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Sex in the City

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10.10.2006
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Sex in the City

Mir ist es zu laut hier. Mein Herz bummert mit der Basslinie. Die Boxen stehen schwarz und arrogant neben der Bühne, als könnten sie Herzen zerspringen lassen wie die Stimme Gottes.
Und ich bin nicht mal mit der Sängerin zusammen, sondern nur mit der Bassistin. Die Sängerin ist ein Derwisch, schwarze Kniestiefel, Mikro in der Hand, poltert von einer Ecke der Bühne zur anderen, singt, schreit und sprüht Pheromone in die Welt hinaus, man wird wirr im Kopf, kann keinen Gedanken festhalten, alles rauscht und wummert und taumelt. Man will sich mit Rosenblüten die Ohren verstopfen, hat aber nur Zigaretten dabei, eine Brieftasche, Schlüssel und ein Handy. In der Brieftasche natürlich Kondome, weil die neue Freundin keine Pille nimmt. Brächte die ganze Körperchemie durcheinander und all diese Hormone. Habe als Kind die olympischen Spiele `92 gesehen. Bulgarische Kugelstoßerinnen in Barcelona. Nein, solcherart Pillen kämen ihr nicht in den Mund. Und der Gedanke ist schon wieder weg, wenn das nächste Lied beginnt.
Es ist zu bunt, es ist zu viel. Meine wunderbare neue Freundin: Spielt barfuß den E-Bass, aus dessen Kopf wirr die Saiten springen wie beim Struwwelpeter. Hat selbst glattes, schwarzes Haar und grüne Augen. Ein Kind mit ihr sähe nicht wie der Bass aus, hätte ihre Augen, hätte ihre Haare und von mir wahrscheinlich nur die Schuhe. Ich stecke mir eine Zigarette an, ziehe und ziehe, es kommt nichts, ich betrachte sie im Laserlicht: Sie hat einen Riss über dem Filter, ich kann den Tabak sehen.

Wir sind zum Ficken in ihrer Wohnung, werden aber eine Weile so tun, als seien wir Freunde. Ich sitze auf einer weißen Couch und habe Angst etwas anzufassen. Die Couch ist mit Plastik bezogen; der Glastisch sieht aus, als habe er nie etwas tragen müssen und sei nur die Berührung eines Schwamms gewohnt.
Ich will meine Füße ausstrecken, wenigstens die Schuhe los werden, eine Zigarette rauchen oder ein Fenster öffnen, wage nichts davon. Auf dem Fernseher liegt dekorativ eine Fernbedienung.
Sobald ich ihre Stimme höre, ziehe ich den Bauch ein.
An meiner wunderbaren neuen Freundin kleben noch die Pheromonfetzen der Sängerin. Hat sich nur kurz die Haare gewaschen, steht nun im Türrahmen, ich muss den Kopf drehen, um sie von der Couch aus zu sehen.
„Wie läuft’s bei dir?“, fragt sie.
Gut.
„Den Artikel fertig, an dem du geschrieben hast?“
Toll, dass du das noch weißt. War doch nicht so kompliziert, wie ich am Anfang dachte. Lief alles ohne Probleme. Klasse Konzert übrigens, sollte man auf jeden Fall mal einen hinschicken, der ein Feature macht.
„Feature?“, fragt sie.
So wie ein Artikel, aber bunter.
„Werden eh nur wieder Jenny interviewen.“
Das Los der Bassistin, will ich sagen, zucke aber nur mit den Schultern und schaue freundlich auf meine miteinander ringenden Hände.

