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Sein Roman

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27.08.2007
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Sein Roman

Was für ein Haufen Schrott doch im Buchladen herumliegt, denkt Frank Und dafür werden diese Idioten auch noch bezahlt. Rosarote Frauenliteratur über Liebe oder den Hausfrauenalltag, dunkelblaue Thriller mit fratzenhaften Gesichtern darauf, eingebildete schmale Gedichtbände in Leinen, vier Kilo schwere Brocken mit den Memoiren von Hinz und Kunz im weißen Schutzumschlag. Millionen von Kochbüchern, daneben Milliarden von Diätbüchern. Blutrote Mittelalterschinken mit Goldschrift und Lebensratgeber, in denen die verzweifelten Ratlosen dieser Welt blättern und nach Rettung suchen.
So schwer kann es doch weiß Gott nicht sein, ein gutes Buch zu schreiben. Ein Roman schwebt ihm vor, eine brisante Beziehungsgeschichte, zeitkritisch und anspruchsvoll, die aus dem wahren Leben berichtet, ohne ihr hohes Niveau einzubüßen. Zwei Protagonisten, die ehrgeizige Chemikerin Claudia und Thomas, der Fotograf - die chemischen Waffen in Afrika auf die Schliche kommen und sich dabei, trotz verschiedener Weltanschauungen, ineinander verlieben. Der verseuchte Kontinent. Ja, das klingt gut.

„Das klingt total Scheiße“, äußert sich Franks Freund Holger. „Das will doch keiner lesen, es sei denn, sie werden gekidnappt.“
Wahrscheinlich hat er Recht. Claudia und Thomas kommen also ihren chemischen Waffen lieber in Afghanistan auf die Spur, obwohl Frank nicht ganz erklären kann, warum sie überhaupt dort sind. Egal. Sie werden von undurchsichtigen, religiösen Irren gekidnappt und finden in ihrer sechsmonatigen Geiselhaft zueinander. Die Gefangenschaft der Liebe. Perfekt, das wollen die Leute lesen.
Franks Kumpel Tobias liest die ersten Kapitel und kommentiert enttäuscht, dass ja gar kein Schweinskram drin ist. „Würde ich nicht kaufen“, meint er. „Sex sells,“ das oberste Prinzip der Vermarktung! Claudia und Thomas werden also von Rebellen aus ihrem Verlies befreit, um sich dann auf ihrer dreiwöchigen Flucht durch das afghanische Gebirge detailliert beschriebenen Orgien in Berghöhlen hinzugeben. Lust und Leiden unter heißer Sonne.
Wenn das kein Bestseller wird, was dann?

„Ich weiß nicht so recht“, meint Franks Mutter zögerlich, als sie eine (von Sexkram befreite) Textprobe gelesen hat. „Es gibt heutzutage so viel Schreckliches. Da liest man doch gern mal was von früher, so Goethezeit, oder Mittelalter.“ Mama hatte schon immer einen guten Geschmack und ist außerdem Mitglied in einem Buchclub. Zukünftige Leser und Kunden!
Mittelalter also. Welchen Zeitraum das genau umfasst, ist unklar, aber auch unwichtig. Folter, Pest und Beischlaf, das wollen die Leute! Claudia wird zur Tochter des Stadtalchemisten, die fälschlicherweise der Hexerei angeklagt und ein kleines bisschen gefoltert wird, nur, weil sie ihrer Zeit voraus ist und primitive Verhütungsmittel herstellt. Thomas wird zu Thomasius dem Seefahrer, der Claudia aus Liebe kidnappt, um sich auf einem rattenverseuchten Schiff schamlos, aber nicht ganz gegen ihren Willen, an ihr zu vergehen. Detailliert. Die Buhle des Seemannes. Der Buchclub wird jubeln, die Kassen werden klingeln!
„Bei den Schwulen und Lesben wirst du damit keinen Blumentopf gewinnen“, bemerkt Franks WG Mitbewohnerin spitz.
„Schwulsein ist doch schon längst salonfähig, so aufregend ist das doch auch nicht“, widerspricht ihre Freundin. „Transsexuell, das hat doch noch einen gewissen Kitzel!“
Frank schreibt wieselflink um. Auf dem rattenverseuchten Schiff befindet sich auch ein Pirat, der sich heimlich Claudias Kleider anzieht, bis sie ihn / sie dabei erwischt. Sie werden Freundinnen und zetteln eine Meuterei an. Der Pirat wird die erste transsexuelle Kapitänin der Geschichte. Reizwäsche und Rum. Da hat Frank eine echte Marktlücke erwischt. Der zukünftige Verleger kann sich jetzt schon glücklich schätzen!

