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Sein Kampf

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23.06.2021
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Anmerkungen zum Text

Das hier ist mein kleiner Beitrag zum Projekt "Wir gegen Rassismus". Ich habe mal versucht, Eure Rückmeldungen aus den letzten Texten zu nutzen und einen Spannungsbogen und Konflikte einzubauen.

Uber Feedback würde ich mich freuen.

Sein Kampf

Der Baseballschläger neben dem alten Sofa war umgefallen. Wie so oft. Der Holzgriff hatte schon erste Spuren in der vergilbten Blumentapete hinterlassen. Quer durch eine stilisierte Blüte in altrosa verlief eine lange, gebogene Schramme, wie ein verrutschtes Komma. Sven hatte nicht einmal mehr den Kopf gehoben. Acht Adlerbräu lagen leer und durcheinander auf Omas altem Couchtisch. Wie ein Kränzchen beim Kegeln. Nur in der neunten Flasche war noch ein kleiner Rest.

Die Hand hatte länger durchgehalten als der Kopf, aber ein paar Minuten nach dem ersten Schnarchen war die Flasche doch gefallen und lag jetzt tropfend auf den aufgeweichten Resten einer Packung Pizza Pilze. Das „Stein“ von Steinofen war schon völlig durchnässt. Draußen rollte der erste Donner an, während sich im vergessenen Flachbild-Fernseher die Kommentatoren gegenseitig erklärten, warum Deutschland verloren hatte. Die EM war für Deutschland endgültig aus und vorbei. Svens Abend auch. „Football is coming home. It‘s coming home.“ Die Schlachtgesänge der englischen Fans verfolgten ihn in sein eigenes alkoholgeschwängertes Walhalla, wo er mit den gefallen Kriegern früherer Zeiten becherte. Bechern wollte. Aber sein Trinkschädel hatte ein Loch und so kam er nie bis zum Gelage. Grimmige Walküren in rot-weißen Trikots sperrten ihn stattdessen in einen Keller mit verblassten Tapeten, wo er unendliche Reihen alter Metfässer schrubben musste. Die grimmigste der Walküren sah ein bisschen aus wie Oma Mechthild. Das machte alles nur noch schlimmer.

Der nächste Morgen begann mit einem Bienenschwarm in Svens Kopf. Es dauert fast eine Minute, bis er realisierte, wo er war und dass sein Handy vibrierte. Mühselig griff er danach. »Hmmnja ... ?« Das hatte ein forsches Ja sein sollen. Die Zunge war scheinbar auch noch nicht richtig wach. Er stützte den schweren Kopf in die andere Hand.

»Sven, bist Du das?« Blöde Frage, eigentlich. Wer sollte sonst drangehen?

»Mensch Thorben, es ist mitten in der Nacht.« Svens Stimme klang wie das berüchtigte Reibeisen, auch wenn die Zunge langsam wieder wach wurde. »Warum rufst Du an?« Seine Kehle war trocken, der Kopf brummte immer noch.

»Schwachkopf«, klang es aus dem Hörer. »Mach mal die Rolläden hoch, es ist fast elf.“ Wahrscheinlich rollte Thorben am anderen Ende der Leitung deutlich mit den Augen. Im Hintergrund war plötzlich Gelächter zu hören. Die Kameraden schienen auch schon da zu sein. »Du bist ja immer noch besoffen.«

Damit hatte er recht. Sven hatte immer noch heftige Probleme, in die Senkrechte zu kommen. »Iss doch auch egal«, gab er zurück. Gleichzeitig versuchte er, die letzte Flasche von gestern zu greifen. Vielleicht war ja noch ein Schluck drin. Die Hand war noch nicht mit den Augen gleich geschaltet. Auf jeden Fall griff Sven daneben und die Flasche rollte unter das Sofa.

»Reiß Dich zusammen!« Thorbens Tonfall war jetzt hart. »So was will ich nicht von Dir hören. Ist das klar?« Irgendwie schaffte er es wieder mal in einem Satz streng und fürsorglich gleichzeitig zu klingen. »Wir zählen heute Abend auf Dich. Treffen im Klubhaus um acht. Also schwing Deinen müden Arsch unter die Dusche. Ein Kamerad darf sich nicht vernachlässigen. Klar?« Wieder weckte Thorben irgendwo in Sven ein Fünkchen Selbstachtung. Wo auch immer dieser Funke gestern Abend gewesen war. »Lauf heute die große Runde! Und ich will eine Zeit unter 75 Minuten sehen, wenn Du nachher kommst.“

»Ok. Verstanden.« Sven war noch immer nicht wirklich wach, aber er begann sich für gestern Abend zu schämen.

»Gut. Und sei pünktlich! Wir haben einen Auftrag: Wir müssen Bimbos erschrecken.«

»Ich werde da sein.« Sven hatte es inzwischen auf die Beine geschafft und das Fenster geöffnet.

»So will ich das hören. Also dann … Für Ruhm und Ehre!« Thorben legte auf.

Sven schaute sich um. Die Flaschen auf dem Tisch und die Pizzaschachtel waren leicht aufzuräumen. Die Fenster hätten schon länger mal geputzt werden müssen. Die abgewohnten Möbel, der fleckige Teppich und die verblasste Tapete würden warten müssten, bis er endlich wieder Arbeit hatte. Trotzdem nahm Sven sich vor, ab jetzt mehr auf Ordnung zu achten. Oma würde sich im Grab umdrehen, wenn sie ihre alte Wohnung sehen würde. Er sammelte die Flaschen ein, warf den Pizzakarton in den Müll und wischte kurz über den nassen Dielenboden. Oma hätte sicher schon vor Wochen gebohnert. An Oma zu denken war nicht mehr ganz so schmerzhaft wie früher. Immerhin.

Sven ging ins Bad, putzte sich den Geschmack nach schalem Bier aus den Zähnen, ließ sich kurz kaltes Wasser über den Kopf laufen und zog seine Sportsachen an. Zwei Energieriegel aus dem Schrank und eine Trinkflasche am Gürtel vervollständigten sein Outfit. Als er die Haustür hinter sich geschlossen hatte und die ersten Schritte gelaufen war, ließ der Kopfschmerz langsam nach. Er lief aus dem Dorf, vorbei am alten Sportplatz und in die Felder. Das Korn wurde langsam reif und die Ähren hingen schwer. Der Boden war noch nass und rutschig, trotzdem versuchte er sein Tempo zu halten. Erst oben am Hügel, bei den drei Kreuzlinden, wo er den Blick weit streifen lassen konnte, gab Svens Gehirn wieder frei, was er vorher nur im Tran gehört hatte: »Bimbos erschrecken« hatte Thorben gesagt.

