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Sesam

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08.09.2001
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Sesam

Sesam
*

Ins Tal der Rosen wollte er mich bringen, wo die Elektrizität so schwach ist, dass Glas nicht
zerspringen kann. Wo Samt nicht wie Zement auf der transpirierenden Haut liegt, sondern leicht und kühl, wie Schnee.
Er gab mir das Versprechen das Feuer zu entfachen, das aus einem unerfindlichen Grund
verlöscht war, als ein Schatten lautlos auftauchte und sich wie ein Grauschleier über mich legte. Mit seinen Löwenaugen schenkte er mir die Wahrheit, die ich in dieser atemlosen, verwirrenden Welt verloren hatte, nicht mehr finden konnte, verzerrt liegt sie am Straßenrand.
Und das Efeu wuchert und wuchert über diese Wahrheit, die aufgeweicht von meinen Tränenlügen zerschmilzt. Zu einer Sternschnuppe hauchte ich SESAM .
*
Als meinen Engel sandte man ihn mir, als ich schrieb, um zu vergessen. Das Rätsel einer
jungen Frau, deren Freunde die Rasierklingen sind und der Mond.
Ich sehe sie auf dem Balkon stehen und verzweifelt schreien: Wie besteht man diese Welt?
Und ich höre, dass ihr niemand antwortet. Illusionslose Verwerfung.
Ein Kind in einem alten Körper, das sich festklammert an der Mutter Hoffnung.
Er liebte es zu malen und Zypressen auf seiner Terasse zu sammeln und er war klug.
Klug genug, sein Herz nicht zu verschenken. Zu leihen, aber immer an einem Rückholgummiband zu befestigen.
*
Ich begab mich auf die Suche Freunde zu finden. Wie Diogenes, der versucht hat welche zu finden; mit der Laterne am hellichten Tag. Einige habe ich getroffen und scheint es dennoch,als existierten sie nur deshalb, um mich schnell wieder zu verlassen.
Weil ich komisch bin. Weil ich bin, wie sie, nur anders. An den Anblick im Spiegel gewöhnt man sich schnell, an den eines Zerrspiegels nie. Ich bin ein Idiot.
Gehe auf eine Schule, der ich nicht gewachsen bin. Schreibe Fünfer in Mathematik und Physik. Ich will nicht erkennen, dass die Strömung des Flusses zu stark ist und, dass Willenskraft alleine nicht reicht. Aber was ist das für eine Pforte, die sich öffnet, denjenigen, die springen, ohne die Frage nach der Tiefe des Falls?
Wie Perlen sich lösen an einer Kette, die gerissen ist, löse ich Gedanken für Gedanken, doch sie verrinnen kraftlos am endlosen Strand. Und es hüllt mich der Dunst der Liebe ein, wie ein warmes Federkleid.
*
Ich liebe ihn, aber wenn ich an ihn denke, höre ich nur noch das dumpfe Plätschern
des Regens. Er hat mich niemals betrogen und wenn ich ihm zufällig auf der Straße begegne,
huscht stets ein ehrliches Lächeln über das, was einmal sein Gesicht gewesen ist...
Wir alle träumen vom Glück. Wir alle bekommen Zufriedenheit. Ein nettes Reihenhäuschen in
einem netten Vorstadtort und einen netten Mann. Und im Vorgarten blühen die Tulpen.
Anam Cara. Wir buhlen um Glück, wie Alpenstrudelwürmer nach Kot.
In Sequenzen streift es uns, das Glück, doch die, denen das zu wenig ist, verhungern.
Denn das Glück ist zerbrechlich und gleitet an uns vorbei, wie leichte Wolken über
dunkelblaue Tiefen, wie die endlose Weite des Meeres in den heißen lotrechten Strahlen.
Das Glück ist machtlos, es schläft und atmet und weiß von nichts...
*
Nach ein paar Monaten musstest du fort. Eine Art Urlaub, in Florenz, wo die Sonne so heiß brennt, dass man den Schmerz vergisst; doch Florenz war nur ein Vorwand, unter dem du gegangen bist...
*
Hier am Fluss stehe ich nun und blicke in den reißenden Wasserquirl, flüstere noch einmal SESAM -
und ich sprach es leise- vergebens.
Du gingst fort. Und in mir war wieder-
die Leere und Klarheit des Lebens.

