvorstellbar“, antwortete Roger.
„Nein“, entgegnete Sergej.
„Wie?“
„Wir sind hier im sibirischen Trapp, hier erstreckt sich die Lava über ein Gebiet von dreitausend mal fünftausend Kilometern, die ist doch auch durch Eruptionen hierhin gekommen - oder wie?“
„Ich weiß. Und sechstausend Meter mächtig. Aber 252 Millionen Jahre alt. Lange her. Du sagst doch, hier ist kein Vulkanismus. Keine Beben. Auch keine Mikrobeben?“ fragte Roger. Er richtete sich auf und sagte feierlich: „Schön, wie schnell wir unser Programm zusammenhaben. Punkt eins: frage in den Erdbebenwarten nach Seismogrammen, nach Mikrobeben der letzten Jahre in Nordsibirien. Punkt zwei: trage alles zusammen, was über Geländehöhen und Schwerefeldmessungen zu bekommen ist. Punkt drei: schaffe eine seismische Ausrüstung her und kartiere die Löcher, ihren Verlauf in der Tiefe, die Kruste, die Grenze zwischen Kruste und Erdmantel … Punkt vier: beschaffe Satellitendaten vom Militär. Die nehmen doch alles auf; sie müssen die Ereignisse dokumentiert haben. Kriegst Du die? Sag nicht, dafür hast du mich hergeholt. Das wusstest du alles auch selbst.“
Sergej nickte: „Weißt du, trotzdem schön, wenn einer mitdenkt und unterstützt. Das dumme Gerede von den Methanexplosionen konnte ich nicht mehr ertragen. So wird es dir auch ergehen, wenn du nach Hause kommst. Methan.“ Er schüttelte sich, dann sammelte er sich und hob das Glas:
„Cheers!“
„Sa sdorowje!“ antwortete Roger.

Am nächsten Morgen hatte Sergej schon alles in die Wege geleitet, mit den Kollegen gesprochen, Untersuchungen beauftragt, die Beschaffung von seismischen Geräten geordert. Schon nach wenigen Tagen kam die Ausrüstung per Flugzeug. Zusammen mit einem Trupp von zehn Männern flogen sie zu ihrem Loch – sie wollten zunächst nur eines tiefgehender untersuchen. Routiniert wurden die Geophone ausgebracht, die Computer angeschlossen und dann die Sprengladungen gezündet. Die ersten Auswertungen machte man hier in Russland noch im Feld, direkt vor Ort. Sergej und Roger drängten sich zusammen vor einem Bildschirm. Sie sahen, wie der Krater nach unten sich in endloser Tiefe verlor; es gab keine Hinweise darauf, dass er seinen Querschnitt änderte. Die Tiefenseismik brachte auch keine Ergebnisse bezüglich einer Magmakammer, wie sie bei Vulkaneruptionen meist recht dicht unter der Oberfläche zu finden sind. Man machte darum weitere Versuche mit größeren Sprengladungen. Schließlich wurde die Grenze zwischen Kruste und Mantel geortet. Auch dort – nichts Ungewöhnliches.
„Wir müssen herauskriegen, wie die Parameter dort unten sind“ , meinte Roger, „wie heiß? Wie flüssig? Welcher Druck? Kompressions- und Schermodule, könnt ihr das? Klar, aber geht das auch bald?“
Sergej nickte. Am nächsten Tag wurden die Schwingungsaufnehmer neu ausgebracht, in viel größeren Abständen. Sergej hatte das Ziel, die Schallwellen aufzuzeichnen, die unter der Kruste hindurch im Erdmantel verliefen. Die ersten Ergebnisse kamen nach ein paar Tagen. Sergej und Roger konnten kaum die Fassung bewahren; auch die Kollegen wurden von ihrer Unruhe in Neugier versetzt: Was hatten die beiden herausgefunden? Mit fragenden Gesichtern standen sie um die beiden herum. Roger ergriff das Wort:
„Was wir hier erstmalig gemessen haben, ist der Zustand der Schicht, aus der die Eruptionen stammen. Sie liegt in etwa fünfzig Kilometern Tiefe. Klar, so mächtig ist hier die Kruste. Es gibt keine Magmakammern zwischen dieser Schicht und der Oberfläche. Die flüssige Grenzschicht zwischen Kruste und Mantel ist hier sehr dick, etwa zwanzigmal mächtiger als sonst. Sie ist vollständig flüssig und steht unter extrem hohem Druck, der ist höher, als es der Tiefe entspricht; es muss von unten Druck aufgebaut werden, der die kontinentale Platte insgesamt anhebt, so dass ihm ein großer Teil der Kruste Sibiriens entgegensteht.“
Der Leiter des seismischen Teams meldete sich zu Wort: „Und der entlädt sich durch diese Löcher? Die Löcher umfassen ein Gebiet , dass sich von West nach Ost über eintausend Kilometern erstreckt, heißt das, dass das alles unter solch hohem Druck steht? Das geht doch nicht!“
Sergej sah ihn an. „Doch“, sagte er kurz. Die Ungeheuerlichkeit dieser Aussage wurde ihm selbst erst langsam bewusst. Alle sahen einander stumm an.
„Mit welchen Untersuchungen fahren wir fort?“ fragte der Teamleiter.
Sergej sah zu Roger. „Tja, wenn ihr mich fragt … ich würde nicht mehr viel messen. Das Wesentliche ist ja nun klar. Ich würde ein seismisches Monitoring aufziehen, im gesamten Gebiet, mit Funkübertragung, um sofort warnen zu können, wenn es nicht mehr bei diesen kleinen Eruptionen bleibt … ich hoffe mal, dass sich das irgendwie ankündigt, normalerweise tut es das, aber was ist hier normal?“
Sergej widersprach: „Okay, natürlich machen wir das. Aber ich möchte auch wissen, wie groß das Gebiet ist, das unter Druck steht. Wo hört es auf? Wir sollten so weit messen, bis wir die Grenzen erfasst haben.“
Roger nickte. „Das kann aber weit werden, meinte er.“
„Wie weit?“ , fragte der Teamleiter.
„Von hier bis Tunguska“, meinte Roger lächelnd.
Sergej erschrak. Tunguska war zweitausend Kilometer weit weg im Süden, auch noch im sibirischen Lavafeld, aber auf dessen südlichem Rand. Vor rund einhundert Jahren hatte es dort eine gewaltige Gasexplosion gegeben, Bäume waren im Radius von vierzig Kilometern umgeknickt, ein großer See war an der Stelle entstanden. Rogers Bemerkung bedeutete: passt auf, das hier ist schon länger im Gange, die Explosion von damals gehört vielleicht auch dazu. Rogers Fähigkeit, Ungeheuerliches zu denken, hatte Sergej schon früher erschrocken. Für die Messkampagne bedeutete es: man musste die Verhältnisse unter der Erdkruste in einem Gebiet von dreitausend mal fünftausend Kilometern vermessen. Unter den Bedingungen der Universitätsforschung ein Projekt für viele Jahre.