Sven wurde heiß, als ihn die Erkenntnis traf. Die Hitze brannte hinter dem Brustbein, quoll nach oben und ballte sich in der Kehle. Hier in Breiten-Steinach gab es keine Schwarzen. Nur das Ehepaar Fikadu vom Supermarkt und ihre Tochter Katija. Das konnte nicht sein. Bitte nicht. Nicht die Fikadus. Der Gedanke verfolgte ihn, während er zum Waldrand abbog. Bitte nicht. Bitte nicht. Dann führte sein Weg in das Dämmerlicht unter den Bäumen.

Eineinhalb Stunden später stand Sven im Bad. Er war völlig ausgelaugt und seine Muskeln schmerzten trotz der heißen Dusche. Den Gedanken an heute Abend und seine Befürchtungen hatte er für den Moment irgendwo in seinem Hinterkopf begraben. Sich ganz auf das Laufen konzentriert. Einatmen, ausatmen, Laufen. Am Ende hatte die Smartwatch 72:24:10 angezeigt. Persönliche Bestzeit. So richtig freuen konnte er sich trotzdem nicht. Er wischte kurz über den Spiegel und betrachtete unzufrieden sein Spiegelbild. Die blonden Locken, auf die er früher so stolz gewesen war, standen ungebändigt in alle Richtungen. »Bald siehst Du aus, wie so ein linksversiffter Grüner«, hatte einer der Kameraden gefrotzelt. Abschneiden? Geld für den Friseur hatte er keins. Wachsen lassen? Nur ein bisschen stutzen? Zögernd griff Sven nach dem Barttrimmer. 2,4 Zentimeter waren die längste Einstellung. 0,1 die kürzeste. Erst langsam, dann energisch rasierte er sich die Haare kurz. Die Locken fielen über die Schultern nach unten und sammelten sich um seine Füße auf dem alten Fliesenboden. Der Spiegel begann schon wieder zu beschlagen. Leichte Schlieren zogen sich wie Nebel über das Glas und das Gesicht hinter dem Nebel erschien ihm finster und fremd.

Fünf Jahre war es her, dass der letzte Supermarkt geschlossen hatte. Unrentabel. Danach hatte das kleine Gebäude am Dorfplatz lange leer gestanden. Die Fenster mit Zeitungspapier zugeklebt, das langsam vergilbte. Die Ecken hatten schon angefangen sich zu rollen, als vor einem Jahr eine Familie aus Weinheim einen neuen kleinen Markt eröffnet hatte. Seitdem waren die Dörfler gespalten. Die einen waren froh über die Einkaufsmöglichkeit. Getränke, Konserven, Brot und Gemüse. Es gab alles, was der Odenwälder so braucht. Die anderen regten sich auf. »Was wollen die Schwarzen hier?«

Papa Fikadu war wirklich tiefschwarz. Der dunkelhäutigste Mensch, den Sven je gesehen hatte. »Der kommt aus Eritrea«, hieß es. Er hatte erst mal nachschlagen müssen, wo das war: Ostafrika, am Roten Meer. Eingezwängt zwischen Sudan und Äthiopien. Lauter Namen, die sie alle nur aus dem Fernsehen kannten. Dort war Krieg. Deshalb war Papa Fikadu geflohen. Seine hübsche Frau hatte er in Deutschland kennengelernt. Im Flüchtlingslager. Und Katija war hier geboren. Katija. Sven seufzte bei dem Gedanken. Das schönste Mädchen an seiner Schule. Und eine der wenigen, die immer freundlich zu ihm gewesen war. Selbst wenn er mal wieder in uncoolen Klamotten in die Schule gekommen war. Jetzt, wo die Eltern den Supermarkt hatten, war sie nach Berlin gegangen, studierte irgendwas mit Biologie. Sie war nur noch selten in Breiten-Steinach.

Sven wuchtete die beiden leeren Kisten Adlerbräu aus dem Kofferraum und trug sie über die Straße. Vor der Tür zögerte er. Das Unbehagen war wieder da. Eigentlich wäre er Katijas Eltern heute lieber nicht begegnet. Aber das Pfandgeld würde ihn über den Abend retten, falls sie nachher noch was trinken würden. Also öffnete er die Tür und trug die Kästen zum Leergutautomaten. Er duckte sich dabei. Nur an der Kasse kam er nicht vorbei. Er brauchte das Geld. Die letzten Schritte waren irgendwie besonders schwer. Muss der Muskelkater sein, dachte er und fand sich selbst nicht überzeugend.

»Hallo Sven. Schön, dich zu sehe.« Mama Fikadu lächelte ihn an. Dann zog sie die Augenbrauen hoch. »Was ist passiert mit Deine Frisur?«

Sven murmelte irgendwas von Friseur und teuer. Der Kloß in seinem Bauch war wieder da. Die XXL-Version, die auch in der Kehle steckt. »Bimbos erschrecken – Bimbos erschrecken«. Wie ein Echo im Kopf hörte er Thorbens Stimme.

Mama Fikadu legte den Kopf schief. »Wie schade«, sagte sie mit ihrer hellen Stimme. »Deine Locken ware so hübsch.« Wie immer rollte sie das ‚R‘ ein wenig. Und dann, nach einer kurzen Pause: »Jetzt Du siehst fast aus wie eine von diese Schlägertype.« Sie schüttelte den Kopf, während sie den Pfandbon aufspießte und ihm das Geld auszahlte. »Das würde Katija nicht gefallen.«

Jetzt war der Kloß so heiß, dass er es nicht aushielt. »Sorry … muss los«, presste er heraus. »Tschüss.« Er rannte fast aus dem Laden. Das schlechte Gewissen schnürte ihm die Kehle zu. »Bimbos erschrecken!« Der Kloß in der Brust hörte nicht mehr auf. Auch nicht, nachdem die Ladentür mit einem Bimmeln hinter ihm ins Schloss gefallen war. Sven riss die Tür seines alten Golf GTI auf und ließ sich schwer atmend in den Sitz fallen. Den Marktplatz und die Burg dahinter nahm er kaum wahr. Dort, hinter der alten Burg türmten sich neue Gewitterwolken auf, wie finstere Giganten.

