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Sex in the City
Mir ist es zu laut hier. Mein Herz bummert mit der Basslinie. Die Boxen stehen schwarz und arrogant neben der Bühne, als könnten sie Herzen zerspringen lassen wie die Stimme Gottes.
Und ich bin nicht mal mit der Sängerin zusammen, sondern nur mit der Bassistin. Die Sängerin ist ein Derwisch, schwarze Kniestiefel, Mikro in der Hand, poltert von einer Ecke der Bühne zur anderen, singt, schreit und sprüht Pheromone in die Welt hinaus, man wird wirr im Kopf, kann keinen Gedanken festhalten, alles rauscht und wummert und taumelt. Man will sich mit Rosenblüten die Ohren verstopfen, hat aber nur Zigaretten dabei, eine Brieftasche, Schlüssel und ein Handy. In der Brieftasche natürlich Kondome, weil die neue Freundin keine Pille nimmt. Brächte die ganze Körperchemie durcheinander und all diese Hormone. Habe als Kind die olympischen Spiele `92 gesehen. Bulgarische Kugelstoßerinnen in Barcelona. Nein, solcherart Pillen kämen ihr nicht in den Mund. Und der Gedanke ist schon wieder weg, wenn das nächste Lied beginnt.
Es ist zu bunt, es ist zu viel. Meine wunderbare neue Freundin: Spielt barfuß den E-Bass, aus dessen Kopf wirr die Saiten springen wie beim Struwwelpeter. Hat selbst glattes, schwarzes Haar und grüne Augen. Ein Kind mit ihr sähe nicht wie der Bass aus, hätte ihre Augen, hätte ihre Haare und von mir wahrscheinlich nur die Schuhe. Ich stecke mir eine Zigarette an, ziehe und ziehe, es kommt nichts, ich betrachte sie im Laserlicht: Sie hat einen Riss über dem Filter, ich kann den Tabak sehen.
Wir sind zum Ficken in ihrer Wohnung, werden aber eine Weile so tun, als seien wir Freunde. Ich sitze auf einer weißen Couch und habe Angst etwas anzufassen. Die Couch ist mit Plastik bezogen; der Glastisch sieht aus, als habe er nie etwas tragen müssen und sei nur die Berührung eines Schwamms gewohnt.
Ich will meine Füße ausstrecken, wenigstens die Schuhe los werden, eine Zigarette rauchen oder ein Fenster öffnen, wage nichts davon. Auf dem Fernseher liegt dekorativ eine Fernbedienung.
Sobald ich ihre Stimme höre, ziehe ich den Bauch ein.
An meiner wunderbaren neuen Freundin kleben noch die Pheromonfetzen der Sängerin. Hat sich nur kurz die Haare gewaschen, steht nun im Türrahmen, ich muss den Kopf drehen, um sie von der Couch aus zu sehen.
„Wie läuft’s bei dir?“, fragt sie.
Gut.
„Den Artikel fertig, an dem du geschrieben hast?“
Toll, dass du das noch weißt. War doch nicht so kompliziert, wie ich am Anfang dachte. Lief alles ohne Probleme. Klasse Konzert übrigens, sollte man auf jeden Fall mal einen hinschicken, der ein Feature macht.
„Feature?“, fragt sie.
So wie ein Artikel, aber bunter.
„Werden eh nur wieder Jenny interviewen.“
Das Los der Bassistin, will ich sagen, zucke aber nur mit den Schultern und schaue freundlich auf meine miteinander ringenden Hände.
Sie unter mir, aber nicht im Missionar, hat beide Beine zur Seite gedreht. Die liegen nun daneben, als brauche man sie nicht mehr groß. Ihre Kniekehlen berühren meine Hüfte. Sie hat flache Brüste, kaum eine Erhebung, ihre Hände spielen unruhig mit meinen Unterarmen, die Daumen kreisen. Sie hält ihre Augen geschlossen, während ich in ihr ruhe. Sie hält mich in sich, ist feucht und weich, ich bin mit der Spitze in einem nassen Hauch von Nichts. Wir schlafen sehr lieb miteinander, so als hätten wir uns gern. Dann langsam bewege ich mein Becken, poche gegen sie, verlange Einlass, sie gibt sofort nach, ich spüre, wie sich ihre Wände um mich schließen, um das Kondom, das zwischen uns liegt. Man will sie mit Dreck bewerfen und schmutzig machen, aber es ist Plastik um uns herum. Es würde nichts haften bleiben, ich rücke nach vorne, will ihr den Platz nehmen, will ihr zu Leibe rücken. Sie öffnet ihre wunderbaren grünen Augen und sagt: „Pass auf, mein Haar.“
Als sie vom Klo wiederkommt, ist sie noch nackt, ich schon wieder angezogen, bis auf die Schuhe. Sie hat eilig alles von sich entfernt, was ich auf ihr zurücklassen hätte können. Wir schlafen nicht miteinander ein, soweit ist es lange nicht.