„Hmm“, meint Franks Freundin nur, als er ihr das wertvolle Manuskript zu lesen gibt.
„Es wirkt so unmodern.“ Frank wird langsam ein bisschen gereizt. „Es ist ein historischer Roman“, sagt er verschnupft. „Natürlich ist er unmodern!“
„Ich lese lieber Thriller aus Amerika“, gibt sie bösartig zurück.
Blöde Kuh, aber Recht hat sie wahrscheinlich doch. Also zurück Marsch, Marsch für Claudia und Thomas und den Transsexuellen. Direkt ins Amerika der Neuzeit, wo Claudia Gott sei Dank in Boston wieder als Chemikerin arbeiten kann, mit ihrer netten Kollegin Janice, die früher mal ein Mann war. Gemeinsam mit Thomas, dem Fotografen mit dem Seefahrerhobby, kommen sie einem Kinderpornoring in Deutschland auf die Spur, aber bevor sie die gekidnappten Kinder befreien, haben Claudia und Thomas noch zwanzig Seiten lang wilden, leidenschaftlichen Sex miteinander. Bingo! Die Spur führt nach Europa, klassisch und elegant.
„Klingt nach nichts“, meint Franks Bruder gelangweilt. „Klingt nach der beschissenen Kleinstadt hier“ Er tritt wütend gegen einen Papierkorb. „Fremde, Exotik, Abenteuer, das ist es doch, was die Leute wollen! Warum nicht mal was aus Afrika?“

Frank ist am Ende seiner Nerven und beginnt, Partydrogen zu nehmen. Als er kurz vor dem körperlichen Zusammenbruch ist, findet er Rettung bei den netten Leuten von Scientology. Die bringen ihn wieder auf die Beine und bieten ihm an, sofort sein Buch zu veröffentlichen, mit anschließender Verfilmung durch einen weltbekannten, kleinwüchsigen Schauspieler – vorausgesetzt es trägt den Titel Rettung aus dem All. Während Frank noch über dieses verlockende Angebot nachdenkt, berichtet ihm seine Freundin, dass sich ein interessierter Verleger bei ihm gemeldet hat. Er ist bereit, Franks Buch sofort gegen ein kleines Entgelt zu veröffentlichen, welche Version Frank nimmt, ist ihm dabei schnurzegal.
Und so sieht sich Frank einige Wochen später und um einige Tausende Euro leichter im glücklichen Besitz von mehreren Kisten mit seinem Roman. Jetzt muss er sie nur noch an den Mann bringen, aber da er ja intensiv die Geschmäcker der Leser recherchiert hat, dürfte das kein Problem sein.

 

hallo,

Ein lustiger Happen für zwischendurch! Das kennt doch sicherlich jeder von uns. In Anbetracht vieler Kritiker und vieler Geschmäcker ist es nicht immer einfach, zu seinen Ideen zu stehen. dann wiederum möchte man natürlich auf Kritik eingehen und ist oftmals versucht, es jedem recht machen zu wollen.
das hast du gut getroffen. Die kleine Anspielung auf »Fluch der Karibik« (ich denke es war eine) hätte eventuell ein bisschen deutlicher ausfallen können.

Ob allerdings die Scientology ein Buch herausbringen würde, indem es u. a. um wilden, hemmungslosen Sex geht, ist fraglich. (Link: scientology-lies.com)
das Sektenmitglieder flüchtet, ist angeblich gekidnappt worden, aber die Einnahmen gehen an Scientology? Dieser Abschnitt passt nicht so richtig zum Rest, wirkt ein bisschen unausgeboren.

Habe mich amüsiert!
Georg

 

Schönes Ding! Viele Kritiker verderben die Story, oder den Brei?
Der Büchermarkt kann aber auch grausam sein. Jedenfalls sind Dir die Anspielung auf die Anbiederung des Romanschreibers an den Leser vortrefflich gelungen.

Prima!

 

Salü sammamish,

nichts ist perfekt - Deine Geschichte ausgenommen. Hab gelacht und konnte mich soo gut in den Frank einfühlen. So richtig ein rasanter Aufsteller an dem ich nichts zu bemäkeln finde.

Lieben Gruss,
Gisanne

 

Hallo sammamish,

dein Stil trägt locker durch den Text. Die KG bestätigt auf unterhaltsame Weise das, was wir alle längst wissen: Viele Köche verderben den Brei, und wenn man zuviele Artgenossen um eine Meinung bittet, ist man am Ende ratloser als zuvor. Man kann es sowieso nicht allen Recht machen.

Dieser Ansatz bietet dir dann die ideale Möglichkeit, zugleich noch viele typische Bestseller-Stoffe aufs Korn zu nehmen und Trends zu veräppeln, die derzeit/jederzeit den Büchermarkt beherrschen. Glücklicherweise gelingt dir das unaufdringlich. Ich kann mir vorstellen, dass in einer weniger dezenten Ausführung ein solcher Stoff wieder zum Friedhof für platte und tottgerittene Witze hätte werden können, umgeben von heftig winkenden Zaunpfählen. Nein, in solche Fallen bist du textlich nicht getappt.

