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Selbstloser Gott
Eine gigantische stählerne Kugel mit einem Durchmesser von 2000 Kilometer trieb draußen im Weltraum. Mit dem bloßen Auge war sie so gut wie gar nicht zu erkennen, so dunkel war das Metall und kaum ein Licht strahlte sie an. Die Instrumente meines Schiffes zeigten, dass sich dort draußen nichts befand. Keine Gravitation. Keine Wärmesignatur. Keine Lebenszeichen. Nichts. Aber das seltsame Gerät hatte ausgeschlagen und gerade jetzt summte es lautstark. Der Boden hatte angefangen leicht zu vibrieren, als ich vor einer halben Stunde in diesem Sektor angekommen war. Nun pulsierte der kleine Kasten aus Glas und Kupfer in blauem Licht und ich war mir sicher, dass ich an meinem Bestimmungsort angekommen war.
Meine Suche startete achtzehn Jahre zuvor. Die Erde war zu diesem Zeitpunkt bereits dem Untergang geweiht gewesen. Ressourcenknappheit, Hungersnöte, Kriege und atomare Katastrophen hatten dafür gesorgt, dass sich die menschliche Bevölkerung innerhalb von fünfzig Jahren um die Hälfte dezimiert hatte. Danach setzten nie dagewesene Naturkatastrophen ein. Schlimme Vulkanausbrüche auf der ganzen Welt, eiskalte Winter und Überschwemmungen bis weit ins Landesinnere waren nur wenige der Erscheinungen. Schnell wurde eines klar: Die Erde wehrte sich gegen das, was wir ihr angetan hatten. Andere Planeten wurden besiedelt und zu einer neuen Heimat, während die Erde für Jahrzehnte unbewohnbar blieb. Die Transportmittel zwischen den Planeten wurden weiterentwickelt und Einsteins Relativitätstheorie widerlegt, was dafür sorgte, dass man Antriebe baute, mit denen man schneller als das Licht reisen konnte. Die Menschheit lernte eine Handvoll außerirdischer Spezies' kennen, machte sich Freunde, aber auch Feinde. Und das war für mich der Grund, meine Reise zu starten. Im großen Krieg gegen eine feindliche Rasse namens Jn'Org – zwei Meter große, körperlich überlegene Wesen, die Ähnlichkeiten zu Tintenfischen aufwiesen – starb meine gesamte Familie. Innerhalb eines Tages fielen 7.000 Menschen den Monstern zum Opfer, nach drei Tagen betrugen unsere Verluste bereits 20.000 Mann. Außerirdische Verbündete kamen zur Hilfe, doch die Opferzahlen stiegen weiterhin an – langsamer, aber stetig. Nichts konnte diesen Krieg stoppen.
Zu dieser Zeit war ich gerade mal sechzehn Jahre alt. Zu jung, um eingezogen zu werden, aber alt genug, um die Schrecken des Krieges vollends mitzuerleben. Ein junges Ikani-Pärchen nahm mich bei sich auf – eine sehr fürsorgliche und liebevolle humanoide Spezies, die Ähnlichkeiten mit Katzen aufwies, zumindest was die Ohren und den Schwanz anging – und stellte meine Freude am Leben wieder her.
Als ich eines Tages durch die Straßen schlenderte, führte mich mein Weg zum heiligen Tempel der Ikani. Ihre Kultur faszinierte mich, auch wenn es dafür keinen bestimmten Grund gab, doch heute schien mich der Tempel magisch anzuziehen. Dort verehrten die Katzenwesen ihre Götter, beteten oder trafen sich nur zu einem ruhigen Plausch in den geräumigen Hallen. Ich bestaunte während meines Besuchs hauptsächlich die Architektur der verschiedenen Staturen, die anders als zu erwarten irgendwie gar keine Ähnlichkeiten zu den Ikani aufwiesen. Ovale, klobige Köpfe mit unterschiedlich großen Augen, ohne Ohren und kaum Gesichtskonturen glotzten in die Ferne.
„Wenn doch nur der große Mahyu helfen könnte“, hörte ich einen alten grauen Ikani in seiner Muttersprache sagen. Ein anderer, ebenfalls recht alter bräunlicher Ikani schüttelte bei diesen Worten nur den Kopf.
„Wenn er könnte, hätte er es bestimmt schon getan“, brummte er genervt und starrte einen der klobigen Köpfe böse an. „Unsere Götter sind nichts anderes als Götzen, wenn sie nicht im Stande sind uns zu helfen…“ Der graue Ikani schien das Gesagte zu überhören.
„In Zeiten der größten Not wird er uns helfen, daran glaube ich fest“, meinte er mit einem sanften Lächeln auf den Lippen. „Schließlich bin ich ihm bereits begegnet!“ Der braune Ikani lachte lautstark los.
„Da hast du bestimmt zu viel Jups gefressen! Die Götter erscheinen niemandem!“
„Aber wenn ich es dir doch sage: Ich habe ihn gesehen! Er stand auf meinem Feld und rief mich zu sich.“ Der andere stockte.
„Und jetzt willst du mir wahrscheinlich auch noch sagen, dass du mit ihm geredet hast, wie?“ Der Graue nickte.
„Er sagte, dass wir selbstlos handeln müssen, so wie es auch die Götter tun! Nur dann können wir Erlösung finden und der Krieg wird enden!“ Genervt wandte sich der braune Ikani von ihm ab und ging schnellen Schrittes von dannen.
Der graue Ikani jedoch lächelte weiterhin und schien bemerkt zu haben, dass ich das Gespräch belauscht hatte.
„Du Junge! Hör einem alten Mann zu“, befahl er mich sanft zu sich. Im ersten Moment war ich wie versteinert, ging dann aber vorsichtig auf ihn zu und wollte hören, was er zu sagen hatte. „Du willst doch auch, dass dieser Krieg endet? Ihr Menschen wollt auch bestimmt wieder zurück auf die Erde, oder?“ Sein Lächeln wurde zu einem breiten Grinsen, als ich zögerlich nickte. „Und du willst deine Familie zurückhaben?“ Ich machte große Augen.
„Woher wisst ihr…?“ Er winkte mit seinen großen Pranken ab und wurde ernst.
„Ich sehe es dir an. Du hast wahrscheinlich wie viele eurer Art geliebte Menschen verloren. Aber Mahyu könnte alles ungeschehen machen!“ Ich schüttelte den Kopf, als wollte ich einer Gehirnwäsche entgehen. Götter gab es nicht! Es war nur das dumme Geschwätz eines alten Katzenwesens, das süchtig nach Jups war, einer Droge, die beruhigend wirkte und zum Meditieren genutzt wurde.
Er sah mir an, dass ich ihm keinen Glauben schenkte und lachte.
„Ich zeige dir, dass ich Recht habe, Junge!“ Aus seinem langen, dunklen Mantel holte er eine kleine blaue Kugel hervor und reichte sie mir. Als er bemerkte, dass ich zu misstrauisch war, um sie einfach entgegenzunehmen, schüttelte er sie leicht und kicherte: „Keine Angst, das ist keine Bombe! Mahyu hat sie mir gegeben! Er sagte, dass ich ihn mit ihrer Hilfe finden könnte!“ Abermals reichte er sie mir und ich nahm sie zögerlich an. Es war eine einfache blaue Kugel aus einem mir unbekannten Material. Sie war durchsichtig, doch zu schwer, als dass sie aus Glas sein konnte und glitzerte leicht im Inneren.
„Was ist das“, fragte ich langsam, während ich sie begutachtete, doch als ich aufblickte, war der alte Ikani verschwunden.
