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Sense of Schmarrn
Ich sitze im dritten Meeting zwischen Frühstück und Mittagessen. Dazu fällt mir überhaupt nur ein positiver Aspekt ein. Ich habe, trotz überwiegend sitzender Tätigkeit, wenigstens ausreichend Bewegung. Schließlich ist es ja geradezu ein Naturgesetz, dass aufeinander folgende Termine, grundsätzlich in verschiedenen Gebäuden stattfinden. Ich warte immer noch darauf, dass der Outlookkalender mit dem Firmenhandy gekoppelt wird und so auch die Navigationsfunktion übernimmt.
Ohne mir irgendeinen Vorwurf zu machen wird mir bewusst, dass ich momentan gar nicht weiß um was es in diesem Meeting eigentlich gehen soll. Da bin ich aber nicht der Einzige im Raum.
Die wenigen Anwesenden vermeiden jeglichen Augenkontakt. Stille erfüllt den Raum. Niemand wagt ein Gespräch zu beginnen, aus mangelnder Kenntnis des heutigen Themas. So vermeidet man jed-wedes peinliches Eingeständnis der eigenen Gleichgültigkeit.
Die Deckenbeleuchtung summt unangenehm. Der Stuhl ist ganz bequem. Allerdings beginne ich schon jetzt, rückseitig zu schwitzen.
Einer der sechzehn Einbaustrahler in der Decke bleibt dunkel. Genau wie mein Erinnerungsvermögen.
Die Projektleiterin blickt von ihrem Klapprechner auf. Freude sieht anders aus. Wir erfahren, dass die eigentlich „Einladende“ sich krank gemeldet hat. Somit fehlen (mit dem mir unbekannten SPOC – Single Point of Contact) die zwei wichtigsten Personen. Jetzt eröffnen sich zwei Möglichkeiten. Erstens, das Meeting endet ganz schnell aus Ermangelung der notwendigen Sachkompetenz. Zweitens, es wird eher viel länger dauern als geplant, aus genau demselben Grund.
Weil die anderen drei Leute im Raum ja ganz "Wichtige" sind, entschließen sie sich, die Sache auch so zu stemmen. Schließ-lich kann eine Führungskraft alles. Egal um was es geht. Die Projektleiterin stellt leicht angesäuert fest, dass nun auch kein Protokoll mitgeschrieben wird, da die „Einladende“ ja abwesend ist. Notgedrungen wirft sie die Todoliste an die Wand, um die aufgeführten Punkte durchzugehen. Ich kneife die Augen ein wenig zusammen, kann aber rein gar nichts erkennen. Die gezeigte Excelliste hat ca. 40 Spalten, die natürlich alle auf eine Seite gequetscht sind. Na wenigstens im Formatieren ist die Frau extrem effizient, denke ich mir.
Schade, dass der „Spoc“ nicht anwesend ist. Er könnte mit dem vulkanischen Nackengriff alle in Tiefschlaf versetzen und mich zum Weltraumschach einladen. Es naht der Moment wo ich bereue, heute schon vor 11:00 Uhr in der Früh, 3 Tassen Kaffee getrunken zu haben. Einerseits notwendiges Lebenselixier um Komazustände bei strunz langweiligen Vorträgen zu vermeiden, fordert er doch irgendwann seinen Tribut. Just jetzt ruft mich deshalb das „00“ und bittet mein Unterbewusstsein um eine Audienz. Wenn ich nun den Raum verlassen würde, könnte ich aber vielleicht nicht bei der Lösung eines unheimlich schwierigen Problems beitragen. Wo ich doch so viel „Know How“ zu bieten habe.
