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Selbst und ich

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18.08.2002
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Selbst und ich

Ein Fleck schleicht da flirrend und wabernd am Wüstenhorizont entlang. Von näherem betrachtet wird jedoch offenbar, dass es sich um zwei handelt. Ich, so heißt der eine, hüpft um den anderen herum wie ein Kind und redet auf ihn ein, bekommt aber ein stetig mildes Lächeln zur Antwort.

»Ist das hier schon die Wüste Zenhara?«, fragt Ich nun schon zum dritten Mal. Und zum dritten Mal schweigt Selbst; insgeheim beginnt sein Atem wieder bei eins. »Und meinst du nicht auch«, versucht Ich sein Gespräch aufrechtzuerhalten, »dass wir hier doch ziemlich einsam sind. Kein anderer Mensch weit und breit, niemand ist anwesend, deshalb sind wir es auch nicht und laufen Gefahr, uns selbst zu vergessen, nein, das wär schrecklich, das darf nicht passieren, das wäre so, als wenn man morgens vor den Spiegel träte, dahinter aber niemand ...«
Das Alleinsein düngt den Nährboden wahrer Gemeinschaft, denkt Selbst bei sich, außerdem bekommt Ich womöglich einen trockenen Mund und ihm klebt die Zunge am Gaumen. Dann kann Selbst in Ruhe seine Atemzüge zählen.
Gedanken.
»... und überhaupt: Ich finde, die Sonne könnte eine Brille tragen, wozu gibt es Sonnenbrillen sonst, ich meine, sie verursacht doch das viele Licht, also wirklich, das ist nicht auszuhalten, das muss sich ändern ...«
Selbst lächelt. Meist ist Ich ein recht unterhaltsames Kerlchen. Gar niedlich, wie es trotz der Hitze und des pulverigen Sandes um Selbst alleine ringeltanzt, eifrig dabei zu überzeugen, was alles nicht stimme auf ihrem Weg zum vollkommenen Glück.
»... aber was grinst du so dämlich – selbst Buddha, auf den du ja so viel hältst, hat das für einen Augenblick vergessen, wenn ihn bei der ganzen Sitzerei ein Moskito stach, okay, ich sehe schon, du nimmst mich gar nicht mehr für voll, ja, ja, grinse nur immerfort, du wirst sehen, fändest die Brunnen der Ehre nie im Leben ohne mich, die finde ich allein dank meiner empfindlichen Sinnesinstrument– huch, Hilfe, was ist das?!« Ein kleiner Käfer ist zwischen Ichs Füßen hindurch gekrabbelt und hat sich, kaum aufgetaucht, wieder in den Sand vergraben.
Da kichert Selbst vergnügt. »Hm«, sagt es, »das könnte ein Satzpunkt sein.«

Bald nahe genug, dass es keine Fata Morgana mehr sein kann: die Brunnen der Ehre. »Vielen Dank«, sagt Selbst und verbeugt sich leicht vor seinem Gefährten.
»Das ist doch eine Fata Morgana«, sagt Ich mit einem irritierten inneren Blick auf seine Instrumente, »oder hast du schon mal Steinbrunnen in einer Wüste gesehen, in der Tat solche mit Seilscheibe wie aus altertümlichen Dörfern?«
Sie schreiten an die Brunnen heran. Ich ergreift verschämt das Seil und holt es ein. Doch es braucht zu wenig Mühe – nur das ausgefranste Ende des Seils kommt ans Licht.
»So einfach geht das wohl nicht«, lacht Selbst und hebt seines aus der Rille. »Hier dran scheint etwas zu hängen ...« Selbst holt einige Ellen ein und lässt sie wieder fallen. Neigt das Ohr zum Brunnenschacht und vernimmt, wie unten etwas dumpf auf den Boden prallt.
»Dieser Brunnen hat einen Eimer, doch kein Wasser. Und deiner?«
Ich schaut in den Brunnen und schüttelt den Kopf. »Meiner hat auch kein Wasser.«
»Merkwürdig, dort unten schimmert Licht. Warte hier oben.« Selbst schwingt die Beine über den Brunnenrand und lässt sich am Seil den Schacht hinunter.
Kaum hat sich der Schatten über seinem Haupt geschlossen, steigt ihm Ich hinterher. »Los, weiter!«, drängt es Selbst, das innegehalten hat und geduldig lächelt. Und gleich wieder bei eins beginnt mit dem Zählen seiner Atemzüge. Der Holzbalken über ihnen ächzt. Selbst rührt sich nicht. Ich schwindet die Kraft, ihm bleibt nichts anderes übrig, als wieder hinauszuklettern.

