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Shapeless
«Hey Ben! Dein jährlicher Besuch steht ja nun bald schon wieder vor der Tür. Die Zeit vergeht wie im Flug, was?! Nun, ich schreibe dir diesen Brief, weil ich dich bitten möchte, schon auf Ferienanfang hierher zu kommen. Ich habe nämlich eine seltsame Entdeckung gemacht, die ich dir unbedingt zeigen möchte. Ich werde jetzt nicht zu viel verraten aber ich versichere dir, dass dich etwas Ungewöhnliches erwartet. Sei gespannt! Ausserdem ist es hier, wie du weisst ziemlich einsam und ich geniesse es immer sehr, wenn du kommst. Grüss deine Mama von mir, und sag Ihr, sie darf sich gerne auch wieder einmal bei mir melden. Ich weiss, sie ist pausenlos beschäftigt aber ein Anruf ab und zu schadet ja nicht. Im Umschlag findest du Geld für die Anreise, plus etwas Extra. Ich weiss doch, dass du diese Videspiele magst. Wie sagt man noch gleich? Shooter?. Jedenfalls freue ich mich auf dich, mein Schatz. Bis bald! Alles Liebe, Fiona.»
Leise begann der Motor des Busses zu rattern, der mich zu meiner Tante bringen würde, die allein in Nord-Kanada, in den Wäldern lebt. Ihr Haus steht abgeschieden, auf einem grossen, von Wiesen bedecktem Hügel, der von einem unheimlichen Waldstück umgeben ist. Früher hatte ich aber definitiv grössere Angst davor als heute. Das Haus hat uns mein Grossvater hinterlassen, aber meine Mutter hatte überhaupt kein Interesse daran, so weit abseits zu leben. Fiona ist eine Einzelgängerin, daher verwunderte es mich nicht, dass sie gerne dort einzog. Ich besuche sie seit ich 4 Jahre alt bin jedes Jahr. Damals hatte mich meine Mutter noch begleitet. Jedoch haben sie und Fiona sich auseinandergelebt und ich trete die Reise ins Nirgendwo zum Dritten Mal ganz alleine an. Schliesslich bin ich jetzt schon 17 und kein Kind mehr, das sich nicht selbst in der Welt zurechtfinden kann. Ich habe ein gutes Verhältnis zu meiner Tante. Sie ist eine liebevolle Frau, bei der man sich einfach wohlfühlen kann. Wahrscheinlich liegt es an Ihrer ruhigen, einfach gestrickten Art und ihrer Gastfreundlichkeit, die sie niemals verlor, egal ob man sie gekränkt hatte. Ich fragte mich, was sie wohl mit dieser ungewöhnlichen Sache meinte, von der in dem Brief die Rede war, den Sie mir vor vorletzte Woche zukommen liess.
Nachdem der Bus den ganzen Nachmittag durchgefahren war, näherte ich mich endlich dem einzigen, kleinen Dorf in der Nähe des Wohnorts von Fiona. Ich musste aber noch ein gutes Stück Fussweg hinter mich bringen, bevor ich den leckeren Kakao geniessen durfte, mit dem sie mich jedes Jahr willkommen hiess. Nach einer geschlagenen Stunde wandern über Stock und Stein, erreichte ich den düsteren Wald, den ich nun durchqueren musste, um auf die gegenüberliegende Lichtung zu gelangen, auf der meine Tante wohnte. Ich lief etwas aufgeregt den steinigen Waldweg entlang. Eine kühle Brise liess die Blätter der zahlreichen Bäume ertönen, in deren Klang ich mich gerne verlor. Die bunten Vögel auf den Bäumen begleiteten das Rascheln mit ihren idyllischen Liedern und verfolgten jeden meiner Schritte. Bei einer Weggabelung angekommen, blieb ich verdutzt stehen und bemerkte etwas Ungewöhnliches auf dem Boden. Ich ging in die Hocke und untersuchte es neugierig. Es war ein schwarzes, modriges Sekret und nichts, dass ich mit etwas, mir bekanntem, hätte verbinden können. Es roch überraschenderweise angenehm süsslich.