Sie unter mir, aber nicht im Missionar, hat beide Beine zur Seite gedreht. Die liegen nun daneben, als brauche man sie nicht mehr groß. Ihre Kniekehlen berühren meine Hüfte. Sie hat flache Brüste, kaum eine Erhebung, ihre Hände spielen unruhig mit meinen Unterarmen, die Daumen kreisen. Sie hält ihre Augen geschlossen, während ich in ihr ruhe. Sie hält mich in sich, ist feucht und weich, ich bin mit der Spitze in einem nassen Hauch von Nichts. Wir schlafen sehr lieb miteinander, so als hätten wir uns gern. Dann langsam bewege ich mein Becken, poche gegen sie, verlange Einlass, sie gibt sofort nach, ich spüre, wie sich ihre Wände um mich schließen, um das Kondom, das zwischen uns liegt. Man will sie mit Dreck bewerfen und schmutzig machen, aber es ist Plastik um uns herum. Es würde nichts haften bleiben, ich rücke nach vorne, will ihr den Platz nehmen, will ihr zu Leibe rücken. Sie öffnet ihre wunderbaren grünen Augen und sagt: „Pass auf, mein Haar.“

Als sie vom Klo wiederkommt, ist sie noch nackt, ich schon wieder angezogen, bis auf die Schuhe. Sie hat eilig alles von sich entfernt, was ich auf ihr zurücklassen hätte können. Wir schlafen nicht miteinander ein, soweit ist es lange nicht.
Ich sitze in Socken, Hose und Hemd auf ihrer Bettkante und sie steht nackt vor mir und lächelt mich zerbrechlich an.
„Ich mag dich gern“, sagt sie und es klingt, wie Abschiede klingen.
Es liegt an der Stadt, sag ich, man kann sich hier einfach nicht näher kommen.
„Es reicht dir also auch nicht?“
Doch, doch, sag ich, weil ich jetzt merke, dass ich fehl gegriffen habe. Es muss an der Musik liegen und an dem vielen Plastik und an den Pheromonen, man kann sich nicht konzentrieren, wenn man ständig den Bauch einziehen muss. So kann man keine Leistung bringen. Alles wunderbar, sage ich.
„Du dachtest, ich mach mit dir Schluss?“
Nein, nein, sag ich. Es liegt nur – und ich überlege fieberhaft und es fällt mir nichts ein und sie schweigt nackt vor sich hin und sieht zum Anbeten aus, ich will an ihren flachen Brüsten saugen, bis mir schwindelig wird und meine Zunge rau und wieder Morgen ist. Es liegt, sag ich endlich, an diesem Artikel, an dem ich arbeite. Über die Stadt. Dass wir alle woanders herkommen, unsere ganze Generation. Wir kommen alle hierher und tun so, als gehören wir hierhin, aber das tun wir nicht. Wir kommen aus kleinen Städtchen und Dörfern und sind nun alle hier. Und wer wir eigentlich sind, und woher wir kommen, das ist etwas anderes als das, was wir jetzt hier tun und wer wir hier sind. Ich mein, sag ich, weil ich jetzt mutig bin, schau dir deine Wohnung an, das kann doch nicht dein Leben sein. So bist du doch nicht aufgewachsen. Das bist doch gar nicht du, oder?
Sie sagt immer noch nichts, einige Härchen auf ihrer schwarzen Scham glitzern, als seien sie mit Tau überzogen, aber es ist nur Wasser, das an einem Schwamm klebte, um mich schnell loszuwerden.
Sie sagt noch immer nichts, lehnt mit dem Rücken an der Tür, die ins Badezimmer führt, und kreuzt ihre nackten Beine.
Ich weiß auch nicht, sag ich. Vergiss das am besten. Das war nur der Job, das hat gar nichts mit uns zu tun.
„Du möchtest wissen, wo ich herkomme?“, fragt sie.
Für einen Moment sehe ich uns auf einer staubigen, grünen Couch sitzen in einem Biedermeierzimmer, während ihr grauer Vater mit klapprigen Händen die Lehnen eines Fernsehsessels bearbeitet und die krebskranke Mutter eine dampfende Sauciere auf den Tisch stellt, mit Blümchen daraufgemalt und aus Meißen. Ich sehe uns in einem pinken Mädchenzimmer schlafen, ganz dicht aneinanderpappend, weil es so schmal ist, und draußen singen Vögel dumm um die Wette, und es ist so leise und ruhig, dass man das Atmen des anderen hören kann, und wenn wir miteinander schlafen, hat sie die Augen offen und es ist nichts zwischen uns und ihre Haare pieksen gegen mich und sie ist klamm und hart und fordernd. Wie zu stark gedroschenes Stroh.
Nein, sag ich. Es ist alles wunderbar. Wir werden sehen, wohin sich das entwickelt. Gib mir soviel, wie du mir geben willst, sage ich, und mit der Zeit wird sich das schon alles entwickeln. Ich ruf dich dann an, mach’s gut.