»Unser Retter! Unser Retter ist da, unser Mönch und Asket deluxe«, empfangen Selbst Gesänge von weiter unten. »Wir verehren dich, wir preisen dich, erleuchte uns mit deinem Gleichmut.« Selbst ist am Boden angelangt. Er besteht aus Morast, eine kleine Pfütze ist noch nicht ganz versickert. »Errette uns, o nähre uns mit deiner Weisheit«, kommen säuselnd barbusige Sirenen von überall herangeschwirrt. Eine Sorge liegt Selbst zu Füßen.
»Ich, warte da oben, ja?«, ruft Selbst empor, aber bekommt keine Antwort.

Und tatsächlich zwängt sich ein Lichtschein durch den Spalt einer angelehnten Tür.
»Eine Wand mit einer Tür in einem Grundwasserreservoir, hm«, flattert Selbst durch den Kopf. Es drückt sie sanft auf und findet sich in einer Oase wieder. »Oase zur Ehre des Gleichmuts, der Achtsamkeit und des wahren Mitleids« lautet ein Schild an der Bar, die inmitten eines von Palmen gesäumten Beetes frisch erblühender Blumen prangt. Auf den Regalen steht eine Vielzahl von Flaschen aus aller Herren Ländern aufgereiht.
Der Barkeeper trocknet gelangweilt ein Glas ab. Selbst reicht den Eimer über die Theke. »Bitte, hätten Sie Wasser für zwei Durstige?«
Der Wirt blickt verwundert und weist mit ausladender Geste auf die vielen schmackhaften Getränke hinter sich. Selbst bewegt lächelnd den Kopf nach links und nach rechts, bekommt schließlich unverstanden, doch für einen umso größeren Dank einen Eimer voll klaren Wassers zurück.

»Zieh bitte!«, ruft Selbst hinauf, die Brunnenwände spielen einander das Echo zu. Ich ist doch nicht – »Ziehst du?« ... Selbst steigt behutsam auf den Rand des festgebundenen Eimers und klammert sich darüber am Seil fest. »Danke für den Gesang, er ist schön. Oh, und schön seid ihr auch«, sagt Selbst zum Abschied von den Sirenen und zieht sich empor.
Den wirklichen Himmel über sich, steigt Selbst schnaufend über den Brunnenrand. Es verwundet sich die Hände dabei, mit letzter Kraft das gespannte Seil in die Scheibenrille zu zwingen. Der Eimer scheint das Gewicht einer randvollen Regentonne zu besitzen, doch mithilfe eines stillen Lachens gelingt es Selbst, ihn zu heben. Sogleich trinkt es in genussvollen Zügen die Hälfte aus.
Dann geht es erfrischt zum anderen Brunnen hinüber.
»Ich, bist du da unten?« Wie ein Herbstblatt taumelt die Frage in den Brunnen hinab.
»Wie? Ja ... ... ... ja, und ich ... bleibe hier unten, es ist schön hier ... schön kühl und, und Sex gibt es hier auch ...«, blubbert und gluckert und hickst die Antwort herauf.
»Lass ruhig los, das sind nur Vorstellungen.«
... ... ... »Aber sie brauchen mich!«
»Die Vorstellungen brauchen dich?«
... ... ... »Ich brauche sie auch.«
»Komm doch herauf.«
... ... ... ... ... »Nein!« Ichs ertrinkende Stimme ist plötzlich leiser, entfernt sich. »Komm du doch herunter!«
»Hast du dort unten Wasser?«
... ... ... ... ... ... ... »Ich weiß nicht, nein ... hier ist alles duster.«
Selbst lichtet abermals das Seilende, knotet den halbvollen Eimer daran und lässt ihn langsam hinab, bis es kaum hörbar platscht.
Mit einem »Hm« auf den Lippen kehrt Selbst den beiden Brunnen den Rücken zu und spürt Trauer in sich heraufsteigen.

