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Seit 05:45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen
Seit 05:45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen
Aurich, den 12.09.2001
Gestern ist etwas Schreckliches passiert.
Nach dem 11. September wird nichts mehr so sein, wie es einmal war.
Grund dafür sind die neuen Nachbarn, die das Gebäude neben mir okkupiert haben.
Die alten waren erst vor kurzem ausgezogen, warum weiß ich nicht.
Die neuen kamen im Morgengrauen und sind in mein Territorium eingefallen!
Ich habe damals um Stalingrad mitgekämpft und anschließend sechs Jahre in russischer Gefangenschaft verbracht.
Ich weiß, wenn jemand, wie damals die Russen, Krieg will!
Wer mit mir Krieg führen will, kann ihn gerne haben!
Ich werde die gestrigen Ereignisse chronologisch niederschreiben, damit sie Zeugnis über die Geschehnisse geben:
Am Vormittag des 11. September, es war exakt 08:03 Uhr Ortszeit, hielt ein Lastkraftwagen auf der Zuwegung vor meinem Haus.
Für diese Straße haben die „neuen“ ein Überwegungsrecht, was aber noch lange nicht heißt, dass sie sie blockieren dürfen! Schließlich gehört die Straße mir!
Es war also eindeutig ein Bruch geltenden Rechts, das von den Angreifern, einer türkischen Familie, mit Kalkül durchgeführt wurde!
Diese Szenerie beobachtete ich von meinem Badezimmerfenster im Obergeschoss aus, als ich gerade meine Blase entleerte.
Was sollte ich nun tun?
Eine kurze Zeitspanne hätte ich diese Blockade überstehen und meine Stellung halten können.
Was aber würde geschehen, wenn die Vorräte zu Ende gingen?
Ich bin schlecht zu Fuß, seit mir damals gleich vier erfrorene Zehen amputiert wurden.
Ich will mich nicht beklagen, ich habe sie gern für die größere Sache hergegeben, aber dadurch bin nicht mehr in der Lage, meine Einkäufe zu Fuß zu erledigen und darauf angewiesen, diese Straße mit meinem DKW, ich meine BMW zu befahren.
Guter Rat war teuer!
Fieberhaft brütete ich über einer Strategie.
Eine Luftbrücke mit Rosinenbombern war aufgrund der gegebenen Verhältnisse nicht durchführbar.
Andererseits befanden sich auch nicht genug Waffen im Haus.
Ich entschloss mich daher dem Weg der Diplomatie zu folgen.
Eigentlich bin ich ein eher friedliebender Mensch und versuche jegliche Eskalation zu vermeiden.
Um 08:07 Uhr also ging ich zu dem feindlichen Fahrzeug, einem Materialtransporter, und wies den dort stehenden Mann darauf hin, dass dieses Gefährt entfernt werden müsse, ansonsten sei ich gezwungen, umgehend Gegenmaßnahmen einzuleiten.
Hinter falscher Freundlichkeit getarnt reichte mir mein radebrechender Gegner die Hand (die ich natürlich nicht ergriff! Wer weiß wo der Kerl vorher damit gewesen ist?), entschuldigte sich vielmals und wies den Fahrer des LKW an, selbigen auf den Seitenstreifen zu fahren.
Oh, dieser hinterfotzige Bastard!
Das alles war natürlich aus purer Berechnung geschehen! Man parkte den Wagen jetzt so, dass er mir die Sicht aus meinem Küchenfenster versperrte, damit ich nicht mehr verfolgen könne, was bei den anderen vor sich ginge!
Nichts in Kriegszeiten ist schlimmer als über die strategische Lage im Unklaren zu sein!
Ich brauchte dringend Verstärkung! Unter diesen Umständen würde ich meine Stellung nicht mehr lange halten können!
Um 08:16 Uhr rief ich meinen Sohn an und klärte ihn über die heikle Lage auf.
Seine Antwort kam mir verdächtig nach den Durchhalteparolen des OKW gegen Kriegsende vor!
„Beruhige Dich! Kann momentan nicht kommen! Muss zur Arbeit! Werd’ gegen Abend mal vorbeischauen!“
Dieser kleine feige Wichser!
Damals hätte man ihn vor ein Erschießungskommando gestellt!
Gleichzeitige Befehlsverweigerung und Feigheit vor dem Feind!
Gegen Abend vorbeischauen, gegen Abend vorbeischauen!
Wenn er mich dann tot aufgefunden hätte, hätte es ihm Leid getan, dass er mir die Gefolgschaft verweigert hatte!
Soll das wirklich Fleisch von meinem Fleisch sein?
Ich kann’s ehrlich gesagt nicht glauben!