Als Roger und Sergej nach dem Rückflug in ihre Gaststätte gingen, wurden sie erwartet. Drei Herren vom militärischen Geheimdienst saßen dort und lächelten ihnen zu. „Kommen sie“, winkte sie der älteste von ihnen heran; er stellte sich mit Boris vor. Boris bestellte für Roger und Sergej Essen und für die Runde Wodka. Dann kam Boris zur Sache. Die beauftragten Sichtungen der Satellitendaten hatten zu einem Alarm geführt. Offensichtlich hatte die automatisierte Bildauswertung keine Besonderheiten erbracht, weswegen auch immer. Vielleicht war sie zu genau darauf programmiert, die Spuren amerikanischer Raketen zu entdecken. Man hatte wegen der Dringlichkeit, die Sergej an den Auftrag geknüpft hatte, ein Team von vielen Personen daran gesetzt, alle Besonderheiten zu notieren. So war man auf die Eruptionen gestoßen, hatte für einige Krater den Augenblick der Explosion auf dem Bild, hatte auch das Herausschleudern von Magma festgehalten. Mehr sagte Boris nicht. Sergej hakte nach:
„Das ist großartig! Genau das, was wir brauchen! Wie sieht das aus? Wo ist das Magma heruntergekommen?“
Boris war verdutzt. „Sie haben also damit gerechnet, dass es etwas Außerordentliches ist, was hier passiert? Deswegen sind wir hier. Es ist ein Problem für die nationale Sicherheit.“
„Klar, anders könnt ihr das nicht einordnen. Also: wie weit?“
„Es ist alles in Sibirien abgeregnet, aber bei anderer Richtung hätten einige Eruptionen auch Moskau erreichen können. Wir haben die Orte aufgesucht und uns die Einschlagskrater angesehen. Ich kann nur sagen – bei etwas anderer Richtung – wirklich ein Problem für die Sicherheit. Was wissen sie darüber? Wie weit sind ihre Forschungen? Und ihr Kontakt zu dem Amerikaner ist uns nicht genehm. Was wissen die Amerikaner über die neuen Ergebnisse?“
„Wissenschaft kommuniziert – davon leben wir“, meinte Roger grinsend.
„Also wissen sie alles?“
„Sie wissen, was wir wissen. Die Frage ist nicht, was wer weiß, sondern, was wer denkt. Wir wissen alle viel, entscheidend ist, was wir davon ernst nehmen.“
„Und? Was nehmt ihr Amis ernst?“
„Das, was in den Fachjournalen steht. Den Quatsch mit den Methanexplosionen.“
Boris war nicht zufrieden. Sergej erläuterte:
„Wir stehen am Anfang. Wir haben verstanden, dass es um gewaltige Eruptionen geht, nicht wegen der Masse, die ist jeweils klein, aber wegen des Druckes – und der Flugweite, wie sie ja nun festgestellt haben. Passt doch zusammen. Wir haben beschlossen, sofort eine Überwachung zu installieren, die es uns ermöglicht, zu warnen, wenn etwas Größeres bevorsteht.“
„Noch größer?“, fragte Boris.
Roger nickte. „Ich kenne jemanden, der uns vielleicht weiterhilft. Philipp, ein alter Freund. Ich wollte heute Abend sowieso mal mit ihm skypen. Ich habe kein Problem damit, wenn sie zuhören. Der wird staunen, ich bin in Russland, mache ein paar Messungen mit einem alten Freund, und schon sind wir umringt vom KGB – oder was davon übrig geblieben ist.“
Boris gefiel die offene Art von Roger. Es war alles ein Brainstorming, und er war dabei. Eine sehr frische, freie Luft atmete er hier unter den Wissenschaftlern. Seine jüngeren Kollegen hielten sich bedeckt.
Roger griff sich seinen Laptop, stellte ihn auf den Tisch und fuhr ihn hoch. Bald hatte er Philipp dran. Sie begrüßten sich herzlich. „Hi Roger, schön dich zu sehen. In was für einer Spelunke treibst du dich herum? Sieht ja schummrig aus!“
„Ja, urgemütlich, nicht? Aber es ist ernst: ich sitze hier mit Sergej, meinem Freund aus alten Tagen, und drei netten Kollegen vom KGB, oder wie der auch heute heißen mag. Ist lange her, dass die sich für die Geophysik interessiert haben, damals, bei den Überwachungen zum Atomteststoppabkommen, weißt Du noch? Nee, da warst Du noch im Kindergarten.“
„Schieß los, was wisst ihr?“, drängte Philipp.
Roger gab in Kürze durch, wo sie standen: dass es um Eruptionen aus großer Tiefe gehe, dass eine Blase von flüssigem Magma unter der Kruste lag, unter hohem Druck, die sich über eintausend Kilometer erstreckte. „Das müsste doch bei dir die Glocken klingeln lassen? Nun erzähle mal, was du denkst.“
„Nun ja, Norilsk liegt ja inmitten des Gebietes, von dem die Rede ist.“
„Und?“
„Dort wird ja der Schlot angenommen, für die Eruptionen, die zu dem sibirischen Trapp geführt haben.“
„Soll heißen?“
„Erinnerst du dich an das Paper von Jason?“
„Ja, dunkel. Hat doch niemand nachvollziehen können, was dem da eingefallen ist.“
„Das könnte sich ändern, wenn die Zeit reicht.“
„Warum, was heißt, wenn die Zeit reicht?“
„Nun ja, ihr sitzt dort gemütlich auf einem Hotspot, der unter einem dicken Kontinent gefangen ist und dem es dort zu bunt wird. Hat ja auch lange stillgehalten.“
„So?“
„Die vielen gasreichen Eruptionen könnten Vorboten sein. Vorboten dafür, dass etwas ganz besonderes bevorsteht. So etwas wie der Übergang vom Perm zum Trias oder von der Kreidezeit zum Tertiär, damit können deine KGB-Kollegen vielleicht mehr anfangen. Jeder hat ja mal etwas vom Sauriersterben gehört.“
„Du bist also der Meinung, dass sich hiermit ein neuer Verneshot ankündigt?“
„Als die ersten Bilder in den Nachrichten erschienen, und ich dann auf der Karte nachgesehen habe, wo das stattfindet, war es mir sofort klar. Der nächste Verneshot. Wurde auch mal Zeit. Genießt die Zeit, die bleibt. Könnte sein, dass du dir den Flug sparen kannst, dass du ganz direkt hierherkommst, mit einem Kubikkilometer Magma unter dem Hintern.“
„Ich denke, ich nehme lieber den Flieger. Habe schließlich schon bezahlt.“
„Wie auch immer; ich wünsche dir einen guten Flug.“
Sie verabschiedeten sich. Roger schaute in die Runde. Boris drängte, das Gespräch zu erklären.
Roger nahm sich einen Bierdeckel und legte ihn auf die Papierserviette. „Also kurz das Prinzip der Verneshots, von denen Philipp sprach. Für die großen Massensterben der bekannten Erdgeschichte werden von einigen der Vulkanismus, von anderen Meteoriteneinschläge verantwortlich gemacht. Beide Fraktionen haben ja gute Beweise – die mächtigen Lavadecken über Sibirien, Indien und so weiter datieren ja exakt gleich wie die Wechsel der Erdzeitalter. Die Meteoritenkrater aber auch, nehmen wir das letzte große Ereignis, den Übergang von der Kreidezeit zum Tertiär: ein Drittel des indischen Kontinents ist mit einer über 1000 Meter mächtigen Lavaschicht bedeckt, sie datiert so alt wie das Tertiär, 65 Millionen Jahre. Bei Yucatan gibt es einen Meteoritenkrater, 120 Kilometer im Durchmesser, datiert genauso alt. Die Verneshot-Hypothese verbindet diese Ereignisse: sie besagt, dass es zu einem gewaltigen Druckaufbau gekommen ist, als Indien auf seiner Reise von der Antarktis nach Asien den Vulkan von Réunion abdeckte. Dieser entlud sich dann, und eine große Menge Magma, rund ein Kubikkilometer, schoss durch die Kruste in den Himmel, mit 10 Kilometern pro Sekunde Geschwindigkeit, und schlug in Yucatan wieder ein. Dann quoll das aufgestaute Magma aus dem Kanal, und bedeckte in kurzer Zeit einen Großteil Indiens – den Deccan Trapp. Über einen Zeitraum von einigen Tausend Jahren gab es viele weitere, heftige Eruptionen, die Unmengen Magma förderten, jedoch keinen zweiten Schuss. Soweit erst einmal.“
„Ich habe das bisher nicht ernst genommen“, sagte Sergej.
„Natürlich nicht. Solange die Forschung in den ausgetretenen Pfaden bleibt, fließen die Gelder. Nähme man die Hypothese ernst, müssten sich einige tausend Forscher neu orientieren, und gefährdeten ihre Karrieren. Das Dumme ist nur: die Hypothese ist fundiert, es gibt viel zu viele Übereinstimmungen mit den übrigen Daten, als dass das alles nicht stimmen könnte. Fast alle großen Wechsel geologischer Epochen können damit zugeordnet werden. Nur zu einem der größten Ereignisse, das die sibirische Lavaeruption verursacht hat, dazu fehlte Jason zunächst der Krater. Könnte ja im Meer sein, lange wieder im Erdmantel verschwunden, das Ereignis liegt 252 Millionen Jahre zurück, von so altem Meeresboden gibt es nicht viel. Aber man hat ihn vor ein paar Jahren gefunden, unter dem Eis der Antarktis, der größte bekannte Krater auf der Erde, 48o Kilometer Durchmesser, und wie alt? Ist doch klar. Die Daten passen zu einem Alter von 252 Millionen Jahren.“
Boris hatte bisher bedächtig zugehört. Dann ist also auch dieses besondere Ereignis, dass die Evolution des Lebens fast nochmal von vorn beginnen ließ, von der Erde selbst gemacht – nicht von außen gekommen. Aber was hatte das mit den sibirischen Kratern zu tun?
„Was Philipp nun sagt, ist: der Hotspot unter Sibirien ist immer noch aktiv, er staut seine Energie seit 252 Millionen Jahren auf, so lange wie sonst nirgendwo ein Hotspot von einem Kontinent zugedeckt liegt. Wenn diese Energie frei wird, kommt es heftiger als beim Ende der Kreidezeit. Was nicht heißen soll, dass wir, die Menschheit, am Ende der Kreidezeit eine Chance gehabt hätten.“
„Und wann kann das passieren? Bald? Schon in den nächsten Jahren?“
„Das, werter Freund, wissen wir nicht. Es war noch kein Wissenschaftler bei so einem Ereignis dabei und hat uns seine Aufzeichnungen hinterlassen. Wir haben das Privileg, als erste daran teilzuhaben.“
„Und es zu publizieren“, ergänzte Sergej schmunzelnd.
„Dazu kommen wir dann wohl nicht mehr“, entgegnete Roger.
„Ist das wirklich ernst? Kann ich das so melden?“, wollte Boris wissen.
Roger und Sergej sahen ihn betroffen an. „Ja, das können sie“, meinten beide.
„Mit ihrem lächerlichen Monitoring kommen wir da wohl nicht aus“, meinte Boris, „wenn es um ein Problem der nationalen Sicherheit geht, werden wir die Überwachung übernehmen.“
„Mit unserer Hilfe“, ergänzte Sergej. Boris nickte grinsend.
„Und die Vermessung des Druckfeldes? Können Sie das unterstützen?“
„Was bedeutet das?“
„Es bedeutet, dass wir über mehrere tausend Kilometer von Nord nach Süd, von West nach Ost, Geophone ausbringen und die Erschütterungen aufzeichnen, die Sie“, er sah Boris in die Augen, „mit großen Sprengladungen erzeugen. Ein gewaltiges Messprogramm. Aber dann wissen wir, wie groß das Gebiet ist, in dem diese Schüsse möglich sind.“
Boris nickte bedächtig. „Wir bringen die Geräte mit Hubschraubern aus. Für die Detonationen sorgen wir auch; damit kennen wir uns aus.“ Er grinste Sergej an.
„Wenn das so ist, haben wir schon in ein paar Wochen alles, was wir benötigen“, meinte Sergej.
Roger und Sergej verabschiedeten sich, um auf ihre Zimmer zu gehen. Boris und seine zwei Gefolgsleute begaben sich sofort zu ihrer Maschine und flogen nach Moskau zurück.