Wochenlang suchte ich das alte graue Katzenwesen, doch es schien unauffindbar. Die Kugel verweilte in meinem Zimmer und jeden Abend betrachtete ich sie stundenlang fasziniert. Abends begann sie immer zu leuchten und ihr Inneres glitzerte wie Feenstaub. Es dauerte einige Monate, bis ich durch Zufall herausfand, dass es sich um eine Sternenkarte handelte. Die Kugel fiel mir eines Abends aus der Hand, rollte über den Boden und als sie anhielt, schienen Dutzende blaue Punkte gegen die Wand und formten durch imaginäre Sternenbilder, helle Punkte, die Sonnen darstellen sollten und andere eindeutige Navigationspunkte eine Karte. Das Licht eines Mondes des Planeten schien direkt auf die Kugel und erzeugte dadurch diese erstaunliche Projektion. Doch um sie interpretieren zu können, würde es eine lange Zeit beanspruchen.
Zwölf Jahre später hatte ich die seltsame Apparatur, die sich nun in meinem Schiff befand, fast vollendet. Wie sich herausstellte, wies die Sternenkarte zu abgelegenen Planeten in verschiedenen Teilen mehrerer Galaxien und die Kugel führte mich in Form eines Navigationsgerätes nacheinander zu Bauteilen, die vor Urzeiten versteckt worden waren. Als ich die ersten drei Teile fand, dachte ich noch an einen bösen Scherz, den man mir gespielt hatte, denn alles was ich fand, war nicht mehr als Kupferschrott, der sich in keiner Art und Weise zusammenfügen ließ. Doch je mehr Teile ich fand, desto sicherer war ich mir, dass ich kurz davor war etwas großes zu entdecken. Die schweren, makellosen Glasplatten, welche keine waren, versicherten mir dies zunehmend. Ich kannte dieses Material nicht, es ließ sich auf keinem bekannten Planeten finden und ein Archäologe versicherte mir, dass es schon vor der Entstehung von Planeten existiert haben musste.
Ich forschte auch über den Gott Mahyu und stellte fest, dass er unter anderem Namen in anderen interplanetarischen Kulturen vorkam. Immer wieder fand ich schemenhafte Gebilde, die eine Figur darstellten, die ich bereits im Tempel der Ikani erspäht hatte. Überall fand ich ihn vor, nur in der menschlichen Kultur nicht. Ich wusste nicht, ob die Informationen verloren gegangen waren, als die Erde verlassen werden musste oder ob es jemals Bilder gegeben hatte, doch ich war mir sicher, dass auch der Erdgott etwas mit dem aus anderen Kulturen zu tun haben musste.
Nun fehlte mir nur noch ein Teil, mit der die Kugel in dem Apparat befestigt werden konnte. Ich fand schon recht früh heraus, dass die Kugel Teil des Ganzen sein musste, doch nun war der Moment gekommen, in dem ich sie einbinden können sollte.
Ich lief durch einen dichten Urwald, die Kugel in der linken Hand und mein Plasmagewehr in der Rechten. Es war nicht das erste Mal, dass ich damit rechnete, dass ich vielleicht angegriffen wurde, weshalb ich Vorsichtsmaßnahmen ergriff. Die Kugel pulsierte und projizierte blaue kryptische Zeichen in die Luft, die mir den Weg weisen sollten. Zielstrebig folgte ich ihnen, schlug mich durch das Dickicht, wich gefährlich aussehenden Pflanzen aus und machte mich bereit, dass mich jederzeit etwas angreifen konnte.
Ich erreichte nach einigen Stunden eine Lichtung, auf der ein kleiner Tempel stand, doch dieser schien nicht unbewacht zu sein. Kleine humanoide Wesen, nicht größer als elfjährige Kinder, mit grünem Fell überzogen und rasiermesserscharfen Zähnen, hatten vor dem Tempel ihr Lager errichtet. Eine handvoll von ihnen stand um einen Verletzten, der mitleidig wimmerte und vor den anderen zurückwich. Einer aus der Gruppe ging langsam auf seinen am Bein verletzten Kameraden zu, strich ihm über dieses und grunzte irgendetwas vor sich hin. Im nächsten Moment ertönte ein schmerzerfüllter Schrei, als er ihm ins Bein biss und ein großes Stück Fleisch herausriss. Die anderen Umstehenden stürzten sich ebenfalls auf den Verletzten und zerfetzten ihm den Brustkorb. Blut und Gedärme spritzten umher und tauchten das grüne Fell der Tiere in ein hässliches rotbraun. Schon nach kurzer Zeit verebbten die Schmerzensschreie und die Wesen fraßen sich an ihrem toten Kameraden satt.
Nur der Stärkste überlebte, dachte ich bei mir, während ich in einem Busch hockte und die Szene mit Ekel beobachtete. Und falls sie mich angriffen, dann müsste ich der Stärkere sein, denn die Kugel wies mich geradewegs Richtung Tempel.
Als es Nacht wurde und die Tiere sich zum Schlafen niederlegten, witterte ich meine Chance. Leise schlich ich mich durchs Lager, umging die Tiere weitläufig und erreichte den Tempel ohne größere Probleme. Als ich das große Eingangstor durchschritt und mich in einem breiten Raum wiederfand, in dem es stockfinster war, versteckte ich die Kugel in einer Tasche, nutzte meine Nachtsichtbrille und stellte entsetzt fest, dass sich in diesem Raum das eigentliche Nest der Tiere befand. Überall lagen die Wesen in großen Gruppen beisammen, um sich zu wärmen und machten mir das Weiterkommen schwerer. Wie zuvor im Lager umging ich die Gruppen so weit ich konnte und rutschte plötzlich auf etwas aus. Das Poltern, das durch den Tempel ging, als ich mich auf den Hosenboden setzte, weckte einzelne Tiere, die sich überrascht umsahen und in der Luft schnupperten. Sie können im Dunkeln nicht sehen, dachte ich erleichtert, doch als ein paar Tiere zu suchen begannen, hielt ich geschockt den Atem an. Vorsichtig lud ich meine Waffe und richtete sie in Richtung der Tiere, die auf mich zukamen. Ich wusste, dass ich eingekesselt war und in meiner gegenwärtigen Lage wahrscheinlich nicht lange überleben würde, falls ich losfeuern musste. Aus dieser Situation gab es kein Entrinnen.
Eines der Tiere schlich zielstrebig auf mich zu, als hätte es mich schon entdeckt. Langsam zog ich mich zurück, fasste in etwas weiches, aber ließ mich davon nicht beirren. Es musste mich gewittert haben, schoss es mir durch den Kopf. Ich legte die Waffe an und wartete angespannt. Als es noch gut einen Meter von mir entfernt war, blieb es stehen und schnupperte in der Luft. Es dauerte eine Ewigkeit, in der ich bereits mit meinem Leben abschloss und meinen Finger angespannt auf den Abzug legte. Ich würde sterben...
Doch nichts geschah. Das Wesen wirkte irritiert, rümpfte dann die Nase und wand sich energisch ab. Andere Tiere kamen mir ebenfalls nicht nahe und als es wieder still wurde, sah ich mich verwirrt um. Ich hatte mich in einen fast menschengroßen Haufen Kot gesetzt, meine Kleidung von unten bis oben beschmutzt und erst jetzt bemerkte ich den bestialischen Geruch, den ich in meinem angespannten Zustand überhaupt nicht realisiert hatte. Augenblicklich musste ich mich zusammenreißen, dass ich mich nicht sofort übergab und die grünen Wesen abermals weckte. Würgend erhob ich mich, wischte so viel Kot von mir ab, wie ich konnte und eilte weiter durch den Tempel.
Als ich schließlich an der anderen Seite des Tempels an einem großen, leeren Altar ankam, meldete sich die blaue Kugel. Sie pulsierte unablässig und erhellte einen Teil des Tempels, obwohl sie immer noch in meiner Tasche ruhte. Ich war am Ziel, doch ich fand keinen Gegenstand. Nachdenklich untersuchte ich den Altar ganz genau und fand eine kleine Öffnung, gerade groß genug, um unter die schwere Steinplatte zu greifen, die die Stellfläche des Altars formte. Meine Anspannung wuchs wieder, als ich feststellte, dass ich die kleinen Monster wieder wecken würde, wenn ich die Steinplatte vom Altar entfernte. Doch diesmal hatte ich den Vorteil, dass ich Vorbereitungen treffen konnte. Ich platzierte Blitzminen zur Abschreckung und kleine Sprengstoffladungen, um im Notfall auch meine Bereitschaft zum Töten zu zeigen.
