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Servus Sklave
Servus Sklave
Das ist keine politisch inkorrekte Begrüßungsformel im Büro oder auf dem Schulhof. Dem lateinlernenden Kind sei Dank, weiß ich nun, dass die deutsche Bedeutung von Servus, Sklave lautet. Ich gebe es unumwunden zu, dieser Teil der Allgemeinbildung war neu für mich. Servus ist ja auch eine der am weitesten verbrei-teten Grußformel in Europa. Dummerweise werde ich ab jetzt immer an den Wortursprung denken müssen. Wenn nun der Chef oder die Angetraute mich mit Servus begrüßen, wird dies entweder ein Hinweis auf meinen Platz innerhalb der Firmenhierarchie sein oder die Aufforderung zu einem „Fifty Shades of Grey“ Abend.
Ich habe also wieder einmal zu viel Wissen in mich aufgenommen, was ich nur durch noch mehr Informationen wieder verdrängen kann. Leider finden sich im täglichen TV Abfall nur selten Wissensperlen. Auch wenn manchmal recht unterhaltsam, ist es jedoch für mich unwesentlich, wie man sich mittels einer Büroklammer, einem Luftballon und einer Toilettenbürste, eine Handyantenne basteln kann. Umso erstaunlicher, wo sich manchmal tiefgründiges Wissen offenbart.
Vor kurzem musste ich wieder einige Zeit auf dem Bahnhof verbringen. Wie üblich habe ich wegen Verspätung meinen Anschlußzug verpasst. Mit einem Kaffee sitze ich also auf der Wartebank und beobachte, wie die Läden und Restaurants um mich herum schließen. So erkenne ich auch im Irrglauben zu sein, die Donuts in der 70. Filiale von „Drunken Donuts“ seien jeden Tag frisch. Weit gefehlt. Am Ladenschluß werden einfach alle nicht verkauften Exemplare auf ein Blech zusammen-geschoben und für den nächsten Tag in den Schrank verfrachtet. Lecker. Ich versuche die halbherzigen Reinigungsversuche in all den Fress-tempeln nicht zu verfolgen. Schließlich komme ich dank der Bahn ja doch öfters in die Verlegenheit hier oder dort Nahrung aufnehmen zu müssen.
Eine offensichtlich neu installierte Leuchttafel direkt neben mir, hat meine volle Aufmerksamkeit. Neben wirklich wunderschönen Naturaufnahmen von ausgezeichneten Fotografen, zeigt sie auch Quizfragen und „Dinge, die man nicht wissen muss“. Das ist wenigstens schon etwas spaßig aufgezogen.
Ein Vision Clearance Engineer ist also kein Entwickler von Brillenreinigungstücher oder Scheibenwischern. Früher hieß er einfach nur Fensterputzer. Es folgen zwei nette Cartoons und Statistiken über alte Menschen auf Golfplätzen, den Jahresverbrauch eines Bundesbürgers an Ohrenstäbchen und die Häufigkeit von Pickeln am Gesäß. Sehr interessant. Weiterhin weiß ich nun, dass es auch eine Angst vor leeren Gläsern gibt. Ich vermute mal, dass Cenosillicaphobie-Geschädigte nur in Kneipen anzutreffen sind. Aber das ist nur geraten.
Es folgt eine Leseprobe aus „Wände – Der Leidensweg eines Anstreichers“ und weitere Worterklärungen (Field Operator = Aussendienstmitarbeiter). Witze der Woche: Wie nennt man einen kleinen Türsteher? = Sicherheitshalber. Wie nennt man einen Norweger der ein A4 Blatt einscannt? = ScanDinA4. Ha, selten so gelacht. Gott sei Dank habe ich nicht den Kaffee verschüttet.
Allerdings sehe ich einen Ketschupfleck in Form des Kölner Doms auf meinem T-Shirt. Komisch, ich hatte heute gar nichts mit Ketschup. Da sich nicht das Abbild der Jungfrau Maria daraus gebildet hat, wird wohl mein T-Shirt nicht in einem Wallfahrtsort aufgenommen werden. Zwecks Reinigung von T-Shirt und Blase suche ich demzufolge das öffentliche WC.