 

Hut ab! Du beschreibst dieses hippe Berlin-Gefühl, oder viel eher das Gefühl, das die hippen Immigranten aus den Kleinstädten glauben, haben zu müssen, wenn sie nach Berlin oder in eine andere "crazy" Großstadt ziehen. Gleichzeitig zeigst du aber auch, das die Alternative, die Verrottung in der Keimzeile des Spießertums, der Klein-und Vorstadt, genauso scheiße ist. Ziemlich misantrophisch, weil beide Seiten irgendwie aussichtslos sind. Finde ich ne' geile Einstellung.

Bei einer Sache gehe ich allerdings nicht ganz mit: dem Sex. Der ist viel zu brav beschrieben, der Zeitgeist (gerade der trendy und hippen Leute) liegt da eher woanders, da musst du schon mit (fremden) Urin gurgeln oder mindestens Spanking auf dem Programm haben, Prince Albert ist Standard, und bei Missionar und so, da wirst du ausgelacht. Gerade wenn sie in einer Band spielt...

Sprachlich finde ich das allerhöchstes Niveau.

Gruss, J.

 

Bei einer Sache gehe ich allerdings nicht ganz mit: dem Sex. Der ist viel zu brav beschrieben, der Zeitgeist (gerade der trendy und hippen Leute) liegt da eher woanders, da musst du schon mit (fremden) Urin gurgeln oder mindestens Spanking auf dem Programm haben, Prince Albert ist Standard, und bei Missionar und so, da wirst du ausgelacht. Gerade wenn sie in einer Band spielt...

Die Gute hat ja genug Plastik im Haus, ihre Couch ist damit bedeckt, er könnte sie darin einwickeln und DANN erst ein paar Löcher reinmachen.
Geht aber auch mit Frischhaltefolie.

 
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Alter, da macht überhaupt keiner irgendwo Folie rein. ;)
Das ist doch grad eines der Themen der Geschichte, dass der Sex so nett ist. Makita hat ja viel Kluges zu der Geschichte gesagt, das ist mir ja schon fast peinlich.
Aber dieses "hippe" ist nicht im Vordergrund der Geschichte, sondern das Thema ist die Angst vor Intimität, die sich in dem "hippen unverfänglichen" äußert.
Die Symbole für Lebendigkeit in diesem Text sind ja schon ironisiert und pervertiert. Die Couch aus Plastik, der Sex mit Plastik, der stilisierte Bass, das Kind mit den Schuhen, da können die doch keinen dreckigen Sex haben, da würde man ja Schwäche zeigen, Blöße zeigen.
Das ist ein Mann, der sich nicht mal traut, die Schuhe auszuziehen.
Also die Geschichte - ich les sie so. Das mit dem "hippen Berlin" und was er da redet - was ein Geschwätz das ist. Er schwimmt doch, vom ersten Moment an, schwimmt er da rum. Sobald er sich da verhaspelt, und denkt, sie will Schluss machen. Das ist eine Beziehung, die sofort zu Ende sein kann. In jeder Sekunde, die sie miteinander verbringen, rechnet er damit, dass es zu Ende geht. Und dass mit Berlin ... das ist small-talk wie "Karaoke heißt auf japanisch leeres Orchester" oder dass die Eskimos so viele Wörter für Schnee kennen. Das ist Florian Illies. Schlau klingendes Geplauder.
Im Kern spiegelt das natürlich auch die Idee wieder. Wie kann man sich wohl fühlen, wenn man eine Rolle spielt. Dann nimmt er für einen Moment an, sie spiele ja auch nur eine Rolle, und während er das anspricht, kriegt er schon kalte Füße. Das ist das, was Berg sagt, mit den Posen.
Diese Posen, die Rollen, die wir spielen, auch gesellschaftliche Konventionen und Normen, geben uns einen sicheren Rahmen des Umgangs miteinander, wir machen uns nicht so leicht zum Affen, wenn wir ihnen folgen, die große Angst der Moderne, sich zu blamieren.
Wenn ich eine Rolle spiele, gehe ich davon aus, dass andere auch eine Rolle spielen, aber was ist, wenn die echt so sind, was ist, wenn ich der einzige bin, der eine Plastik-Couch albern findet? Was ist, wenn nur ich mich verstelle, alle anderen aber, die so sind, wie ich, echt so sind, also nicht so wie ich. Und dann kommt das eben mit dem Dorf und den "echten Menschen", dem "Salz der Erde". Das ist ja auch ein Vorwurf, den Singles an Paare haben: Ihr spielt doch nur Mann und Frau, das ist doch gar nicht echt.

