Selbsttherapie (ein innerer Konflikt)
Selbsttherapie
(ein innerer Konflikt)
Ich: Ich bekenne mich schuldig, die letzte Englisch-Schularbeit nicht genügend geschrieben, und bei einem sportlichen Wettkampf, trotz hervorragender Aussichten, vollkommen versagt zu haben.
Ein dunkler Raum.
Selbsttherapeut: Hallo, bist du da?
Ich: Weiß nicht. Wo bist du?
Selbsttherapeut: Hier.
Ich: Ja.
Das Licht geht an.
Selbsttherapeut: Und wie geht’s uns heute?
Ich: ah…..
Ein grobschlächtiger Schlägertyp erscheint.
Schlägertyp: Schlecht! Dreckig! Beschissen!
Der Schlägertyp holt aus und schlägt mir mit der Faust mitten ins Gesicht, ich beginne zwar zu bluten, bleibe aber vollkommen ruhig.
Selbsttherapeut: Sachte, sachte. Gewalt kann keine Lösung…
Schlägertyp: Warum nicht? Häh? Wohin denn sonst, mit meinen Aggressionen?
Der Schlägertyp plustert sich vor mir auf und erhebt wieder seine Faust gegen mich, doch bevor seine Fingerknochen sich abermals in mein Gesicht graben können, springt mir der Therapeut zur Seite und fängt den Schlag ab.
Der Schlägertyp beginnt laut zu schnauben, verstummt dann aber mit einem langgezogenen Seufzer.
Ich: Ich bin ratlos.
Der Therapeut schaut mich fragend an.
Ich: Du weißt doch, in letzter Zeit gelingt mir einfach gar nichts mehr. Egal wo oder was. Ich versage andauernd, krieg nichts mehr hin. Und ich hab vor allem, und das ist das schlimmste denke ich, keine Ahnung wieso.
Bei diesen Worten erscheint plötzlich eine junge, adrette, offensichtlich gut gelaunte Frau. Sie tätschelt dem Schlägertypen kurz seine immer noch angespannten Muskeln, schenkt dem Therapeuten ein gewinnendes Lächeln.
gewinnende Frau: Also bitte, so schlimm ist es doch nun auch wieder nicht. Nur wegen dem einen Spiel und den paar unglücklichen Tests. Du weißt doch, dass du einfach nicht so toll drauf warst in letzter Zeit. Ist doch nicht so schlimm, und eigentlich geht’s dir ja wunderbar, ich mein schau dir doch in den Spiegel. Du bist doch wunderschön, und so charmant und intelligent noch dazu..
Die junge Frau nähert sich mir mit einem leichten, koketten Gang, stellt sich vor mich hin, sucht meinen Blick, lächelt mich an.
Ich strecke meine Hand nach der ihren aus, doch bevor ich sie berühren kann, drehe ich mich doch entnervt zur Seite.
Ich: Ach lass mich doch in Ruhe.
In der Zwischenzeit hat sich der Therapeut wieder an ich herangepirscht.
Ich: (resignativ wütend) Wie konnte das nur passieren, bei der letzten Englisch-Schularbeit? Ich hatte doch in dem Fach nie Probleme, und jetzt auf einmal. Nicht Genügend.
Der Schlägertyp wird unruhig.
Ich: Nicht genügend! Wie sich das schon anhört! Mein Junge, tut mir Leid, aber du genügst nicht.
Der Schlägertyp kann sich nicht mehr halten, und verpasst der adretten Frau einen brutalen Kinnhacken. Sie geht mit gebrochenem Kiefer zu Boden, spuckt Blut.
Schlägertyp: Falsch Schlampe.
Ich bin schockiert, der Therapeut hastet zum Schlägertypen.
Selbsttherapeut: Jetzt reiß dich aber mal zusammen. Ich habe es dir schon einmal gesagt, Gewalt ist keine Lösung, sie bringt dich nicht weiter, und wenn du weiterhin so ausfällig bist, muss ich dich bitten, den Raum endgültig zu verlassen.
Der Schlägertyp dreht sich murrend um, und stellt sich in eine dunkle Ecke, in welcher er offensichtlich ebenso dunklen Gedanken nachhängt.
Die Frau richtet sich derweil leise stöhnend auf und wischt sich mit einem Taschentuch das Blut vom Gesicht. Als sie endlich wieder auf den Beinen ist wirft sie dem Therapeuten und mir ein kurzes, verschämtes Lächeln zu und richtet sich ihr Gewand.