Als Sergej am nächsten Morgen seine Kollegen in verschiedenen Instituten anrief und darauf vorbereiten wollte, dass sie alle an einem großen gemeinsamen Messprogramm mitwirken sollten, stellte er überrascht fest, dass alle schon Bescheid wussten. Sie waren vom Militär verpflichtet worden, alle ihre Geräte und die qualifiziertesten Mitarbeiter zur Verfügung zu stellen. Worum es ging, wusste allerdings keiner von ihnen: es war als streng geheim eingestuft worden. Schon nach zwei Wochen gab es erste Ergebnisse: unter Sibirien hatte sich auf einem Gebiet von rund zweitausend mal dreitausend Kilometern extrem hoher Druck und eine sehr mächtige Schicht von flüssigem Magma gebildet. Während der Untersuchungen waren auch Erkenntnisse über die Bodenunruhe gewonnen worden: es knisterte unter dieser Fläche, besonders an ihren äußeren Rändern, so, als breitete sich diese Druckzone immer weiter aus.
Sergej hatte sich derweil daran gemacht, eine Erdbebenwarte im Zentrum des Gebietes aufzubauen, oder besser: an einem Ort, den er für das Zentrum hielt. Die Untersuchungen der Militärs sollten ihm Recht geben: in der Nähe der Stadt Norilsk, wo man die Eruption von der Perm-Trias-Grenze vermutete, war auch jetzt die größte Unruhe in der Erdkruste und die größte Mächtigkeit der Schicht flüssigen Magmas.
Roger und Sergej trafen sich wieder, um über die Ergebnisse zu beraten. „Wenn du nicht gekommen wärst, meinte Sergej, wo stünden wir dann heute? Mann, es ist das Größte, was je entdeckt wurde. Nie hat die geologische Forschung etwas Dramatischeres herausgefunden. Aber was machen wir jetzt damit?“
„Wir müssen herausfinden, wann es passiert“, meinte Roger.
„Die Unruhe nimmt exponentiell zu, das wissen wir schon. Und was bedeutet das?“
Roger hatte die Beine lang auf einen freien Stuhl gelegt und nippte an seiner heißen Kaffeetasse. „Alles, was mit der Exponentialfunktion anwächst, endet in einem Crash“, meinte Roger, darin ist sich alle Forschung einig, von der Populations- bis zur Börsenwissenschaft, falls es so etwas gibt. Die Frage ist dabei immer: wann?“
„Ja, ihr könnt ja mal Computermodelle rechnen, den Vorgang numerisch simulieren, viel Spaß“, meinte Sergej.
„Vielleicht brauchen wir keine Modelle. Dafür ist eh keine Zeit. Und auch keine Motivation: wer das Modell aufbaut, das mit der Wirklichkeit am besten harmoniert, kann den Erfolg nicht mehr publizieren. Keine Laudatio, keine Ehrenmedaillen von den Vereinigungen der holden Wissenschaft, etc. Wozu also das alles?“
Es pochte laut, dann ging die Tür auf, und herein kamen mehrere Männer, darunter Wladimir Putin.
Sergej stand augenblicklich auf, Roger nahm die Beine vom Stuhl und tat es ihm gleich. Putin trat auf die beiden zu und gab ihnen die Hand. Er kam gleich zur Sache: „Meine Leute erzählen mir Dinge, die ich nicht verstehe und auch nicht glauben kann. Was machen Sie hier? Was wissen Sie? Bitte, erklären Sie mir das.“
Roger erklärte kurz das Phänomen der Verneshots, wie es funktioniert, was diese Schüsse in der Erdgeschichte angerichtet haben und verschwieg auch nicht, dass die Mehrheit der Geowissenschaftler nicht an die Möglichkeit eines solchen Ereignisses glaubte. Putin fragte nach: „Was spricht denn dafür, dass es diese Ereignisse gibt? Und woraus schließen Sie, dass so etwas bevorsteht?“
Nun war Sergej an der Reihe, er berichtete in einem kurzen Exkurs von den bedeutendsten Massensterben der Erdgeschichte, bei denen jedes Mal das Klima kurzzeitig völlig verändert worden war, ein katastrophaler Aschenregen die gesamte Erde befiel und für einige Zeit – Jahrtausende wohl – die Erde von einer Eiszeit heimgesucht wurde. Dann kam er zu den aktuellen Befunden: wie der Hot-Spot-Vulkan, der nun seit über 200 Millionen Jahren still unter Sibirien schlummerte, zum Leben erwachte und wie gewaltig die Energie war, die sich aufgestaut hatte.
Mehr wollte Putin darüber nicht wissen; nun fragte er: „Was können wir tun?“
„Nichts“, meinte Sergej.
„Das akzeptiere ich nicht. Wir müssen etwas tun. Wie viel Zeit bleibt uns? Wie viele können überleben? Was müssen wir tun, damit viele überleben?“
„Wenn es wieder so groß wird, wie damals, können wir nichts tun. Die Menschheit wird aussterben, wenn nicht in wenigen Tagen, dann doch in Monaten oder spätestens in ein paar Jahren. Und nicht nur sie. Viele Arten werden aussterben; man wird die Erde nicht wiedererkennen.“
„Wir müssen die Infrastruktur sichern, die Energieversorgung, die Wasserversorgung, Lebensmittelvorräte.“
„Lieber Wladimir“, Sergej verlor langsam seine Schüchternheit, „dies ist kein Atomkrieg. Es ist tausend, ja millionenmal schlimmer. Vergessen Sie alles, was Sie über die Rettung der Bevölkerung bei Atomkriegen gelernt haben.“
„Würden Sie nichts tun?“, fragte Putin zurück.
Sergej schluckte. „Sicher, vielleicht ist es eine der kleineren Eruptionen, und es gibt eine Chance, zumindest für einige. Ich würde mich zumindest so verhalten, als hätte ich diese Hoffnung.“
„Aber tatsächlich haben Sie keine Hoffnung?“
„Nein.“
„Trotzdem: wir gehen das jetzt einmal durch. Energieversorgung sichern, auch gegen Aschenregen. Lebensmittel bunkern, dezentral, denn Verkehr wird nicht mehr möglich sein, nicht so, wie wir ihn kennen. Wasser – das ist wohl das schwierigste. Wie sichern wir die Wasserversorgung?“
Sergej nickte. „Die Wasserversorgung kann nur mit Tiefbrunnen für eine Weile aufrecht erhalten werden. Was aus der Atmosphäre regnet, wird ungenießbar sein. Also: viele Brunnen bohren, Wasserspeicher betonieren, Pumpen mit Dieselvorräten für viele Jahre. Mehr kann man nicht tun.“
„Wie stellen sich denn die USA darauf ein?“, fragte Roger mutig. Er hatte nichts davon gehört, dass das in der politischen Führung der USA erörtert würde, aber es konnte ja geheime Vorbereitungen geben.
Putin lächelte: „Obama soll sich köstlich darüber amüsiert haben, dass Russland auf diese Weise ausgelöscht würde. Rache aus der Unterwelt, nannte er es. Aber – wenn ich Sie richtig verstanden habe – am schlimmsten sind die sofortigen Wirkungen nicht dort, wo die Eruptionen stattfinden, sondern dort, wo sie einschlagen. Und das wird, so haben mir Ihre Beispiele anschaulich vor Augen geführt, nicht in der Nähe sein, nicht in Russland.
Sergej nickte: „Ja, so ist es.“
Putin stand auf: „Meine Herren, auf Wiedersehen. Machen Sie weiter so. Ich werde Kontakt halten, und“, er warf einen spöttischen Blick zu Roger, „rechnen Sie am besten jeden Augenblick damit, dass ich in Ihr Zimmer trete.“
„Wir haben eh keine Zeit, in der Nase zu bohren“, antwortete Sergej.

