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Selbstversuch
Die Tür fällt hinter mir ins Schloss, und obschon ich hier schon seit drei Jahren wohne, erfreut mich dieses Geräusch immer aufs Neue, da es mir suggeriert: Deine Tür ist ganz schön schwer und damit besonders sicher. Nicht, dass ich Angst vor Einbrechern hätte. Eigentlich geht’s nur darum, den Rest der Welt draußen zu lassen, was sicherlich auch eine dünnere und weniger sichere Tür vermögen würde, nur würde die mich beim Zuwerfen eben nicht so erfreuen.
Na ja, egal auch. Jedenfalls fällt die Tür ins Schloss und ich ins Zittern, weil es in meiner Wohnung grässlich kalt ist. In meiner Wohnung ist es immer grässlich kalt, außer im Sommer. Die Heizung funktioniert wohl. Ausprobiert habe ich sie allerdings noch nie. Vielmehr freue ich mich diebisch daran, dass die Leute über und unter mir fürsorglich eine gewisse Grundwärme jenseits der zehn Grad sichern. Die Vorteile liegen ganz klar auf der Hand: Man kann Lebensmittel, wie angefangene Fertiggerichte einfach so auf dem Tisch stehen lassen, ohne dass diese nach zwei Tagen gleich auf der Flucht sind, und außerdem sind die Nebenkosten enorm günstig. Einzig im Sommer muss man sich dann umstellen, mit den Fertiggerichten und so, weil diesen, obwohl es gar nicht mehr kalt ist, ein Pelz wächst. Aber das kennen sie ja sicher.
Und so sitze ich dann da, an meinem Tisch, auf dem ausnahmsweise keine unfertig vertilgten Fertiggerichte stehen und denke darüber nach, ob das, was ich da gerade erlebt habe, nun gut oder schlecht ist. Die Fakten will ich jetzt hier gar nicht wiedergeben. Die sind eigentlich auch völlig egal. Also erst mal ein Bier. Womit wir wieder bei den Geräuschen wären: Türklapp = Sicherheit, Bierknackzisch = Entspannung (das Knack kommt daher, dass ich seit Jahren nur Dosenbier trinke. Des Geräuschs wegen.).
Jetzt habe ich gerade nicht weiter geschrieben, weil ich erst mal das Bier austrinken musste. Also, wo waren wir? Ja genau, wir waren dabei, ob ich das nun gut oder schlecht finden soll. Kennen Sie auch dieses Dilemma: Man erlebt etwas und spürt im Moment des Geschehens einen heftigen Impuls. Etwas, das einem die Tränen in die Augen treibt. Zuerst sind es einfach nur Tränen. Ein heftiges Gefühl, etwas extrem Rührendes. Und dann auf einmal windet sich unser Hirn und beginnt, das Ganze in winzige Stromstößchen zu zerpflücken. Man fragt sich, um welche Tränenspezies es sich wohl handeln mag: Tränen der Wut, Tränen der Freude, Tränen der Rührung oder gar Tränen der Verzweiflung. Also dafür, dass es derart viele Ursachen für feuchte Augen gibt, selbst wenn man die rein physischen, wie Zwiebelverarbeitung und eisigen Wind auf dem Fahrrad außer Acht lässt, weinen wir doch erstaunlich selten. Gut, zugegeben, es gibt Fälle, in denen wir uns diese Frage nicht stellen müssen. Wenn wir auf dem Friedhof stehen, sind Freudentränen eher unwahrscheinlich und selbst wenn das Erbe reichlich ist und der Verblichene auch im Leben schon ein Aas war, kann man Freudentränen an diesem Ort prima unter Vortäuschung falscher Ursachen freien Lauf lassen. Was aber, wenn der Ort des Geschehens weniger eindeutig, sagen wir, eine Telefonleitung ist, an deren Ende aus einem Lautsprecher nur Worte ohne wahren Klang rieseln? Dann wird’s kompliziert. Fakten hier, Fakten da. Fakten neu sortieren. Welche wegkürzen und der Logik zum Fraße vorwerfen. Wenn das eine so ist, kann das andere zwangsläufig nicht anders sein. Oder doch? Unsicherheit. Unsicherheit = Unruhe. Unruhe schreit nach Entspannung. Bierknackzisch, Moment.
Nein keine Angst, ich warte jetzt nicht wieder, bis die Dose erledigt ist. Schließlich kann man ja auch schreiben und trinken. Multitasking. Wir waren bei der Unsicherheit und ob Sie das auch kennen, so von wegen, ich weiß nicht, was soll es bedeuten.
Und wer jetzt ein bisschen mitgedacht hat, ahnt freilich, dass Ursprung all dieser Unruhe nur menschliches Tun und Lassen sein kann. Aber wir hatten uns ja darauf geeinigt, dass es um die Sache selbst gar nicht gehen soll. Und so formuliere ich es allgemeiner: Mein Auto springt früh an oder eben nicht. In beiden Fällen ist das Signal eindeutig. Im unbequemen Fall hilft kein Grübeln, sondern das Fahrrad. Und in der Folge wird die Werkstatt sagen, was der Spaß diesmal wieder kostet und man schwingt sich auf zum Richter für die Scheißkarre. Todesurteil auf solider Entscheidungsgrundlage. Einfach herrlich das.
Ganz anders, wenn die Sache menschlich wird. Der eine sagt gar nichts und hätte ja eigentlich etwas sagen wollen, der andere sagt Sachen, die er dann gar nicht so gemeint hat und auch nicht hätte sagen sollen und wieder ein anderer ist einfach nur ehrlich. Sagt er. Und alle zusammen wollen sie sich nur in den Laken des Lebens wälzen, wild umschlungen und dann doch so verknotet, dass die Glieder zu schmerzen beginnen.
„Hey, du liegst auf meinem Knie!“
„Na und? Du bist so schön warm und außerdem kann ich mich gerade nicht bewegen.“
Momentchen mal. Sie wissen schon.
Jetzt Rachmaninow und Bierknackzisch und Schreiben. Zurück in die Laken des Lebens und zum schmerzenden Knie. Eigentlich schmerzt es ja nur, weil heute Morgen mein Auto nicht anspringen wollte und ich mit dem Fahrrad fahren musste und es mich vorhin mit eben diesem ganz gewaltig geschmissen hat.
Na jedenfalls wird auch das, was ich da vorhin erlebt habe, sie wissen schon, das Menschliche, irgendwann einen Sinn ergeben. Prost!