Ich setze mich frustriert zu Boden, die Arme auf meine Knie gestützt, den Blick ins Leere gehend nach Unten gerichtet.
Zwei Männer erscheinen. Der eine leger gekleidet, mit langen Haaren und einem lockeren Gang, jede Hast und Eile scheinen ihm fremd zu sein - ein Hippie vielleicht - von der rechten, der andere, herausgeputzt mit einem eleganten schwarzen Anzug, gepflegt, rasiert mit einem bestimmten, wenn auch ein wenig steifem Gang, von der linken Seite.
Sie treffen sich in der Mitte und betrachten einander mit verächtlichem Blick.
Hippie(zu mir):
Während der Hippie spricht, stellt sich der Anzug zur Frau und tauscht mit ihr leise Höflichkeiten aus.
Also mal ehrlich, ich versteh dein Problem nicht. Im Grund stinkt dich doch dieser Leistungswahn genauso an wie mich. Und was ist schon Erfolg in der Schule oder im Beruf? Was wirklich zählt, sind doch Liebe und Freundschaft.
Die Frau und der Anzug kichern leise.
Was hast du denn wirklich davon, irgendwo der Beste zu sein, was bringen dir schon sechsstellige Zahlen auf deinem Konto? Im Grunde willst du ja doch immer mehr und mehr, und irgendwann wirst du aufwachen und feststellen, dass du bei all deinem Erfolg eigentlich vergessen hast zu Leben. Zu Leben! Hör doch endlich auf dich selbst unter Druck zu setzen, dich fertig zu machen. Vergiss doch deinen Ehrgeiz und fang an, dein Leben zu genießen.
Der Hippie verstummt, der Anzug schüttelt der Frau die Hand, was diese mit einem süßen Lächeln quittiert.
Anzug: Apropos Leben.
Der Anzug geht geräuschvoll, die Absätze seiner Schuhe schlagen hart auf den Boden, auf mich zu und klopft mir übertrieben freundlich grinsend auf die Schulter.
Anzug: Ich sag dir was, das wird schon wieder. Hey, mach dich doch nicht so fertig, du kommst schon wieder nach oben. Du musst nur fest an dich glauben, und das sollte ja, so wie du drauf bist, kein Problem sein. Und mein Gott, diese eine Schularbeit, dieser eine Fleck, dieses blöde Spiel gestern. Du hattest einfach keinen guten Tag, nichts weiter. Das ist doch normal, alles kein Problem für dich, und dein Gegner gestern, der kann dir doch niemals das Wasser reichen, wenn du wieder in Form bist.
Hippie: Und wenn er eigentlich gar nicht in Form sein will, daran schon mal gedacht?
Anzug: Und das du eigentlich ein jämmerlicher Versager bist, unter dessen Einfluss er wahrscheinlich den ganzen Tag daheim lungern und kiffen würde, anstatt aus seinem Leben was zu machen.
Hippie: Hast du eine Ahnung vom Leben, Großkotz.
Anzug: Mehr wohl als du, Nichtsnutz.
Ich: Und, was ist es eigentlich, das Leben?
Der Hippie und der Anzug setzen beide dazu an, etwas zu sagen, bleiben aber doch stumm.
Schlägertyp(schmollend, aus der dunklen Ecke): Ein großer Haufen Scheiße, das ist es, das Leben.
Selbsttherapeut(zu mir): Und was denkst du?
Ich: Ich …. weiß es nicht…
Und doch schmerzt es, zu versagen. Ich habe das Gefühl, als liefe das ganze Leben darauf hinaus, andere zu übertreffen, am besten, schönsten, reichsten, am beliebtesten zu sein.
gewinnende Frau(lächelnd): Aber genau das bist du ja.
Der Anzug streckt seine Daumen in die Höhe und zwinkert mir zu.
Ich: Es scheint, als könnte man in unserer Gesellschaft nur glücklich werden, wenn man erfolgreich ist, wenn man etwas zu bieten hat. Ich meine, man sagt es einem Schulabgänger oder Arbeitslosen zwar nicht ins Gesicht, aber hinter deren Rücken stellt man sie doch als Versager hin und rümpft die Nase über sie.
Der Anzug streift sich selbstzufrieden über denselbigen.
Hippie: Ja und, was hat dich das zu interessieren? Um das alles geht es ja gar nicht. Die Liebe, mein Freund, die Liebe. Und Freundschaft, das ist Leben.