Auf seinem Weg trifft Selbst im Schatten einer Düne den Maler Du. Selbst bewundert das Kunstwerk, dass Du soeben stolz vollendet hat. Es zeigt Ichs eiförmiges Gesicht wellenartig verzerrt; anstelle der Augen prangen zwei Brunnen darin.
»Wozu spiegelt sich ein Blinder im Wasser«, sagt Selbst nachdenklich, ohne eine Antwort zu erwarten. »Ich«, fügt es dann hinzu, »ist am Ziel zurückgeblieben.«
Der Maler wendet sich zu Selbst um. »Wo?«
»An seinem Ziel, am ›Brunnen der Ehre‹, der beim ›Brunnen am Anfang‹ stand.«
Da reißt Du mit seiner Pranke Ichs papierne Schädeldecke auf. So kommt ein Stück des darunter liegenden Bildes zum Vorschein: Eine Figur blickt einer anderen über die Schulter, vor ihnen im Wüstensand steht eine Staffelei. »Möge Ich«, sagt der Künstler und blickt durch Selbst hindurch, »das Paradies in deinem Herzen finden. Trauere, weise ihm sodann frohen Gedenkens den Weg.«
Das ewig beginnende Selbst lässt Dus Worte auf sich wirken. Es bedankt und verabschiedet sich, und macht eine Verbeugung, bevor es sich zum Horizont wendet. Auf seiner Wanderung der Abendsonne, dem Wir entgegen zählt es von eins bis zehn, immerfort aufs Neue, seinen Atem aus der Wüste, seinen Atem in die Welt.

[highlight]Lizenz: CC BY-SA 3.0 DE (s. Profil)[/highlight]​

 

Hallo floritiv

Nicht leichte Kost, die du da angerührt hast, obwohl es heiter und scheinbar unbeschwert daherkommt. Ein Paradoxon mit einem surrealistischen Schlusspunkt, einem Kōan gleich, in dieser Formgebung gewiss kein Zufall.

Enträtselt habe ich es noch nicht, dennoch trägt es keine Schuld an meinem Wachsein zu dieser Stunde. Es eilt mir auch nicht den Sinn dahinter zu entschlüsseln, da es schön ist, darüber nachzudenken.

Das Motiv ist nicht neu und bekannt aus der Literatur, den Sagen und Märchen, von der Konstruktion her dennoch höchst eigenständig. Als Widerspruch ist mir der Titel gegenüber dem Text aufgefallen, in ersterem Selbst und ich, im anderen sind da Selbst und Ich, als wolltest du da ein freudiges Spiel mit dem ollen Sigismund treiben. Als Irreführung des Lesers scheint mir die Nutzung buddhistischer Werte, gekonnt zwar vermischt mit der Verwendung von Atemtechnik, welche Buddha eben ermöglichte auch einen Moskitostich nicht wahrzunehmen. Doch Selbstentlarvung treibst du da mit den Sirenen, direkt hinweisend auf Zenon, den altgriechischen Philosophen, einen Meister des Paradoxons.
Den Pinselstrich des Ich zerreissend, raffiniert das Bild dahinter wie ein Blick in eine imaginäre Wirklichkeit, liess mir Dali aufscheinen.

Ich habe es mit konzentrierter Spannung gern gelesen, das süffisante Spiel der Worte geniessend. Eine vorläufige Interpretation dazu abgeben, mag ich allerdings nur mit einem umgangssprachlichen Paradoxon:

Das ist so wahr, dass es nur falsch sein kann.​

Aber ich werde weiter darüber nachdenken, mich jetzt hinlegend, die Atemzüge zählend. :D

Schöne Grüsse

Anakreon

 

»Der zwölfte Gesang der Odyssee berichtet von der Vorbeifahrt
an den Sirenen. Ihre Lockung ist die des sich Verlierens im
Vergangenen. Der Held aber, an den sie ergeht, ist im Leiden
mündig geworden. In der Vielfalt der Todesgefahren, in denen​
er sich durchhalten musste, hat sich ihm die Einheit des eigenen
Lebens, die Identität der Person gehärtet.«
Adorno/Horkheimer: Dialektik der Aufklärung​

... und überhaupt: Ich finde, die Sonne könnte eine Brille tragen, wozu gibt es Sonnenbrillen sonst …
könnte,

hoppla, da bin ich ja wieder an ein Neutrum geraten,

floritiv,

Karl Valentin gesagt haben, dem ja auch der Fremde fremd in der Fremde und / oder unter Fremden war.