Nur der Schluss mit den Scientologen erscheint mir nicht so gelungen. Das wirkt irgendwie aufgeproft, als wäre dir am Ende noch eingefallen, dass ja auch die Scientologen noch was auf die Mütze brauchen, nachdem Schaupielerzwerg Cruise deren Wirken kürzlich erst wieder so peinlich ins Rampenlicht rückte. Ich glaube aber, dass die Scientologen viel subtiler und zurückhaltender agieren, und insofern denke ich, dass der letzte Absatz irgendwie in eine falsche Richtung geht. Vielleicht fällt dir da noch etwas Besseres ein, etwas, was dem feinen Witz der vorausgegangenen Geschichte gerechter wird und ein angemesseneres Fazit bringt.

Ansonsten: gern gelesen!

Grüße von Rick

 

Hallo Schreibaer, Angrynowaka, Gisanne und Rick,
vielen Dank fuers Lesen und eure Kommentare! Freue mich, dass ich nicht die Einzige bin, die am Buchmarkt verzweifelt ...!
Ja, Schreibaer und Ricke, habe den Schluss noch mal abgeandert und nur noch ein bisschen Scientology drin gelassen ( das muss sein ..!) , denn ihr habt wohl Recht und sie agieren zurueckhaltender. Mal sehen, ob noch andere Kritiker was sagen und demtentsprechend kann ich es ja immer noch weiter aendern :Pfeif:

:lol: gruss, sammamish

 

Hey sammamish,
da komm ich Monate zu spät, um auch nicht mehr zu sagen als die anderen. Durchaus mit Genuß verfolgt man die Wandlung von Thomas und Claudia, die immer absurdere Blüten annimmt - sehr schön die Beinahe-Piraten-Vergewaltigung, mit darauffolgender Ed-Wood-Variation. Och, und das Ende mit der Tom-Cruise-Verarsche und der DKZV-Schelte - ist schon okay. Die DKZV-Nummer klingt halt immer ein bisschen bitter, aber es passt schon.

Gerne gelesen ;)
Quinn

 

Hallo Quinn,
na, sowas, hast du das alte Teil noch einmal ausgegraben ...
Freut mich, dass du dich amuesiert hast!
Tom Cruise regt mich schon lange auf. Und DKZV ist ja immer fuer einen Lacher gut, auch wenn es eigentlich traurig ist, was die veranstalten. Aber das muss ja jeder selber wissen ...
Viele gruesse,

sammamish

 
Zuletzt bearbeitet:

Rundum gelungen! Gern gelesen! Ja, so könnts gehen ;-) !

Herrlich amüsant präsentieren sich die diversen Storyplots, die sich zum vermuteten Mainstream hinbiegen ....

Claudia und Thomas werden also von Rebellen aus ihrem Verlies befreit, um sich dann auf ihrer dreiwöchigen Flucht durch das afghanische Gebirge detailliert beschriebenen Orgien in Berghöhlen hinzugeben. Lust und Leiden unter heißer Sonne.

*lach!

Auf dem rattenverseuchten Schiff befindet sich auch ein Pirat, der sich heimlich Claudias Kleider anzieht, bis sie ihn / sie dabei erwischt. Sie werden Freundinnen und zetteln eine Meuterei an. Der Pirat wird die erste transsexuelle Kapitänin der Geschichte.

*Super. ich kaufs Buch, wenns raus ist!

Direkt ins Amerika der Neuzeit, wo Claudia Gott sei Dank in Boston wieder als Chemikerin arbeiten kann, mit ihrer netten Kollegin Janice, die früher mal ein Mann war. Gemeinsam mit Thomas, dem Fotografen mit dem Seefahrerhobby, kommen sie einem Kinderpornoring in Deutschland auf die Spur, aber bevor sie die gekidnappten Kinder befreien, haben Claudia und Thomas noch zwanzig Seiten lang wilden, leidenschaftlichen Sex miteinander.

Applaus Applaus!


LG,
Flic

PS: GÄHN Ich kann sie schon nicht mehr sehen, die Hunderten in den Regalen: noch ein Serienmörderbuch und noch eins und noch eins - und noch ein Kirchenverschwörungsbuch und noch eins und noch eins und noch eins ... ;-)

 

Hi Flica-Flac,

freut mich, dass es dir gefallen hat!