Ich hab’ Ilse eh nie getraut! Das alte Luder hatte damals garantiert kurz nach meinem Weggang an die Ostfront was mit Obersturmbannführer von Strasser, dem alten KZ-Spezi!
Sie hat mit diesem alteingesessenem veramten deutschen Niederadel, der selbst einem Geschlecht jahrhundertealter Inzucht entstammte, gebumsfiedelt, während mir die Füße in den Stiefeln festfroren und ich einen Zeh nach dem andern für Führer, Volk und Vaterland gab!
Das Balg ist bestimmt nicht von mir! So’ ne Feigheit hat’s in meiner Familie nie gegeben!
Wer solche Verbündeten hat braucht keine Feinde! Genau wie die Spaghettifresser damals!
Jedes Mal mussten wir ihre feigen Ärsche retten und zum Dank haben sie sich kurz vor Kriegsende den Alliierten angeschlossen und uns den Krieg erklärt!
Dreckiges, feiges Pack, feiges!
Um 08:22 Uhr wurde ich durch das Splittern von Glas aufgeschreckt. Ich kontrollierte sämtliche Fenster. Sie waren zum Glück noch heil, also hatte keine Granate ihren Weg in mein Lager gefunden.
Da ich aus dem Küchenfenster ja nichts mehr sehen konnte, griff ich zu meinem Handstock und kämpfte mich, übernatürlichen Strapazen ausgesetzt, ins Freie.
Dieses Lumpenpack!
Sie hatten, strategisch ausgeklügelt, eine große Glasplatte auf den Weg, für den sie das Überwegungsrecht haben, der aber mir gehört (!), fallen lassen, so dass mich Abertausende von Glassplittern vom Nachschub abschnitten!
Diese Verbrecher hielten sich nicht einmal an die gängigsten Konventionen in Kriegszeiten!
Was käme als nächstes?
Flakbeschuss?
Streubomben?
Wir hatten damals noch Ehre im Leib, als wir Unternehmen Barbarossa starteten! Vor dem Niederbrennen feindlicher Städte haben wir grundsätzlich einmal dazu aufgefordert, die Häuser zu verlassen!
Gut, sie haben uns nicht verstanden, aber war das unser Problem?
Hatten die erwartet, dass wir vorher noch einen Russisch-Kurs belegen?
Der Türke sagte mir in arrogant-herausforderndem Ton:
„Werde kümmern! Werde kümmern!“
„Das ist ja auch wohl das mindeste!“, schrie ich.
„Ich lasse mir nämlich nicht alles gefallen!“
Ich sah eine Frau, wahrscheinlich eine seiner Haremsdamen, auf uns zukommen und in Tränen ausbrechen. Ich dachte, es täte ihr aufrichtig leid, aber das Miststück weinte in Wirklichkeit nur um seine gottverfluchte Wohnzimmertisch-Glasplatte!
Wütend stapfte ich zurück ins Haus. Anscheinend hatte mein Gegner darauf spekuliert, mich auf dem Weg aus meinem Haus zu Fall bringen zu können, damit ich in die Scherben stürzen sollte.
Dieser Dummkopf! Als ob mir das was ausgemacht hätte!
Ich habe mehr Granatsplitter im Arsch als er Haare auf dem Kopf!
Um 08:41 Uhr gab ich schweren Herzens meine Stellung im Erdgeschoss auf und errichtete mir ein neues Hauptquartier in meinem Schlafzimmer, aus dessen Fenster ich auch einen besseren Überblick habe.
Um 08:45 Uhr verstrich das von mir gedanklich festgelegte Ultimatum, das ich für die Beseitigung des Splitterfeldes zu gewähren bereit gewesen war.
Um 08:46 Uhr mobilisierte ich zum ersten Mal die Gendarmerie, die dann auch schließlich um
09:10 Uhr eintraf.
Es gab ein aufgeregtes Stimmengewirr. Deutlich konnte ich durch meinen Feldstecher erkennen, welch gehässige Blicke mein Feind in Richtung meines Schlafzimmerfensters warf. Ich verschwand hinter dem Vorhang, um seinen Provokationen nicht noch neue Nahrung zu geben.
Um 09:20 Uhr verschwand das angeforderte Fahrzeug wieder.
Ich verließ um 09:25 Uhr das Haus und ging auf den Muselmanen zu, der die Reste des Glases mit Schippe und Handfeger zusammenklaubte.
„Na, haben Dir wohl gut Feuer unterm Hintern gemacht, Ali, was?“
Was der freche Kameltreiber erwiderte?