Anakreon hat das Spiel zwischen Überschrift und Verwendung von Ich / ich und Selbst / selbst schon angerissen, wobei ich noch den pragmatischen George Herbert Mead (und somit auch den weniger pragmatischen Hegel) anführen kann, wenn durch gegenseitige Erwartungshaltungen zwischen mir und den anderen ich selbst werde / mein Selbst entsteht, solange die entsprechende Anerkennung gefunden wird –

und doch entstehen paradoxe Gemeinschaften der Fremden, in denen man sich selbst fremd wird. Da erfolgt die Odyssee mitsamt Verführung und Ablenkung im wüsten Meer ohne Buddha bei die Fische. Ist ja immer die interessante Frage, wie das Subjekt der Erkenntnis sich selbst zum Objekt werden kann. So ist man zu verdammt, derselbe zu bleiben, um der gleiche unter Anderen zu werden, oder – wieder wie hier, als Kammerspiel: derselbe und doch zugleich ein Anderer zu sein.

Ach jottschen, wat ich widda kluch bin …

M. E. eine eher unglückliche Formulierung (an anderer Stelle nenn ich’s in konstanter Boshaftigkeit German Gerund trotz heftigen Widerspruchs der Grammatiker):

…, versucht Ich sein Gespräch am Laufen zu halten, …
Vielleicht eleganter:
…, versucht Ich sein Gespräch [aufrecht] zu halten, …

... aber was grinst du so dämlich – …
Wäre es nicht der Höhepunkt, wenn sich die beiden höflichst begegneten und die Anreden respektvoll mit Großbuchstaben begännen?

Auf den Regalen stehen eine Vielzahl von Flaschen aus aller Herren Ländern aufgereiht.
Es ist zwar immer von einer Mehrzahl die Rede, aber ausgerechnet die Flaschen bilden durch die Vielzahl eine Einzahl:
Auf den Regalen steh[t] eine Vielzahl von Flaschen …

Der Wirt blickt verwundert und weist mit ausladender Geste auf die vielen schmackhaften Getränke hinter ihm.
„… hinter sich.“

…, doch für umso größeren Dank …
Fehlt da nicht was?

Gern gelesen vom

Friedel,
ein Text ganz nach seinem Herzen ... pardon, hab ja nur'n Stein, also: Kopf!

 

Hej floritiv,

ich bin mir ziemlich sicher, dass ich nicht kapiere, worauf Du hinauswillst, trotzdem finde ich die Geschichte ganz lustig.

Ich verstehe es erstmal so, dass "Selbst" das Seiende und "Ich" den Schein, etwas Illusorisches meinetwegen, darstellt. Sie gehören zusammen, einer kann ohne den anderen den Weg nicht finden. Soweit alles klar.

Und gleich wieder bei eins beginnt mit dem Zählen seiner Atemzüge.
:lol:

Dann kommen die "Brunnen der Ehre". Ich glaub, dass ich da den Faden verliere, weil ich den Begriff "Ehre" schwer fassen kann. Meistens ist die Ehre eher ein Problemverursacher, das Wort geradezu ein Problemanzeiger.
Da sagt mir der Brunnen allein schon mehr, dieses in die Tiefe hinabsteigen und nach Wasser suchen passt zu "Selbst" und zur Geschichte.

»Oase zur Ehre des Gleichmuts, der Achtsamkeit und des wahren Mitleids
Ist das jetzt ironisch gemeint?

Mit einem »Hm« auf den Lippen kehrt Selbst den beiden Brunnen den Rücken zu und spürt Trauer in sich heraufsteigen.
Hier stimmt meine Theorie dann nicht mehr. Wenn Selbst das Seiende und "Ich" das Scheinbare ist, dann braucht "Ich" das Selbst dringender als Schönheit, Kühle und allen denk- und machbaren Sex der Welt und würde schleunigst aus dem Brunnen herausklettern.
Dagegen hätte "Selbst" kein ausgesprochenes Interesse an der weiteren Gegenwart von "Ich" und wäre bei dessen Verlust alles andere als traurig.

Mit dem Maler Du, das verstehe ich wieder nicht.
Selbst wurde von "Ich" vorher ständig geduzt, insofern ist das kein neuer Begriff oder eine andere Ebene. Was er mir sonst sagen will, weiß ich nicht. Soll er eine Art Dreifaltigkeit präsent machen?