Selbsttherapeut: Und hältst du das für richtig?
Ich(nachdenklich): ….Vielleicht. Aber ist der Drang nach zivilisatorischem Fortschritt, und demzufolge der persönliche Ehrgeiz, nicht so im Menschen verankert, dass es eigentlich unmöglich ist, hier etwas zu ändern? Versuchen wir nicht, seit wir von den Bäumen gekrochen sind, uns über alles zu erheben? Egal ob Tiere, Pflanzen, Planeten, die Meere oder andere Menschen, versuchen wir nicht, uns alles Untertan zu machen?
Anzug: Und jetzt sag mir bitte, was soll so schlecht daran sein? Das ist doch der natürliche Lauf der Dinge.
Ich: Keine Ahnung. Vielleicht ist es nur so schwer, in so einer Welt glücklich zu werden?
Anzug: Ach, und in welcher Welt wärst du glücklicher? Glaubst du irgendwelchen Naturvölkern im afrikanischen Dschungel geht es besser? Lächerlich.
Ich: Das habe ich nicht behauptet. Aber vielleicht ist es einfacher, sich darüber Gedanken zu machen, wie man überlebt, als damit beschäftigt zu sein, wie man seine 80 Jahre am besten über die Runden bringt.
Anzug: Ich sage dir, die wären heilfroh, könnten sie auch nur einen Bruchteil der Annehmlichkeiten unserer modernen Zivilisation genießen.
Ich: Viele unter uns aber wären vielleicht ebenso glücklich, könnten sie sich ihrer Zwänge entledigen.
Schlägertyp: Ich sag’s doch, so oder so, das Ganze ist zum kotzen. Es stinkt zum Himmel. Haun wir uns doch alle über’n Jordan, dort isses vielleicht besser.
Frau: Reg dich doch ab, mein Guter, was ist denn so schlimm am Leben?
Schlägertyp: Alles. Das aufstehen in der Früh, das funktionieren Müssen, die Ungewissheit, die eigene Unvollkommenheit, die Verlogenheit der Menschen, der Druck sowohl anderen, als auch sich selbst entsprechen zu müssen, Kriege, Hass, Leid, die Unfähigkeit daran irgendwas zu ändern, weil man wirklich nicht kann, oder wahrscheinlich eher nicht wirklich will. Wahre Werte? Liebe, Freundschaft, Gemeinschaftsgefühl, was ist das schon? Ist doch alles nur falsch und verlogen.
(zu mir)
Und du bist genau so. Falsch und verlogen.
Der Schlägertyp springt aus seiner Ecke hervor, auf mich zu.
Schlägertyp: Ein falscher und verlogener Versager!
Er beginnt auf mich einzutreten.
Ich: Au! AH!
Alle anderen Anwesend blicken schockiert auf uns herab.
Nach einiger Zeit lässt der Schläger von mir ab und sinkt erschöpft neben mir zu Boden.
Der Therapeut gewinnt als erster die Fassung wieder.
Selbsttherapeut: So alle raus jetzt, das ist genug.
Der Anzug schnippt mit den Fingern, zeigt auf mich und zwinkert mir kumpelhaft zu. Er verlässt den Raum, Arm in Arm mit der Frau.
Der Hippie zündet sich einen Joint an, packt den Schlägertypen an den Armen und zieht ihn langsam fort.
Hippie: Die Liebe Kumpel, die LIEBE!
Ich liege geschunden, schwer atmend, mit geschlossenen Augen, am Boden. Der Therapeut zerrt hektisch erst einen Stuhl, dann einen Fernseher in den Raum.
Er hebt mich auf und setzt mich vorsichtig auf den Stuhl. Ich öffne langsam meine Augen, während der Therapeut den Fernseher einschaltet.
Selbsttherapeut: Was möchten wir sehen?
Ich: Das Schönste.
Der Therapeut dreht an einem Knopf, auf dem Bild erscheint –
Ich schreibe fünf Word-Seiten voll, um mein Innenleben darzulegen.
Der Hippie druckt sie aus, dreht sich mit der ersten Seite einen Joint, um die Lektüre der anderen vier zu genießen.
Die Frau verschickt sie per e-mail an alle möglichen Freunde, in freudiger Erwartung ausschweifender Lobeshymnen.
Der Anzug druckt die Erste Seite noch einmal aus und schickt sie mit den anderen, welche der Hippie am Schreibtisch liegen gelassen hatte bei einem Wettbewerb ein.