Ich suche nach Ablenkung. Die Decke hat leider kein Karomuster oder Punkte, die ich zählen könnte. Versuche zu erraten, was die Helikoptermutter neben mir gerade ihrer zwanzigjährigen Tochter per WhatsApp ratschlägt. Schönes Wort habe ich da eben erfunden. Aus der Vergangenheit weiß ich, dass besagte Tochter täglich bei Mutti auf Arbeit anrufen muss. Dann wird besprochen wie der Tag war, wo die Tupperdose mit dem vorgekochten Essen im Kühlschrank steht, wie lange Selbiges in die Mikrowelle muss, ob ein halbes Brot für heute Abend reicht und ob Mutti bei irgendeiner Klausur helfen kann. Für solcherlei Gespräch wird locker eine Stunde des Büroschlafes abgezweigt. Aber am Ende des Monats wieder mit 125 Prozent auf der Überlastungsliste stehen.
Der Kollege mir gegenüber hat dummerweise vergessen seinen Lausprecher auf stumm zu schalten. So schallen nun verdächtige Geräusche aus dem Klapprechner. Entweder spielt er Moorhuhn 3000 oder schaut sich bei Youtube Videos über jaulende Katzen an. Jetzt gucken wir anderen natürlich ganz böse und er entschuldigt sich. Wie ein beim Popeln erwischter Praktikant, möchte er vor Verlegenheit im Boden versinken. Ein bisschen mehr Aufmerk-samkeit kann man aber auch wirklich erwarten.
Derweil fülle ich mein Schreibheft mit wichtigen Notizen. Nachdem ich festgestellt habe, dass ich „Das Haus vom Nikolaus“ immer noch gut hinbekomme, versuche ich mich im Designen von Weltraumraketen die mit Mandalas verziert werden.
Erfreulicherweise, meine Augen atmen auf, weicht die Excelliste nun einer gigantischen Powerpoint-Präsentation. Schön bunt, mit sämtlichen Möglichkeiten die das Programm so bietet. Das sind viele, sehr viele. Dummerweise habe ich nicht rechtzeitig weg-geschaut und den Inhalt einer Folie gedanklich aufgenommen:
„Nach der Genehmigung des CAPA Planes durch den LARP, hat der FURP wieder einen Zugriff auf die einzelnen Stockouts und kann mit der Aktualisierung der GOPs wie z.B. die Verlängerung eines Quality Events oder Involvierung von IGM und HSE sowie Ergänzungen im Feld „Action Description“, ASAP beginnen.“
Ich verschlucke mich am leckeren Tafelwasser und kann gerade noch verhindern, dass es mir aus der Nase schießt. Mit diesen neuen Erkenntnissen könnte ich nun ein Neutrino mit der bloßen Kraft meiner Gedanken beschleunigen oder ein doppeltes Wurstbrot schmieren, während ich mit Mingvasen jongliere. Je nach Bedarf.
Sofort trifft mich der brennende Hexenblick der Projektleiterin. „Ist irgendetwas nicht in Ordnung? Möchten Sie uns an Ihren Gedanken teilhaben lassen? Das ist hier ein wichtiges und ernstes Thema. Wie wäre es mal mit ein bisschen mehr „Sense of Urgency“?
Nach dem ersten Schock, bin ich bis ins tiefste Innerste verunsichert. Was erwartet die Frau von mir? Obwohl sicher etwas gänzlich anderes damit verbunden ist, drängen sich mir sofort verstörende Gedanken auf. Ich sehe mich im weißen Kittel über die Flure eilen und eine unvollständige Power-Point-Präsi in den „Emergency Room“ rollen. Quasi der deutsche George Clooney fürs Büro. Eine schöne Vorstellung.
Unsanft werde ich aus meinen Träumen gerissen. „Wir sehen uns nächste Woche zur selben Zeit. Ich hoffe jeder hat dann seine Todos erledigt.“ donnert die Powerfrau.
„Du mich auch.“ denkt sich die querulante Seite meines Hirns. Auf dem Flur spreche ich den mir am nächsten Flüchtenden an, um meine Bereitschaft zur Kooperation zu zeigen. „Das war ja interessant. Wie wollen wir die Sache denn angehen?“ Sehr geschickt gemacht, lobe ich mich. Ich will ja auch irgendwann mal motiviert werden. So bekomme ich schlussendlich doch noch heraus, um was es eigentlich ging.
„Keine Ahnung. Ich hab zu spät gemerkt, dass ich im falschen Meeting bin.“
Mahlzeit