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Show-down einer Küchenschabe
Show-down
einer Küchenschabe
Hallo! Ich bin Trash, die Küchenschabe. Viele Menschen nennen mich auch Kakerlake. Das gefällt mir nicht: Zu viele harte K’s in dem Wort. Küchenschabe ist weicher, macht sympathischer. Behutsam krabble ich in der eben bezogenen, mir noch völlig unbekannten Küche den Wänden entlang. Ich folge meinem Geruchssinn, vergleichbar mit der CPS-Autofahrerhilfe, nur sehr viel verlässlicher und bei uns Küchenschaben seit jeher ohne Aufpreis serienmässig eingebaut.
Fast renne ich gegen ein Paar schwarze High-Heels. Sie stehen unvermittelt in der Küche, neben einer Einkaufstasche. Mein CPS meldet mir: Da ist was Essbares drin. Ich kraxle die Tasche hoch, in dem Moment wird sie aber von der Frau, die in den Heels steckt, ergriffen und auf den Tisch befördert. Ich als Freikletterer, ohne Seil und Karabinerhaken, falle natürlich runter und lande geräuschvoll auf dem Boden, erst noch in Rückenlage.
Die gepflegte Dame nimmt mich unvermittelt ins Visier. Ich mach mir fasst in meinen Chitin-Panzer vor Schreck, zapple wie wild und die Frau stösst derweil einen Schrei aus, so schneidend wie das Pfeifen eines Zuges, schlägt sich die Hand vor den knallroten Mund und erstarrt augenblicklich. Ich zapple noch wilder.
Die Dame hat sich aber schnell wieder gefasst. Ihr Mund zieht sich nun zur Exekution entschlossen in die Breite. Sie hebt den einen Fuss. Ich sehe plötzlich frontal von unten einen der zauberhaften Heels. Die Sohle ist noch sehr hell - folglich neue Heels! Aber jetzt saust einer auf mich herunter. Schwer und gross wie ein abgebrochener Fels.
Ich hab’s noch einmal geschafft! Bin wieder auf den Beinen, hechte zur Seite, und ohrenbetäubend knallt der Schuh, nur Millimeter von mir entfernt, auf die weissen Fliesen des Küchenbodens.
Inzwischen habe ich mich unter einen Küchenschrank geflüchtet. Gucke hervor, noch immer am ganzen Körper zitternd. Die Dame hebt ihren Fuss leicht an und hofft mich darunter in platter Totenstille zu erblicken. Da ist aber nichts! Die Leere unter ihrem Schuh treibt der Frau die Blässe ins Gesicht. Sie schaut sich verzweifelt um, hebt die Einkaufstasche mit meinen Fressalien in die Höhe und schaut mit säuerlicher Miene darunter nach.
Nichts! Sie geht ein paar Schritte, rückt Stühle. Immer noch nichts! - Ich weiss, jetzt wird sie unter die Schränke schauen und irgendwann den Staubsauger holen. Meinem Magen melde ich via Grosshirn, er soll wegen besonderer Umstände vorerst den Heisshunger vergessen.
Ich zieh mich unter meinen Schrank zurück, ganz nach hinten, und krabble zwischen der Schrank- und Küchenwand hoch. Und richtig, ich hör schon den Staubsauger fauchen. Bald sehe ich auch unter mir das riesige Saugrohr. Ich habe mich vom Schock erholt und muss jetzt lachen.
In meiner befreienden Heiterkeit rieche ich auch gleich wo der Abfalleimer steht. Sein Platz in der Küchenkombination liegt nicht weit von meiner Position. Ich krabble zwischen den Wänden und entdecke einen Spalt in der Abdeckung der Kombination, schlüpfe hindurch und sitze gleich oben auf der Halterung, wo der Sack mit den Abfällen eingeklemmt ist. Unter dem Deckel durchzukriechen ist nicht weiter schwer. Nun sitze ich in dem Sack und fresse mich erstmal voll.