Weitere vier Wochen waren vergangen, als Sergej und Roger sich zusammen mit einer Gruppe von Sergejs Kollegen über neue Daten beugten. Es gab eine Stelle, wo die Kruste dünner und brüchig zu werden schien. Der Vorgang beschleunigte sich. Nun konnte man die Entwicklung hochrechnen, abschätzen, wann es passieren würde.
„Was ist mit deiner Familie?“, fragte Sergej.
„Tja, das Geskype könnte mal aufhören. Ich muss bald mal nach Hause. Sonst erkennen mich meine Kinder gar nicht mehr. Er nötigte sich ein Lächeln ab, setzte dann fort: ich muss zu meiner Familie. Morgen werde ich fliegen. Und du?“
„Ich habe keine Familie“, antwortete Sergej. „Weißt du ja. Wo soll ich hin? Ich werde hierbleiben, im Oberservatorium, Daten sammeln und in die Welt schicken, bis zuletzt. Mit etwas Glück sehe ich den Schuss – das hat vor uns noch kein Mensch. Ich sehe ihn aus der Nähe, aus vielleicht einhundert Kilometern Entfernung. Vielleicht ist das auch etwas. Der erste und letzte Mensch, der sich einen Verneshot ansieht.“
Roger und Sergej standen einander stumm gegenüber. Die Kollegen hatten aufgeblickt und sich dann zu ihnen gesellt. Roger nahm Haltung an: „Gentlemen, es war mir eine Ehre, heute mit Ihnen arbeiten zu dürfen.“ Sergej tat so, als würde er Geige spielen, tanzte vor Roger hin und her und lachte dazu. Dann fielen sie einander in die Arme und weinten.