Die Luft war immer noch schwül, die Gewitter hatten sich noch immer nicht entladen, als Sven kurz vor acht vor dem Sportplatz parkte. Er blickte kurz über den Platz und zwischen den bewaldeten Hügeln hinaus auf die Rheinebene. Sonst liebte er diese Aussicht, blieb oft stehen, um sie zu genießen. Heute erreichte ihn all das nicht, obwohl die Szene beeindruckend und aufwühlend war. Die Sonne hing schon tief und kämpfte mit den Wolkenmassen. Rot, violett und dunkles Grau warfen ein unwirkliches Licht über die Landschaft und spiegelten sich in den Fenstern am Klubhaus.

Die meisten der Kameraden waren schon da, als Sven die alte Tür öffnete. Es gab johlende Begrüßungen und ein paar Daumen hoch für die neue Frisur, bevor er sich auf seinen Stammplatz in der Ecke setzte. Thorben grinste ihm zu und fragte nach der Zeit.

»72:24.«

»Na also«, gab Thorben zurück. »So muss das sein! Du kannst stolz sein auf dich«

Dann fing er mit dem an, was er immer die ‚Marschbefehle‘ nannte. Er redete über Heimatstolz und dass ‚die da Oben‘ das Land verraten hätten und ähnliches. Und obwohl Sven nicht wirklich zuhörte, merkte er, wie er wacher wurde. Endgültig wach wurde er in dem Moment, als Thorben wieder anfing, von den „Bimbos“ zu reden, die sich in ihrem Dorf breit gemacht hätten.

»Wir wollen hier keine Schwarzen.« Er hatte sich in Rage geredet. »Die sollen bleiben, wo sie herkommen.« Von den anderen kam Zustimmung. Einige waren nicht mehr ganz nüchtern, das war deutlich zu hören und verstärkte die Stimmung noch einmal.

»Aber die sind doch nett.« Sven konnte selbst nicht ganz glauben, dass er das wirklich gesagt hatte. Leise, aber hörbar. Die Kameraden schauten ihn verblüfft an. »Die Schwarzen sind immer nett und korrekt. Und wir können den Markt gut gebrauchen. Wo sollen wir denn sonst einkaufen?« Er war aufgestanden. Sein Gesicht brannte, die Kehle war ihm eng, aber er wollte kein Feigling sein.

Thorben schaute ihn an. »Du verteidigst die Bimbos, Sven? Echt jetzt?« Er wirkte schwer enttäuscht. »Gerade Du? Hast Du vergessen, dass ein verdammter Nigger Deine Oma umgebracht hat? Was würde Oma Mechthild sagen, wenn sie hören könnte, dass Du ihre Mörder in Schutz nimmst? Sie würde sich im Grab umdrehen.«

Svens Beine wurden weich und er ließ sich kraftlos auf den alten Sessel fallen. Er hatte Thorben enttäuscht. Und was noch schlimmer war: Er hatte Oma Mechthild enttäuscht. Der Onkologe in Heidelberg war wirklich ein Schwarzer gewesen. Die Versicherung hatte es nicht zugeben wollen, aber Sven war sich sicher gewesen, dass der Arzt seine Oma auf dem Gewissen hatte. Er hatte bei der letzten Krebs-OP geschlampt und ihm die letzte Stütze genommen, die er noch hatte.

Er fühlte sich elend wie nie. »Nein«, presste er mühsam heraus. »Wie sollte ich das vergessen?«

Thorben kam zu ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Wir müssen etwas tun gegen diese Umvolkung. Erst ersetzen sie unsere Ärzte, dann unsere Ladenbesitzer und am Ende nehmen sie uns unsere Ehre weg und unser Land. Willst Du das?« Sven schüttelte den Kopf. »Dürfen wir das zulassen«, wandte er sich an die anderen? Seine Stimme war laut und einfühlsam zugleich.

»Nein. Niemals. Das lassen wir nicht zu.« Einige Kameraden waren aufgesprungen. »Ich höre Euch nicht? Dürfen wir das zulassen?« Jetzt waren alle auf den Beinen, schlugen mit den Fäusten auf die Tische und brüllten ihre Wut und ihre Ablehnung in die Luft.

Thorben nutzte diese Wut, kanalisierte sie. Er erklärte ihnen, wie die Aktion ablaufen sollte, wie den Bimbos Angst eingejagt werden sollte. »Am Ende werden sie sich verziehen und uns in Ruhe lassen. Wir müssen unser Land vor den Schwarzen und Moslems schützen.«

Sven dachte an die Jesus- und Marienbilder im Pausenraum der Fikadus und an das kleine silberne Kreuz an Katijas schlankem Hals. Aber er sagte nichts. Er saß nur in der Ecke und fühlte sich beschissen, während draußen vor den alten Fenstern die ersten schweren Tropfen auf den Rasen schlugen.

Dreißig Minuten später war aus den ersten Tropfen ein Inferno geworden. Als wollte der Himmel selbst Angst und Schrecken verbreiten. Grelle Blitze irrlichterten über und unter den dunklen Wolken. Die einzelnen Blitze waren kaum noch zu unterscheiden. Der Donner hatte sich zu einem mahlenden Grollen gesteigert, immer wieder von Krachen durchbrochen. Der Sturm fegte den Regen fast waagerecht über den Dorfplatz. Die drei dunklen Autos vor dem Supermarkt waren kaum noch zu erkennen. Und niemand sah die acht vermummten Gestalten, die langsam ausstiegen. Sie duckten sich im Regen ein wenig zusammen, zogen die Schultern hoch, schwarze Helme verdeckten die Gesichter. Ein kurzes Kommando und sie stürmten brüllend auf den Supermarkt zu. Selbst in der tiefen Finsternis zwischen den Blitzen waren die Baseball-Schläger nicht zu übersehen, mit denen sie Schaufenster und Ladentür zertrümmerten. Dann sprangen sie in den Markt und begannen ein Regal nach dem anderen zu zertrümmern. Eine der Gestalten sprühte Verwünschungen an die Wand.

Die Neonröhren blinkten kurz auf und wurden hell. »Hee, was macht Ihr da?« Isaia Fikadu stand am Hintereingang, die Hand noch am Lichtschalter und wollte den Laden betreten. Seine Frau hielt seinen Pullover und versuchte, ihn wegzuziehen, die Augen voller Angst. »Hört auf damit. Was haben wir Euch denn getan?«

Für einen Moment war es still im Markt. Irgendwo rollte eine Dose gegen die Wand. Einer der Schläger klappte sein Visier hoch. Das Gesicht war von einer Sturmhaube bedeckt. Seine Stimme war trotzdem zu hören. »Du. Gehörst. Nicht. Hier. Her.«, sagte er leise. Dann beschrieb er mit dem Schläger eine routinierte Acht nach der andren in der Luft. Der Schläger wurde immer schneller während er auf Isaia zu ging.