«Hä..?», bemerkte ich verwundert und richtete mich auf. Auf einmal war alles ruhig. Kein Blätterrascheln mehr, kein Vogel-Gezwitschere. Der Wald schien nach und nach an Farbe zu verlieren und wurde seltsam gräulich. Mein Körper fühlte sich auf einmal betäubt an und ich schnellte verwirrt nach links und rechts um die Quelle meiner Bedrücktheit ausfindig zu machen. Plötzlich huschte etwas an den Bäumen in meiner Nähe vorbei und ich hörte ein leises, unheimliches Wimmern aus der Richtung des vorbeischnellenden Schattens. Ich war ein paar Sekunden wie in Trance und fixierte mit meinem Blick einen Baum, hinter dem ich den Schatten vermutete. Eine gefühlte Minute verstrich und ich wurde das Gefühl nicht los, beobachtet zu werden. Doch es passierte nichts mehr. Dann kehrte langsam wieder Leben in den Wald zurück und ich löste mich aus meiner Starre. «Was zum Teufel war das?»
Schliesslich verliess ich den Wald, nachdem ich den Rest des Weges gerannt war, um so schnell wie möglich dieses verwirrende Erlebnis hinter mir zu lassen. Ich trat hinaus in die Abendsonne, die das Haus meiner Tante beleuchtete wie eine Oase, inmitten von, zur Bewegung des Windes, tanzenden Büschen und Wiesen. Als ich die von Erde bedeckten Stufen der langen Steintreppe hoch lief, drängte mir mein Verstand wieder Gedanken über das Vorherige auf. Hatte mir meine Fantasie einen Streich gespielt? Was hatte dort hinter den Bäumen so entsetzlich gewimmert? Ich konzentrierte mich wieder auf den Weg und näherte mich achtsam dem Garten von Fiona, in dem sie viel Zeit verbrachte. Seltsamerweise sah er diesmal nicht gerade schön aus. Die Blumen liessen ihre Köpfe erschöpft hängen und verloren allmählich ihre Farbe. Auch die sonst so aufgeweckten Frösche liessen heute ihr „Quak-Konzert“ aus. Ich liess meinen Blick über die Veranda und die Fassade des Hauses wandern. Irgendwie wirkte der Ort allgemein bedrohlich und trist. Warum hatte er seine märchenhafte Wärme verloren? «Fiona! Ich bin hier!», rief ich mit etwas angespannter Stimme, als ich die knorrige Treppe der Veranda in Richtung Eingangstür hoch schritt. Als sich nach meinem Ruf nichts tat, öffnete ich die Tür und ging vorsichtig ins Haus.
Hier roch es recht eigenartig und die Möbel schienen seit einiger Zeit nicht mehr abgestaubt worden zu sein. Das passte so gar nicht zu Fiona, denn sie war die Sauberkeit in Person. «Hallo-hoo?!», rief ich abermals. Dann hörte ich ein lautes Krachen aus der Küche. Behutsam setzte ich einen Fuss vor den anderen und spähte in die Küche. Meine Tante stand mit dem Rücken zu mir und schaute geradewegs in die Wand. Es schien als hielte sie etwas in beiden Händen. «Tante? Ich bin da.», sagte ich vorsichtig und wartete auf eine Reaktion ihrerseits. Schnell drehte sie sich zu mir um: «Ben! Wie schön dich zu sehen.», schrie Fiona alarmiert und bot mir sogleich den Kakao an, den sie mit beiden Händen festhielt. Ihr schwarzes, langes Haar war sehr ungepflegt und zerzaust. Auch ihre sonst so saubere Kleidung hätte dieses Mal wohl keinen Wettbewerb gewonnen. Sie trug ein weisses, abgetragenes Kleid, übersäht von Flecken und kleinen Rissen, als wäre sie sich im Waldboden wälzen gegangen. Den Kakao stellte sie unsorgsam auf den Tisch, so dass etwas Flüssigkeit überschwappte und sich auf der schon ziemlich dreckigen Tischdecke ein ranziger Fleck bildete. Ich wusste nicht recht was ich davon halten sollte, willigte aber ein mich hinzusetzen. Nur ein kleiner Schluck des Getränks hatte ausgereicht, um mir aufzuzeigen: Hier stimmte etwas überhaupt nicht. Die Milch darin war klumpig und säuerlich. Ausserdem war so viel Kakaopulver darin, dass es mir eher vorkam als müsste ich das Getränk essen statt trinken.