Der Staubsauger hat sich wieder schlafen gelegt und die Frau ist beruhigt, weil sie denkt, ich sei im Staubsack inzwischen am Ersticken. Lachend und wählerisch fress ich mich durch die organischen Abfälle und mache, befreit von allen Aengsten, ein erholsames Verdauungsschläfchen.
Früh am Morgen, ein neuer Tag beginnt. Die ganze, grosse Wohnung gehört mir allein. Ich bin durch den Spalt raus aus der Kombination und sitze wieder unter dem Küchenschrank, der mir das Leben gerettet hat.
Stille in der Wohnung. Vorsichtig wage ich mich heraus, auf das weite Feld der weissen Fliesen. Ich lege einen Formel-Eins-Start hin und erreiche, ausser Atem, das helle Parkett im Vestibül. Da schaue ich mich um, entdecke einen Schuhkasten mit Klapptürchen, keine Probleme beim Reinklettern.
Drinnen stosse ich auf eine ganze Versammlung eleganter, hochhackiger Damenschuhe, mindestens zwei Dutzend Paare. Da sind Pumps in den unterschiedlichsten Farben, Sandaletten, Pantoletten, Plateaus, Slippers, Stiefel und auch die entzückenden Schwarzen mit den vielen Riemchen, stehen da, die mir so schrecklich nach dem Leben getrachtet haben. Wenn die schöne Dame nicht drin steckt, ist die ganze Schuhversammlung ja völlig harmlos. Kein einziges Paar hat persönlich etwas gegen mich. Ich krabble auf allen herum. Herrlich, wie der Besuch auf einem Schlachtfeld, wo alle Soldaten und Waffen eingefroren sind.
Das fasziniert mich ungemein. Ich klettere vergnügt auf den vielen eleganten Tretern herum. Ich kann nach Lust und Laune in sie hineinschlüpfen, mich herausfordernd unter ihre Sohlen legen, sie verspotten und sie sogar anpinkeln (was ich gleich mehrfach tue). Sie rühren sich nicht, ignorieren mich. Die Dinger sind wunderschön aber völlig hirnlos, haben keinen Willen, sind nur seelenlose Befehlsempfänger.
Ich bin wieder zurück; an meinem sicheren Platz hinter der Küchenkombination und höre ein seltsames, aufreizendes Klacken. Vorsichtig krabble ich zum Ausguck unter dem Küchenschrank. Rote Heels mit breiter, schlichter Lederschlaufe vorn und Fesselriemchen hinten gehen auf und ab. Kaffe- und Toastgeruch steigen mir in die Nase. Diese Schuhe habe ich im Schrank auch gesehen. Bin sogar unter ihre dünne Sohle gekrochen, wollte mal fühlen, wie es im aller letzten Moment ist, bevor man damit tot getrampelt wird. Eine schöne Versuchung, wenn der tödliche Wille, der Fuss der Frau und ihr Gewicht, in
dem Schuh fehlen.
Jetzt haben sich die zauberhaften roten Heels parallel zueinander gestellt, nicht mehr leer und harmlos wie im Schuhschrank, sondern bewohnt von einem Paar sonnengebräunter, nackter Füsse mit hohem Spann. Ich vermute, dass sich die Frau hingesetzt hat. Richtig, sie frühstückt. Ich sehe kleine Krümelchen Toastbrot auf den Boden fallen.
Aus den Heels schauen schlanke Zehen hervor mit flammend rot lackierten Nägeln. Eine extrem gefährliche Erscheinung für eine kleine Küchenschabe, aber aus meiner sicheren Warte auch Faszination pur. Trippel-Trappel, klack-klack... sing mir das Lied vom Tod... Ich suche wie im Rausch die Herausforderung: High-Noon mit High-Heels! Auch eine Küchenschabe, vorausgesetzt sie ist gut genährt, hat Fantasien, aufregende und gefährliche Fantasien.
Ich, Trash die Küchenschabe, muss es einfach darauf ankommen lassen: Ueberliste ich die Frau oder macht sie mich unter ihren Heels erbarmungslos platt. Ich ziehe mich durch eine Spalte in den Schrank zurück und gefalle mir in der Rolle des grossen Heel-Dompteurs.