»Nein! Nur erschrecken hatten wir gesagt.« Trotz der Vermummung war Svens Stimme deutlich zu hören.

Der Anführer stoppte. Er drehte den Kopf und fixierte Sven durch das geöffnete Visier. »Verräter.« Thorbens Stimme war voller Verachtung. »Um Dich kümmern wir uns später. Schau zu!« Er ließ den Baseballschläger sinken, drehte sich auf dem linken Fuß, verlagerte sein Gewicht und traf Isaia Fikadu mit der Spitze des rechten Stiefels direkt unter dem linken Rippenbogen. Der sackte röchelnd zusammen und fiel rückwärts gegen ein Regal. Die anderen standen wie erstarrt.

Thorben hob den Baseballschläger über den Kopf. Genau in diesem Moment schlug der Blitz in den Giebel des Supermarktes ein. Der Donner kam ohne Verzögerung. Ein ohrenbetäubendes Bersten erschütterte den Raum, gefolgt von einem reißenden Knistern. Blaue Entladungen zogen sich an den Fensterrahmen entlang. Eine der Gestalten wurde zur Seite gerissen und ging zu Boden. Die anderen versuchten vergeblich, die Hände vor die Ohren zu halten. Einige waren in die Knie gesackt.

»Wow. Fast wie im Kino.« Thorben hatte sich als erster erholt, schnippte theatralisch ein imaginäres Staubkorn von seiner Schulter und hob noch einmal den Schläger. Dabei drehte er den Kameraden den Rücken zu, um sich ganz auf Isaia Fikadu zu konzentrieren.

Sven wusste selbst nicht, woher die Entscheidung gekommen war. Er reagierte einfach. Er schnellte drei Schritte vorwärts und warf sich mit voller Wucht gegen Thorbens Rücken, umklammerte ihn dabei mit den Armen. Die Wut der letzten Jahre trieb ihn an und er hebelte er den unvorbereiteten Thorben übergangslos von den Beinen. Thorben fiel nach vorne, verlor den Baseballschläger und schlug mit dem Helm schwer auf die alten Bodenfliesen. Dort blieb er regungslos liegen.

Sven rappelte sich auf, griff nach dem Schläger und drehte sich um. »Das hier ist jetzt vorbei«, schrie er und ging auf die restlichen Kameraden zu, den Schläger drohend erhoben. »Geht!« Er schlug dem nächsten der Gestalten auf die Hand, worauf der die Spraydose fallen ließ und zurück wich. »GEHT!«. Als er sich dem zweiten zuwandte, drehte der sich um und lief los. Erst zögerlich, dann schneller liefen auch die anderen aus dem Laden, als draußen die ersten Blaulichter auftauchten.

Ein letzter Blitz schlug krachend in die Turmspitze der alten Burg. Dann wurde es still.

Als die ersten Beamten den Laden stürmten, ließ Sven den Baseballschläger fallen.

 

Hi @C. Gerald Gerdsen,

interessanter Name. Nur so nebenbei. Und interessanter Titel natürlich.

Acht Adlerbräu lagen leer und durcheinander auf Omas altem Couchtisch. Wie ein Kränzchen beim Kegeln. Die neunte Flasche war nicht mehr ganz leer geworden.

Die Leer-Doppelung könntest du bestimmt vermeiden

warum Deutschland jetzt eigentlich verloren hatte.

Hier dieses abwägende, unpräzise, das bräuchte es gar nicht, finde ich. Warum Deutschland verloren hatte. Reicht. So sehe ich da nämlich zu sehr den Autor, der so ein bisschen ... alltäglich, mit ironischem Unterton daherplappert.

statt dessen

stattdessen

Die grimmigste der Walküren sah ein bisschen aus, wie Oma Mechthild.

Komma weg

Das machte alles irgendwie noch schlimmer.

Warum eigentlich, frage ich mich hier. Und da liegt dann auch schon wieder die Frage nach dem Autor nahe, wer schreibt denn da, der da so ... halb wertet, aber ich will mir gar keine Gedanken über den Autor machen. Das machte alles noch schlimmer, Punkt, so ist es halt.

Der nächste Morgen begann mit einem Bienenschwarm in Svens Kopf. Zumindest fühlte es sich so an.

Auch hier wieder: Zumindest fühlte es sich so an. Nein, lass das gute Bienenschwarmbild ruhig wirken, vertrau darauf, der Leser kriegt die Verknüpfung da schon hergestellt, da muss der Autor nicht zwinkernd danebenstehen, hey, fühlt sich natürlich nur so an, ist natürlich in Wahrheit kein Bienenschwarm.

»Ouhhmmnja ... ?« Das hatte ein forsches Ja sein sollen. Die Zunge war scheinbar auch noch nicht richtig wach.

Hm, Ouhhmmnja ... Das ist so Comicsprech. Und danach wieder, was ich schon gesagt habe, die Zunge war scheinbar auch noch nicht richtig wach, zwinker zwinker - ich belasse es jetzt mal dabei, wenn noch mehr in die Richtung auftaucht, will dich nicht nerven. Aber ich würde den Text dahingehend noch mal abklopfen, du verspielst damit Klarheit, Präzision, das tut dem Text nicht gut - meiner Meinung nach.

»Wir zählen heute Abend auf Dich.« Damit meinte er ihr Treffen im Klubhaus am Trainingsgelände.

Das muss ich aber noch mal hervorheben. Das könntest du anders handhaben, finde ich, vielleicht ... Heute Abend. Treffen im Klubhaus. Oder so. Aber jetzt, "damit meinte er ...", das ist eine Erklärung für den Leser und ich will nix erklärt bekommen, sondern es selbst sehen.

Mama Fikadu, lächelte ihn an.

Komma weg

»Dürfen wir das zulassen?« wandte er sich an die Anderen?

Komma nach der wörtlichen Rede

Der Donner hatte sich zu mahlenden Grollen gesteigert

mahlendem

»Du. Gehörst. Nicht. Hier. Her.« sagte er leise.

Komma nach der wörtlichen Rede

»Das hier ist jetzt vorbei!« schrie er

hier auch

Der Sven ist ja erst mal ein bisschen wie aus dem Versagerbaukasten zusammengesetzt: Pizzakartons, Suff, Wohnung von der Omma ... Da hatte ich schon Sorge, dass man mir jetzt einfach nur den dummen Nazi zeigen will. Schön, dass du dich für einen anderen Weg entschieden hast und den Leser in Svens Kopf hereinlässt, zeigst, was er in Wahrheit, also wenn er ganz alleine ist, von der Sache hält. Ja, da hättest du für mein Empfinden sogar noch ein bisschen mehr zeigen dürfen. Wie blödsinnig er das findet und warum und was die Gründe dafür sind, dass er trotzdem mit den Kerlen rumhängt.