Von Fiona wurde ich nicht aus den Augen gelassen. Jede meiner Bewegungen wurde penibel beobachtet und sie lächelte künstlich, so dass es mir kalt den Rücken runterlief. «Fiona? Ist alles klar bei dir?», fragte ich zögerlich. Sie starrte mir genau auf den Mund während ich sprach. Als ich meine Frage gestellt hatte, gab es eine äusserst sonderbare Pause in der sie sich eine Antwort zu überlegen schien. Nach kurzem Abschweifen fixierte sie meine Augen und antwortete: «Es geht mir gut. Ich bin so glücklich. Jetzt bist du hier Ben. Ich habe so lange auf dich gewartet.»
Natürlich blieb ich misstrauisch bei einer so mechanischen Antwort. Sie bat mich ihr in den zweiten Stock zu folgen, denn sie wollte mir meine „Schlafstätte“ zeigen. Wer sagt denn sowas? Oben angekommen führte sie mich in ein kleines Gästezimmer. Auch hier war Staub auf den Möbeln und einige Spinnweben in den Ecken des Raumes zu finden. Das Bett war komischerweise frisch „bezogen“, wenn man das überhaupt bezogen nennen konnte. Es schien als hätte die Person die es gemacht hat nicht viel Ahnung davon gehabt, denn ein Teil der Decke war in den Kissenbezug gestopft worden und das Kissen in den Deckenbezug. Ich schaute naserümpfend meine gespielt-fröhliche Tante an und wusste nicht, ob ich lachen oder möglichst schnell einen Abgang machen sollte.
«Magst du es hier, Ben? Fühlst du dich wohl? Ich würde gerne d-», abrupt schwieg sie mitten im Satz und schaute auf einmal gespannt aus dem Fenster. Es dämmerte bereits. Wieder setzte sie ein Lächeln auf und fuhr fort: «Du bist bestimmt müde. Du solltest jetzt schlafen, Ben. Vergiss nicht deine Zähne zu putzen. Und fühle dich wie zu Hause. Ich muss etwas erledigen. Wir können uns morgen wieder unterhalten.» Wie vorprogrammiert, machte sie kehrt, verschwand im gegenüberliegenden Schlafzimmer und knallte die Tür zu. Schlafen um 22:00? Zähne putzen? Naja wieso sollte mich noch irgendwas hier überraschen. Verwirrt schloss ich meine Tür ebenfalls, stellte meinen Rucksack in eine Ecke, schmiss mich auf mein Bett und drückte gelangweilt auf dem Handy herum. Nur eine Nachricht. Meine Mutter fragten ob ich gut angekommen sei. Ich schrieb ihr zurück, dass soweit alles in Ordnung ist. Bewusst liess ich die verrückten Vorkommnisse der letzten Stunden weg. Ich wollte meine Mutter nicht damit belasten, bis ich selbst wusste, was hier genau vor sich ging. Kaum wurde die Nachricht übermittelt, vernahm ich erneut ein Krachen. Diesmal aus dem Zimmer in dem sich meine Tante aufhielt. Ich ging leise zum Eingang meines Zimmers und horchte an der Tür. Fiona stürmte aus ihrem Schlafzimmer, lief die Treppe runter und verliess das Haus. Ich hielt einen Moment inne, entschied mich aber dafür, ihr zu folgen. Ich wollte wissen was zum Teufel hier los ist und ihr zu folgen schien die beste Chance zu sein, dies herauszufinden. Ich schaute aus dem Fenster, um beurteilen zu können, wo sie genau hinlief und sah, wie sie einen schmalen Pfad in Richtung Wald hinunterging. Nun eilte auch ich aus dem Haus, hängte mich an sie dran und bewegte mich mit möglichst viel Abstand wie ein Ninja, in den Schatten der umliegenden Flora. Sowie ich den Wald betrat, hatte sich das Sonnenlicht verabschiedet und ich fühlte mich umzingelt von Unbehagen und Kälte. Leise schritt ich voran. Vier, vielleicht fünf Minuten verstrichen, ohne, dass ich Fiona noch einmal gesehen hatte. Instinktiv ging ich einfach weiter und hoffte, bald auf eine neue Spur zu stossen. Doch langsam verlor ich die Hoffnung und ich dachte, ich müsse wieder umkehren um mich nicht in dem Wirrwarr von Gestrüpp und Gewächsen zu verirren. Falls sie morgen wieder das Haus verlässt, würde ich vorbereitet sein, sagte ich zu mir selbst und machte mich begleitet von eisiger Entmutigung auf den Rückweg.