Während ich mir die Spielchen, die ich mit der Schönen treiben will, ausmale, öffnet sich plötzlich die Schranktüre. Damit habe ich nicht gerechnet. Ich mache mir wieder fast in den Panzer vor Schreck, obwohl ich zuhinterst auf dem Schrankbrett, in der dunkelsten Ecke sitze. Die Frau geht in die Knie, das spüre ich. Jetzt taucht ihr Gesicht auf; ihr Atem. Er riecht angenehm nach
Pfefferminze. Augen schwarz wie Lava: Ein Kartengruss von den Azoren. Die auffackelnde Iris verrät ein ungezügeltes Temperament. Die vollen, dunkelroten, Lippen treten entschlossen hervor, darunter spannt sich ein weiches, ovales Kinn. Unter den hohen Backenknochen liegen feine Schatten. Lange, natürliche Wimpern mit schwarz-seidenem Glanz und dichte Brauen wirken auf mich verspielt, mädchenhaft. Und diese hohe, runde Stirn: Können sich dahinter Mordgelüste einnisten? Die schwarzen, dichten Haare, die offen auf die breiten Schultern fallen, sagen mir: Die Lady ist unberechenbar! Ich will! ich muss sie herausfordern!
Eben zur Gegnerin auf Leben und Tod (letzteres gilt natürlich nur für mich) erklärt, nimmt sie mit schlanken Fingern und langen, roten Nägeln die Zuckerdose aus dem Schrank und schliesst die Türe wieder. Ich drehe mich auf den Rücken, schwinge mich durch heftiges Zappeln wieder auf die Beine, hechte auf dem Schrankbrett herum, mache mehrmals meine Formel-Eins-Starts und weiss: Ich bin fit, die Nummer kann los gehen!
Jetzt verlasse ich den Schrank, krabble mutig darunter hervor und traue mich in die Nähe der roten Heels. Ich bin entschlossen, sie zu reizen bis zur Weissglut. Sie werden mir nichts anhaben können. Ich bin einfach schneller, gewiefter. Während ich mich noch mental aufbaue, steht die Frau auf, setzt einen Heel knapp
neben mir auf den Boden. Obwohl das überraschend kommt, mache ich mir nicht mehr fast in den Panzer.
Die Lady hat mich auch nicht bemerkt. Sie verlässt die Küche. Ich mache mich hinter die Krümelchen vom Toastbrot, von denen einige unter dem zurückgeschobenen Stuhl liegen. Die Frau kommt wieder herein. Die Zehen, die aus den Heels schauen, ahnen noch nichts von der Jagd, die wohl gleich angeblasen wird. Ich verdrücke noch ein paar Krümelchen; das gibt Kraft.
Jetzt schiebt die Schöne den Stuhl beiseite, ich glaube, dass ist der Anpfiff für das grosse Spiel. Ja, richtig, sie hat mich bemerkt. Ich schaue zu ihr auf und sie zu mir herunter. Irgendwo auf der langen Reise treffen sich unsere Blicke. Kein Aufschrei, wie beim ersten Rendezvous. Aber die Hand der Lady fährt wieder zu ihrem roten Mund. Trotz grosser Entfernung bemerke ich, dass sie die Augen weit aufreisst. Ich glaube, sie ekelt sich unsäglich vor mir. Das ist gut, das steigert ihren Killerwillen.
Ich steh jetzt im Kolosseum und die Kaffeemühle auf dem Küchenbord vis-à-vis ist der grosse kampfverwöhnte Cäsar, der gleich einen Gladiatoren erleben wird, wie er noch keinen gesehen hat. Die Lady hebt ihren Heel. Mit jeder Faser ihres Körpers entschlossen, mich mit kräftigem Tritt platt zu machen. Wie ein blutroter Titanendolch saust der Heel auch gleich auf mich herab. Aber ich bin schon weg, unter dem Küchenschrank und die Kombinationswand rauf... Hahahaha... schöne Lady, meine Formel-Eins-Starts sind unübertroffen!
Vorsichtig gehe ich zur unteren Kante und schaue hervor. Die Heels gehen geräuschvoll auf und ab. Die roten Zehen zittern wie zurückgehaltene Jagdhunde. Ein paar Mal stampfen die Heels die weissen Fliesen, als wollten sie ihre Wut an ihnen auslassen. Oder vielleicht denkt die Lady, ich würde vor lauter Schreck aus meinem Versteck kommen und einen raschen Tod unter ihren Heels suchen. Da kann ich nur lachen. Küchenschaben können verdammt giftig lachen.
Die Heels bleiben jetzt stehen. Zwei riesige Kampfmaschinen, zu allem entschlossen um eine kleine Küchenschabe platt zu machen. Diese kraftvolle Streitmacht, kommandiert von einem kühlen Kopf, weit oben, wartet in knisternder Spannung auf den unsichtbaren Feind, auf mich.
Die Lady, dieser weibliche Goliath, glaubt, wenn alles ruhig sei, komme der eklige, kleine David hervor und dann könne sie ihn mit einer Blitzattacke erledigen.
Ich kann warten. Die Lady anscheinend nicht. Sie entfernt sich vom Schrank. Ich kann sie nicht mehr sehen. Wahrscheinlich hat sie die Küche verlassen, den Kampf abgebrochen...
Ich krabble vorsichtig unter dem Schrank hervor, schaue in alle Richtungen: keine Heels weit und breit. Ich mache mich auf den Weg unter den Stuhl und will die Lady nochmals ins Leere treten lassen, wie vorher.
Da, plötzlich, ein Schatten über mir. Ich schaue nach oben. Ein riesiges Tuch fällt in rasender Geschwindigkeit auf mich herab. Formel-Eins-Start: Aber das Tuch ist zu gross. Es hat mich im vollen Spurt erwischt. Ich liege darunter und erst noch auf dem Rücken. Verdammt, das ist das Ende! Trash, du wirst jetzt zum Plattmann.
Ich rieche durch das grob gewobene Tuch, wohl ein grässlicher Bodenlappen, den Heel, der mir gleich den Garaus machen wird.
Es schmeckt irgendwie nach Lavendel. Vielleicht ist das schon meine Grabbepflanzung.
Jetzt sehe ich durch den Lappen die Sohle; braun-schwarz gesprenkelt. Sie senkt sich genau auf mich herab, nicht sehr schnell, aber entschlossen.
Nun spüre ich die Sohle auf meinem ganzen Körper. Ich wünsche mich so sehr in den Schuhschrank zurück, wo ich schon mal unter dieser Sohle lag, um mal ein bisschen zu spüren, wie es ist, wenn man zertrampelt wird.
Jetzt ist aber der Fuss der Schönen in dem Heel. Das hat die Sache gewaltig geändert. Ich werde bis zum bitteren Ende erleben müssen, wie es wirklich ist, wenn man zertrampelt wird.
Ganz schwach kann ich durch den Lappen den riesigen Körper der Frau wahrnehmen, der zu dem Heel gehört. Ich werde sachte hin und her geschoben.
Ich glaube, die Lady spürt und geniesst mich unter der dünnen Sohle ihres Schuhs. Sie drückt ein bisschen fester. Mir beginnt die Luft weg zu bleiben. Noch immer werde ich unter dem Heel und dem Lappen hin und her bewegt.
Ich glaube, ich sehe Cäsar, die Kaffemühle, hämisch grinsen.
Der Schuh wird ganz leicht angehoben; ich schnappe nach Luft und ...
explodiere, mein Panzer zerreisst in tausend Stücke.
Die Lady hat mich mit einem kräftigen Tritt exekutiert und tritt wieder und wieder auf mich ein.
Sie hat den Lappen unter beide Heels genommen und trampelt wie wild darauf herum.
Während mein Geist den platten Körper verlässt, sehe ich das alles aus immer weiterer Entfernung, auf meiner langen Reise in den Himmel der Küchenschaben.
Sie ist unheimlich schön als meine Killerin. Ich bin
mit ihr versöhnt...