Ich griff unter die Öffnung im Altar und schob die Steinplatte mit all meiner Kraft zur Seite, was mehrere Minuten dauerte. Das schleifende Geräusch der Platte weckte mehrere Tiere, die sich sofort entschlossen richtig Geräusch aufmachten. Noch suchten sie nur vorsichtig nach der Quelle, doch als sich letztlich ganze Tierhaufen erhoben, stürmten ein paar Leittiere voraus, um in der Dunkelheit die Lage auszukundschaften.
Von der drohenden Gefahr ließ ich mich nicht abschrecken und schob mit aller Kraft weiter, was sich zu einem schweißtreibenden Unterfangen entwickelte. Ich spannte jeden verfügbaren Muskel an und versuchte so schnell wie möglich zu schieben, während sich in meinem Blutkreislauf immer mehr Adrenalin ansammelte.
Die Leittiere lösten nach kurzer Zeit die ersten Minen aus und grelle Lichtblitze durchschlugen die Finsternis für einen flüchtigen Moment. Doch das reichte aus, um die Wesen zu erschrecken. Die Leittiere wichen geschockt zurück, während andere zu ihnen stießen und mit Grunzlauten Informationen über das gerade Geschehene austauschten. Wie vermutet, suchten sie sich nun andere Wege, um die eben ausgelösten Blitzminen und lösten dadurch andere aus.
Mit einem lauten Knall, schlug die schwere Steinplatte auf dem Boden auf und offenbarte mir das Innere des Altars. Doch bevor ich überhaupt dazu kam nachzusehen, stürmten die Leittiere in meine Richtung, da sie nun sicher sein konnten, dass jemand in ihrem Tempel war. Ich nahm einen kleinen Zünder zur Hand und betätigte ihn. Mit einer schallenden Explosion flogen mehrere Wesen durch die Luft, manche von ihnen zerriss es förmlich und sie landeten direkt vor ihren ahnungslosen Artgenossen. Sie erschnüffelten totes, verbranntes Fleisch und wollten sich darauf stürzen, doch nur wenige Bisse genügten und sie bemerkten, dass das Fleisch zu ihren Kameraden gehörte und nicht zum Eindringling. Entsetzt ließen sie davon ab und wichen immer weiter zurück.
Ich schnappte mir währenddessen den Gegenstand im Inneren des Altars, der in Leder und andere Materialien bandagiert war und zündete zusätzliche Sprengladungen. Weitere Tiere ließen ihr Leben und entsetzt stürzten die Wesen zum schmalen, schwachen Lichtpunkt am anderen Ende des Tempels hinaus in die Freiheit. Mit meiner Waffe im Anschlag rannte ich ebenfalls los und schoss. Tiere, die nicht schnell genug waren, durchlöcherte ich mit dünnen Strahlenschüssen, bis ich den Tempel verließ und feststellte, dass das gesamte Lager auf den Beinen war. Viele grüne Wesen waren in den Wald geflüchtet, doch jene, die stehengeblieben oder soeben erwacht waren, starrten mich ausdruckslos an. Ohne lange zu überlegen, schoss ich auf mehrere von ihnen und verjagte dadurch nochmals einige. Doch die Stärksten und Ältesten unter ihnen fletschten die Zähne und rannten auf mich zu. Ich schoss immer wieder und bahnte mir langsam einen Weg durch die Menge, bis ich am Rande der Lichtung die Flucht antrat.
Noch fast eine halbe Stunde jagten sie mich durch den Wald, ich stolperte durch Gestrüpp, fiel über Schlingpflanzen und wäre beinahe von einer riesigen Pflanze gefressen worden, doch letztendlich gaben sie die Jagd auf. Ich fiel erschöpft zu Boden und schnappte nach Luft. Irgendwie hatte ich es geschafft zu überleben. Während meiner Verteidigung und der anschließenden Flucht hatte ich meinen Kopf zum Schweigen gebracht, doch nun schlugen unzählig viele Gedanken in mein Bewusstsein ein. Ich war am Leben! Ich hatte massenweise Tiere abgeschlachtet, um mein Überleben zu sichern und an das zu kommen, weshalb ich ursprünglich hierher gekommen war. Ich fasste nach dem Umriss auf meiner Tasche, der den Gegenstand formte und war beruhigt, dass ich ihn unterwegs nicht verloren hatte. Die blaue Kugel rollte in der Tasche umher, pulsierend und vibrierend, als wolle sie ein Eigenleben entwickeln. Ich holte den bandagierten Gegenstand aus der Tasche und wickelte die schützenden Materialien langsam und vorsichtig ab. Mein Herz klopfte lautstark und als ich fertig war, wäre ich am liebsten im Freudentaumel umhergesprungen. In den Händen hielt ich das letzte Teil der Apparatur, die mich zu Mahyu – Gott – führen sollte.
Und nun fand meine achtzehnjährige Suche endlich ihr Ende. Ich steuerte die gigantische, fast unsichtbare Metallkugel vor mir vorsichtig an, sendete Grußbotschaften und suchte einen geeigneten Landeplatz. Ich könnte endlich den Krieg beenden, falls mir Mahyu helfen würde und vieles zum Besseren ändern.
Mehrere Signaltöne erklangen plötzlich im Inneren des Geräts, das mich hergeführt hatte und schalteten alle meine Systeme in den Stand-By-Modus. Verwirrt tippte ich auf den Tasten herum und stellte fest, dass mich ein Leitstrahl erfasst haben musste, der das Schiff näher zum Metallriesen zog. Viele kleine Lichter auf ihm sprangen an und beleuchteten ein riesiges Leitungssystem, das den gesamten Planeten umfassen musste. Die Lichter waren in einem Kreis angeordnet und in deren Mitte öffnete sich eine kleine Luke, durch die mein Schiff geleitet wurde. Mir wurde ein wenig mulmig bei dem Gedanken, dass ich wehrlos in meinem Schiff saß und jeden Moment Gott höchstpersönlich treffen würde. Doch ich schluckte und versuchte mir Mut zuzureden, dass alles gut gehen sollte.
Gelbliche Lichter erhellten meinen vorbestimmten Pfad, als ich das Schiff verließ. Es war hier alles recht dunkel und sah überhaupt nicht nach einem Ort aus, an dem ich Gott vermuten würde. Vielmehr erinnerte mich alles an eine uralte Raumstation. Alles war hier aus Metall, Leitungen führten in alle möglichen Richtungen, Terminals standen einsatzbereit alle hundert Meter entfernt, große Schotten öffneten sich selbstständig beim Näherkommen, überall blinkten Computeranzeigen und kleine Lämpchen. Bei jedem Schritt hallte es durch die toten Gänge, die eigentlich überall hinführten. Selbst mit einem Navigationsgerät hätte ich mich hier wahrscheinlich nicht zurechtgefunden. Und die Stimmung war mir nicht geheuer. Es war hier viel zu still, ich begegnete niemandem, ich folgte nur dem erleuchteten Pfad.
Als ich an mehreren Ladeluken vorbeischritt und eine davon plötzlich aufklappte, wäre mir fast das Herz stehengeblieben. Da stand ein riesiger Roboter auf zwei Beinen. Er hatte Ähnlichkeiten mit jenen gesichtslosen Figur aus dem Tempel der Ikani und starrte für einen Moment ausdruckslos gegen die Wand. Funken sprühten und das Ungetüm erwachte zum Leben. Er drehte sich zu mir um, sah mich mit zwei unterschiedlich großen, leuchtenden Augen an und hob dann eine seiner Metallarme zum Gruß. Verwirrt und erschrocken hob ich ebenfalls eine Hand zum Gruß und winkte leicht, bevor sich der humanoide Roboter von mir abwand und in den dunklen Gängen verschwand, die nicht zu meinem erleuchteten Pfad gehörten. Scheinbar handelte es sich um einen Wartungsroboter, ging es mir durch den Kopf, während ich ihm erleichtert nachsah.