«Oh, verdammt!», schrie ich auf, als ich am nächsten Morgen erwachte und Fiona über mich gebeugt, mit steifer Haltung da stand und mich finster angrinste. «Es ist bereits nach Mittag, Ben. Ich habe dir etwas zu essen gemacht.», meinte sie mit einem Blick, der am besten mit „fröhlicher Ausdruckslosigkeit“ beschrieben werden konnte. «Jaja, ich komme gleich.», antwortete ich müde und wies sie mit der Hand an, das Zimmer zu verlassen um mir Zeit zu geben mich fertig zu machen. Natürlich verstand sie das nicht und blieb angewurzelt stehen, so als würde sie bei einem wichtigen Telefonat in der Warteschleife hängen. «Natürlich..», dachte ich genervt, räusperte mich und erläuterte ihr deutlich und „in ganzen Sätzen“ (wie meine Lehrerin gesagt hätte) meinen Wunsch: «Ich werde gleich nachkommen. Geh bitte runter und warte in der Küche, Fiona.» Sie lächelte, nickte und ging langsam und wie ferngesteuert aus meinem Zimmer. Hatte sich meine Tante irgendeine Psychische Krankheit zugezogen oder was? Verstört kramte ich meine Zahnbürste aus dem Rucksack und ging aufs Klo. Auch dieser Raum wirkte, als hätte ihn länger niemand mehr benutzt. Die Zeitung, die neben der Toilette lag, war über 2 Wochen alt. Fiona mochte keine Zeitungen, aber sie liebte die darin enthaltenen Kreuzworträtsel. Jede Woche im Jahr, die ich hier verbrachte, unternahmen wir an einem Tag etwas und fuhren zusammen in das nahegelegene Dorf um zu essen, zu spazieren, uns zu unterhalten usw. Jedes Mal wenn wir dann am Zeitungsstand vorbeikamen kaufte Sie sich die neue Zeitung. Deshalb wurde ich schon recht nachdenklich. War sie seit 2 Wochen durchgehend hier? Ich musste ihr unbedingt heute Nacht wieder folgen. Nachdem ich meine Zähne geputzt und mich gewaschen hatte ging ich vorsichtig die Treppe herunter und schielte in die Küche. Fiona stand neben dem gedeckten Tisch. Komischerweise sah er ziemlich gut gedeckt aus. Sogar das Essen machte etwas her. Ich spähte durch den Raum. Da fiel mir eine Mikrowellenfrass-Packung auf und ich dachte mir, dass wohl selbst Sie bei der Mikrowellenzubereitung nicht viel falsch machen könne. Obwohl ich mich ein wenig scheute ihr näher zu kommen, gab ich mir einen Ruck, setzte mich auf den Stuhl und fing an zu essen. Streng beobachtet natürlich.