Durch jahrelanges Training ist es mir bisher meistens gelungen, den Besuch eines öffentlichen WCs zu vermeiden. Aber irgendwann sagt auch die durchtrainierteste Blase „Alter, ich bin so was von voll.“ Mehr durch Zufall wird mir klar, dass der gegenüberliegende, hell erleuchtete Raum voller High-Tec das moderne WC von heute ist.
Dank Kredit- und EC-Karte führe ich kaum noch Bargeld mit mir, was mir hier aber zum Verhängnis wird. Der Zutrittsautomat muss mit Kleingeld gefüttert werden, bevor ich zur Verrichtung schreiten kann. Da mittlerweile alle gastronomischen Einrichtungen geschlossen sind und sich auch sonst keine Möglichkeit anbietet Kleingeld zu erlangen, muss ich mir schnellstens etwas einfallen lassen, bevor die Blase platzt.
Draußen ist es dunkel und menschenleer. Soll ich wirklich hinter einer Reklamewand verschwinden? Meine Angst vor Angriffen der mutierten Stadt- und Raubtaube oder armen Menschen die erfolglos gegen ihre Cenosillicaphobie gekämpft haben, lässt mich im hellen Gebäude verweilen. Ich könnte natürlich einen anderen Reisenden überfallen und versuchen einen zu Euro erbeuten. Aber ersten fehlt mir die passende Vermummung und zweitens bin ich der einzige Wartende hier. Verzweifelt suche ich einen Ausweg.
Ein Euro erscheint mir für einen derart kurzen Besuch auch recht überzogen. Aber dafür ist die Verweildauer nicht zeitlich begrenzt. Warum auch. Es gibt schönere Plätze um die Zeit totzuschlagen. Eine kleine Kopfrechnung sagt mir, dass sich die Einnahmen eines Tages zu einem kleinen Vermögen summieren. Nicht auszudenken wie es sich erst rentiert, wenn in den umliegenden Fresstempeln der Aufwischlappen mal nicht gewechselt wird. Wie ich lesen kann, bekomme ich für fünfzig Cent einen Einkaufwertgutschein, den ich genau in vier Einrichtungen einlösen kann. Keine davon hat jetzt aber noch geöffnet. Soll ich solche Gutscheine sammeln? Gibt es vielleicht auch eine Tauschbörse und ein passendes Sammelalbum dafür? Mit einer lächelnden Klobrille vorn drauf.
Der Zugang zur Sanitärkeramik ist durch stählerne Drehkreuze und Glassperrwänden versperrt und nur zahlendem Publikum zugänglich. Es mutet wie ein Sicherheitsdurchgang am Flughafen an. Hat man Angst, dass ich hier eine Schüssel sprenge? Fehlt nur noch ein Körperscanner. Anschließend bekommt man mittels Leuchttafel, eine zum eigenen Körper und der zu erwartenden Entsorgungsmenge passgerechte Kabine zugewiesen. Wenn schon modernisiert wird, kann auch gleich der Ticketautomat ein Upgrade erfahren. Wenn alle Kabinen belegt sind, erhält man ein Frühbucherticket und wird über die Bahnhofslautsprecher ausgerufen sobald wieder Kapazitäten frei sind.
Als einziger Ausweg bleibt mir die Kinderklappe. Dabei handelt es sich um eine Aussparung in der Glasabtrennung, die in etwa so groß ist, wie ein ca. zehnjähriges Normkind oder das, was sich unsere Bürokraten darunter vorstellen. Menschen bis zu dieser Größe ist nämlich ein kostenloser Zutritt gewährt. Ich zwänge mich unter Aufbringung aller noch vorhandenen Kräfte durch die Öffnung und bin vom Vorgang selbst als auch von mir angewidert. Der Rest bleibt privat.
Fast bedaure ich nun weiterreisen zu müssen. So viel könnte ich dank der leuchtenden Infotafel noch dazu lernen. Aber wie gesagt: fast.