„Nö, Polizei nix Ärger machen. Sagen, Du sie sehr, sehr oft rufen und nie wichtig.“
Was erlaubt sich dieser Teppichhändler eigentlich? Sind wir schon wieder so weit gekommen, dass ich mich in meinem eigenen Land, für das ich vier Zehen gab, beleidigen lassen muss? Das hat man nun von seiner Freundlichkeit! Und überhaupt: Was fällt den Polizisten eigentlich ein? So über einen alten Stalingrad-Veteranen und aufrechten Bürger herzuziehen! Ich bezweifle, dass einer von denen nur einen einzigen Zeh für unser Land geopfert hat! Diese Idioten kriegen höchstens mal ne Sehnenscheidenentzündung vom Winken mit der Kelle, um Menschen, die alles für ihr Vaterland gegeben haben (z.B. vier Zehen) nach ihren Aids-Handschuhen zu fragen, die angeblich im Verbandkasten Pflicht sein sollen.
Als ob ich einen Aidskranken anfassen würde! Überhaupt, wer nicht Auto fahren kann, soll’s bleiben lassen. Dann kann er sich nachher auch nicht beschweren, dass er irgendwo im Straßengraben verblutet ist! Außerdem, als wir damals anner Front waren, da hatten wir auch keine Aidshandschuhe und haben uns trotzdem nie was weggeholt! Na ja, außer nem Tripper von Schützengraben-Olga (so genannt, weil sie auch Hausbesuche bei uns machte).
Wenn sie die Beine spreizte, war es, als würde sich die Tür zum Paradies öffnen, auch wenn der Geruch, der einem dabei entgegenschlug, eher an einen Fuchsbau mit nicht stubenreinen Welpen erinnerte.
Ach, ich werde ganz sentimental ...
Wo war ich stehengeblieben?
Richtig, bei dem Kerl, der glaubte, sich über mich lustig machen zu dürfen.
Ich bin allerdings zu diesem Zeitpunkt immer noch weiter die Schiene der Deeskalation gefahren und ging zurück ins Haus. Ich wollte mich nicht noch weiter provozieren lassen.
Der Kuffnucke hatte mich zu seinem Glück noch nie wütend erlebt!
Um 10:00 Uhr nahm ich, wie jeden Tag um diese Zeit, mein Frühstück ein:
Vier Zwiebäcke, mit Griebenschmalz beschmiert, die ich in meinen Nierentee tunke.
Danach schaltete ich den Volksempfänger, ich meine das Radio ein und lauschte dem Radetzky-Marsch.
Die sanften Klänge konnten mein erregtes Gemüt nicht wirklich beruhigen, da ich um
10:45 Uhr bereits wieder gestört wurde. Die Türglocke läutete.
- Noch so eine - dachte ich bei mir, als ich durch den Spion blinzelte.
Wer mochte das sein? Vielleicht Ehefrau Nummer 2? Misstrauisch öffnete ich die Tür und erschrak.
Wie sie vor mir stand, einen Blumenstrauß in der Hand und mich mit ihren Augen fixierend, in denen der Wahnsinn glitzerte, sah sie aus wie die orientalische Version von Adelheid Streibl. Sie musste jeden Moment das Messer aus dem Strauß ziehen. Jedes Kind weiß, dass Türken bis an die Zähne bewaffnet sind. Außerdem hatte ich schweren Herzens den Ernährer der Familie anzeigen müssen. Man weiß ja, wie Araber auf so was reagieren, von wegen Blutrache und so. Ich tat das einzig richtige: blitzschnell schoss meine von Arthritis geplagte Faust nach vorn und versetzte ihr einen Nasenstüber. Das hatte gesessen!
Diese Reflexe, mit der Geschmeidigkeit und tödlichen Schnelle einer Raubkatze ausgeführt, haben mir an der Front mehr als einmal das Leben gerettet!
Panisch schreiend ließ sie den Strauß fallen und rannte fort.
Das Messer fand ich leider nicht in den Blumen, sie musste es unbemerkt herausgenommen haben.
Erleichtert ging ich zurück und aß ob der glücklichen Abwehr des Mordversuchs ausnahmsweise einen fünften Zwieback.
Um 11:13 Uhr klingelte es erneut bei mir, zwei Polizisten standen vor der Tür.
Sie sagten mir, dass die Familie nebenan Anzeige wegen Körperverletzung erstattet habe.
Ich hätte angeblich eine Frau, die mir einen Versöhnungsblumenstrauß reichen wollte, niedergeschlagen.
Oh, diese Lügner!
Sie ließen mir keine andere Wahl als jetzt ebenfalls Anzeige zu erstatten, und zwar wegen versuchten Mordes. Ich packte aus, erzählte alles, von dem Blumenstrauß und dem Messer!