 

Da wähnt man sich im Holozän sicher – und dann so etwas,

lieber Set,
dass ich schon besorgt zur Eifel blicke …

Aber fein, mal wieder von Dir zu lesen und dann gleich ein solcher Hammer, dass ich erst schlucken muss – nicht so sehr wegen der Spannung als der schönen Aussichten halber. Aber was kümmert uns da noch so etwas wie Klimaschutz? Darum heute zunächst nur ein paar Hinweise – nix gegen die Erkenntnis der Forscher und den Gewinn, den mir Deine Geschichte bringt.

Zunächst wäre da mal ne Leerstelle einzurichten

– auch ohne mich.[…]Schon okay.“

„Hält der“, fragte Roger misstrauisch.
Klingts nicht eher nach einer Frage?

Es müsste doch Einschlagsstellen geben, wo es wieder runter kommt? Nichts bekannt?“
Besser ein Wort: runterkommt

Oft vergisstu hier das Komma am Ende der wörtl Rede, hier das erste Mal

„Wie weiter?“[,] fragte Sergej
und hier das letzte Mal
„Was ist mit deiner Familie?“[,] fragte Sergej.
Auch solltestu die Höflichkeitsform noch mal überprüfen, hier das erste Mal
„Kommen sie“, winkte sie der älteste von ihnen heran;
wenn später selbst der Zar (ist halt auch SF) seine Leute siezt ...

Hier sind Gänsefüßchen abhanden gekommen

„Tja, das Geskype könnte mal aufhören. Ich muss bald mal nach Hause. Sonst erkennen mich meine Kinder gar nicht mehr. Er nötigte sich ein Lächeln ab, setzte dann fort: ich muss zu meiner Familie. Morgen werde ich fliegen. Und du?“

So viel oder wenig fürs Erste vom

Friedel,
der bestimmt noch mal vorbeischaut ...

 

Hallo Set,
Mir ist die Geschichte " zu wissenschaftlich " erzählt. Das Szenario des Weltuntergangs so wie im Film 2012 durch die Special Effekts packend und spannend zu machen , wäre mein Rat, nur wie bekommt man solche Spannung zu dem Plot deiner Geschichte?
Letztlich muss der Leser "mitfühlen", dass das Ende der Menschheit unausweichlich ist. Zwischenmenschliche Dramen rechtzeitig und nicht erst zum Ende in den Plot einfügen, wäre eine Möglichkeit.
LG, GD

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Friedel,
danke für die vielen Hinweise, wird nachbearbeitet. Schlucken muss ich auch, ist es doch, wie schon bei anderen Geschichten, eine Sicht, die sich mir aufdrängt und zu der ich stehe, die ich nicht der Dramaturgie halber ausdenke. Ich bin also auch unschlüssig und betroffen angesichts der Frage, wann? Es ist das erste Mal, dass ich eine Hypothese aus meinem Fach (habe mal Geophysik studiert) in eine Kurzgeschichte kleide. Und damit bin ich bei

Dir, Goldene Dame,
denn mit der fehlenden fachlichen Distanz hatte ich zu kämpfen, denn mir ist die Wissenschaft spannend genug, trotzdem weiß ich, dass das noch keine Geschichte ergibt. Das Grauen bleibt unterschwellig, da ist es bei mir ja öfter mal. Die Veröffentlichung über die Verneshots, von Jason Phipps-Morgan, den ich selbst kennengelernt habe, ist für mich das Sensationellste, was die Geologie seit der Entdeckung der Plattentektonik hervorgebracht hat. Das anhand der aktuellen Fragen in Sibirien zu vermitteln, war mein Ziel. Und wieder leidet die Geschichte.

Herzliche Grüße an Euch beide

Set

PS: die Löcher und die Verneshots sind schnell gewikipediert, wer sich das Original antun möchte:
http://www.geo.cornell.edu/eas/PeoplePlaces/Faculty/JPM/VerneshotEPSL2004.pdf

 

Verneshot

lieber Set,

hab ich gestern korrekt von Jule Verne abgeleitet und den Schuss als Bereicherung zu einer wundervollen SF-Story, wie sie St. Lem sicherlich auch gefallen hätte. Darum hielt ich es zunächst – kleiner Verschwörungstheoretiker, der vielleicht sogar in jedem steckt – für reine Fiktion. Die Bemerkung zum Klimaschutz, von dem nun fleißig abgelenkt werden könne, steht dafür.

Anschließend, obwohl arebeit noh unde noh zuo dem zehenten ansteht, schaute der ehem. bescheidene Mitarbeiter am ehem. Kaiser-Wilhelm-Institut zu MH nach und sah, dass Deine Geschichte keine reine Erfindung sei.

