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Seiren
Wo ich mich befinde ist eine Frage, deren Antwort ich mir nicht länger ersehne. Verschlungen bin ich nun vom Untergrund dieser Kathedrale, ihren engen Gängen, klammen und Moos-bedeckten Wänden und steinernen Treppen, die nie zu enden scheinen. Einzig der Drang, ihr Innerstes zu erreichen gibt mir nun noch Kraft.
Vielleicht wird ein Priester, ein Mitglied der Kirchengemeinschaft, ein wanderndes Kind den Stein eines Tages entdecken, den ich mit so viel Müh aus dem Boden hob, der dort auf dem Boden liegt in einem selten genutzten Hinterzimmer, das Loch preisgab durch das ich vor unzähligen Tagen stieg und das mich in dieses Labyrinth brachte.
Vielleicht werden sie nach mir suchen. Doch gewiss, all zu gewiss ist es mir, dass ihre Suche nur vor meinem verwesten Körper enden wird. Zu tief bin ich eingedrungen. Zu viele Ecken bin ich abgebogen. Zu viele Treppen bin ich herab gestiegen. Durch zu viele Löcher bin ich gekrochen, die allem Anschein nach durch die Jahrhunderte entstanden sind und neue Räume dieses fürchterlichen Untergrundes offenbart haben.
Durch Erschöpfung verliere ich wiederholt mein Bewusstsein. Wenn ich auf dem kalten Steinboden erwache, verschwende ich meine Zeit weder mit Trauer, noch mit Verzweiflung. Nicht länger. Denn keinem meiner Gebete wurde Gehör geschenkt. All meine Flüche hallten nur erbärmlich durch diese Hallen. All meine Tränen tränkten nur das alte Moos. Nach einiger Zeit bot ich der Ohnmacht Willkommen. Sie wurde mein treuester Begleiter an diesem verfluchten Ort. Gebe es nicht sie und ihren Partner, den Traum, oh – wie eintönig wäre noch meine Existenz.
Dank ihrer vermag ich es nicht zu sagen, wie lang meine Reise bereits dauert, als ich aus einem Loch steige und mir der bisher ungewöhnlichste Gang vor Augen kommt. Nicht der Teppich, verziert mit Symbolen mir unbekannter Herkunft, erregt meine Aufmersamkeit. Auch nicht die Wände, deren Antlitz das Relief eines Wesens ziert, das in keinem Buch keiner irdischen Bibliothek dokumentiert ist.
Ich starre allein auf die Kerzen, munter flackernd. Ihre Flammen zeugen von Leben und Aktivität. Ich möchte zu der Person rennen, der diese Kerzen ihr Feuer verdanken. Ich möchte sie um Wasser und Brot und Hilfe bitten. Doch zu viel habe ich hier in diesem Untergrund bereits gesehen, das mir Angst gelehrt hat. Ich schleiche über den Teppich bis ich das Ende des Ganges erreiche und einen Raum betrete, so groß... gigantisch sogar... Vergebens suche ich nach einem Wort, das wahrheitlich beschreiben kann, was ich vor mir sehe. So weit entfernt von der Oberfläche der Erde muss ich sein, dass ich keine Erklärung für die Existenz eines solchen Raumes habe:
Die Höhe der Wände würde die höchstgeschätzten Architekten der Antike und des alten Ägyptens zu demütigen Tränen führen. Ich beuge meinen Nacken soweit mir nur möglich und vermag es dennoch nicht, eine Decke zu sehen. Die Wände sind aus bläulich schimmerndem Stein. Obwohl an ihnen die Ären offensichtliche Spuren hinterlassen haben, kann ich erkennen, dass sie das Werk kunstfertigster Steinmetze sein müssen.
Eine eisige Kälte steht still in diesem Saal. Es gibt keinen Windzug, der sie bewegt. Mein Atem, leicht sichtbar und hell, stoppt vor meinem Gesicht wie von Ehrfurcht gelähmt, und fällt dann langsam zu Boden. Mit jeder meiner Bewegungen fühle ich mich in Berührung mit Jahrtausenden.
Ich ergreife eine der Kerzen und bewege mich in ihrem schwachen Licht in das bedrohliche Dunkel. So wie die Decke, ist die entgegengesetzte Seite des Raumes mir nicht ersichtlich. Wäre ich ein griechischer Heide, würde ich mit jedem Schritt erwarten, aus dieser Dunkelheit den Umriss eines Titans zu erspähen, solch ist die Weite dieses Ortes. Kein Echo hallt nach meinen Schritten, denn die Wände sind zu fern, als dass der Klang sie erreichen und zu mir zurück finden könnte.
Stunden vergehen, dann Tage. Mein Freund, die Ohnmacht, besucht mich gelegentlich. Der Saal, mit der Überzeugungskraft eines großen Philosophen, stellt die simpelsten, weltlichen Wahrheiten in Frage, so wie dass ein jeder Raum, ein jedes Gebäude, ein Ende hat. Wäre es mir möglich, zurück zu kehren, würde ich vielleicht meinen Verstand verlieren. Doch es ist zu spät, und ich bin zu schwach nun allein diesen Saal zu verlassen, geschweige denn meinen Weg zurück an die Oberfläche zu finden. Mangels einer Wahl, kann ich jeden Schritt mit voller Bestimmtheit gehen.