Man fragte mich, warum ich nicht sofort die Polizei gerufen hätte und ich erwiderte:
„Weil ich unter Schock gestanden habe.“
Einer der Beamten forderte mich auf, ihm das Messer zu übergeben, mit dem ich angegriffen worden sei. Ich ging in die Küche und holte eines von meinen.
Die Beamten nahmen die Anzeige auf und das Messer an sich, bedankten sich und forderten Verstärkung an.
Um 11:32 Uhr wurde die Angreiferin abgeholt.
Kehrte nun endlich Ruhe ein?
Ich bin schon sehr alt, kann mich (aus verständlichen Gründen) nicht mehr so lange auf den Beinen halten und überhaupt ist bei mir um
11:45 Uhr Mittagszeit.
Mittags esse ich stets zehn Griebenschmalzzwiebäcke, die ich in meinen Kamillentee tunke.
Um 12:15 Uhr legte ich mich wie jeden Tag zur Mittagsruhe.
Um 12:20 Uhr schreckte ich auf, weil jemand wie von Sinnen gegen meine Tür hämmerte.
Der schon wieder!
„Rauskommen! Rauskommen!“, rief er immer wieder.
Ich war zu müde. Außerdem hatte ich Phantomschmerzen in meinen vier amputierten Zehen. Ich griff zum Hörer und rief die Polizei, die den Ruhestörer abholte.
Um 13:10 Uhr wurde wiederum ich gestört! Die Polizei holte mich ab, um mir ein paar Fragen zu stellen. Mann, die wurden teilweise richtig fies zu mir, als ich dann zugab, dass das Messer mir gehörte. Ich hatte alle Mühe, denen klarzumachen, dass ich wohl zu erregt gewesen sei um klar denken zu können und mich gerne entschuldigen würde. Man sagte mir, dass man einiges von mir gewohnt sei, dass es diesmal aber ein Nachspiel haben würde und ich mit einem Verfahren wegen Körperverletzung rechnen könne.
Danach wollten sie mir nicht einmal mehr glauben, dass die Frau böses im Sinn gehabt hatte!
Idioten! Wem glauben die eigentlich mehr? Einem Veteranen, der es fast auf die Vorschlagliste für die engere Auswahl auf die Eiserne Kreuz-Anwärterschaft geschafft hätte oder einer Messerstecherin?
Es gab etliche Querelen, bis ich am späten Abend nach Hause gebracht wurde. Mein Bastard von „Sohn“ hatte mich abgeholt und den Polizisten versichert, dass ich keinen „Unsinn“ mehr machen würde.
Als wenn ich das jemals getan hätte!
Um 22:11 Uhr sank ich todmüde in mein Bett. Ich spürte vom ganzen Laufen die Zehen nicht mehr, ich meine die sechs Verbliebenen. Hatte ich erwähnt, dass mir damals vier Zehen amputiert worden waren?
Um 04:45 Uhr stand ich auf (länger kann ich nie schlafen) und stellte Musik an.
Um 05:15 Uhr klingelte mein Telefon. Der Türke war dran und bellte ins Telefon:
„Musik leiser machen, sonst rufen Polizei!“
Dieser kleine, dreckige Provokateur!
Wann ich in meinem Haus Musik höre ist immer noch meine Sache! Kann ich was dafür, dass ich leicht schwerhörig bin, seit meine Ohren in Stalingrad ständigem Trommelfeuer ausgesetzt waren?
Das müsste selbst er einsehen!
Um 05:30 Uhr tauchte zwei Polizisten bei mir auf, leicht grantig. Ich bat sie auf einen Nierentee herein, doch sie sagten mir, sie tränken im Dienst niemals Nierentee.
Auch meine Griebenschmalzzwiebäcke verschmähten sie.
Sie forderten mich auf, sofort den Plattenspieler leiser zu stellen. Mein Argument, dass man Wagners Walkürenritt in Zimmerlautstärke nicht genießen könne, wollten die Dummköpfe nicht gelten lassen.
Vor Wut kochend begleitete ich die Beamten zur Tür.
Die letzten zwanzig Jahre habe ich jeden Morgen meinen Walkürenritt um 04:45 Uhr gehört! Nun soll ich mir auch noch diese letzte Freude in meinem Leben nehmen lassen?
Was will dieses Land noch von mir?
Vier Zehen gab ich schon her!
Bis gerade eben saß ich an diesen Aufzeichnungen.
Nun habe ich eine Entscheidung getroffen!
Ende des guten Willens!
Ich habe mich entschlossen, nicht mehr nur Opfer zu sein!
Es ist ein für allemal Schluss!
Ich lasse mich nicht länger provozieren!
Seit 05:45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen!