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Shit
In dem Moment, in dem ich die Tür öffne, schauen mich alle mit verwundertem Blick an. Eine halbe Stunde zu spät, immer noch betrunken. Es ist der Donnerstag, halb neun Morgens und der mit Abstand heimtückischste Lehrer, der gesamten Schule meint, mich ins Klassenbuch eintragen zu müssen. »Warum so spät«, fragt er in höhnischem Tonfall und verzieht dabei seine Visage so, dass man seine fehlenden Zähne zählen kann. Vier. Links und rechts, neben seinen spitzen, Nager ähnlichen Frontzähnen, befindet sich eine große Lücke, durch die er im Sekundentakt seine unendlich lange Zunge durchstößt. Vergleichbares findet man nur auf einem Kiss-Konzert oder bei einer Königskobra, deren Anblick aber noch lange nicht so pulsierend ist.
Ich erwidere, dass er die nackte Wahrheit kaum hören wolle, also solle er einfach als Grund »Verschlafen« aufschreiben.
Sein Gesicht wird ernster und sein Grinsen, sein böses, verabscheuungswürdiges Grinsen, verrät mir, dass er die Chance zu glauben sieht, mich vor der Klasse bloß stellen zu können. »Bitte erläutere uns doch die wirklichen Umstände für deine Verspätung«, meint er herrisch, kaut mit seinen übrig gebliebenen Beißern auf seinen dürren Fingern herum und leckt unter den kilometerlangen Nagel seines Zeigefingers, mit dem er sonst so gerne über die Tafel quietscht, wenn er Schüler dabei erwischt, wie sie mit ihrem Handy spielen.
Gut, er hat es ja nicht anders gewollt. Ich trete vor die Klasse, setze mich mit dem Rücken zu ihm auf das Pult und beginne. Bei der Vorstellung daran, dass er direkt in meinem Rücken sitzt, drehe ich mich vorsichtshalber noch einmal um, bevor er versuche mich zu packen und in seine triefende Nase zu ziehen, wie den riesigen Berg Schnupftabak, den er in jeder Pause quer über das Pult streut und seinen Geruchssinn darin badet, aber er mustert mich nur zynisch mit seinen angeschwollenen Glubschern, die unter seiner buschigen Eugene Levy-Augenbrauen dennoch klein erscheinen.
Ich erzähle ihnen die komplette Story, ohne Lücken. Jedenfalls an all das, an was ich mich noch zu erinnern vermag.
»Okay, heute Morgen, um acht, also genau vor einer halben Stunde«, beginne ich und werfe spaßig einen Blick auf die nicht vorhandene Armbanduhr an meinem Handgelenk, »wurde ich im Bett meiner Ex, mit dem wohl krassesten Blackout, den ich je hatte wach.«
Ich muss aufstehen. Nicht, weil hinter mir diese Gestalt droht, mich bei günstiger Gelegenheit zu zerfetzen, sondern um meiner Geschichte mehr ausdruck zu verleihen.
»Auf dem Boden verteilt, lagen meine ganzen Klamotten, nur meine Schuhe hatte ich an, von meiner Ex keine Spur. Zum Glück ...«
»Ich griff nach meinen Kippen, zündete mir eine an und versuchte den Abend zuvor, Revue passieren zu lassen. Keine Chance.«
Ich schlage mir mit der Hand ins Gesicht und zücke wieder eine Zigarette. Einige Schüler lachen so, als würden sie denken, ich würde es eh nicht wagen, mir jetzt eine anzustecken, aber nach einem kurzen Blick neben mich, weiß ich bescheid. Die lange Figur, die da so bucklig am Pult einen Tadel schreibt, ist nicht mehr in der Lage, mich zu stoppen. Wütend sitzt er da, zittert. Ist der Sache nicht mehr gewachsen und tätigt einen Anruf bei der Schulleitung.
»Bei der Hälfte der Kippe verschluckte ich mich, als der widerlicher Gedanke, durch meinen Kopf geisterte. Nämlich der, wie mich die Fresse ihres Alten anstarrte, als er uns beim ersten Mal erwischte. Vom vielen Alkohol, den ich mit Sicherheit letzte Nacht getrunken hatte, sonst wäre ich wohl nicht dort wach geworden, musste ich kotzen.«
Ich mache eine kleine Pause, ziehe an meiner Kippe und entdecke Max, dessen Augen vor Lachen tränen. Die der anwesenden Mädels tränen vom angestauten Qualm, den ich ihnen immer wieder in die Fresse puste. Unglaubwürdig gaffen sie, während die Jungs in der letzen Reihe ebenfalls eine dampfen.
»Also bin ich aufs Klo gerannt, vermerkte mir, dass Verschlucken bei übermäßigem Alkoholkonsum in der Regel zum Kotzen führt und schwang mich über die Schüssel.«
Die dicke Julia in der ersten Reihe glotzt an die Decke, hält sich die Ohren zu und versucht bestimmt an etwas Schönes zu denken. Fick dich, denke ich mir und springe auf ihren Tisch. Erschrocken fällt ihr Blick in meinen Schritt, der prall vor ihr herum baumelt.
»Schau auf meine Schuhe! Siehst du das?! Das sind noch ein paar Brocken«, schreie ich ihr ins Gesicht. »Ja, Julia, ich musste kotzen, verstehst Du K O T Z E N. Kennst du nicht, oder? Kein Wunder, hättest du früher lieber mal öfter gekotzt, dann wärst du heute kein so Pummelchen.«
Meine Worte treffen genau ins Schwarze. Genau wie ihre Faust, die sie mir im günstigen Moment der Schwäche in meine Eier rammt. Nach hinten taumelnd, falle ich vom Tisch und knalle mit dem Kopf auf den Boden. Dann geht die Tür auf, die die Direktorin und deren Stellvertreter offenbart. Lachend blicke ich ins helle Licht. Die grelle Lampe an der Decke macht mich benommen. Ich fasse an meinen Hinterkopf, während die Lehrer mich verwundert beäugen. Keine der drei Autoritätspersonen kann ein Wort für die Geschehnisse finden, sitzt oder steht stillschweigend da und beobachtet.
Ein wenig Blut an meinen Fingerspitzen, aber ich rappele mich auf.
»Julia! Dafür wirst du die ganze Geschichte hören.«
»Als ich so da hing und den weißen Fluss aus Magensäure und Weißwein beobachtete, verspürte ich den Drang, meinen Morgenschiss zu absolvieren. Ich war mir erst unsicher, ob ich unbedacht scheißen konnte, ohne mich wieder übergeben zu müssen, aber es klappte.«
»Ja Julia und ihr alle anderen, die sich heute hier eingefunden haben, es klappte! Ich hab gekotzt, den restlichen Inhalt meines Darms entleert, mir meinen haarigen, aber trotzdem schönen Arsch abgewischt und war NICHT duschen, weil dort eine fette, hässliche Hausspinne saß, die sich nicht einmal mit heißem Wasser den Abfluss runterspülen ließ.«
»Und dann, bin ich sofort hier her geeilt, durfte bluten. Zu meinem und auch sicherlich zu ihrem Bedauern, ohne die heutigen Hausaufgaben. Wenn ich ehrlich sein soll, war ich zuerst im falschen Saal, die Schüler, die dort saßen, schauten mich aber genau so verstört an, wie ihr jetzt.«