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Shibari
Es war kurz nach drei am Nachmittag, als ich früher als geplant im Hotel ankam. Das Meeting sollte erst morgen stattfinden und somit beschloss ich noch eine kleine Runde durch die unbekannte Stadt zu machen. Den Mercedes hatte ich in der Tiefgarage geparkt und spontan fuhr ich mit dem Bus, was ich Jahre, vielleicht Jahrzehnte, nicht mehr getan hatte. An der Haltestelle stieg ich in Richtung Zentrum ein. In dem vollen Getümmel fand ich keinen Sitzplatz und verbrachte die Zeit stehend, mich krampfhaft festhaltend, um nicht in dem Geschaukel den Halt zu verlieren. Als ich meinte in der Innenstadt zu sein, stieg ich aus, um diesem Mief von dicht gedrängten Menschen endlich zu entkommen.
Die von mir fälschlicherweise erkannte Einkaufsstraße war mehr eine kleine Anhäufung von Geschäften, die schon nach mehreren Metern in ein Viertel von Mietshäusern führte. Ich drehte mich um, versuchte ein Taxi oder ähnliches zu finden, als ich das große Schild einer Ausstellung sah:
Japanische erotische Fesselkunst
Erst wollte ich die großen Letter ignorieren, doch ich stutzte. Den ersten Begriff kannte ich nicht, jedoch klang der Zusatz interessant. Allerdings muss ich zugeben, dass ich keinerlei Erfahrung mit Fesselungen hatte und ich es mehr als Tortur als eine Kunst ansah. Ich hatte nichts Besonderes in der Stadt geplant, es war kein Taxi zu sehen und ich hatte kein Bedürfnis den nächsten Bus zu nehmen. Also ging ich in Richtung des Einganges und als ich in der Lobby die Plakate überflog, überzeugte mich einer der Schriftzüge: Shibari soll die Schönheit des weiblichen Körpers unterstreichen. Eine Fantasie von gebundenen Frauen, die durch den Verlust einer Freiheit in eine sinnliche Ekstase verfielen, regte meine Gedanken an. So bezahlte ich den übertriebenen Eintritt und hoffte, dass es sich lohnen würde.
In den großen Räumen befanden sich Fotos, Bilder und Skulpturen. Die Darstellungen waren fremdartig und zugleich aufreizend. Ohne länger an einem Kunstwerk stehen zu bleiben, spazierte ich durch die Ausstellung. Dabei nahm ich gemalte, geformte und abgelichtete Frauen wahr, überwiegend Japanerinnen, die gefesselt waren. Die Szenen waren nicht abstoßend, nur fiel es mir schwer mich in die Situationen hinein zu versetzen. Irgendwann verweilte ich vor einem Bild einer knienden, kaum bekleideten Frau, die von einem Mann mit dicken Seilen fest gebunden worden war. Die gezeigte Demut und ihre Ausstrahlung empfand ich als unerwartet. Es schien gestellt zu sein und überzeugte mich nicht. Die Schönheit dieser Frau verlor sich in einer Leidenschaftslosigkeit.
Noch in dem Bild vertieft, nahm ich eine weibliche Stimme wahr: „Hallo, ich bin Gabriele. Darf ich fragen, ob Ihnen das Bild gefällt?“ Als ich mich umdrehte, stand neben mir eine Schönheit mit dunklen Haaren, tief braunen Augen und auffallend roten Lippen, die sich zu einem Lächeln formten. Ich ordnete sie als Kunststudentin im höheren Semester ein, die sich als Ausstellungsbetreuerin etwas Geld dazu verdiente und antwortete: „Ich verstehe nicht viel von Kunst und bin eigentlich nur hier, um mir die Zeit zu vertreiben.“
„Die Samurai entwickelten Shibari, um ihre Gefangenen zu foltern. Die meisten Techniken sind bis heute noch geheim und nur ein kleiner Teil wurde überliefert. In diesem Bild können Sie erkennen, dass die heutige Umsetzung das Schöne einer Frau hervorheben will“, erklärte mir Gabriele teils sachlich und doch mit einem gewissen Engagement.