»Möge Ich«, sagt der Künstler und blickt durch Selbst hindurch, »das Paradies in deinem Herzen finden. Trauere, weise ihm sodann frohen Gedenkens den Weg.«
Verstehe ich wieder nicht, "Ich" ist doch weg vom Fenster. Glücklich unten im Brunnen.

seinen Atem aus der Wüste, seinen Atem in die Welt.
Ein wundervoller Schluss.

Eben hab ich mir noch mal den ersten Satz durchgelesen und ich hätte da zwei unverbindliche Vorschläge:

Von fern erscheint jemand als schleichender, wabernder Fleck am Wüstenhorizont.
"jemand als" klingt so unspezifisch, beinahe ungeschickt, für den ersten Satz. Möglich wäre auch: Von fern erscheint ein schleichender, wabernder Fleck am Wüstenhorizont.

Von näherem betrachtet wird jedoch offenbar, dass es sich um zwei handelt.
Beim Näherkommen ist kürzer und klingt besser. Meine Meinung.

LG
Ane

 

Hallo floritiv,

und obwohl ich weiß Gott nicht zu den Philosophieliebhabern gehöre, hat mir Dein Text Freude bereitet. Ich bin da weder bewandert noch groß interessiert, von daher bin ich der naive Leser. Vielleicht ist es aber spannend für Dich auch von einer Ahnungslosen wie mir zu erfahren, was Dein Text so an Gedanken auslöst.

Also erstmal möchte ich sagen, dass mir dieses Spiel mit Ich und Selbst gut gefallen hat. Auch das Setting fand ich gelungen. Der reine Text hat mich gut unterhalten, und klar, da kann man viel drüber nachdenken, was da nun genau in den Zeilen alles versteckt ist. Und mit Vorwissen ist man sicher im Vorteil und entdeckt Sachen, die mir verborgen bleiben. Davon bin ich überzeugt.

Nun aber zu meiner naiven Lesart:
Selbst steht für mich für die Befriedigung der Grundbedürfnisse. Atmen, Wasser. Er sucht die Zufriedenheit in sich.
Ich dagegen ist eher der weltliche Typ. Seine Zufriedenheit zieht er aus dem Genuss, Ich begnügt sich sicher nicht mit Wasser, wenn das Angebot der Bar so prächtig vor ihm liegt.
Und ich kann ohne das selbst nicht sein, es wäre zwar ein genüsslich schönes Leben, aber kein Weiterkommen, da er sich nicht entwickelt dabei. Von Umständen abhängiges Glück, würde ich das mal benennen. Deshalb mag ich das Bild, wie er da unten im Brunnen hocken bleibt. Auf kleinsten Raum sozusagen, er sitzt da fest, während Selbst aus der Wüste ins Leben schreitet.

Ja, wird spannend was die Philosophen da rauslesen werden.
Mit gefällt er Text, auch wenn ich die Sahne nicht löffeln kann :).

Beste Grüße Fliege

 
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Vielen Dank fürs Lesen, für eure inspirierenden Gedanken und Korrekturvorschläge. Tut mir leid, dass ich auch nach einer ganzen Woche nicht mit einer Antwort aufwarten kann, die euren Beiträgen würdig ist. Der eine Versuch gerät mir zu eitel, der andere will altklug eure Deutungsversuche als meine Erzählabsicht verkaufen, ein dritter ist nichtssagend.

Bitte strengt euch nicht zu sehr an, diesen Text zu entschlüsseln. Dass er auf als anregende Unterhaltung funktioniert, reicht mir schon mal zur Erleichterung, Testleser aus meinem Bekanntenkreis waren da nämlich anderer Meinung.

Es handelt sich um einen Versuch, mein (teilw. Un-)Verständnis der buddhistischen Lehre, mit der ich mich zur Zeit beschäftige, durch prosaisch aufbereitetes Begriffstheater auszuformen.
Soweit ich bisher über den Buddhismus gelesen habe, geht es um die Überwindung des Ichs, Herd aller möglichen Hindernisse, die mir den Blick auf die Wirklichkeit verstellen oder ihn verzerren; das mir so manche Fehlentscheidung einflüstert, die zwar schnell vorübergehend glücklich macht, dies aber auf Kosten der Umgebung, was irgendwann in irgend einer Form wiederum auf mich zurückfällt und damit zu Wut und Aggessionen führt, Frust und Fatalismus heraufbeschwört. Auf der einen Seite also das Ich als den Buhmann und Verursacher sich selbst verstärkenden, verstreuenden Leids. Auf der anderen Seite jedoch ist in der Literatur ständig von dem „Selbst“, dem „Geist“ die Rede, beides meint anscheinend dasselbe, das von diesem Ich zu befreien ist, damit ... :bla:

... Jedenfalls hat mich dieser Widerspruch Ich vs. Geist/Selbst zu dieser Geschichte inspiriert.