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quod me nutrit me destruit

[ 10.05.2002, 10:21: Beitrag editiert von: josephine ]

 

Hallo josephine!
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Du verfügst über eine sehr lyrische, bilderreiche Sprache, welche mir gut gefallen hat. Dabei wirken deine Assoziationen niemals ausufernd oder absurd, wie es hin und wieder bei anderen Geschichten hier passiert. Auch an eine angenehme, äußere Form deiner Erzählung hast du gedacht. Das macht deine Arbeit durchaus anspruchsvoll.
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Sätze wie etwa gleich der erste:

Ins Tal der Rosen wollte er mich bringen, wo die Elektrizität so schwach ist, dass Glas nicht zerspringen kann.
finde ich sehr anziehend und motivieren mich, weiter zu lesen. Hier verknüpft du Themen, welche sonst immer nur strikt getrennt voneinander behandelt werden auf eine ganz unerwartete und effektive Weise. Abgesehen davon ist sich heute wohl kaum jemand darüber bewusst, wie sehr wir heutzutage permanent von Elektrizität (und ihrer elektromagnetischen Strahlung) umgeben sind. Die Verheißung eines "Tal der Rosen" ohne diese hier zudem noch als destruktiv dargestellte Elektrizität hat da wirklich etwas durchaus paradiesisches an sich.
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Als einen Engel sandte man ihn mir, als ich schrieb, um zu vergessen. Das Rätsel einer jungen Frau dessen Freunde die Rasierklingen sind und der Mond.
(deren Freunde!) Auch hier schaffst du überzeugend harte Kontraste, ohne dabei aber aufdringlich zu wirken. Auch der scheinbare Widerspruch, etwas aufzuschreiben, um etwas zu vergessen gibt der Erzählung viel Inhalt.
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Im zweiten Teil verlässt du dann ein wenig die metaphorische Ebene und lässt sozusagen "die Katze aus dem Sack": Man weiß jetzt genauer, worum es geht. Das ist gut, da die Erzählung jetzt mehr Handlung erhält.
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Nun ein paar Details:
Und ich höre, dass ihr niemand antwortet. Illusionslose Verwerfung.
Letzteres Wortpaar hört sich gut an, aber ich glaube, es passt nicht. Denn: Was wird denn hier nun verworfen?
...aber immer an einem Rückholgummiband zu befestigen.
"Rückholgummiband" (gibt es dieses Wort eigentlich, ich meine "offiziell"?) ist viel zu technisch gefärbt. Da wäre irgendetwas anderes sicher besser.
Weil ich komisch bin.
Ich persönlich habe mit der (hier vielleicht nicht beabsichtigten) Doppelbedeutung dieses Begriffes Probleme. "komisch" kommt eigentlich ursprünglich von comicus, also der Komödie zugehörig. Aber du meintest vielleicht eher "sonderbar", "eigenartig".
Anam Chara. Wir buhlen nach Glück. Wie Alpenstrudelwürmer nach Kot.
Was ist "Anam Chara"? Ist das so bekannt, dass es jeder halbwegs Gebildete wissen sollte? Von "Alpenstrudelwürmern" habe ich auch noch nie was gehört. Hört sich aber gut an! ("buhlen um Glück", nicht "nach"!)
...doch Florenz war nur ein Vorwand, unter dem du gegangen bist...
"unter" hört sich seltsam an. Ich kann mich vor oder hinter einer Wand befinden, aber unter einer Wand... das macht irgendwie keinen Sinn.
die Leere und Klarheit des Lebens.
Super formuliert! Auf der einen Seite der emotionale behaftete Begriff "Leere", auf der anderen Seite das rationale "Klarheit". Damit deckst du mit nur ein paar Worten die beiden großen Inhalte des Lebens ab.
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Es gibt noch ein paar gelegentliche Komma- und Zeitfehler. Die hab ich jetzt nicht erwähnt.
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quod me nutrit me destruit
Eine ähnliche Überzeugung habe ich auch von einer flüchtigen Bekannten von mir schon gehört. Sie hat sich etwas ähnlich lautendes, auf Deutsch und in großen Lettern, sogar an eine ihre Zimmerwände gemalt. Aber ich finde, es bringt nichts, an solche Dinge zu glauben. Wohin soll das auch führen?
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Gruß
thomas

[ 09.05.2002, 22:53: Beitrag editiert von: Die philosophische Ratte ]

 

Was ist "Anam Chara"?
Vermutlich ist hier "Anam Cara" gemeint. Anam ist das gälische Wort für Seele, Cara heißt Freund. Anam Cara bedeutet nach keltischem Verständnis also "Seelenfreund". Falls das nicht gemeint war, bitte aufklären, liebe Autorin :)

...doch Florenz war nur ein Vorwand, unter dem du gegangen bist...
"unter" hört sich seltsam an. Ich kann mich vor oder hinter einer Wand befinden, aber unter einer Wand... das macht irgendwie keinen Sinn.
Ein Vorwand hat nichts mit einer Zimmerwand zu tun, und nach allen mir bekannten Standardwerken der Deutschen Grammatik tut man nach wie vor etwas UNTER einem Vorwand ... auch wenn man das nicht sollte ...

nüscht für ungut
SaltyCat

[ 10.05.2002, 03:34: Beitrag editiert von: SaltyCat ]

 

Wenn SaltyCats Definition von "Anam Cara" zutrifft halte ich diesen Einschub an dieser Stelle für deplatziert. Es fehlt einfach der Zusammenhang in diesem Abschnitt.

 

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