Ich weiß nicht so ganz, ob ich die Wetterkomponente am Ende gebraucht hätte und vor allem den quasi göttlichen Blitzschlag, da ging es mir dann ein bisschen wie Thorben, das war mir zu sehr Kino, zu wenig Realität. Svens Mut hätte auch für sich alleine stehen dürfen und nicht im Schatten einer quasi-Gottesfügung, er ist kein Übermensch, sondern nur ein mutiger Typ von nebenan, und das ist schon beeindruckend genug.

Klar, hat mir gefallen, inhaltlich, weil die Nazis nicht siegen und weil Sven einen klaren Kopf behält. Hätte aber auch sehr gerne noch ein kleines bisschen tiefer gehen dürfen. Ich hätte gerne mehr von dem titelgebenden Kampf gespürt, den Sven da kämpft, mehr Zaudern und Hadern und dann aber doch Handeln. So oder so aber eine gut gestrickte Geschichte, ich mochte auch den Provinzhauch, der Odenwald ist nicht weit weg von mir und ja, ich konnte mir das gut vorstellen, dass da so was passiert.

Ich hätte gerne mehr konstruktives Feedback geliefert, krieg ich aber gerade nicht hin, deshalb lass ich es jetzt auch bleiben. Hoffe, du kannst dir trotzdem rausziehen, was dir weiterhilft. Vielen Dank für die Geschichte und bis bald!

Bas

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Bas,

danke für Dein Feedback. Ich habe mir den Text nochmal vorgenommen und zumindest die einfachen Dinge korrigiert.

Hi @C. Gerald Gerdsen, interessanter Name. Nur so nebenbei. Und interessanter Titel natürlich.
Danke. Ausgeschrieben: Claas Gerald Gerdsen.

Der Sven ist ja erst mal ein bisschen wie aus dem Versagerbaukasten zusammengesetzt: Pizzakartons, Suff, Wohnung von der Omma ... Da hatte ich schon Sorge, dass man mir jetzt einfach nur den dummen Nazi zeigen will. Schön, dass du dich für einen anderen Weg entschieden hast und den Leser in Svens Kopf hereinlässt, zeigst, was er in Wahrheit, also wenn er ganz alleine ist, von der Sache hält. Ja, da hättest du für mein Empfinden sogar noch ein bisschen mehr zeigen dürfen. Wie blödsinnig er das findet und warum und was die Gründe dafür sind, dass er trotzdem mit den Kerlen rumhängt.
Ja, der Anfang ist mir ein wenig schablonenhaft geraten.

Es ist das erste Mal, dass ich eine Geschichte schreibe, in der ich versuche, so etwas wie eine Innenschau zu ermöglichen und eine Charakter-Entwicklung. Das fällt mir immer noch schwer.

Ich weiß nicht so ganz, ob ich die Wetterkomponente am Ende gebraucht hätte und vor allem den quasi göttlichen Blitzschlag, da ging es mir dann ein bisschen wie Thorben, das war mir zu sehr Kino, zu wenig Realität. Svens Mut hätte auch für sich alleine stehen dürfen und nicht im Schatten einer quasi-Gottesfügung, er ist kein Übermensch, sondern nur ein mutiger Typ von nebenan, und das ist schon beeindruckend genug.
Ja, ich war mir nicht sicher, wie das Ende werden sollte. Irgendwie wurde das Wetter immer zentraler und dann passte der Blitz zum Höhepunkt. Ganz zufrieden bin ich damit auch nicht. Ich hatte überlegt, Katija am Schluss auftreten zu lassen, aber mir war noch nicht klar, wo und wie.

Klar, hat mir gefallen, inhaltlich, weil die Nazis nicht siegen und weil Sven einen klaren Kopf behält. Hätte aber auch sehr gerne noch ein kleines bisschen tiefer gehen dürfen. Ich hätte gerne mehr von dem titelgebenden Kampf gespürt, den Sven da kämpft, mehr Zaudern und Hadern und dann aber doch Handeln.
Ja, das hätte der Geschichte vermutlich gut getan. Fällt mir aber nicht leicht (s.o.).

So oder so aber eine gut gestrickte Geschichte, ich mochte auch den Provinzhauch, der Odenwald ist nicht weit weg von mir und ja, ich konnte mir das gut vorstellen, dass da so was passiert.
Es gibt tatsächlich ein paar Orte, in die die Geschichte passen würde. Ich habe extra darauf geachtet, dass ich keinen real existierenden Ort beschreibe, um niemanden zu ärgern.

Ich hätte gerne mehr konstruktives Feedback geliefert, krieg ich aber gerade nicht hin, deshalb lass ich es jetzt auch bleiben. Hoffe, du kannst dir trotzdem rausziehen, was dir weiterhilft. Vielen Dank für die Geschichte und bis bald! Bas
Ja, hat mir schon sehr geholfen.

Vielen Dank, dass Du Dir die Zeit genommen hast.

Grüße, Gerald

 

Hallo Morphin,

Danke für das Feedback. Ich bin immer wieder in einem Zwiespalt. Wieviel Information soll in einer Kurzgeschichte enthalten sein, wieviel kann oder soll ich offen lassen?

Wie schaffe ich es, den Leser in die Geschichte hinein zu nehmen?

Insofern ist Dein Feedback sehr wichtig für mich, weil ich jetzt zumindest von einem Leser weiß, was ihm fehlt. Ich schaue mal, ob ich die Geschichte dahingehend verbessern kann.

Liebe Grüße, Gerald

 

»Es liegen die Eier des Kolumbus zu Hunderttausenden herum, nur die Kolumbusse sind eben seltener zu treffen.« 18, Mein Kampf, 14. Kapitel

»Gut. Und sei pünktlich! Wir haben einen Auftrag: Wir müssen Bimbos erschrecken.«

Der „Kamerad“ ist dem frz. entlehnt und hat in die Militärsprache (und somit auch bei Pfadfindern u. a.) Einzug gehalten über die „Kammer“ als Stube, vor allem aber Schlafraum der Soldaten und wird vom Plural in dem Singular zum einzelnen Soldaten, vor allem aber Gefährten in eben dem Zimmer (die da noch in der Kaserne ist). Seit dem 17. Jh., vor allem während des 30jährigen Krieges wird der „Kamerad“ auch der deutschen Zunge geläufig: Es ist das einzelne Mitglied, der Soldat oder (doch immerhin) Gefährte im Zimmer (oder Zelt und Kothe)und wird uns spätestens in der Adjektivierung sogar jenseits der Kammer zu Freundschaft, Verbundenheit, Gemeinschaft – bis hin, dass das Hirn abgestellt wird, das sich bei Deinem Helden rechtzeitig wieder einstellt.