Viele Grüße,
-- floritiv

 

Hallo floritiv,

dein unterhaltsamer Text hat satirische Anklänge, bietet aber auch genügend Anlässe, um über dies und das nachzudenken:

„Kein anderer Mensch weit und breit, niemand ist anwesend, deshalb sind wir es auch nicht und laufen Gefahr, uns selbst zu vergessen“

Das war für mich schon der Hinweis auf den Buddhismus, der durchaus einiges Interessantes zu bieten hat – bemerkenswert bei deinem Satz: des einen Gefahr ist des anderen Ziel.


„»... und überhaupt: Ich finde, die Sonne könnte eine Brille tragen, wozu gibt es Sonnenbrillen sonst, ich meine, sie verursacht doch das viele Licht, also wirklich, das ist nicht auszuhalten, das muss sich ändern ...«“

Schuldzuweisungen und kausales Argumentieren – das ist nix für das wahre Selbst …


„Da kichert Selbst vergnügt. »Hm«, sagt es, »das könnte ein Satzpunkt sein.«“

Die Dinge sind nicht das, als was sie erscheinen, da führt ein krabbelnder Käfer schon mal zum Punkt, der punktum, doch etwas mit der Unendlichkeit zu tun hat.


„»Dieser Brunnen hat einen Eimer, doch kein Wasser. Und deiner?«“

Schönes ‚Nutzlosigkeitssymbol‘ – ‚Wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm gebe, der wird nie wieder Durst bekommen‘ – weiß nicht, ob du auf diesen Gegensatz anspielen wolltest?


„Selbst schwingt die Beine über den Brunnenrand und lässt sich am Seil den Schacht hinunter.“

Sehr schön, wie heißt es doch? ‚Selbst ist der Mann!‘ Natürlich nimmt Selbst das in die Hand, bzw. die Beine in die …


„Wir verehren dich, wir preisen dich, erleuchte uns mit deinem Gleichmut.« Selbst ist am Boden angelangt. Er besteht aus Morast …“

Tja – so kann es gehen: wenn man im Brunnen der Weisheit den Boden erreicht, gibt es eine Erleuch… , nein eine Enttäuschung – der Morast ist genauso schmutzig, wie es zu erwarten war – kommt wohl von der Enttäuschung …


„»Lass ruhig los, das sind nur Vorstellungen.«
... ... ... »Aber sie brauchen mich!«
»Die Vorstellungen brauchen dich?«
... ... ... »Ich brauche sie auch.«“

Ja – die Vorstellungen! Was hilft es, wenn die Welt nur Vorstellung ist, wir uns aber nur in gerade dieser Vorstellung orientieren können?


Habe den Text gern gelesen, der ‚Du‘-Teil kam mir etwas ‚angehängt‘ vor, aber, wie ich zu sagen pflege ‚das Ende einer Geschichte ist am schwierigsten zu schreiben, wenn man mal vom Beginn absieht und den Mittelteil übergeht‘.

L. G.,

Woltochinon

 

Hey Woltochinon,

danke für das Lesen – und vor allem deine Gedanken! Freud mich, dass der Text zum Nachdenken anregt.

Hierbei allerdings ...

mir schrieb:
Da kichert Selbst vergnügt. »Hm«, sagt es, »das könnte ein Satzpunkt sein.«
... ist der Appell an Ich, dass es mal die Klappe halten könnte, hoffentlich nicht allzu verschleiert?


Viele Grüße & schöne Ostern,
-- floritiv

 

Hallo floritiv,

den "Satzpunkt" habe ich ganz anders interpretiert (da ich einmal über Unendlichkeit geschrieben habe, natürlich darf da ein Punkt nicht fehlen, hatte ich andere Assoziationen, als von dir vorgesehen).

Aber 'Klappe halten' ist natürlich die näherliegende Möglichkeit.

L. G.,

Woltochinon

 

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