Die Sorge um die Eifel war es nie, sie wird sogar durch ein Erdgasfeld unter Groningen bis weit über die Grenze des Dollart und der Ems hinaus, ergänzt, wenn denn die Drohung, das Feld auszubeuten, eine der am dichtesten bevölkerten Regionen Europas betrifft und weit nach Osten, aber vor allem nach Süden wirken wird. Da wird zwar nicht das Leben als solches bedroht, aber doch ein mächtig landschaftlicher Umbau mit natürlichen Grabstätten erzeugt, der mit dem Erdbeben 1992 an der Rheinschiene und dem Stein- und Braunkohleabbau nicht zu vergleichen ist. Und zwar hausgemacht, um weitermachen zu können wie bisher.

Was wäre zu tun? Für Groningen glaub ich es zu wissen, für Sibirien will ich weniger Putin als Verne und Lem folgen …

Gruß und schönes Wochenende vom

Friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

Tja, Friedel, nicht alles Fiction, die paar Millionen Jahre, die Indien den Hot Spot Réunion abgedeckt hat, haben genug Energie aufgestaut, die Kreidezeit zu beenden. Sibirien wandert nicht, und Hot Spots wandern nie, ergo: dort staut sich ein vielfaches an Energie. Wie denn auch der Übergang vom Perm zum Trias mit viel mehr Spektakel verbunden war, und der Krater in der Antarktis wie die Fläche der Flutbasalte in Sibirien dreimal so groß. Wenn man frei spinnt, dass es jetzt wieder an der Zeit ist für einen Schuss aus Sibirien, kann man auch rückwärts extrapolieren: da sind wir dann am Beginn des Kambriums, der vom Ende des Perm grob betrachtet soweit zurückliegt wie das Ende des Perm zum Heute. Damals war die Erde für einige zig-Millionen Jahre komplett eisbedeckt, nur Einzeller haben überlebt, praktisch, als hätte jemand der Evolution die Reset-Taste gedrückt. Das wäre dann das Szenario, dass alle viertel Milliarde Jahre die Erde eine besonders große Überraschung hat, und alle 50 Millionen Jahre eine kleinere. Allerdings ist nicht bekannt, was den Übergang zum Kambrium ausgelöst hat. Die bisher bekannte Evolution erstreckt sich über die letzten 15 % der Erdgeschichte, es kann also alles schon dagewesen sein, die Erde hat die Spuren getilgt und wird es auch in Zukunft tun.
Genieße den Tag!
Set

 
Zuletzt bearbeitet:

Setnemides schrieb:
… denn mit der fehlenden fachlichen Distanz hatte ich zu kämpfen, denn mir ist die Wissenschaft spannend genug, trotzdem weiß ich, dass das noch keine Geschichte ergibt.
Also ich empfinde das allemal als Geschichte, Set, schon deshalb, weil es für mich wahrlich nichts Spannenderes gibt, als die tatsächlichen Geschehnisse in und um unseren so wunderbaren Planeten. Und gegen das Szenario, das du hier beschreibst, sind noch so fantasievoll ausgedachte Horden geifernder Vampire oder Zombies, ja selbst Armeen extraterrestrischer Invasoren, gelinde gesagt ein Lercherlschas.*)
Und wenn ich von einer Geschichte verlange, dass sie mir was zum Nachdenken gibt, dann bin ich mit dieser hier bestens bedient. (Sofern mir noch die Zeit zum Nachdenken bleibt.)

„Was können wir tun?“
„Nichts“, meinte Sergej.
„Das akzeptiere ich nicht. …“
Tja, das nenne ich eine pragmatische Einstellung.
Und mit Putins Haltung bringst du auch wunderbar das Dilemma der Menschheit auf den Punkt, nämlich diese Diskrepanz zwischen unserer Selbstwahrnehmung und der Wirklichkeit.
Vor einigen Jahren war ich mit meinen (damals halbwüchsigen) Söhnen bei einer Lesung von Bela B, in der er sein Hörbuch „Exit Mundi - die besten Weltuntergänge“ von Maarten Keulemans vorstellte, und ich erinnere mich noch gut an die anschließenden Gespräche mit meinen beiden Buben. Und wie sie mit ihren jungen Köpfen mit der Tatsache umzugehen versuchten, dass unsere Existenz eigentlich ungemein fragwürdig sei, und dass die Menschheit gewisse Tatsachen einfach ignorieren müsse, um nicht kollektivem Wahnsinn und Zähneklappern anheimzufallen. Wären wir uns ununterbrochen der Unsicherheit unserer Existenz bewusst, der Tatsache, dass wir in Wahrheit nicht mehr sind, als eine nur äußerst kurzfristig auf diesem Planeten herumwuselnde Bioform wie Millionen andere auch, würden wir ernsthaft darüber nachdenken, wie vollkommen absurd der Satz „Lasset uns die Erde untertan machen“ klingt, angesichts der realen Bedrohungen, dann … ja, was wäre dann? Keine Ahnung. Vermutlich würden wir uns trotzdem über jeden Frühlingstag freuen und abends ins Kino gehen …

So gesehen könnte ich von einem durchaus erfreulichen Leseerlebnis sprechen, wenn … nun ja, wenn auch das Niveau der sprachlichen Gestaltung ähnlich hoch wäre wie jenes des dramatischen Plots. Und das ist es für mein Gefühl leider nicht.
Es gelingt dir zwar wirklich eindrücklich, die Fakten zu vermitteln, großteils mittels direkter Rede, was ich auch gut finde, und dass diese Gespräche nicht unbedingt literarisch hochwertig klingen ist ja ganz natürlich und dazu hab ich auch kaum Anmerkungen gemacht. Aber der Text als Ganzes wirkt mir einfach ein bisschen zu ungeschliffen, wie eine Erstfassung irgendwie, der die notwendigen Nacharbeiten noch fehlen.

Ich zeig dir mal ein paar Sachen, die mir aufgefallen sind:

Sergej wartete ungeduldig darauf, dass die Passagiere des Fluges aus New York City durch die Tür kamen [kämen]

Doch nun war Roger da; strahlend schob er seinen Bauch durch die Menge und lief auf Sergej zu. *) „Hi Roger! Schön, dich zu sehen. Wie geht es dir?“
*) Hier braucht’s unbedingt einen Zeilenumbruch.