Je länger ich durch die Gänge schlenderte, desto mehr verlor ich die Orientierung. Mittlerweile hätte ich ohne Hilfe nicht mehr zu meinem Schiff gefunden, denn hinter mir verblassten die Lichter nun, die mir den Weg wiesen. Ich fand keinerlei Orientierungspunkte, keine Räume und keine Beschilderung. Der gesamte Stahlplanet schien nur aus endlosen Gängen zu bestehen, einem Labyrinth, dessen Geheimnisse ich nach fast zweistündiger Wanderschaft immer noch nicht erfahren hatte. Zweifel schlichen sich bei mir ein, ob ich hier richtig war oder ob ich überhaupt nach dem Schöpfer aller Dinge suchte. Was war, wenn ich am Ende gar nicht Gott gegenüberstand, sondern nur jemandem, der jahrelang ein perfides Spiel mit mir getrieben hatte? Was war, wenn ich hier den Tod fand, weil ich keinen Ausweg fand? Gab es überhaupt einen Ausweg?
Erst nach einer weiteren Stunde trat eine Veränderung in meiner Umgebung ein. Die Gänge wirkten moderner und wurden häufiger gewartet, die Lichter erstrahlten nun in einem sanften Weiß und nahmen ein wenig Anspannung von mir. Wartungsroboter arbeiteten hier und da an diversen Leitungen, säuberten die Gänge und polierten den Stahl. Immer wenn ich an ihnen vorbeiging, legten sie ihre Arbeit sofort nieder, drehten sich zu mir und hoben die Hand zum Gruße, bevor sie sich wieder ihrer Arbeit widmeten.
Ich gelangte auch endlich in einen Raum, der wie ein großes Labor ausgestattet war. Ein großer runder Raum, fünf Gänge führten von ihm weg, an den Wänden waren verschiedene Apparate, die allerhand chirurgische Eingriffe vornehmen konnten und Regale mit gepflegten Büchern über Quantenmechanik, Physik, Medizin, Bionik, Kybernetik, Biologie, Mathematik und viele Bereiche, die ich selbst nicht kannte oder verstand. Die Bücher waren in allen möglichen Sprachen und Formen gehalten, offensichtlich gesammeltes Wissen aus allen Ecken des Universums. Ich sah auch durchsichtige Behälter, in denen verschiedene Körperteile von unterschiedlichen Spezies' schwammen. Es glich ein wenig einem Gruselkabinett.
In der Mitte des Raumes stand ein grünlicher Tisch auf einem Bein, groß genug, damit ich mich zwei- oder dreimal darauf legen konnte. Er wurde von mehreren OP-Leuchten angestrahlt, die sich in der Decke befanden. Dieser Tisch schien wichtig zu sein, aber da sich um ihn herum keine medizinischen Instrumente befanden, blieb mir seine Funktion komplett verborgen.
Ich folgte einem der Gänge nur für kurze Zeit, bis ich vor einem Fahrstuhl ankam, der mich bereits erwartete. Als er sich in Bewegung setzte, spürte ich keine Gravitationskräfte und die Fahrt dauerte auch nur einige Sekunden, da sprang die Tür wieder auf und mir klappte der Unterkiefer herunter. Ich befand mich in einer Art Planetarium, einer gigantischen Kuppel, in der Galaxien in die Luft projiziert waren. Sie waren so detailreich und farbenfroh, dass ich das Gefühl hatte, dass ich sie anfassen konnte. Während ich langsam und staunend durch den Raum ging, berührte ich aus Versehen eine der Galaxien. Erschrocken musste ich zusehen, wie sie sich ausdehnte, die anderen Galaxien wegdrückte und sich plötzlich ein Sternenmeer im Raum befand. Ich sah kryptische Zeichen neben verschiedenen Punkten, die Planeten darstellten, in Intervallen flammten kurz die Laufbahnen der Planeten und Monde auf, jede Kleinigkeit konnte aufgerufen werden, nur durch eine kleine Berührung oder Handbewegung.
Ich blieb stehen und suchte nach der Milchstraße, doch sie zu finden gestaltete sich alles andere als einfach. Doch kaum murmelte ich ihren Namen vor mich hin, tauchte sie auf, vergrößerte sich und zeigte mir alles, was ich wissen wollte. Mit dieser Sprachsteuerung war es nun ein Leichtes die Erde zu finden. Sie ruhte unter einer dicken Eisschicht, nur die Meere wogten leicht, wenn sie nicht gerade von einer dichten Wolkendecke verborgen waren. Ich traute mich nicht, weiter heran zu zoomen, um herauszufinden, was auf ihr vorging, mir reichte es zu wissen, dass auf ihr eine Eiszeit herrschte.
Dennoch kam ich zu der Erkenntnis, dass das, was ich sah, eine Live-Übertragung war, weshalb ich das Kriegsgebiet suchte, in dem die Menschen um ihr Überleben kämpften. Ich versuchte es gleich mit einem Sprachbefehl, doch nichts geschah. Verwundert suchte ich nach den Planeten, die in der Nähe des gesuchten Gebiets waren und fand ein Trümmerfeld. Die Planeten waren verwüstet und nichts und niemand lebte mehr dort. Verzweifelt suchte ich den zugehörigen Weltraum ab und fand auch hier mehrere Trümmer, die zu den Schiffen beider Spezies' gehörten. Wohin war der Krieg in den letzten Jahren nur gewandert?
Ein Geräusch, als wäre ein metallener Gegenstand zu Boden gefallen, riss mich aus den Gedanken. Ich ließ die Projektion hinter mir und ging zum nächsten Raum, in welchem ein starkes Licht brannte, obwohl er so dunkel erschien. Er war sehr weit angelegt und an der gegenüberliegenden Seite leuchtete ein so gewaltiger Computerbildschirm, dass ich seine Diagonale auf vierzig oder fünfzig Meter schätzte. Derzeit leuchtete er nur in einem starken Weiß, während die Beleuchtung des restlichen Raumes sehr gedämmt war. Vor dem Bildschirm stand mit einigem Abstand ein riesiger schwarzer Sessel und darauf von mir abgewandt eine Figur, die mindestens zweimal so groß war wie ich.
Endlich! Da war er! Ich war am Ziel meiner Reise angelangt! Ich schluckte, nahm meinen gesamten Mut zusammen und fragte in den Raum hinein:
„Mahyu?“
Die Figur erhob sich langsam und im Raum wurde es ein kleines bisschen heller, hell genug, um zu erkennen, mit wem ich es hier zu tun hatte.
Auch wenn ich mir immer wieder ein wenig ausgemalt hatte, wie Gott aussehen musste, so war ich nun ziemlich verwirrt, dass die Figur vor mir so sehr von meiner Vorstellung abwich. Das Wesen vor mir war mehr Roboter als Humanoide. Es hatte zwar eine humanoide Form, aber abgesehen von zwei Armen, zwei Beinen und einem Kopf, ähnelte es sonst kaum jeglicher Vorstellung, die ich gehabt hatte. Ein fast weißes, stählernes Gerüst stand vor mir, Schläuche, durch die eine gelbliche Flüssigkeit lief, führten von Armen zu Beinen, von einer Seite des Brustkorbs zu einer anderen, vom Hals zum Kopf und so weiter. An den Oberarmen leuchteten kleine Dioden, blinkten und flimmerten, am Brustkorb lugte ein nackter Teil eines humanoiden Wesens unter dem Stahlpanzer hervor, aus dem ebenfalls Schläuche führten und im Panzer verschwanden. Der Hüftbereich schien aus weißem Gummi zu sein und war flexibel, während die Beine ungewöhnlich lang waren und dem Wesen so seine Größe gaben. Der Kopf bestand aus einer Art Zylinder mit zwei unterschiedlich großen, bläulichen Kreisen, die leicht leuchteten. Diese sollten wohl die Augen darstellen. Ich konnte weder Ohren noch eine Nase ausmachen und der Mund bestand aus einem geraden schwarzen Strich, der fast wie aufgemalt aussah.