Aber ach, @Bas hat schon begonnen, die Flusenlese geht weiter!, in der Reihenfolge des Auftritts

Quer über eine stilisierte Blüte in altrosa zog sich ein eine hässliche Schramme, wie ein großes, verrutschtes Komma.
Nein, eine Schramme kann sich selbst nicht ziehen. Sie zieht sich hin oder wird/in unserem Fall „wurde“ gezogen

Wer sollte sonst dran gehen?
Zusammen „drangehen“!

»Mach mal die Rolläden hoch, es ist fast Elf.“
Hm, seit der Rechtschreibreform müssen wir bis drei Zählen können: Die Rolllade.
"elf" klein, da ein verkürztes "elf Uhr"

Die Hand war noch nicht mit den Augen gleich geschaltet.
Gleichschalten auch als Partizip zusammen

Treffen im Klubhaus um Acht.
s. o. "elf"

»OK. Verstanden.«
Was hat in der Geschichte Oklahoma (abgek.: OK) zu suchen?
Aber was ist das für eine Abkürzung „o. k.“ aus zwei Buchstaben, zwo Punkten und einer Leerstelle (2 + 2 +1 = 5), wenn das ausgeschrieben Wort nur vier Zeichen hat?
Okay?

Oma würde sich im Grab umdrehen, wenn sie ihre alte Wohnung sehen würde.
Der Konjunktiv zu „werden“ hat nix mit welcher Würde auch immer zu tun. Die m. E. unglückliche Formulierung ist allemal im Indikativ korrekt, denn „wenn“ setzt ja eine Bedingung, die von Oma nicht erfüllt werden kann. Also ganz normal „Oma wird sich im Grab umdrehen, wenn sie ihre alt Wohnung sieht."

Getränke, Konserven, Brot und Gemüse. Es gab es alles, was der Odenwälder so braucht.

Seine hübsche Frau hatte er in Deutschland kennen gelernt.
„kennenlernen“ ein Wort. Da siehstu, wie inkonsequent gelehrte Köpfe sind, die lieben lernen auseinander verlangen ...

erste Flüchtigkeit

»Deine Locken ware so hübsch.«

Die meisten der Kameraden waren schon da, als Sven, die alte Tür öffnete.
Warum das Komma nach Sven?
Weg mit ihm! - Aber die Grenze der eigenen Aufmerksamkeit scheint erreicht zu sein

Es gab eine johlende Begrüßungen und ein paar Daumen hoch für die neu Frisur, bevor er sich auf seinen Stammplatz in der Ecke setzte.
… Du kannst stolz sein auf Dich«

Hast Du vergessen, dass ein verdammter Nigger Dein Oma umgebracht hat?

Und was noch schlimmer war: [E]r hatte Oma Mechthild enttäuscht.

»Dürfen wir das zulassen«, wandte er sich an die Anderen?
Die meisten Zahlwörter (und „ander“e ist eines, und zwar von Haus aus „zwei“, die erst von Luther eingeführt wurde. Du kannst das immer noch daran erkennen, dass zum „anderen“ ein zweiter gehört, um anders zu sein als der … So’n bissken leuchtet das noch im „anderthalben“ auf, allerdings da mehr als eins aber doch weniger als zwo

Als wolle der Himmel selbst Angst und Schrecken verbreiten.
Besser Konj. II, irrealis „als wollte der ...“

Isaia Fikadu stand am Hintereingang, die Hand noch am Lichtschalter und versuchte, den Laden zu betreten.
Komma weg, „zu betreten versuchen“, das Prädikat würde sonst zerschlagen
(die ersten Ostafrikaner, die ich 2014/15 kennenlernte, kamen übrigens aus Eritrea ...)

Seine Frau hielt seinen Pullover und versuchte, ihn weg zu ziehen, die Augen voller Angst.
wegziehen ein Wort, also auch der Inifinitiv, ähnlich hier bei auf einen andern zugehen
Der Schläger wurde immer schneller während er auf Isaia zu ging.

»Um Dich kümmern wir uns später. Schau zu!«
Sprechen die tatsächlich noch in Höflichkeitsform?

Hier nun schnappt die Fälle-Falle m. E. zu

Er ließ den Baseballschläger sinken, drehte sich auf dem linken Fuß, verlagerte sein Gewicht und traf Isaia Fikadu mit der Spitze des rechten Stiefels direkt unter den linken Rippenbogen.
Wohin tritt er „unter den linken“, aber wo trifft er „unter dem linken …“ Einfache Regel: Wo bin ich? Im Wald. Wohin geh ich? In den Wald.

Thorben hatte sich als erster erholt, schnippte theatralisch ein imaginäres Staubkorn von seiner Schulte und hob noch einmal den Schläger.

Als er sich dem zweiten zuwandte, drehte der sich um und lief auf dem Laden.
Glaub ich nicht ...

Wie dem auch sei, mir sind allemal Freunde lieber als Kameraden, vor allem, wenn sie auch Organisation und den Saubermann vortäuschen, und damit erst einmal herzlich willkommen hierorts,

lieber @C. Gerald Gerdsen!

 

Hallo @Friedrichard ,

danke für die ausführliche Flusensuche und Auseinandersetzung mit meinem Text.

Seit dem 17. Jh., vor allem während des 30jährigen Krieges wird der „Kamerad“ auch der deutschen Zunge geläufig: Es ist das einzelne Mitglied, der Soldat oder (doch immerhin) Gefährte im Zimmer (oder Zelt und Kothe)und wird uns spätestens in der Adjektivierung sogar jenseits der Kammer zu Freundschaft, Verbundenheit, Gemeinschaft – bis hin, dass das Hirn abgestellt wird, das sich bei Deinem Helden rechtzeitig wieder einstellt.
Schöne Zusammenfassung. ;-)

Aber ach, @Bas hat schon begonnen, die Flusenlese geht weiter!
Ich habe mal verbessert, was ich verstanden habe und verbessern konnte.