Selbst mit dieser Information wollte sich mir diese Andersartigkeit nicht erschließen, dennoch nickte ich und schaute sie irritiert an. Ein leises, sympathisches Lachen war von Gabriele zu hören. Sie trat ein Schritt näher an mich heran: „Wir haben hier die Möglichkeit, dass ich es Ihnen demonstrieren kann, vielleicht verstehen Sie es anschließend besser?“
Verwundert hob ich die Augenbrauen. Ich hatte nicht die geringste Vorstellung von dem, was damit gemeint sein könnte. Erst wollte ich ablehnen, dann dachte ich mir, was sollte schon passieren und antwortete: „Gerne.“
„Dann folgen Sie mir bitte in unseren eigens dafür eingerichteten Raum“, sagte sie, als sie auf eine Tür am Ende der Galerie zuging. Ich folgte und nach ein paar Schritten konnte ich das Schild neben dem Eingang lesen:
(Entkleiden ist nicht gestattet!)
Gabriele hielt mir die Tür auf und schaute dabei auf ihre Armbanduhr, was ich in diesem Augenblick ignorierte. Der Raum war verdunkelt und ich konnte getuschelte Laute genauso wie lebhaftes Lachen und mögliches leises Stöhnen hören. Ich stand im Rahmen der Tür und zweifelte, ob ich mich auf Derartiges einlassen sollte, als sie meine Hand nahm und mich ohne Worte hineinführte.
Als sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte ich kreisförmig angeordnete Kabinen erkennen, die mit schweren Vorhängen zum Teil verschlossen waren. Meine Begleitung zog einen halboffenen Stoff zur Seite und stellte sich vor eine Wand, bevor sie mir zuwinkte: „Schließen Sie den Vorhang, wenn Sie hereinkommen. Bitte.“
Seitlich sah ich ein Plakat, welches verschiedene Fesselungstechniken zeigte, daneben hing eine Vielzahl von Seilen. Unbewusst strich ich mit einer Hand darüber, zu meiner Überraschung fühlten sie die Stricke aus Jute und Hanf weich und geschmeidig an. Ohne mir Gedanken darüber zu machen, griff ich eines und hielt es ohne weitere Bewegung in meiner Hand. Als ich Gabrieles Stimme hörte: „Versuchen Sie mich als Kunst zu fesseln, schaffen sie etwas Ästhetisches.“ Dabei hob sie beide Arme mit den Händen übereinander gekreuzt nach vorne.
Mit einem Ende in der Hand ging ich langsam auf sie zu, als sie die Hände nach unten nahm: „Einen Moment noch, sonst kann ich es später nicht mehr.“ Sie zog die Bluse aus dem Rock und hackte rücklings greifend den Verschluss ihres Büstenhalters auf. Schließlich öffnete sie zwei Knöpfe ihrer Bluse, sodass ich die Ansätze ihrer Brust erkennen konnte und zog die Träger unter dem Stoff nach unten. Um dann das schöne Stück aus einem ihrer Ärmel zu ziehen, welches sie ohne besondere Rücksicht auf den Boden fallen ließ. Ich schaute nach unten, sah die feinen roten Spitzen, die mehr als reizvoll an ihrem Körper zu sehen gewesen wären, als sie die Arme wieder vor sich streckte.
Es war schon erregend, wie Gabriele mit einer scheinbaren Hingabe vor mir stand. Ihre Brüste schimmerten durch den Stoff und das mit Pagenschnitt umrahmte Gesicht war für mich schwer zu deuten. In meinem Kopf kreiste die Frage, ob sie wirklich etwas sexuell Aufregendes empfand oder dies nur ein eingeübtes Spiel sei. Schließlich ignorierte ich das Durcheinander in meinem Kopf und fing an, einige Schlaufen um ihre Handgelenke zu legen. Meine Aufregung machte sich in dem Zittern meiner Hände bemerkbar, sodass ich für den Knoten das Seil nicht durch die gedachte Schlaufe brachte. Ich löste die Verstrickung und fing von vorne an und diesmal schaffte ich eine bessere Variante und zog den Knoten zu. Unwissend, ob ich es richtig machte, schaute ich auf und sah Gabriele an.
