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Severin
Ich heiße Severin, bin 27 Jahre alt, Student der Philosophie, wohne alleine und liege tot auf dem Küchenboden.
Jetzt muss ich mich erst mal setzen und durchschnaufen. So ist das also, wenn man tot ist. Ich dachte, das ist das mit dem Licht am Ende eines Tunnels. Aber es ist ganz anders. Na, viel Erfahrung mit dem Sterben habe ich ja nicht, genau genommen ist dies mein erster Tod.
So, jetzt ganz ruhig bleiben und überlegen. Was ist passiert? Ich bin über etwas ausgerutscht, dann mit dem Kopf an den Herd geknallt und nun liege ich hier und mir läuft etwas Blut aus dem Kopf. Ich hätte nicht gedacht, dass das so schnell gehen könnte. Aber die meisten Unfälle mit Todesfolge passieren eben im Haushalt. Ich bin ein Opfer der Statistik!
Klar, jeder ist mal dran und treffen kann es dich, wo der Tod es will, im Bett, auf dem Fahrrad oder sonst wo. Meine Option war immer das Bett, nachts und friedlich, so mit achtzig Jahren. Allein schon aus philosophischer Sicht ist Angst vor dem Sterben Unfug, er trifft dich eh. Aber man ist doch überrascht, wenn es einen erwischt. Man steckt halt nicht drin. So wie ich jetzt.
Und nun kommt Moritz und schnüffelt an mir herum. Also, dass mit dem alleine wohnen ist nicht ganz richtig, weil Moritz ein Fundhund ist. Ob er Moritz heißt, weiß ich nicht, wie gesagt ein Fundhund. Er ist irgendwas mit Wolfshund, der mir so vor drei Wochen abends entgegen kam. Ich spazierte bei Regen im Wald und dachte darüber nach, warum Kant über den Tod schwieg, als er vor mir auf dem Weg stand. Im ersten Moment erschrak ich, wer rechnet auch damit, der Hund von Baskerville, aber dann schauten wir uns an.
Ich dachte sofort: Moritz. Komisch, das war der Name meines Kaninchens, das ich früher besessen hatte, aber das liegt im Schuhkarton unter dem Efeu. Anfangs hatte ich erst gedacht, das ruht sich aus. Aber es hatte sich ziemlich lange im Stall ausgeruht. Also, im Grunde bin ich ja tierlieb, und so verwahrlost, wie er aussah und so hungrig, wie es schien, wollte ich ihn nicht zurücklassen. Ich rief also „Moritz“, und tatsächlich schien er bald Vertrauen zu fassen und kam zu mir. Ich streichelte sein nasses Fell und bemerkte kein Halsband. Keine Marke, Fundhund.
Zuhause wurde er erst mal gründlich abgerubbelt und erhielt Wasser und einige Scheiben Schinken aus dem Kühlschrank. Dann duschte ich und ging später in die Küche, wo ich ihm ein Lager bereitet hatte und sah, wie er friedlich einschlief. So zog ein Hund bei mir ein.
Nun wollte ich ihm ja ein Zuhause bieten, daher gingen wir am nächsten Tag in die Zoohandlung und kauften Futter, eine Leine und auch ein Spielzeug, so eine Gummipuppe, die beim drauf beißen quietschen konnte und mit der er sich beschäftigen könnte, wenn ich in der Uni wäre. Die Verkäuferin war hübsch und sympathisch und ich hatte natürlich die Hoffnung, da könne mehr daraus werden, zumal ich wegen Moritz Grund hatte, häufiger den Laden zu betreten.
Vielleicht hatte sich Moritz etwas Ähnliches gedacht, vielleicht eine läufige Hündin witternd, jedenfalls zog er mich nach Verlassen des Ladens so unvermittelt über die Straße, dass mir, die Leine festhaltend, nichts anderes übrig blieb, als mitzulaufen. In dem Moment hörte ich ein Auto bremsen, ein Cabrio, und der Fahrer rief mir zu, dass ich hätte tot sein können. Damals hatte es mich geärgert, aber jetzt kann ich darüber lachen.
Na, ja, mit der Zeit kamen wir immer besser miteinander aus, auch weil er, wenn ich studierte, tatsächlich alleine Zuhause bleiben konnte. Er erwies sich als relativ faul und zeigte keine Neigung, die Einrichtung umzugestalten. Er bekam morgens Wasser und Futter, dass ich bei Monika, so hieß die Verkäuferin, sie war 25 und wohnte außerhalb, kaufte.
Letzten Dienstag sind wir drei dann das erste Mal im Wald spazieren gegangen, Monika an der Hand und Moritz treu an meiner Seite.
Man entwickelt natürlich so seine Vorstellungen, denn die Wohnung war an sich groß genug und bot Platz für Monika, Moritz, den sie auch knuffig fand, und mich. Vielleicht heiraten, Kinder, mal schauen, ich bin ein wenig romantisch. Vielleicht melde ich Moritz auch bei der Steuer an.
Und wenn ich auf die letzten drei Wochen zurückblicke, muss ich doch sagen, dass ich viel Glück hatte, so mit Moritz und vor allem mit Monika. Das hat mein Leben doch sehr verändert.
Aber nun sitze ich hier in meiner Küche, ich liege vor mir und lasse die letzten fünf Minuten meines Lebens noch mal ablaufen:
Ich wollte mir heute einen Tee machen und meine Übungsaufgaben, wir besprachen in der Vorlesung Kierkegaards Die Krankheit zum Tode, am Küchentisch erledigen, als ich, wie gesagt, ausrutsche, an den Herd knallte und nun liege ich hier.
Ich betrachte mich. Das Blut hat aufgehört zu laufen, ich schaue entspannt und friedlich.
Moritz schnüffelt immer noch an mir herum. Da schubst er meinen Arm weg, beißt in die Puppe, auf der ich ausgerutscht bin, und verschwindet quietschend im Wohnzimmer. Entgeistert schaue ich hinterher.