Roger war sehr ungeduldig, mit Sergej zu den neuen sibirischen Kratern zu fliegen; dafür war er schließlich gekommen. Sergej hatte seinen Freund von den USA nach Russland eingeladen, um Hilfe zu erhalten, oder Ratschläge, vielleicht auch nur Bestätigung für die Hypothesen, die er verfolgte. Er freute sich sehr, dass Roger gleich angesprungen war, nicht eine lange Prozedur mit Finanzierungsanträgen eingeleitet hatte, sondern einfach in die nächste Maschine nach Moskau gestiegen war. Wenn etwas so interessant war wie Sergejs Geschichte, dann war es ihm egal , ob die Flugkosten erstattet werden. [wurden oder würden]
Wenn du in sieben Zeilen das Hilfsverb war eh schon viermal für das PQP brauchst, solltest du es nicht zusätzlich auch im Präteritum verwenden. Noch dazu für diese einigermaßen fragwürdige Formulierung:
Roger war ungeduldig, zu fliegen.
Besser: Roger konnte es nicht erwarten, zu fliegen
Und statt: … dann war es ihm egal z.B. … interessierte es ihn nicht

Hingen diese Krater, die sich über ein Gebiet von über eintausend Kilometern verteilten, irgendwie zusammen?
Also dass Sergej, der ja immerhin Geophysiker ist, die Größe einer Fläche mit einem Längenmaß beschreibt, erscheint mir schon etwas eigenartig. (Weiter unten kommt das noch einmal vor.)
Besser: … die sich über (ein Gebiet von) zigtausende(n) Quadratkilometer(n) verteilten,

Roger ging schnell auf Tiefe, oben hatte er alles schon so sehen können. Nachdem er sich zwanzig Meter abgeseilt hatte, stoppte er und untersuchte die Kraterwand.
Den Satzteil kapier ich nicht.

„Sibirien ist groß“, meinte Sergej. „Die Menschen kennen es, dass etwas vom Himmel fällt. In der Weite, bei klarer Nacht, sieht man viel. Deshalb macht keiner eine Meldung.“
Auch wenn das wörtliche Rede ist, besser wäre: … sind es gewohnt,

Sehr oft schreibst du substantivierte Adjektive klein:

Auch dort – nichts ungewöhnliches.
Rogers Fähigkeit, ungeheuerliches zu denken
Das wesentliche ist ja nun klar.
dass etwas ganz besonderes bevorsteht.
das ist wohl das schwierigste

Tunguska war zweitausend Kilometer weiter im Süden, auch noch unter dem sibirischen Lavafeld, aber weit weg.
Äh, was heißt unter dem Lavafeld? Kapier ich nicht.
(Oder meinst du gar „unter“ im landläufigen Sinn von „südlich von“? So wie man halt nach Norwegen rauf und nach Italien runter fährt?)

Roger gab in Kürze durch, wo sie standen: dass es um Eruptionen aus großer Tiefe gehe, dass eine Blase von flüssigem Magma unter der Kruste lag, unter hohem Druck, die sich über eintausend Kilometer erstreckte.
Konj. I

Über einen Zeitraum von einigen Tausend [tausend] Jahren

Tja, wahrlich keine Frühlingssonntagslektüre, Set.
(Trotzdem solltest du an der stilistischen Ausformung noch etwas arbeiten.)


offshore

*) Für die Nicht-Ösis: Lercherlschas.

 

Hallo Setnemides,

also ich finde die Idee wirklich gut. Die Umsetzung ist Dir ganz gut gelungen, wenn es nicht ganz so wissenschaftlich wäre. An sich gefällt mir das gut, aber auf Grund der kurzen Geschichte soviel davon rein zu packen, ist schon ganz schön heftig. Somit ist sie dann, zumindest für mich, nicht sonderlich unterhaltsam. Für mich muss da mehr von den Charakteren kommen die in die Geschichte einfließen, Probleme, Konflikte mit anderen, eine interessante Wende ... etc.

Im ersten Teil liest man sehr häufig "war", war hier war da ... a bissl zuviel. Solche Sätze versuche ich auch zu vermeiden, schaffe ich nicht immer, und manchmal ist es mir auch egal. ... aber wie gesagt, ist mir aufgefallen.

Trotz des wissenschaftlichen Textes, liest er sich schon sehr flüssig. Habe was dazugelernt, ein Exkurs in Geophysik :D wusste nicht, dass man bei Wortkrieger.de auch solche Dinge lernt :teach:

Schöne Grüße
Farbklecks

 

Hallo ernst offshore,
da freue ich mich, dass Du durch den Text durchgekommen bist angesichts der sprachlichen Mängel. Alles für mich nachvollziehbar, leider auch nur das, denn wären sie vorvollziehbar, wären sie nicht drin. Ich werde mich an die Überarbeitung machen, aber werde auch eine gewisse Zeit dafür benötigen, einen gewissen Abstand vielleicht auch.
Es freut mich sehr, wie Du den Inhalt aufgenommen hast; ich bin einerseits selbst zu sehr vom Inhalt gefesselt, um da noch mit Verpackung weitere Spannungen reinzubringen, andererseits denke ich auch, dass die zurückhaltene Art der Interaktion und ein bisschen auch der Humor die Spannung steigern können. Bei anderen Geschichten ist es mir gelungen, völlig unabhängige Spannungsverläufe aus der menschlichen Interaktion der Kernhandlung gegenüber zu stellen und letztere damit zu stärken; das klappte hier irgendwie nicht. Es sind nur zwei Freunde, die sich hier treffen, und deren Beziehung sich nicht wesentlich ändert: sie sind nur gemeinsam mit der Entwicklung der fachlichen Ebene konfrontiert und versuchen, das beste daraus zu machen.- Geophysik hat wie die Astrophysik die Qualität, die menschliche Existenz zu relativieren, nur dass sie es noch drastischer und greifbarer tut - der Übergang eines Planeten von einem Klimazustand zum anderen ist zwar nichts gegen eine Supernova (steht dem Sonnensystem ja auch noch bevor), aber die Erde ist uns näher und die Betroffenheit fühlbarer. Friedel hat die Eifel erwähnt; die Gasexplosionen haben Krater mit zwanzig Kilometern Durchmesser erzeugt, und das in einer Zeit, als in diesem Raum schon moderne Homo sapiens lebten. Die Bibel berichtet davon, wie sich die Explosion des Vulkans von Santorin auf Ägypten ausgewirkt hat (sieben Plagen), heute fahren Kreuzfahrtschiffe in die Caldera. Die Erde hat viel Zeit, und das Gedächtnis der Menschen ist kurz.

Hallo Farbklecks,
zu den Möglichkeiten, die Geschichte unterhaltsam zu machen, habe ich schon ernst offshore geantwortet. Die Figuren sind nicht sehr weit ausgestaltet, soweit klar. Wegen der fehlenden Distanz zum Thema habe ich immer damit gerungen, die wissenschaftlichen Exkurse nur soweit zu kürzen und zu vereinfachen, dass sie nicht falsch werden - über die Grenze kann ich nicht gehen. Dadurch war es nicht einfach.

Danke und Grüße an Euch beide,

Set

 

“As soon as she had recovered her breath a little, she called
out to the White King, who was sitting sulkily among the ashes,
’Mind the volcano!’
’What volcano?’ said the King, looking up anxiously into the fire,
as if he thought that was the most likely place to find one.”