„Das Fesseln soll für beide Beteiligten als Entspannung für Körper und Geist dienen“, sagte sie als Reaktion auf mein fragendes Gesicht.
„Entspannung?“, äußerte ich spontan. Es war mir in diesem Moment unbegreiflich, wie ich relaxen sollte. Ich war nervös und kam ich mir unbeholfen vor. Meine Empfindung war eher, dass ich ein Perversling war. Ich hatte nur das Bedürfnis das Ganze abzubrechen und mit schnellen Schritten diesen Ort zu verlassen. Mein Blick starrte ins Leere, ich hörte seltsame Worte und Geräusche aus den anderen Kabinen, alles schien für mich unbekannt, unbegreiflich zu sein. Mit naiver Neugier hatte ich mich auf etwas eingelassen, was meinen Horizont um ein Vielfaches überstieg. Im Vergleich dazu war die Fahrt im Bus eine angenehme Qual gewesen.
„Bleiben Sie ruhig“, hörte ich die leise Stimme von Gabriele: „Sie sollen mir nicht wehtun, körperliche und geistige Schmerzen sollen beim Shibari vermieden werden. Ich werde es Ihnen sagen, wenn Sie eine Grenze überschreiten.“ Sie machte eine kurze Pause, in der ich durchatmete: „Binden Sie meinen Körper, legen Sie die Seile über meine Brust und nehmen Sie sich Zeit, um es zu genießen.“ Mit ihren gebundenen Händen nahm Gabriele ein weiteres langes Seil und hielt es vor mich.
Ohne es zu wollen malte ich mir in meiner Vorstellung ein Bild von Gabriele in sinnlicher, hingebungsvoller Erregung aus. In diesem Rausch gefangen nahm ich das Seil, worauf sie sich gegen die Wand lehnte. Mit leicht gespreizten Beinen zeigte sie sich mir mit vorgeschobenem Unterkörper, hob dabei die gefesselten Hände über ihren Kopf und schloss die Augen. Ihre gespielte Hingabe war ein Traum. Mein Atem wurde ruhiger, wenn auch meine Aufgewühltheit sich in einem Schub von leichter Ekstase als kleiner in mir wirbelnder Sturm aufbäumte. In diesem Moment sah ich mir das Plakat mit Fesselungen an. Wie angezeigt legte ich die Schlinge erst über ihren Bauch, dann über den Rücken führend wieder nach vorne, dabei versuchte ich Gabriele nicht zu berühren. Dies wiederholte ich noch zweimal, um dann das Seil straffer unter ihrem Busen festzuziehen. Gabriele stöhnte kurz auf, ließ die Augen geschlossen, was mir zeigte, dass ich die Grenze nicht überschritten hatte. Langsam kam in mir ein angenehmes Gefühl auf. Zum einen war es erregend die Kontrolle über ihren Körper zu haben, zum anderen mimte ich mich als Künstler, dem es erlaubt war, derartiges zu tun.