Ich fühle mich dem Tod nahe, wenn ich fern ab aus dem Dunkel vor mir eine Stimme höre, die Stimme eines Weibes, eine einzelne Note so beständig haltend, als wäre sie von großer Bedeutung. Ich falle zu Knie und stöhne. Die letzten Reste an Speichel, die mein Körper zu produzieren fähig war und die ich mit mütterlicher Behutsamkeit in meinem Mund aufbewahrte, tropfen auf den kalten Steinboden.
Zitternd stehe ich auf und marschiere weiter, nähere mich der Stimme. Lauter, lauter, bis ich die feinsten Züge dieses Klanges studieren kann. Eine zweite gesellt sich zu ihr. Dann eine dritte, diese gehörend zu einem Mann. Mit jeder Minute, die mich meine knochigen Beine vorwärts tragen, nährt eine weitere Stimme diese mysteriöse Kakophonie. Im Rausch des Klanges höre ich unmenschliche Stimmen, verstörende Laute, von Monstern fremder als sie sich jemals ein Mensch vorgestellt hat, denn alles solche hat immer noch einen Hauch vom menschlichen in sich. Dies hatte nichts davon.
Schlagartig fallen alle Stimmen stumm. Ich stürze zu Boden. Gleißendes Licht. Gott, oh, hab ich mich bei dir gesehnt. Nie war ich deiner gütigen Natur sicherer als jetzt. Nie war ich deiner näher. Verleih mir nun Erlösung, Herr.
Doch das Licht schwindet. Ich bitte dich, bleib. Jeglichen Unmut, den ich dir tue, bereue ich mit perfekter Überzeugung! Bleib!
Das Licht schwindet weiter. Ich reibe meine schmerzenden Augen. Erst wenn ich endlich fähig bin, sie wieder zu öffnen, seh ich es vor mir und schreie; eine gigantische Mauer, geprägt von einem Relief solcher Tiefe, dass es scheint als wäre ein Monster mittem im tödlichen Sprung auf den Beobachter versteinert. Darunter, eine in Kerzenlicht getränkte, hohe, steinerne Bühne. In der Mitte ein Thron, prächtig geschmückt mit Juwelen die in Farben glitzern, die ich nicht zu nennen weiß. Seine Armlehne ist solcher Form, als wäre sie aus etwas lebendigem gewachsen. Die Bühne selbst ist unverständlicher Natur; metallene Objekte, lang und dünn, ragen aus ihr. Der Boden vor ihr ist bedeckt von einer dunklen, unförmigen Masse.
Ein zweiter heiserner Schrei entfleucht meinen Lippen, als sich eine dunkle Gestalt, die ich zuvor nicht bemerkt hatte, aus dem Thron erhebt. Die Gestalt sieht auf mich herab, still und reglos. Eine weibliche Figur mit Haar so schwarz wie Ruß und gefiederten Gliedern. Ein Grinsen ziert das hübsche, junge Gesicht.
Mit nur einem Hauch einer Geste ihres feder-bedeckten Armes steigt in mir Wärme. Ich komme näher, plötzlich gefasst von einem wundersamen Gefühl. Näher, bis ich die scharfen, metallenen Objekte berühre. Nun da ich so nah bin, sehe ich, dass sie tausende Stangen sind, alle unterschiedlicher Dicke, doch alle gleich spitz. Ich schaue herauf zu der Gestalt, deren Mund sich nun öffnet und dann ein unmenschliches, amüsiertes Stöhnen von sich gibt.
Mein Blick lässt nicht von ihr und ich komme näher, ein schwaches Lächeln nun auch auf meinen Lippen, die in Strömen zu bluten beginnen als eine metallene Stange sie durchbohrt. Ich sehe ihre Augen flattern und komme näher. Fauler Gestank steigt in meine Nase und droht, meine Aufmerksamkeit von ihr zu rauben, als die erbarmungslos effizienten Spitzen meinen Darm und Magen durchstechen. Mit einem Ruck dringe ich tiefer ein in das Metall, gestärkt durch Trotz gegen alles, was sich zwischen mich und ihr zu stellen versucht.
Selbst als die metallene Kontraption mein Trommelfell durchbohrt, höre ich noch ihren lieblichen Ruf. Komm und nimm mir auch mein Augenlicht, du metallenes Konstrukt – denn habe ich mir schon jetzt jeden Winkel ihrer Form eingeprägt. Komm auch und nimm mir meinen Sinn für Geruch – denn könnte ich einem lieblicheren als ihrem nie begegnen. Nimm mir Arm und Bein – denn ihrer hab ich keinen Bedarf, nun da ich ihr für immer Begleitung schenke.