Das Wesen ging langsam auf mich zu und hob die Hand zum Gruß. Ich tat es ihm nach und atmete erleichtert durch. Plötzlich hatte ich das Gefühl, dass ich keine Angst haben musste und ging ebenfalls auf es zu. Der humanoide Roboter führte mich bis zum Stuhl, auf dem es abermals Platz nahm und zeigte auf den gigantischen Bildschirm.
SEI WILLKOMMEN, stand dort plötzlich in riesigen schwarzen Lettern und ich war erstaunt, dass er sofort wusste, welche Sprache er verwenden musste.
„Äh, hallo“, erwiderte ich, unentschlossen, ob ich mich an den Bildschirm oder das Wesen wenden musste. Der Bildschirm färbte sich wieder vollständig weiß, aber nur für einen kurzen Moment.
DU HAST EINE LANGE REISE HINTER DIR UND SUCHST NACH ANTWORTEN. Mein Herz schlug immer schneller, als ich realisierte, dass – egal wie das Wesen vor mir auch aussah – ich mit Gott redete. Ich spürte einen Kloß im Hals und nickte schlichtweg. Mahyu nickte mir ebenfalls zu und wandte sich wieder an den Bildschirm.
JAHRELANG BIST DU DURCH DIE WEITEN DES UNIVERSUMS GEREIST, HAST HINDERNISSE ÜBERWUNDEN UND SCHLIEßLICH ZU MIR GEFUNDEN. SO NENNE NUN DEIN BEGEHR.
Ich starrte gebannt auf die Zeilen, schluckte immer wieder, bis ich meine Stimme wiederfand und wand mich an das Wesen auf dem Stuhl.
„Ich...Ich bin hergekommen, weil...äh...die Menschen heimatlos sind und in einem erbitterten Krieg mit einem anderen Volk leben. Ich habe nach dir gesucht, um deine Hilfe zu erbitten!“ Allein diese zwei Sätze forderten von mir so viel Überwindung, dass ich Angst hatte, dass ich während der Formulierung ohnmächtig werden könnte, doch ich konnte mich zusammenreißen. Stille. Der Bildschirm blieb weiß und Mahyu starrte mich ohne Regung für so eine lange Zeit an, dass ich nicht wusste, was nun geschehen sollte.
UND WIE LAUTET DEIN WIRKLICHES ANLIEGEN, wollte der Bildschirm nach einer gefühlten Ewigkeit von mir wissen. Ich fühlte mich ertappt und gleichzeitig verwirrt. Was war mein wirkliches Anliegen? Ich war damals aufgebrochen, damit Mahyu den Krieg mit den Jn'Org beendete und die Menschen eine Heimat finden konnten. Sie waren ziellos und hoffnungslos unterlegen. Was also sollte mein eigentliches Anliegen sein, wenn nicht dieses?
VIELLEICHT BIST DU DIR DEINES ANLIEGENS GAR NICHT BEWUSST. Aber ich kannte doch mein Anliegen. Er musste den Krieg beenden! Und die Menschen mussten zurück zur Erde kehren können! Reichte das nicht?
WISSE, DASS ES DEN KRIEG, VON WELCHEM DU SPRICHST, SCHON LANGE NICHT MEHR GIBT, stand plötzlich auf dem Bildschirm. Für einen kleinen Moment starrte ich regungslos auf diese Lettern.
„Was soll das heißen, dass es ihn nicht mehr gibt? Die Menschen und die Jn'Org bekriegen sich bereits seit Jahren“, rief ich Mahyu an und vergaß, mit wem ich da redete. Das Wesen erhob sich von seinem Stuhl, dass ich zurückschreckte, da ich Gottes Zorn fürchtete, doch er wand sich nur von mir ab und schritt Richtung Planetarium. Ich folgte ihm nach kurzem Zögern.
Im Planetarium wies Mahyu mich durch Gesten an, dass ich zeigen solle, was ich meinte und ich rief die Gegend im Universum auf, an der ich den Krieg schon zuvor vermutet hatte. Außer Trümmerteile war im Weltall nichts zu erkennen, die nächsten Planeten verwüstet und zerstört.
„Hier müsste er eigentlich sein“, meinte ich. „Vielleicht ist er woanders hingewandert.“ Ich suchte nächstgelegene Systeme ab, fand Dutzende verwüstete Planeten, bis ich zur Heimatwelt der Jn'Org gelangte. Wie ich vermutete, war sie vollkommen intakt, überall sah ich die tintenfischartigen Wesen und verspürte beim Anblick eine dumpfe Wut, die ich nicht näher beschreiben konnte. Mit hastigen Handbewegungen suchte ich in der anderen Richtung, jene, in die die Invasion gehen sollte. Als ich in Systeme gelangte, die mir bekannt waren, stockte mir der Atem. Sie waren von Jn'Org bevölkert, ich fand kein Menschenleben, wo ich eines hätte antreffen müssen und so allmählich dämmerte mir, was passiert war.
„Nein“, stöhnte ich, als ich die Heimatwelt der Ikani in Schutt und Asche vorfand und stattdessen feindliche Truppen auf dem Planeten herumliefen. Ich folgte der Spur der Verwüstung weiter und fand schließlich eine Armada von feindlichen Schiffen, die Kurs auf die Milchstraße nahmen. Keiner stellte sich ihnen in den Weg, es fand kein Kampf statt, kein anderes Schiff war in der Umgebung vorzufinden.
Bestürzt drehte ich mich zu Mahyu um, doch dieser saß bereits wieder auf seinem Stuhl im anderen Raum. Ich lief hinüber, stellte mich demonstrativ vor ihn und fragte aufgebracht:
„Was soll das? Was ist passiert? Wo ist der Krieg?“ Ich drehte mich sofort zum Bildschirm um, doch er blieb weiß. Stattdessen hörte ich eine kräftige männliche Stimme hinter mir und drehte mich erschrocken wieder zu Mahyu um.
„Dieser Krieg endete vor fünf Jahren. Die Jn'Org waren zu stark für die Allianz, die die Menschen mit anderen Völkern geschlossen hatten, und besiegten sie vernichtend.“ Ich starrte Gott an und war fassungslos. Mein Kopf war vollkommen leer, kein Gedanke durchflog ihn. Ich war abgeschaltet worden. Nur ein Gefühl trieb mich: Hass. So verharrte ich einige Zeit regungslos.
Als ich wieder zu mir kam, kniete ich mit gesenktem Kopf vor Gott und wusste nun, was mein wirklicher Wunsch war. Ich hatte jahrelang meine volle Konzentration darauf gerichtet, dass ich ein göttliches Wesen fand und währenddessen den Verlauf des Krieges überhaupt nicht wahrgenommen. Hasserfühlt realisierte ich, dass ich vielleicht der letzte Mensch in den Weiten des Kosmos war, die Ikani waren ebenso abgeschlachtet worden wie alle anderen friedlichen Rassen, die helfen wollten. Und ich hatte nichts von alledem mitbekommen!
„Töte sie“, hauchte ich und starrte Mahyu anschließend an. Mit kräftiger Stimme wiederholte ich mein Anliegen: „Töte alle Jn'Org! Ich will, dass sie alle sterben!“ Stille. Das Wesen musterte mich eindringlich und nickte anschließend.