PS: GÄHN Ich kann sie schon nicht mehr sehen, die Hunderten in den Regalen: noch ein Serienmörderbuch und noch eins und noch eins - und noch ein Kirchenverschwörungsbuch und noch eins und noch eins und noch eins ... ;-)


Aber wirklich, was! Ich frage mich, wo das hinfuehrt. Wird es immer mehr werden? Oder gibt es irgendwann mal ein Gesetz, dass jedes neue Serienmoerderbuch vor Veroeffentlichung eine Genehmigung beantragen muss? :deal:

gruss, sammamish

 

Hallo sammamish,

deine Ideen fand ich wirklich Klasse. Ich habe mich köstlich amüsiert.

Franks Bemühungen, den idealen Bestseller zu schreiben, waren wohl nicht ganz aus der Luft gegriffen?

Ach, wäre das schön, es gäbe ein Geheimrezept für den ultimativen Erfolg!

Ja, so jemanden kenne ich auch, der zuerst den Leuten in seiner Umgebung sein mühsam erarbeitetes Werk zur Beurteilung gibt, um dann festzustellen, dass es unmöglich ist es allen recht zu machen.

Viele Grüße
Ariane

 

Oh, das ist gut, sammamish,

eine Geschichte von Dir, die mir tatsächlich bisher durch die Lappen geflutscht ist und das ist dermaßen schade, denn ich finde sie hervorragend.

Sie zeigt die Qualen eines Romanautors sehr authentisch und ich musste öfter schmunzeln, denn was macht sich unsereiner doch für verquaste Gedanken, um auf neue Geschichtenideen zu kommen? Ich jedenfalls bin irgendwie ständig auf der Suche danach. KG-Virus, wahrscheinlich.

Was mir super gut gefallen hat, sind die tollen Titel, die die jeweiligen Romane von Frank tragen sollen. Herrgott, wie lange brütet man über dem einen passenden Titel für die eine Geschichte? Und Du wirfst da mal schnell 6, 8 Stück in den Ring, in einer Geschichte.

Stimmt, beim Lesen Deiner Einleitung ist mir auch aufgefallen, dass bestimmte Genres oft bestimmte Farben tragen, rosa für Liebe, blau für Thriller und rot für Historisches. Ich gratuliere Dir zu Deiner guten Beobachtungsgabe. Ich werde in Zukunft mal genauer hinschauen und nicht nur schnell vorbeirennen.

Das mit Scientology am Ende war nicht so mein Ding, aber ich will jetzt nicht das Meckern anfangen, habe die Geschichte nämlich sehr gerne gelesen.

Liebe Grüße
Giraffe :)

 

Hi Ariane,Steffi und Giraffe,
danke, dass ihr die etwas ältere Geschichte noch mal raus gegraben habt. Und wie schön, dass es da draußen ein paar Leidensgenossen gibt, denen die Geschichte gefällt und die sie nachvollziehen können!
Jetzt, mit einigem Abstand, finde ich das Scientology Stück selber nicht mehr so klasse, aber was soll’s. Allerdings hat sich auch in den zwei Jahren, seit ich das schrieb, im Buchhandel nichts geändert. Noch immer Berge von rot, blau und rosa … Vielleicht noch ergänzt durch die Sparte „All-Ager-Fantasy“? Aber welche Farbe das nun hat … :sealed:

LG
Sammamish

 
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Hallo sammamish

Jetzt grabe ich den lustigen Happen über die "zuviel Köche und so" auch noch mal aus, denn so viel hat sich in den Buchläden ja noch nicht geändert. :p

Was mir nicht so gefallen hat, waren die etwas aufgesetzten Lobhudeleien am Ende der Abschnitte:
- Wenn das kein Bestseller wird, was dann?
- Da hat Frank eine echte Marktlücke erwischt. Der zukünftige Verleger kann sich jetzt schon glücklich schätzen!
Das wirkt irgendiwe etwas zu affektiert.

Und um den Vorwurf des Bumpings auszuräumen, hier noch ein versteckter Typo:

Was für ein Haufen Schrott doch im Buchladen herumliegt, denkt Frank[PUNKT] Und dafür werden diese Idioten auch noch bezahlt.
oder gleich die Gedanken durch Hochkommas kenntlich machen:
'Was für ein Haufen Schrott doch im Buchladen herumliegt', denkt Frank. 'Und dafür werden diese Idioten auch noch bezahlt.'

Sehr gerne gelesen und alles Gute zum Geburtstag,
:gelb:
Gruss dot

 

Hallo sammamish,

auch mir gefällt dieser Text! Beim ersten Lesen tat ich mich auch etwas mit dem letzten Absatz, also dem Ende, schwer, fand ihn aufgesetzt. Doch inzwischen empfinde ich ihn mehr und mehr als einen wunderbar überzogenen Abschluss, der in gewisser Weise dem Text das Sahnehäubchen aufsetzt.

Liebe Grüße

Andreas

 

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