Was hat in der Geschichte Oklahoma (abgek.: OK) zu suchen?
Aber was ist das für eine Abkürzung „o. k.“ aus zwei Buchstaben, zwo Punkten und einer Leerstelle (2 + 2 +1 = 5), wenn das ausgeschrieben Wort nur vier Zeichen hat?
Okay?
Hm .. Okay ist m.E. eine eher die amerikanische Slang-Version von o.k. (oll korrekt).
Okay benutze ich nie. Lt. Wikipedia (die in Sprache nicht immer der Weisheit letzten Schluss abbildet), sind OK, Ok und o.k. Okay.

Ich neige dazu, dass Ok zu nutzen, um von Oklahoma abzugrenzen.
"In 1937 Oklahoma blew away ..."

Der Konjunktiv zu „werden“ hat nix mit welcher Würde auch immer zu tun. Die m. E. unglückliche Formulierung ist allemal im Indikativ korrekt, denn „wenn“ setzt ja eine Bedingung, die von Oma nicht erfüllt werden kann. Also ganz normal „Oma wird sich im Grab umdrehen, wenn sie ihre alt Wohnung sieht."
Oma wird sich im Grab umdrehen klingt für mich nicht mehr nach Konditional. Ich bin verwirrt.

erste Flüchtigkeit
In diesem Fall keine Flüchtigkeit sondern der vermutlich missglückte Versuch, Mama Fikadus Aussprache 'rüber zu bringen.

Sprechen die tatsächlich noch in Höflichkeitsform?
Ist das zu höflich? Wie könnte ich es sonst ausdrücken?

Wie dem auch sei, mir sind allemal Freunde lieber als Kameraden, vor allem, wenn sie auch Organisation und den Saubermann vortäuschen, und damit erst einmal herzlich willkommen hierorts, lieber @C. Gerald Gerdsen!

Vielen Dank für die Begrüßung und die ausführliche Beschäftigung mit meinem Text.
Ein "Essay", nicht von der Form her, sondern weil als Versuch zu verstehen.

Viele Grüße,
Gerald

 

Hm .. Okay ist m.E. eine eher die amerikanische Slang-Version von o.k. (oll korrekt).
Okay benutze ich nie. Lt. Wikipedia (die in Sprache nicht immer der Weisheit letzten Schluss abbildet), sind OK, Ok und o.k. Okay.

Puh –

lieber Gerald,

Wikipedia – wo Duden.de jederzeit zu erreichen ist, das Institut für deutsche Sprache – immerhin die Mutter der Dudenredaktion - etwas schwieriger (aber immerhin auch) und zumindest noch bis vor Kurzem eine ältere Ausgabe des Wahrig ("Bertelsmann") durchs Netz geisterte (2008 gab's sie noch - warum die jetzt verschwunden ist, zumindest nicht auf Anhieb - k. A. ) ..., die natürlich beim plötzlichen, zumindest nicht erwarteten Hirntod meines – zugegeben betagten – Notenbuches in den Weiten des elektronischen Himmels (oder seiner Hölle) verschütt ging. Da kann auch nicht schaden, ein bisschen Mark Twain und seine Äußerungen über die schreckliche deutsche Sprache im Hinterkopf zu haben …

Bis denne!

Friedel

 

Hallo Friedel,

ja, wikipedia ist in vielerlei Hinsicht nicht das beste Nachschlagewerk. Aber ich bin mit dem Duden hier dennoch nicht einverstanden. Okay ist eine Schreibweise, die ich völlig unnatürlich finde, außer in amerikanischem Slang.

Ist aber vermutlich des Disputes nicht wert.

Liebe Grüße, Gerald

 

Aber ich bin mit dem Duden hier dennoch nicht einverstanden. Okay ist eine Schreibweise, die ich völlig unnatürlich finde, außer in amerikanischem Slang.

Ist aber vermutlich des Disputes nicht wert.


Kann man sein – ob mit dem Duden nicht einverstanden oder der deutschen Schreibweise des okay’s sein,

lieber Gerald,

aber Regeln haben allein den Sinn, Komplexität zu reduzieren. Potenziell haben wir ein gutes Dutzend Möglichkeiten, okay zu schreiben, mit Majuskel oder Minuskel, mit Majuskel + Minuskel und noch einmal in den Varianten mit Punkt zu den Abkürzungen und da die Variante mit Leerzeichen zwischen „o. k., O. k., O. K.

Nach herrschender Grammatik (ob Duden oder Wahrig/Bertelsmann, Jacke wie Hose) ist nur die letzte Variante korrekt im Schriftbild. Darüber wird es keine Schießerei geben wie seinerzeit am O. K, Corral - hoff ich ja doch ...

Tschüss

FRiedel

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @C. Gerald Gerdsen ,

ich finde sehr schön, dass du dich hier engagierst und war neugierig, was du bei diesem Thema machen würdest.

Ich muss aber ehrlich sagen, dass ich nicht durchgehalten habe, den Text bis zum Ende zu lesen (bin nach zwei Dritteln im Quickread durchgegangen). Es würde sich bestimmt lohnen, da mal mit einem sehr kritischen Blick duchzugehen: einerseits welche Eindrücke und Informationen wirklich dringend nötig sind und andererseits - in einem zweiten Editingschritt - wie oft du Informationen wiederholst. Ich meine nicht Informationen, die du einfach so vermittelst, sondern die du (nehme ich an) versuchst, in show, don't tell zu erzählen.
Das extremste Beispiel war für mich die Stelle am Anfang, an der du eine abgewetzte Stelle an einer Tapete beschreibst, um den Baseballschläger einzuführen, womit du eigentlich etwas über den Prota sagen willst. Ich denke nicht, dass show, don't tell so funktioniert. Es heißt nicht, dass du jegliche Tatsache / Aussage um drei Ecken verklausulieren musst, nur um nichts deutlich auszusprechen, wo z. B. dein Prota politisch einzuordnen ist. Du könntest ihn in klaren Worten deutlich verorten und ihn dann handeln lassen - zum Beispiel mit einem leichten Bruch, der neugierig macht.
Ich fand es auch recht mühsam, mich durch so viele Details zu wühlen, wer sich wo mit der Hand abstützt, wer wo hin guckt, was wie in der Hand hat etc. Bei dem Baseballschläger ergab sich bei mir das Bild, dass der Prot seine Wohnung so stark vernachlässigt, nie was aufhebt und wegwirft, aber dann penibel darauf achtet, dass dieser Schläger immer an der gleichen Stelle an der Wand lehnt, wo er immer umfällt, um ihn dann immer wieder aufzuheben und wieder dort anzulehnen - und damit hab ich irreführende Details im Kopf, die mich in ihrer Absurdität von allem anderen ablenken und die nicht mal in deinem Sinne sind.