Ich sitze in Socken, Hose und Hemd auf ihrer Bettkante und sie steht nackt vor mir und lächelt mich zerbrechlich an.
„Ich mag dich gern“, sagt sie und es klingt, wie Abschiede klingen.
Es liegt an der Stadt, sag ich, man kann sich hier einfach nicht näher kommen.
„Es reicht dir also auch nicht?“
Doch, doch, sag ich, weil ich jetzt merke, dass ich fehl gegriffen habe. Es muss an der Musik liegen und an dem vielen Plastik und an den Pheromonen, man kann sich nicht konzentrieren, wenn man ständig den Bauch einziehen muss. So kann man keine Leistung bringen. Alles wunderbar, sage ich.
„Du dachtest, ich mach mit dir Schluss?“
Nein, nein, sag ich. Es liegt nur – und ich überlege fieberhaft und es fällt mir nichts ein und sie schweigt nackt vor sich hin und sieht zum Anbeten aus, ich will an ihren flachen Brüsten saugen, bis mir schwindelig wird und meine Zunge rau und wieder Morgen ist. Es liegt, sag ich endlich, an diesem Artikel, an dem ich arbeite. Über die Stadt. Dass wir alle woanders herkommen, unsere ganze Generation. Wir kommen alle hierher und tun so, als gehören wir hierhin, aber das tun wir nicht. Wir kommen aus kleinen Städtchen und Dörfern und sind nun alle hier. Und wer wir eigentlich sind, und woher wir kommen, das ist etwas anderes als das, was wir jetzt hier tun und wer wir hier sind. Ich mein, sag ich, weil ich jetzt mutig bin, schau dir deine Wohnung an, das kann doch nicht dein Leben sein. So bist du doch nicht aufgewachsen. Das bist doch gar nicht du, oder?
Sie sagt immer noch nichts, einige Härchen auf ihrer schwarzen Scham glitzern, als seien sie mit Tau überzogen, aber es ist nur Wasser, das an einem Schwamm klebte, um mich schnell loszuwerden.
Sie sagt noch immer nichts, lehnt mit dem Rücken an der Tür, die ins Badezimmer führt, und kreuzt ihre nackten Beine.
Ich weiß auch nicht, sag ich. Vergiss das am besten. Das war nur der Job, das hat gar nichts mit uns zu tun.
„Du möchtest wissen, wo ich herkomme?“, fragt sie.
Für einen Moment sehe ich uns auf einer staubigen, grünen Couch sitzen in einem Biedermeierzimmer, während ihr grauer Vater mit klapprigen Händen die Lehnen eines Fernsehsessels bearbeitet und die krebskranke Mutter eine dampfende Sauciere auf den Tisch stellt, mit Blümchen daraufgemalt und aus Meißen. Ich sehe uns in einem pinken Mädchenzimmer schlafen, ganz dicht aneinanderpappend, weil es so schmal ist, und draußen singen Vögel dumm um die Wette, und es ist so leise und ruhig, dass man das Atmen des anderen hören kann, und wenn wir miteinander schlafen, hat sie die Augen offen und es ist nichts zwischen uns und ihre Haare pieksen gegen mich und sie ist klamm und hart und fordernd. Wie zu stark gedroschenes Stroh.
Nein, sag ich. Es ist alles wunderbar. Wir werden sehen, wohin sich das entwickelt. Gib mir soviel, wie du mir geben willst, sage ich, und mit der Zeit wird sich das schon alles entwickeln. Ich ruf dich dann an, mach’s gut.