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Sein Roman
Was für ein Haufen Schrott doch im Buchladen herumliegt, denkt Frank Und dafür werden diese Idioten auch noch bezahlt. Rosarote Frauenliteratur über Liebe oder den Hausfrauenalltag, dunkelblaue Thriller mit fratzenhaften Gesichtern darauf, eingebildete schmale Gedichtbände in Leinen, vier Kilo schwere Brocken mit den Memoiren von Hinz und Kunz im weißen Schutzumschlag. Millionen von Kochbüchern, daneben Milliarden von Diätbüchern. Blutrote Mittelalterschinken mit Goldschrift und Lebensratgeber, in denen die verzweifelten Ratlosen dieser Welt blättern und nach Rettung suchen.
So schwer kann es doch weiß Gott nicht sein, ein gutes Buch zu schreiben. Ein Roman schwebt ihm vor, eine brisante Beziehungsgeschichte, zeitkritisch und anspruchsvoll, die aus dem wahren Leben berichtet, ohne ihr hohes Niveau einzubüßen. Zwei Protagonisten, die ehrgeizige Chemikerin Claudia und Thomas, der Fotograf - die chemischen Waffen in Afrika auf die Schliche kommen und sich dabei, trotz verschiedener Weltanschauungen, ineinander verlieben. Der verseuchte Kontinent. Ja, das klingt gut.
„Das klingt total Scheiße“, äußert sich Franks Freund Holger. „Das will doch keiner lesen, es sei denn, sie werden gekidnappt.“
Wahrscheinlich hat er Recht. Claudia und Thomas kommen also ihren chemischen Waffen lieber in Afghanistan auf die Spur, obwohl Frank nicht ganz erklären kann, warum sie überhaupt dort sind. Egal. Sie werden von undurchsichtigen, religiösen Irren gekidnappt und finden in ihrer sechsmonatigen Geiselhaft zueinander. Die Gefangenschaft der Liebe. Perfekt, das wollen die Leute lesen.
Franks Kumpel Tobias liest die ersten Kapitel und kommentiert enttäuscht, dass ja gar kein Schweinskram drin ist. „Würde ich nicht kaufen“, meint er. „Sex sells,“ das oberste Prinzip der Vermarktung! Claudia und Thomas werden also von Rebellen aus ihrem Verlies befreit, um sich dann auf ihrer dreiwöchigen Flucht durch das afghanische Gebirge detailliert beschriebenen Orgien in Berghöhlen hinzugeben. Lust und Leiden unter heißer Sonne.
Wenn das kein Bestseller wird, was dann?
„Ich weiß nicht so recht“, meint Franks Mutter zögerlich, als sie eine (von Sexkram befreite) Textprobe gelesen hat. „Es gibt heutzutage so viel Schreckliches. Da liest man doch gern mal was von früher, so Goethezeit, oder Mittelalter.“ Mama hatte schon immer einen guten Geschmack und ist außerdem Mitglied in einem Buchclub. Zukünftige Leser und Kunden!
Mittelalter also. Welchen Zeitraum das genau umfasst, ist unklar, aber auch unwichtig. Folter, Pest und Beischlaf, das wollen die Leute! Claudia wird zur Tochter des Stadtalchemisten, die fälschlicherweise der Hexerei angeklagt und ein kleines bisschen gefoltert wird, nur, weil sie ihrer Zeit voraus ist und primitive Verhütungsmittel herstellt. Thomas wird zu Thomasius dem Seefahrer, der Claudia aus Liebe kidnappt, um sich auf einem rattenverseuchten Schiff schamlos, aber nicht ganz gegen ihren Willen, an ihr zu vergehen. Detailliert. Die Buhle des Seemannes. Der Buchclub wird jubeln, die Kassen werden klingeln!
„Bei den Schwulen und Lesben wirst du damit keinen Blumentopf gewinnen“, bemerkt Franks WG Mitbewohnerin spitz.
„Schwulsein ist doch schon längst salonfähig, so aufregend ist das doch auch nicht“, widerspricht ihre Freundin. „Transsexuell, das hat doch noch einen gewissen Kitzel!“
Frank schreibt wieselflink um. Auf dem rattenverseuchten Schiff befindet sich auch ein Pirat, der sich heimlich Claudias Kleider anzieht, bis sie ihn / sie dabei erwischt. Sie werden Freundinnen und zetteln eine Meuterei an. Der Pirat wird die erste transsexuelle Kapitänin der Geschichte. Reizwäsche und Rum. Da hat Frank eine echte Marktlücke erwischt. Der zukünftige Verleger kann sich jetzt schon glücklich schätzen!
„Hmm“, meint Franks Freundin nur, als er ihr das wertvolle Manuskript zu lesen gibt.
„Es wirkt so unmodern.“ Frank wird langsam ein bisschen gereizt. „Es ist ein historischer Roman“, sagt er verschnupft. „Natürlich ist er unmodern!“
„Ich lese lieber Thriller aus Amerika“, gibt sie bösartig zurück.
Blöde Kuh, aber Recht hat sie wahrscheinlich doch. Also zurück Marsch, Marsch für Claudia und Thomas und den Transsexuellen. Direkt ins Amerika der Neuzeit, wo Claudia Gott sei Dank in Boston wieder als Chemikerin arbeiten kann, mit ihrer netten Kollegin Janice, die früher mal ein Mann war. Gemeinsam mit Thomas, dem Fotografen mit dem Seefahrerhobby, kommen sie einem Kinderpornoring in Deutschland auf die Spur, aber bevor sie die gekidnappten Kinder befreien, haben Claudia und Thomas noch zwanzig Seiten lang wilden, leidenschaftlichen Sex miteinander. Bingo! Die Spur führt nach Europa, klassisch und elegant.
„Klingt nach nichts“, meint Franks Bruder gelangweilt. „Klingt nach der beschissenen Kleinstadt hier“ Er tritt wütend gegen einen Papierkorb. „Fremde, Exotik, Abenteuer, das ist es doch, was die Leute wollen! Warum nicht mal was aus Afrika?“
Frank ist am Ende seiner Nerven und beginnt, Partydrogen zu nehmen. Als er kurz vor dem körperlichen Zusammenbruch ist, findet er Rettung bei den netten Leuten von Scientology. Die bringen ihn wieder auf die Beine und bieten ihm an, sofort sein Buch zu veröffentlichen, mit anschließender Verfilmung durch einen weltbekannten, kleinwüchsigen Schauspieler – vorausgesetzt es trägt den Titel Rettung aus dem All. Während Frank noch über dieses verlockende Angebot nachdenkt, berichtet ihm seine Freundin, dass sich ein interessierter Verleger bei ihm gemeldet hat. Er ist bereit, Franks Buch sofort gegen ein kleines Entgelt zu veröffentlichen, welche Version Frank nimmt, ist ihm dabei schnurzegal.
Und so sieht sich Frank einige Wochen später und um einige Tausende Euro leichter im glücklichen Besitz von mehreren Kisten mit seinem Roman. Jetzt muss er sie nur noch an den Mann bringen, aber da er ja intensiv die Geschmäcker der Leser recherchiert hat, dürfte das kein Problem sein.