«Gestern hast du den Kakao nicht gemocht. Ich habe deine Reaktion beobachtet und dir heute einen besseren gemacht. Die Milch war nicht mehr gut, nicht wahr? Im Keller habe ich noch welche gefunden.», äusserte sie erfreut und stellte mir eine neue Tasse hin. Obwohl ich es fraglich fand, warum sie so etwas einfaches neu lernen musste, hielt sich meine Verwunderung auf Grund der jüngsten Ereignisse, doch in Grenzen. Ich probierte den Kakao und wieder war zu viel Pulver darin. Jedoch versuchte ich meine Enttäuschung zu verbergen. Ohne Erfolg. Denn Fiona musterte mein Gesicht, verlor ihr Lächeln und wurde immer zorniger.
«Er.. er ist nicht gut genug oder? NICHT GUT GENUG?! NEIN NEIN!», schrie sie plötzlich auf, griff nach der Tischkante und wuchtete den Tisch samt Geschirr mit nur einer Hand an die Decke, so dass es Scherben und Holzsplitter regnete. Fassungslos wich ich zurück und betrachtete das verursachte Chaos. Meine Tante ist ein Monster! Ich traute mich kaum, sie wieder anzusehen, denn ich war mir sicher, ihre Augen hatten in dem Moment, als sie am wütendsten war, kurz aufgeleuchtet. Ausserdem roch es leicht süsslich und ich erinnerte mich an das Sekret, dass ich im Wald gefunden hatte. Was hatte sie damit zu tun? Ich sah im Augenwinkel wie sie ruhig neben mir stehen blieb. Scheu hob ich meinen Kopf und blickte ihr ins Gesicht. Sie lächelte wieder und meinte:
«Keine Sorge. Ich mache dir einen neuen Kakao.»
Nach diesem Ereignis hielt ich es für das beste, mich von Fiona bis zu ihrem nächtlichen Ausflug fernzuhalten. Ich sagte ihr mit leicht zitternder Stimme, ich hätte noch wichtige Dinge zu tun und würde lieber heute nichts mehr unternehmen wollen. Sie nickte nur, lief mir aber strahlend nach, bis ich in meinem Zimmer war und mit unterdrückter Anspannung die Tür vor Ihrer Nase schloss. Erschöpft lehnte ich an die Tür, sank langsam auf den Boden und stiess einen erleichterten Seufzer aus. «So eine Scheisse.», fluchte ich leise und versuchte einen klaren Kopf zu bewahren. Ich musste nur durchhalten und Fiona verfolgen wenn sie das Haus verliess. Sicher könnte man so herauszufinden was mit ihr passiert ist. Es musste klappen. Kurz richtete ich mich auf und guckte durch das Schlüsselloch. Sie stand immer noch still vor der Tür und ich hörte ihren leisen, furchteinflössenden Atem.
Ein paar Stunden bestehend aus purer Langeweile verstrichen und dann wurde es endlich langsam dunkel. Ermunternd klopfte ich mir ein paar Mal auf die Wangen. Ich war startbereit. Und tatsächlich: Als ich erneut durch das Loch in der Tür sah, lief sie erst unruhig herum und brach dann in Richtung Haustür auf. Nun hiess es schnell sein. Ich nahm den selben Weg aus dem Haus und gab mir die grösste Mühe, Fiona nie aus den Augen zu verlieren. Sie blickte nicht nach hinten, daher hatte ich einen grossen Vorteil unentdeckt zu bleiben. Wir betraten kurz nacheinander das Waldstück im Süden des Hauses.
Wieder fühlte ich die Kälte und Bedrücktheit dieses verfluchten Waldes, jedoch hielt ich es aus, da ich zu sehr damit beschäftigt war, meiner verrückten Tante zu folgen. Nach einiger Zeit, sprang sie auf einen umgefallenen Stamm und lief nicht mehr weiter. Ich hastete hinter einen Baum, trat aber wie in den billigen Horror-Filmen auf einen blöden brüchigen Ast, der sogleich zersprang und ein hörbares Knacken von sich gab. Ich versuchte krampfhaft nicht nervös zu werden und beruhigte meine Atmung während ich darauf hoffte, verborgen zu bleiben. Einen Moment später, traute ich mich zu spähen. Fiona war nicht mehr da. Ich lief trotzdem ein Stück weiter, aber wieder war sie wie vom Erdboden verschluckt. «Du Idiot.», beleidigte ich mich selbst und wollte schon wieder kehrt machen. Doch dann vernahm ich in der beklemmenden Schwärze ein kaum wahrnehmbares Kichern und bemerkte ein fahles Lichtchen das durch die vielen Äste drang. Offenbar hatte ich mein Ziel doch noch erreicht. Begleitet von Angst lief ich auf die Quelle des Lichts und der Geräusche zu und fand einen kleinen Eingang zu einer Höhle im Fels. Ich musste all meinen Mut zusammen nehmen, um nicht von der gespenstischen Atmosphäre hier vertrieben zu werden. Das Kichern und Keuchen wurde lauter als ich wachsam durch die feuchte, süsslich riechende Höhle schritt.