„Wisse, dass dein Wunsch mit Konsequenzen verbunden ist, die nicht mehr umkehrbar sind“, antwortete Mahyu. Ich nickte. Mir waren die Konsequenzen egal und das spürte er. „Lasse mich dir eine Geschichte erzählen, bevor du dich endgültig festlegst.“ Eine Geschichte? Was sollte die an meiner Entscheidung ändern? Zögerlich nickte ich und wartete ab, während Mahyu sich erhob und neben den Bildschirm stellte, als würde er jeden Moment mit einer Präsentation beginnen. „Ich bin nicht der Erste, den du Gott nennst. Vor mir gab es bereits viele andere, die die Geschicke des Universums lenkten.“ Ich war etwas verdutzt. Warum erzählte er mir nun von sich? Verwirrt spielte ich mit und konnte meinen Blutdruck dadurch ein wenig senken.
„Wo sind sie nun?“
„Tot.“
„Götter sterben nicht.“
„Götter sind nicht unsterblich. Wenn ihre Zeit gekommen ist, sterben sie und ein Anderer tritt ihre Nachfolge an. Wir lenken das Universum bereits seit Äonen, schufen Welten, Singularitäten, Rassen, lenkten alles und doch war jeder von uns in seinem Wesen anders. Bis jetzt gab es bereits 2846317 Götter und jeder von ihnen kam mit einem Wunsch zu seinem Vorgänger. Einer wünschte sich, dass auch die Sterne ein Leben erhalten sollten, das nach einem Hauch von Zeit zu Ende ginge, ein Anderer wollte nur zum Spaß Gesteinsbrocken durch die Unendlichkeit des Universums schießen und wiederum ein Anderer kam mit demselben Hass wie du hierher und wollte Welten vernichten.“ So langsam ahnte ich, was die Konsequenzen waren, von denen Mahyu gesprochen hatte.
„Damit sich ihr Wunsch erfüllte, mussten sie also zum nächsten Gott werden“, fragte ich vorsichtig und Mahyu nickte. Einerseits gefiel mir diese Vorstellung, doch irgendwo musste es einen Haken geben. „Warum dann nur ein einziger Wunsch, wenn man sich als Allmächtiger alles erfüllen konnte, was man wollte?“
„Weil Gott alleine keine Entscheidungen trifft.“ Das verstand ich nicht. „Wenn ich von 'wir' rede, meine ich nicht nur mich, sondern auch den Computer, in welchem du stehst. Wir lenken das Universum.“ Ein Computer und eine humanoide Lebensform lenkten das Universum?! Und dieser gesamte Planet war ein Computer? Vollkommen verwirrt wich ich einen Schritt zurück und sah mich um. Erst jetzt bemerkte ich, dass Dutzende Leitungen und Rohre zum großen Bildschirm und zum Stuhl führten, als stände ich in einem riesigen Computerkern. In nächsten Moment flammten auf dem Bildschirm rote Ziffern auf. 0.000.000,548 stand dort, wobei sich die letzten Ziffern häufig änderten.
„Was ist das“, wollte ich wissen, während ich immer nervöser wurde, je mehr mir Mahyu über die Wahrheit erzählte.
„Nun, es ist das Ergebnis einer komplexen Rechnung, das du wahrscheinlich als Korruptionswert bezeichnen würdest. Dieser Wert zeigt an, wie sehr Gott nach seinem eigenen Willen handelt, ohne dass der Computer seine Zustimmung dazu gibt“, erklärte er mir sachlich.
„Also machst du nichts anderes, als dem Computer Vorschläge zu unterbreiten? Wozu braucht es dann überhaupt einen Gott“, fragte ich mit zittrigen Fingern und starrte weiter auf die Korruptionsanzeige. Mahyu war an diesen Computer gebunden und hatte keine freie Entscheidungsgewalt. Schlagartig wich der Wunsch in mir, der nächste Gott zu werden. Ich wäre hier gefangen und obendrein ein Sklave einer Maschine.
„Der einstige Schöpfer des Universums wurde stets von Wesen besucht, die ihm Wünsche unterbreiteten. Er musste immer abwägen, welchem Wunsch er nachkommen konnte und welchem nicht. Da auch er nicht unsterblich war, baute er diesen Computer und pflanzte ihm seinen Geist ein. Er suchte einen geeigneten Nachfolger, der nach etwas strebte und doch vollkommen anders war als er selbst. Er musste bereit sein Opfer zu bringen und alles Nötige zu tun, um seine Ziele zu erreichen. Seitdem führen der Computer und der Humanoide andauernd einen Dialog darüber, was das Beste für das Universum sei. Der Schöpfer bedachte nur eine kleine Schwachstelle nicht: Sich viele zehntausend Jahre mit einem Computer zu streiten, wurde irgendwann sehr ermüdend, sodass sich die Götter nach Erlösung sehnten. Doch woher sollten sie einen Nachfolger bekommen? Und wie sollten sie diesem die Nachfolge überhaupt schmackhaft machen?“ Ich überlegte nur kurz, bis ich die Antwort fand, denn es war das, was hier gerade mit mir geschehen sollte.
„Man erfüllte ihnen einen einzigen Wunsch...“ Mahyu nickte.
„Egal was es war, Gott würde ihn für seinen Nachfolger erfüllen und damit gegen den Dialog verstoßen, den er mit dem Computer führte.“
„Was passiert mit jenen, die das machen“, wollte ich wissen, denn mittlerweile hatte ich ein ungutes Gefühl in der Magengegend, das mich nicht losließ. Das mechanisch-humanoide Wesen machte eine verdächtig lange Pause, was meine Vermutung nur bestätigte. Er ging langsam im Raum herum, setzte sich anschließend auf seinen Sessel und erst nach fast einer vollen Minute der Stille, die ich ungeduldig ertrug, antwortete er endlich:
„Steigt der Korruptionswert auf 1.438.196,025, so wird der Dialog vorübergehend unterbrochen, bis sich Gott beruhigt hat und der Wert wieder auf annähernd Null gefallen ist. Sollte Gott einen Wunsch erfüllen, ohne jegliche Absprache mit dem Computer zu halten, steigt der Wert auf 9.999.999,999. Bei diesem Wert verliert Gott alle Berechtigungen.“
„Gott verliert die Berechtigung Gott zu sein“, hakte ich nach. Er nickte schweigend. „Aber das beantwortet meine Frage nicht!“ Die Korruptionsanzeige schlug auf 0.038.624,931 aus, als hätte ich einen Nerv getroffen. Mahyu erhob sich wieder, ging ungeduldig ein paar Schritte umher und blieb dann neben dem Bildschirm stehen.
„Es tritt ein Protokoll in Kraft, das den Nachfolger zu seiner Nachfolge auffordert. Ist dies geschehen, stirbt der Vorgänger und findet Erlösung“, sagte er so monoton und gefühllos, dass es mir schauerte. Der neue Gott tötete also im Endeffekt seinen Vorgänger mit der Akzeptierung. So bizarr es klang, ich hatte keinen Grund, dem Wesen vor mir nicht zu glauben. Doch mein Entschluss stand bereits fest. „Bist du als gewillt, deinen Wunsch Wirklichkeit werden zu lassen, einen Genozid zu verüben, und meine Nachfolge anzutreten?“ Eine gewisse Begeisterung konnte er nicht verbergen und das ließ mich zurückschrecken. Der Preis war viel zu hoch, um dafür meinen Hass entladen zu können.
„Nein“, hauchte ich und drehte mich bereits um, um zu fliehen, da schnellte ein eiserner Arm auf mich zu und packte mich. Mahyu riss mich herum und starrte mich an.
„Die Entscheidung wurde bereits getroffen, als du hier eintrafst. Es gibt keine andere Möglichkeit als sich zu fügen“, brüllte er mich erbost an. Ich riss mich mit aller Kraft los und spurtete ins Planetarium. Die Korruptionsanzeige stand mittlerweile bei 0.926.127,923 und stieg weiterhin an. „Befehlige mir deinen Wunsch“, schrie er hinterher, doch folgte mir zunächst nicht. Ich sprang in die Aufzugkabine und fuhr zurück nach unten. Ich hoffte, dass ich irgendwie zu meinem Schiff zurückfinden würde, um so schnell wie möglich zu verschwinden. Vielleicht fand ich in diesem riesigen Komplex irgendwo eine Karte, die mir weiterhelfen konnte.
