Septemberregen
Ich sitze am Fenster und schaue hinaus.
Draußen laufen die Leute vorbei, von einem Unterschlupf zum nächsten.
Ich verstehe sie nicht.
Den ganzen Sommer war es trocken, kein Lüftchen wehte. Alles war schon vertrocknet. Nun gießt es wie aus Kübeln.
Ich liebe Regen.
Er macht mich traurig. Doch warum sehen die Leute Traurigkeit als etwas schlimmes an ? Ich bin gerne traurig. Manchmal sitze ich in meinem Zimmer und weine. Wen stört das, wenn es Menschen gibt, die Ihre Emotionen nicht aufstauen sondern gleich raus lassen?
Plötzlich überkommt es mich. Ich kann mich einfach nicht mehr halten. Ich muss raus.
Barfuss laufe ich aus der Wohnung. Mein Nachbar, der im Fahrstuhl mit mir nach unten fährt schaut etwas verwirrt, als ich im Morgenmantel neben ihm stehe.
Ich lächle nur und sage freundlich guten Morgen.
Der Mann schüttelt den Kopf ohne meinen Gruß zu erwidern.
Unten angekommen laufe ich ins Freie. Ich breite die Arme aus. Der Regen durchdringt meine dünne Kleidung. Ich spüre wie die kleinen Perlen an meiner Haut hinabgleiten.
Am liebsten würde ich mich auf den Boden schmeißen. Doch ich will nicht übertreiben. Es ist ja nicht der letzte Tag mit Septemberregen.
Im Einkaufsmarkt gegenüber herrscht schon ein munteres Treiben.
Alles fixiert sich auf die neusten Angebote, Hauptsache ist, möglichst viel für wenig Geld.
Ich klinke mich da aus. Ich mag gerne mal etwas richtig teures kaufen, auch wenn es das Produkt irgendwo anders sicher billiger gibt. Warum gönnen sich die Leute nichts mehr?
Mittlerweile bin ich völlig durchnässt, doch hineingehen will ich noch nicht. Also fange ich an zu laufen. Die Luft riecht nach Staub und Wasserdampf steigt von der heißen Teerstraße hoch. Ich laufe die alten Bahnschienen entlang. Hier ist schon lange kein Zug mehr gefahren.
Als ich klein war nahm mich mein Vater jedes Wochenende mit zu einer Sackgasse, an deren Ende die Bahnschienen verliefen. Neugierig schaute ich jedes Mal den Zügen hinterher. Mein größter Traum war es, selbst mal in einem zu fahren.
Es ist schon so lange her.
Ich laufe an dem Biotop vorbei, an dem ich früher mit meiner Freundin gespielt habe und an den "Sieben Quellen", unserem damaligen Hauptquartier, wo wir Schokolade mampften.
Septemberregen ist so wunderbar warm.
Ich schaue in den Himmel und fange an mich zu drehen.
Da falle ich in den Matsch der die alten Bahnschienen umgibt.
Mein Morgenmantel ist beschmutzt.
Traurig gehe ich nach Hause.
Im Flur hinterlasse ich Pfützen.
Ich stecke meinen Morgenmantel gleich in die Waschmaschine. Während der Kaffee durchläuft nehme ich eine ausführliche Dusche. Dann ziehe ich vernünftige Kleider an, fülle den Kaffee in eine Thermoskanne und nehme im vorbeigehen eine Banane mit.
Als ich den Flur betrete sind die Septemberregenpfützen schon wieder verschwunden.
Auf dem Weg zur Arbeit hört der Septemberregen auf.