Auf einmal waren die Geräusche fort. Das Licht brannte aber noch und ich ging still weiter, bis sich der Gang zu einem Gewölbe ausweitete. «Es ist ruhig, zu ruhig.», dachte ich und schmunzelte trotz meiner fürchterlichen Situation, dass mir dieser 0815 Film-Quote in den Sinn kam. Ich lief einige Meter weiter und betrat einen schmalen Nebengang. Dann sah ich sie. Fiona war über einen seltsamen Haufen gebeugt und machte sich daran zu schaffen. Ich konnte nicht genau erkennen was es war und trat einen Schritt näher. Nicht zu überhören war der Knacks, der von dem unter meinem rechten Schuh zerspringenden Knochen ausging und durch die kleine Felsgrotte hallte. Fiona erhob sich und drehte sich langsam um. Ihr Gesicht war verschmiert mit Blut und Dreck. Schwarze Klauen ragten aus ihren Armen, die sich aber plötzlich verformten und wieder zu normalen Händen wurden. Sie starrte mich an, während sie bedrohlich mit ihrem Nacken knackte und schwarz-fauliges Sekret aus ihrem zerrissenen Mund geiferte. Mir stockte der Atem.
«Was.. Was bist du? Und wo ist Fiona?», fragte ich stotternd.
Die Kreatur beäugte mich eingehend und sprach mit einer tiefen, dämonischen Stimme: «ICH bin Fiona.» und grinste mich verstohlen an. Dann griff sie mit ihrer linken Hand nach einem verdreckten Tuch, dass über dem bizarren Haufen hinter ihr lag, zog daran und fuhr fort: «Jetzt jedenfalls.» Mir wurde übel und ich übergab mich auf der Stelle als ich den, in ein Dutzend Stücke zerteilten Körper meiner Tante identifizierte. Die Haut war schon halb vermodert und triefte von der Absonderung dieses Ungeheuers.
«Sie ist nicht mehr gut. Wie die Milch. Ich brauche eine neue Form, Ben. Deine Form. Komm her. Ich mache dir einen Kakao.», befahl der Dämon in ruhigem Ton und wies mich an, näher zu treten. Ich fühlte pures Entsetzen. Ich wollte nur noch, dass dieser furchtbare Ausflug ein Ende findet. Aber ich wusste, ich würde hier sterben wenn ich nichts unternehme. Und dann kam mir eine Idee. Es war idiotisch, aber ich versuchte es trotzdem. Jetzt oder nie!
«Oh mein Gott! Was ist DAS!?», brüllte ich und zeigte hinter das Monster an die Wand. Abwesend, für einen kurzen Augenblick, schaute es hinter sich und bereitete mir dadurch eine Lücke, in der ich handeln konnte. Ich hob schnell den spitzen Knochen vom Boden auf, schnellte nach vorne und rammte ihn dem Vieh so hart in den Rachen, dass das faulige Sekret in einer riesigen Fontäne rausgeschossen kam. Es hechelte, veränderte schnell, wieder und wieder seine Gestalt von Fiona zurück zu seiner natürlichen Form.