Schön, dass ihr das ding noch mal ausgegraben hat. Ich mag das auch sehr gern. Alles, was man hier drin lesen kann, ist mir recht. Nur der Sex geht nicht schmutziger. Was hier schon ein Stress gemacht wurde, weil die Frau nicht rasiert ist! Ihr habt einen sehr seltsamen Fokus. ;)

 
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Danke dafür, das du meinen Kommentar als Geschwätz und Small Talk abtust - du scheinst hier so der anmaßende Blockwart zu sein, der gerne den angepissten Griesgram mit dem Allwissen gibt oder, Quinn? ;-) Naja, Hut ab auch vor soviel Sozialkompetenz! Aber wer zum Teufel ist Florian Illies? Muss man den kennen, nur weil der "Forenheilige" und Grandmaster den kennt? ;-)

Leider ist es aber genau das, was ich beim lesen deiner Story empfunden habe; für mich steht schon ganz klar die "hippe Rolle" im Vordergrund, und damit auch gewisse Verpflichtungen, die der Rolle auferlegt werden, sozusagen die Normierung dessen. Unverfänglich ist das eben alles nicht, da müssen doch strikte Regeln eingehalten werden. Und der Sex geht bei solchen Leuten eben nicht so, wie du ihn beschreibst. Menschen, die sich von dem (Rollen)-Gedanken der "Authentizität" leiten lassen, werden alles tun, um diesen zu erfüllen. Und das ist heute, 2012, eben vielleicht alles andere, nur kein braver Sex.

 

Ich hab das, was die Figur in meiner Geschichte sagt, als "Geschwätz" abgetan. Deine Aussage habe ich nicht bewertet.

Ich mach eigentlich kaum noch was im Forum, von daher fühle ich mich nicht als "anmaßender Blockwart". Ist aber interessant, wie man so gesehen wird. Florian Illies muss man nicht kennen. Kann ich nur Leute erwähnen, die jeder kennt? Wie berühmt muss jemand sein, damit ich ihn erwähnen darf? Also Florian Illies ist so 4/10 bekannt, denke ich. Reicht das schon? Wer bestimmt das denn? Der Grandmaster, oder wer?

Tjo, schon bisschen ein Downer vor dem Mittagessen. Ziemlicher Arschloch-Post.

 

Moment! Ich rekapituliere mal, damit es nicht zu einem Mißverständnis kommt. Deine Aussage; "Das mit dem "hippen Berlin" und was er da redet - was ein Geschwätz das ist" habe ich auf meinen Kommentar bezogen, und das mit Illies entsprechend dem Kontext auch.

Falls du das anders gemeint hast, möchte ich mich natürlich entschuldigen, dann habe ich das, fälschlicherweise, auf mich bezogen. Also Sorry, und nichts für ungut. Selbstredend wird der Blockwart zurückgenommen.

Ich musste Florian Illies googlen. Bei "Generation Golf" habe ich dann nicht mehr weitergelesen. Man "muss" niemanden kennen, und das hat auch nichts mit dem Grandmaster zu tun.

Wie gesagt, sorry, wenn ich dir deinen Lunch verdorben habe.

Gruss, J.

 

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