Carroll: Through the Looking-Glass and what Alice found there​


Ach, es füllt mich mit’n bissken Stolz, dass offshore in meine Rolle hineinwächst und zum Bewahrer des geheiligten Konjunktivs wird. Das beruhigt mich ungemein zwischen den apokalyptisch-realen Vorstellungen der Astro- und/oder der Geophysik. Aber da kann man sich nicht ins Schneckenhaus des wohlverdienten Ruhestandes begeben. In der Provinz Groningen hat die Erde übrigens das erste Mal gewackelt … Nun kommt die Frage des noch ahnungslosen Bürgers Eigentümer: Werden die Grundstückspreise sinken?, was man auf deutscher Seite inzwischen immer häufiger bei Ansiedlungen von Asylanten in der direkten Nachbarschaft hört. „Ich hab ja nix gegen die aber …"

Aber noch einige Trivialitäten:

Hier ist ein Leerzeichen zu setzen:

„Die Kinder machen sich gut, Aileen auch – auch ohne mich.[…]Schon okay.“
Hier das Komma zwischen wörtl. Rede und übergeordnetem Satz
„Wie geht es weiter?“[,] fragte Sergej.
„Ich weiß. Und sechstausend Meter mächtig. Aber 252 Millionen Jahre alt. Lange her. Du sagst doch, hier ist kein Vulkanismus. Keine Beben. Auch keine Mikrobeben?“[,] fragte Roger.

Ob Änderungen wie hier (alt)
Die Löcher umfassen ein Gebiet von über eintausend Kilometer, heißt das, dass das alles unter solch hohem Druck steht? Das geht doch nicht!“
zu (neu)
Die Löcher umfassen ein Gebiet , dass sich von West nach Ost über eintausend Kilometern erstreckt, heißt das, dass das alles unter solch hohem Druck steht? Das geht doch nicht!“,
also einer Erweiterung um die Himmelsrichtungen notwendig ist, weiß ich nicht – genauso wenig, wie die Frage, ob es sinnvoll sei, sie in den alten Zustand rück-zuversetzen, aber zwischen dem „Gebiet“ und dem Komma sollte die Leerstelle vermieden werden.

Ähnlich hier

„Wie weit?“ , fragte der Teamleiter,
wobei die Stelle anzeigt, dass die Regel mit dem Komma nach wörtl. Rede bei übergeordnetem Satz doch eigentlich eine gewisse Flüchtigkeit anzeigt …
„Mit welchen Untersuchungen fahren wir fort?“[,] fragte der Teamleiter.

Gelegentlich sollte die Höflichkeitsform gewählt werden, wie hier
„Kommen ie“, winkte sie der älteste von ihnen heran;
oder auch hier
Ich habe kein Problem damit, wenn ie zuhören.
und hier
„Ja, das können ie“, meinten beide.

Hier wärn's die auslaufenden Gnsefüßchen, die nachzutragen wären:

Putin lächelte: „Obama soll sich köstlich darüber amüsiert haben, dass ...t, nicht in der Nähe sein, nicht in Russland. [“]
Sergej nickte: „Ja, so ist es.“
Und auch hier allgemeiner
„Tja, das Geskype könnte mal aufhören. Ich muss bald mal nach Hause. Sonst erkennen mich meine Kinder gar nicht mehr.[“] Er nötigte sich ein Lächeln ab, setzte dann fort: [„I]ch muss zu meiner Familie. Morgen werde ich fliegen. Und du?“

So viel oder wenig für heute vom

Friedel,
dem das Thema gar nicht mehr aus dem Kopf will … und sich deshalb über die Forderung nach mehr Unterhaltung wundert. Sollte die Generation Titanic wieder fröhlich Urständ feiern?


Dennoch: Schönes Wochenende!

 

Danke, Friedel,
aus dem Schreiben bin ich wohl raus, falls ich je drin war, und was Ihr so findet, leistet Microsoft Office nicht, Pech aber auch. Wer fordert mehr Unterhaltung? Ich wundere mich immer über die Unterhaltung mit grausamen und apokalyptischen Inhalten, die frei erfunden immer während repetiert und variiert werden - Verbrechen hat die Tagesschau genug zu bieten, und auch apokalyptisches kann man sich reintun, ohne zur Fiktion zu greifen. Wenn das nicht reicht, gehe man in einen Outdoorladen, kaufe sich das nötige Equipment und klettere in so einen Krater hinab. Das Grauen wird schon kommen, authentischer als das von Spielberg und Polanski. Der Vorteil der Fiktion ist, dass man sie leicht beiseite legen und sich wieder beruhigen kann, aber eigentlich machen wir ja mit den Nachrichtensendungen das gleiche.
Die Medien sind voll von Überlegungen zu dem Problem, wie wir die Erde vor großen Meteoriten schützen können, mit Raketen, die Atomsprengköpfe tragen, alles im Sinne der Vorneverteidigung, die auch sonst unsere Problemlösungsstrategie ist, aktuell die Aktivität von Frontex gegen die Migration über das Mittelmeer. Dies entspricht der Strategie, die Bedrohungen auf die Außenwelt zu projizieren. Die Verneshot-Hypothese hat ja u.a. den Charme, dass sie sagt: die Bedrohung kommt aus dem Inneren; die Erde macht das alles selber. Dazu sagt sie noch: die Gewalt ist so groß, es gibt keine Lösung, und: dies ist die Lebendigkeit der Erde, die Evolution zu immer neuen Entwürfen zu stimulieren. Auch wenn das uns als Individuen nicht schmeckt.
Alles Gute, Set

 

... aus dem Schreiben bin ich wohl raus, falls ich je drin war, ...
nicht immer so pessimistisch,

lieber Set,

wem sollten wir sonst Ötzi und Verneshot hierorts verdanken? und wer hätte uns je über den ersten Börsenkrach erzählen sollen? Nee, bleib man schön beim gelegentlichen Schreiben ...

Halt die Ohren steif!,

Friedel

 

Ohne den Hinweis von Friedrichard zu der Tunguska-Geschichte von peeperkorn hätte ich diese Geschichte wohl kaum entdeckt.
Geophysik gehört zwar zu den Fächern, in die ich während des Studiums nicht reingeschnuppert habe, aber ich kann das Szenario und damit auch seine Dramatik gut nachvollziehen. Gerade der sachliche wissenschaftliche Stil unterstreicht für mich noch das Ausmaß der drohenden Katastrophe. Und schon haben wir ein recht plausibles 'Welt'untergangs-Szenario. Vielleicht wird das Wort Klimakatastrophe ja demnächst eine ganz andere Bedeutung bekommen.

Gerne gelesen

Jobär

 

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