«NEIN! Du.. ver.. verdirbst alles.. will.. Mensch sein!», röchelte es, ging entkräftet zu Boden und bewegte sich nach einigen letzten Zuckungen nicht mehr. Ich hatte es tatsächlich geschafft. Ich hatte meinen Gegner bezwungen und.. Ich hielt inne. Angsterfüllt bemerkte ich, wie die Kreatur seine Klaue in die Leiche meiner Tante bohrte. Die menschliche Haut des Monsters schmolz langsam dahin, tropfte von seinem teuflischen Körper und brachte nach und nach seine wahre Form zum Vorschein. Die Wunde an seiner Kehle begann sich brodelnd zu schliessen, die knallroten Augen fingen Feuer. Langsam erhob es sich und erblickte mich mit totem Ausdruck im Gesicht: «Lauf.. kleiner Mensch.»
Ich wirbelte herum und sprintete durch die Tunnel nach draussen. Es war immernoch finstere Nacht. Obwohl ich die Hand vor Augen nicht sehen konnte, hechtete ich panisch über und durch das Gehölz. Verfolgt von dem finsteren Wimmern das ich zu Anfang dieses Alptraums im Wald gehört hatte. Ich erreichte den Waldrand, sprang zwischen den Hecken hervor wie von Tollwut getrieben und eilte den Pfad zum Haus hinauf.
Völlig ausser Atem schlug ich die Tür hinter mir zu und flüchtete in die Küche. Verstecken! Ich musste mich verstecken! Hastig wirbelte ich herum und suchte nach einer Möglichkeit mich zu verbergen. Die alte Besenkammer! Ich riss die Tür auf, sprang in den engen Raum und versuchte den immer näher kommenden Lärm zu ignorieren. Ich musste mich beruhigen oder ich war verloren. Energielos verharrte ich in dem Stillen Kämmerchen. Dann wurde es für einen Moment totenstill. Ich versuchte durch das Schlüsselloch zu erkennen, was vor sich ging, aber sah nur die 2 feurigen Augen des Viehs durch die Fensterscheibe hindurch scheinen. Ich erschrak als es wie aus dem Nichts durch die Scheibe bretterte und vor meinem Versteck stehen blieb. Hatte es mich gesehen? Mein Schweiss tropfte von meinem Körper. Nervös suchte ich den Boden nach einer Waffe ab. Das einzige das irgendwie nützlich schien, war eine Tube mit einer mir unbekannten Flüssigkeit. «Scheiss drauf.», dachte ich und umklammerte die Tube mit beiden Händen. Der Dämon stiess einen markerschütternden Schrei aus und riss die Tür der Kammer einfach aus den Halterungen. Ich nutzte meine Chance erneut und spritzte die Flüssigkeit in seine feurigen Augen. Geblendet stolperte er in der Küche umher. Was nun?! Voller Panik kramte ich das Messer aus den Resten des zertrümmerten Tisches, sprang dem Dämon auf den Rücken und stach wie wild auf seinen Kopf ein. Sekret, Blut und kleine schwarze Hautfetzen spritzten in der Küche umher, während das Monster stöhnend auf die Knie fiel. Müde kippte ich neben meinen Gegner.
Ich war am Ende. Meine Sicht verfinsterte sich immer weiter und ich fühlte wie ich langsam ohnmächtig wurde. «Ben, töte ihn. Wenn du deinen Feind geschwächt hast musst du es zu Ende bringen. Du darfst jetzt nicht schlapp machen!», ertönte es in meinem Kopf. Mein Verstand hatte sich gemeldet und zur Abwechslung mal etwas sinnvolles gesagt. Ja! Es musste sein! Ich raffte mich unter Anstrengung wieder auf.
Mein Widersacher keuchte und hustete, wand sich am Boden wie ein Wurm. Ich stützte mein Knie auf seinen Kopf und hielt ihn unten. Ich atmete zwei Mal tief ein und aus. Mein Messer durchdrang seinen Hals. Dann stocherte ich wie die Bestie, die vor mir lag, darin herum, bis der Kopf sich löste und ruhig in einer Pfütze aus Schleim und Eingeweiden lag. Ich konnte es nicht glauben. Ich hatte es nun endlich geschafft. Ich habe..
Was zum?!
«Ben! Nun wach schon auf, oder du kommst zu spät zu Tante Fiona!»