Nochmals schaute ich auf die Anleitung, doch ich konnte das Gezeigte nicht genau verstehen. Es war wie eine Anleitung des schwedischen Möbelhauses, bei dem ich ständig den Eindruck hatte, es wären wichtige Details vergessen worden. Also legte ich meine Hand auf ihre Brust, wartete auf eine verneinende Reaktion von ihr. Als diese nicht folgte, umklammerte ich ihre füllige und gleichzeitig sich zart anfühlende Brust. Mit der anderen Hand versuchte ich eine Schlaufe um diese zu legen, doch rutschte das Seil ab und so packte ich fester zu. Ich musste das Seil stramm darum binden, damit es nicht entwischen konnte. Gabriele ließ es geschehen und letztendlich schaffte ich, dass ein Teil ihrer Fülle stramm nach vorne stand. Obwohl ich sie begrabschte hatte sich meine Erregung gelegt, ich hatte mich derart auf die Bindetechnik konzentrieren müssen, dass sich das Erotische verlor. Etwas routinierter nahm ich die zweite Brust in Angriff, aber noch immer mit voller Achtsamkeit auf die notwendige Technik. Zu guter Letzt band ich das Ende noch über ihren Rücken und verknotet es auf einer Seite. Ich betrachtete mein Kunstwerk und in diesem Augenblick war es mir peinlich. Das Ganze ähnelte eher einem dilettantischen Geschnürtem, als ob ich einen Sack ungeschickt gebunden hatte. Durch mein arges Tun war es mir gelungen, die Schönheit von Gabriele in eine alberne Darstellung zu verwandeln. Die Situation und meine eigene Person hatten an Lächerlichkeit gewonnen.
Einige Sekunden später machte sie die Augen auf und ihr Blick war sachlich: „Ich denke, diese Art der erotischen Kunst ist nichts für Sie. Wir sollten es beenden.“
„Ich werde Sie losbinden, bevor ich noch schlimmeres anrichte.“
Sie nahm die Hände herunter und ich löste den Knoten an ihren Handgelenken. Das Auftröseln der Seile um ihren Busen überließ ich ihr selbst, um weiteres Befummeln meinerseits tunlichst zu vermeiden. Mit diesem Anblick und ihrer Nähe beschimpfte ich mich ohne lautgesagte Worte, dass ich wohl einer der größten Trottel sei. Doch es war beendet und so schaute ich ihr zu, wie sie die zerknitterte Bluse in den Rock steckte und ihren Büstenhalter vom Boden aufhob, den sie nicht anzog, sondern in der Hand behielt.
„Darf ich Sie nach draußen führen?“ Mit dieser Frage ging sie zu den Haken und hing die beiden Seile an die vorgesehene Stelle.
Als wir wieder im Ausstellungssaal standen, hoffte ich auf weiteres und sah sie fragend an. Gabriele schaute auf ihre Uhr: „Es waren 18 Minuten, also sagen wir eine Viertelstunde, das macht dann 125 Euro.“
Im ersten Moment war ich sprachlos und es folgte eine innerliche Empörung. Ich war überrumpelt worden. In meinen Überlegungen wollte ich mich beschweren. Die Leute um mich herum über diese Irreführung lautstark, wenn nicht sogar brüllend, in Kenntnis setzen. Doch ich tat nichts. In der gezeigten Kunst ließ sich die Demut erkennen und in diesem Moment war ich es, der von seiner eigenen Dummheit gedemütigt wurde. Also nahm ich meinen Geldbeutel und gab ihr die besagte Summe. Gabriele nahm die Scheine, wendete sich von mir ab und ging ohne Verabschiedung in einen der anderen Räume.
So stand ich allein in der großen Halle. Umgeben von einer Kunst, die mir in ihrer Eigenartigkeit überzeugend dargestellt wurde und einer Vielzahl von Menschen, die mich nicht beachteten. Es fühlte sich nicht gut an, vielleicht hätte ich Gabriele nicht das Geld geben sollen und mich auf eine Diskussion einlassen sollen, schließlich wurde die Dienstleistung vorher nicht vereinbart. Die Sache war vorbei und ich wollte nur noch ins Hotel zurück.
Die Rückfahrt in dem überfüllten Bus nahm ich nur beiläufig wahr. Ständig fragte ich mich, ob diese Erfahrung das Geld wert gewesen war. Ich wusste es nicht, ich brauchte Zeit das Geschehene als passierte Wirklichkeit aufzunehmen. Doch eines war für mich zumindest sicher: Es war die bisher teuerste Ausstellung, die ich je besucht habe.