Als der Aufzug hielt und ich mich im Labor wiederfand, standen bereits einige Wartungsroboter bereit und versperrten mir jegliche Fluchtmöglichkeiten. Kurz darauf erschien ein siegessicherer Mahyu im Raum. Plötzlich nahmen alle Lichter in der Umgebung einen rötlichen Schein an und ein schwacher Ton erklang, der mich entfernt an einen Alarm erinnerte.
„Ich will kein Gott werden“, schrie ich ihn an und hoffte inständig, dass er das als meinen Wunsch auffassen würde.
„Lächerlich“, entgegnete er nur, packte mich am Arm und schleuderte mich auf den Tisch in der Mitte des Raums. Ich schlug hart auf und purzelte anschließend vom Tisch. Keuchend erhob ich mich und suchte verzweifelt nach einer Waffe.
„WARNUNG: KOMMUNIKATION ABGEBROCHEN“, tönte eine weibliche Computerstimme. Der Korruptionswert musste die Marke überschritten haben, bei welchem der Dialog mit dem Computer unterbrochen wurde. Mahyu benutzte die Roboter offensichtlich ohne Absprache mit ihm und versuchte gerade seine eigenen Interessen durchzusetzen. Was passierte, wenn der Wert ohne die Äußerung eines Wunschs den kritischen Bereich erreichte? Wenn kein Nachfolger akzeptierte?
Ein Wartungsroboter sprang vor mich, um mir den Weg abzuschneiden, doch ich war schnell genug, um auszuweichen. Ich packte einen Behälter, in welchem ein Organ schwamm, das mich irgendwie an eine viel zu große menschliche Galle erinnerte und warf es auf den Roboter. Der Behälter zersprang und die Flüssigkeit im Inneren löste beim Wartungsroboter einen Kurzschluss aus, sodass sein Leuchten erstarb.
„Nenn mir deinen Wunsch“, dröhnte Gott und stürmte mit ungeahnter Geschwindigkeit auf mich zu.
„Ich will kein Gott werden“, wiederholte ich, während ich zur Seite sprang, Mahyu mich allerdings in die Hüfte rammte und ich unkontrolliert durch die Luft flog. Ich prallte mit voller Wucht gegen einen Tisch, mehrere Instrumente darauf fielen scheppernd und klirrend zu Boden, darunter ein gebogener Bohrer. Er rollte außer Reichweite und noch während ich benommen darauf zukrabbelte, packte mich einer von Mahyus Stahlarmen am Bein und drückte zu. Ein gewaltiger Schmerz durchfuhr mich, als die Knochen zerbarsten und ich fast das Bewusstsein verlor. Ich schrie aus vollem Halse.
„Dein Wunsch ist paradox. Ich habe dich nicht hierher geführt, damit du nun solch einen Unsinn veranstaltest“, knurrte mich Gott an.
„Geführt“, fragte ich keuchend. Die Stimme, die ich als nächstes hörte, erschien mir vertraut, aber es dauerte sehr lange, bis ich begriffen hatte, wem sie eigentlich gehörte.
„Wer glaubst du, hat dir den Startmarker gegeben?“ Der Startmarker? Die Kugel, die ich vom alten Ikani hatte? Der alte Ikani? Das war seine Stimme! „Und nun nenne mir deinen Wunsch oder ich werde dich töten“, dröhnte Mahyu wieder mit normaler Stimme. Er packte meinen Oberschenkel und zerschmetterte auch diesen. Ich schrie vor unerträglichem Schmerz und rief in meiner Verzweiflung:
„Ich will, dass alle, die während des Krieges durch die Jn'Org ermordet wurden, wieder am Leben sind!“ Augenblicklich lockerte Gott seinen Griff, die Roboter verließen den Raum und es folgte ein langer Moment der Stille.
„Es ist vollbracht“, sagte Mahyu schließlich triumphierend. Er packte meinen Arm und zog mich empor, dass ich ihm direkt in seine unförmigen Augen schauen musste. „Der Vertrag ist abgeschlossen. Werde nun zu meinem Nachfolger!“ Ich erstarrte. Was hatte ich getan?
„Nein“, schrie ich, holte mit der anderen Hand aus und rammte Mahyu den Bohrer in sein größeres Auge. Funken sprühten, der Bohrer drehte durch und schließlich durchbohrte ich das Metall, das ihn schützte und vernahm einen donnernden Schmerzensschrei. Gott ließ mich zu Boden fallen, während das Licht in der Umgebung eine blutrote Färbung annahm und das Alarmsignal lautstark durch die Gänge dröhnte.
„WARNUNG: KRITISCHER WERT ERREICHT. ZUGANGSBERECHTIGUNGEN WERDEN ENTZOGEN. ELIMINIERUNG EINGELEITET“, sagte die weibliche Computerstimme mehrmals hintereinander und übertönte dabei das Alarmsignal und die entsetzlichen Schreie von Mahyu. Dieser taumelte umher und schien sich nicht mehr lange halten zu können, doch zuvor trat er mir noch auf mein gebrochenes Bein. Während er fiel und dabei zu leuchten begann, schrie ich mir abermals die Seele aus dem Hals und verlor letztendlich das Bewusstsein.
Als ich wieder zu mir kam, wusste ich zunächst nicht, ob ich nun tot war oder nicht. Meine Sicht war trübe, meine Augen schmerzten und mein Körper fühlte sich so schwer an, dass ich mich anfangs nicht bewegen konnte. Ein helles Licht blendete mich und ich erkannte, dass während meiner Bewusstlosigkeit etwas passiert sein musste. Ich versuchte mich langsam zu bewegen und fiel vom Tisch, der im Labor stand. Es sah so aus, als hätte hier nie ein Kampf stattgefunden. Der defekte Wartungsroboter war verschwunden und von Mahyus Leichnam war ebenfalls keine Spur zu sehen. Auf dem Boden lagen keine Scherben, keine Pfütze und keine viel zu große Galle vom Behälter, den ich geworfen hatte. Der Tisch, gegen den ich geworfen worden war, war lupenrein aufgeräumt und auch der gebogene Bohrer lag darauf. In der Umgebung war kein rotes Licht zu sehen und kein Alarmsignal zu hören. Hatte ich alles nur geträumt?
„NUTZE DEN AUFZUG“, ertönte plötzlich die weibliche Computerstimme. Nach Luft röchelnd, stützte ich mich auf und betrachtete meine Hand. Das war nicht meine Hand! Ein weißes Metall ummantelte sie wie ein Schutzschild und ließ meine schlimmsten Befürchtungen Wirklichkeit werden.
„Nein“, schrie ich erschrocken und versuchte das Metall von meiner Hand zu entfernen. Es schmerzte, als ich hinein kniff und ließ davon ab. Von Panik gepackt, sprang ich auf und betrachtete mich. Ich war plötzlich viel größer, ein stählerner Mantel umgab mich und nur unter einem Teil meines Brustkorbs lugte mein nackter Körper hervor. Schläuche führten von einem Teil meines Körpers zu einem anderen und mein Kopf war in einem Helm gefangen, den ich nicht abnehmen konnte. Ich starrte durch ein Display, das meine Augen perfekt wiedergab und obwohl ich in einem Metallmantel steckte, spürte ich jede Berührung, als benutzte ich meine Hände. Nein, nicht nur das: Meine Wahrnehmung und meine Empfindungen waren sogar verstärkt worden. Ich schrie wieder und riss ängstlich an dem Helm herum, doch es war, als wollte ich meinen eigenen Kopf abreißen. Ich war auf unwiederbringliche Art und Weise mit dem Stahlmantel verschmolzen. Ich zog an den Schläuchen und verspürte unerträgliche Schmerzen. Ich sackte zu Boden und versuchte zu weinen. Falls ich es tat, so wirkte es sich nicht auf meine Sicht aus und es fielen auch keine Tränen zu Boden. Ich war gefangen und wusste nicht, was ich tun sollte.
„HAB KEINE ANGST! KOMM ZU MIR“, sagte die Computerstimme und es hatte fast den Anschein, als wollte sie mir nichts böses. Erstaunlicherweise beruhigte ich mich sogar recht schnell, vielleicht verabreichte mir der Anzug ja ein Beruhigungsmittel oder etwas ähnliches, aber nach kurzem Zögern erhob ich mich wieder.
Ich eilte zum Aufzug und stellte erstaunt fest, dass meine Bewegungsfähigkeiten ebenfalls stark verstärkt wurden. Obwohl ich nun größer war, zeigten sich keine Probleme im Gleichgewichtssinn. Und ich war verdammt schnell. Ich schätzte sogar, dass ich schneller war als mein Vorgänger. Was auch immer diese Verwandlung beinhaltete, ich war mir sicher, dass sie nur Vorteile für meinen Körper brachte und das machte mich leicht euphorisch.
Im Planetarium angekommen, bemerkte ich, dass noch immer das Sternensystem eingeblendet war, in welchem der Krieg stattgefunden hatte. Viele Planeten hatten wieder eine freundlichere Färbung angenommen. Gott machte offensichtlich keinen Unterschied zwischen Humanoiden, Pflanzen, Tieren oder ganzen Planeten. Auf den Planeten entdeckte ich viele Menschen und andere Wesen, die sich freudig mit anderen unterhielten, die Vegetation strotzte vor Leben, Städte waren wieder intakt, als hätte dort nie etwas kriegerisches stattgefunden und jeder wirkte zufrieden. Auf Planeten, die die Jn'Org erobert hatten, gab es kurze Auseinandersetzungen, doch die Allianz aus Menschen und anderen Spezies' konnten sie mit großer Überzahl überrennen und die Planeten wieder für sich beanspruchen. Für einen kurzen Moment empfand ich Erleichterung, bis mir die Jn'Org einfielen. Sie würden einfach wieder alle ausrotten, wenn ich nichts unternahm. Doch das konnte ich nicht mehr.
Still vor mich hingrübelnd, betrat ich den Computerkern und als ich auf den weißen Bildschirm schaute, strömte auf mich eine Flut an Informationen ein, die ich im ersten Moment überhaupt nicht verarbeiten konnte. Bilder, Filme, Diagramme, komplexe Berechnungen, alles wollte sofort gesehen werden. Vollkommen irritiert taumelte ich zurück und wendete meinen Blick ab. Nachdem die Informationsflut abgeebbt war, startete ich einen zögerlichen zweiten Versuch. Wieder schossen die Daten in meinen Kopf, doch als ich versuchte, diese in einer angemesseneren Geschwindigkeit zu verarbeiten, funktionierte dies auch. Ich konnte alles sehen, was ich wollte, und verstand auf Anhieb die komplexesten Berechnungen. Offensichtlich war auch mein Gehirn modifiziert worden und ich staunte über die Leistung, die mir nun zur Verfügung stand. So erschreckend mein Schicksal auch war, dieser Computer hatte mir etwas gegeben, das sonst niemandem im Universum zur Verfügung stand: Ich selbst war in jeglicher Hinsicht zu einem überlegenen Wesen geworden und hatte Zugriff auf alles und jeden im gesamten Universum.
„Sei willkommen“, begrüßte mich die weibliche Computerstimme, doch nun erschien sie nicht mehr wie ein Computer. In ihrer Stimme fanden sich Emotionen wieder. Sie klang jung und lieblich, wahrscheinlich so eingestellt, wie ich es als angenehm empfinden würde. „Ich habe deine Erinnerungen erforscht und festgestellt, dass dir diese Stimme am ehesten zusagen würde.“ Die Stimme klang in meinem Kopf wider, ich hörte sie durch keine Lautsprecher.
„Bist du der Computer, der das Universum lenkt“, fragte ich vorsichtig. Ich hörte ein leichtes Kichern.
„So ist es. Ich möchte mit dir in einen Dialog treten, dir beibringen, wie du deine Aufgabe erledigst und mit dir zusammen das Universum lenken. Dir soll es an nichts fehlen und ich möchte, dass dein Aufenthalt so angenehm wie möglich wird.“ Als sie mir diese Worte in einem sehr sanften Tonfall mitteilte, spürte ich, wie meine Nervosität allmählich von mir abfiel. Zwar war ich an den Computer gebunden, aber vielleicht würde es gar nicht so schlimm werden, wie ich es mir ausgemalt hatte. Ein Licht flammte auf und bestrahlte den Sessel, der vor dem Bildschirm stand. „Setz dich!“ Ich tat, wie mir befohlen wurde und setzte mich in den unwahrscheinlich bequemen Sessel. So starrte ich direkt auf den Bildschirm und mir fiel meine eigene Korruptionsanzeige ins geistige Auge. Sie hing bei ungefähr 0.992.522,901 fest, sprang aber innerhalb weniger Sekunden zwischen 0.787.835,422 und 1.198.762,018 hin und her und stand dann wieder auf dem ersten Wert. Die weibliche Stimme meinte in ruhigem Ton: „Dein Wert ist noch sehr hoch, da dich etwas beschäftigt.“ Ich wusste gleich, was es war.
„Die Jn'Org werden wieder alle töten, die wiederbelebt wurden, wenn wir nichts unternehmen“, platzte es aus mir heraus, doch ich vernahm als Antwort ein Kichern.
„Mach dir darum keine Sorgen. Dein Vorgänger und ich haben vor drei Jahren beschlossen, dass sich diese Spezies zu weit verbreitet hat und dezimiert werden muss. Laut meiner Berechnungen, würden sie sonst innerhalb von 387,21 Erden-Jahren drei Galaxien vollständig erobert haben und alle anderen Bewohner dieser Galaxien wären ausgerottet. Es hat sich daher ein Virus entwickelt, der 75% ihrer Art ausrotten wird. Die Auswirkungen werden in achtzehn Erden-Tagen zu sehen sein. Innerhalb weniger Monate werden sie keine Gefahr mehr darstellen.“ Ich atmete erleichtert durch und sah, wie mein Korruptionswert schlagartig auf 0.522.716,934 fiel und langsam weiter abnahm. Aber...
„Ich habe diese ganze Reise also vollkommen umsonst unternommen“, fragte ich dennoch aufgebracht.
„Nein, immerhin hat dein Wunsch viele Leben wieder zurückgebracht“, entgegnete sie mir. Das stimmte. Ich schaute mir all die Menschen an, die dank meines Wunsches nun in Frieden leben konnten, und fand unter ihnen schließlich meine Eltern. Ob ich nun in der Lage war zu weinen, wusste ich nicht, aber ich konnte zumindest mit Bestimmtheit sagen, dass ich überglücklich war, als ich sie sah. „Du wirst anderen nie wieder mit deinem ursprünglichen Angesicht begegnen können und niemand wird dich je so sehen, wie du nun geformt bist, doch wenn du möchtest, kannst du jederzeit an jeden Punkt des Universums reisen und denen begegnen, denen du begegnen willst. Wir werden unseren Dialog währenddessen weiter fortsetzen und ich werde dir zeigen, wie du alle Operationen gleichzeitig umsetzen kannst. Es wird viele Jahre dauern, bis du alles weißt, doch in dieser Zeit bis du niemals alleine.“ Ich atmete tief durch und versuchte das alles sacken zu lassen. Irgendwie musste ich mein Schicksal wohl oder übel akzeptieren, doch der Computer versuchte wenigstens, dass es sich angenehm gestaltete. Gott zu sein, würde vielleicht schwierig werden, gerade wenn man ständig gegen eine Maschine argumentieren musste, doch andererseits hatte ich eine Macht erhalten, die ich mir niemals hätte vorstellen können.
„Nun gut“, sagte ich, „fangen wir an!“