Hier fängst du ja letztlich wieder da an, wo du schon im ersten Abschnitt warst. Ich rate, alles vor diesem Punkt einfach zu streichen. Die Info aus dem Telefongespräch ergibt sich dabei eh etwas später:

Sven schaute sich um. Die Flaschen auf dem Tisch und die Pizzaschachtel waren leicht aufzuräumen. Die Fenster hätten schon länger mal geputzt werden müssen. Die abgewohnten Möbel, der fleckige Teppich und die verblasste Tapete würden warten müssten, bis er endlich wieder Arbeit hatte. Trotzdem nahm Sven sich vor, ab jetzt mehr auf Ordnung zu achten. Oma würde sich im Grab umdrehen, wenn sie ihre alte Wohnung sehen würde. Er sammelte die Flaschen ein, warf den Pizzakarton in den Müll und wischte kurz über den nassen Dielenboden. Oma hätte sicher schon vor Wochen gebohnert. An Oma zu denken war nicht mehr ganz so schmerzhaft wie früher. Immerhin.
Auch abgesehen davon, dass das alles viel zu viel ist, um mir zu sagen: Hey, der Typ ist arbeitslos (vllt. eher als -suchend) und dazu wohl noch Alki. Braucht es dafür wirklich 7 Zeilen? Zudem das echt die Schmerzgrenze zum Klischee überschreitet. Ja, möglicherweise ein Klischeebild, das auf einem gewissen Prozentsatz Realität beruht, aber zumindest ich interessiere mich einfach nicht für Darstellungen, wie man sie schon hundert Mal gelesen hat. Irgendwie möchte ich einen Ansatzpunkt haben, warum mich dein Prota interessiert - ganz besonders, wenn er ein Unsympath ist.

Vielleicht helfen dir diese beiden Artikel, in denen ziemlich genau die Punkte besprochen werden, aus denen mir deine Geschichte - bislang - nicht gefiel.
Style (Hier bes. distracting details, mundane dialogue, inadequate description - wie hier der Beginn, bland characters)
Show vs Tell

Auch dieser ganze Absatz ist für mich vollkommen entbehrlich:

Sven ging ins Bad, putzte sich den Geschmack nach schalem Bier aus den Zähnen, ließ sich kurz kaltes Wasser über den Kopf laufen und zog seine Sportsachen an. Zwei Energieriegel aus dem Schrank und eine Trinkflasche am Gürtel vervollständigten sein Outfit. Als er die Haustür hinter sich geschlossen hatte und die ersten Schritte gelaufen war, ließ der Kopfschmerz langsam nach. Er lief aus dem Dorf, vorbei am alten Sportplatz und in die Felder. Das Korn wurde langsam reif und die Ähren hingen schwer. Der Boden war noch nass und rutschig, trotzdem versuchte er sein Tempo zu halten. Erst oben am Hügel, bei den drei Kreuzlinden, wo er den Blick weit streifen lassen konnte, gab Svens Gehirn wieder frei, was er vorher nur im Tran gehört hatte: »Bimbos erschrecken« hatte Thorben gesagt.
Fettes: Das fällt völlig aus dem Tonfall und klingt eher wie aus einem Heldengedicht oder sogar Propaganda - wenn du diese Sicht den ganzen Text durchgehalten hättest, anstatt dich mit den Alltagsdetails (Bierdosen, Pizzakartons, Duschen, Kater, Rausgehen ...) aufzuhalten, dann wäre dein Protagonist interessant. Immer noch sehr unsympathisch - was er selbstverständlich auch sein muss-, aber interessant.

Fünf Jahre war es her, dass der letzte Supermarkt geschlossen hatte. Rentierte sich nicht. Lange hatte das kleine Gebäude am Dorfplatz leer gestanden. Die Fenster mit Zeitungspapier zugeklebt, das langsam vergilbte. Die Ecken begannen sich schon zu rollen, als vor einem Jahr eine Familie aus Weinheim einen neuen kleinen Markt eröffnet hatte. Seitdem waren die Dörfler gespalten. Die einen waren froh über die Einkaufsmöglichkeit. Getränke, Konserven, Brot und Gemüse. Es gab alles, was der Odenwälder so braucht. Die anderen regten sich auf. »Was wollen die Schwarzen hier?« Papa Fikadu war wirklich tiefschwarz. Der dunkelhäutigste Mensch, den Sven je gesehen hatte. »Der kommt aus Eritrea«, hieß es. Er hatte erst mal nachschlagen müssen, wo das war: Ostafrika, am Roten Meer. Eingezwängt zwischen Sudan und Äthiopien. Lauter Namen, die sie alle nur aus dem Fernsehen kannten. Dort war Krieg. Deshalb war Papa Fikadu geflohen.
Das ist aber doch ein Intro, Exposition. Sie steht hier knapp in der Mitte der Geschichte - dafür viel zu spät, weil sie dort die Funktion nicht mehr erfüllen kann. Das wäre ganz am Anfang viel günstiger plaziert - nämlich dort, wo du ein vorher/nachher benötigst, um auf die - von deinem Prota und seinen Kumpels als vordringlich wahrgenommenen - Umwälzungen im Ort hinzuweisen. Wäre das der Einstieg, wüsste ich, was los ist und wie ich deinen Prota einzuordnen habe - also die Leserführung vom Außen / Situation ins Innen / Entwicklung. Auch ergäbe sich damit Spannung, also etwas mehr in Richtung stringent aufgebauter Plot.

Die Zeiten im Zitat sind quasi gegengedreht vertauscht: Perfekt und PQP müssten von der Chronologie her so:
Fünf Jahre war es her, dass der letzte Supermarkt geschlossen hatte. Rentierte sich nicht. -> (Er) hatte sich nicht rentiert. Das war ja sogar noch vorm Schließen.
Lange hatte das kleine Gebäude am Dorfplatz leer gestanden. (Hier hätte ich es ohne hatte nicht so schlimm gefunden.) Die Fenster mit Zeitungspapier zugeklebt, das langsam vergilbte.
Die Ecken begannen sich schon zu rollen, als vor einem Jahr eine Familie aus Weinheim einen neuen kleinen Markt eröffnet hatte. -> Die Ecken hatten sich (...), als vor einem Jahr ... eröffnete.

Der Kloß in der Brust hörte nicht mehr auf.
Semantisch fragwürdg.

Der Kloß in seinem Bauch war wieder da. Die XXL-Version, die auch in der Kehle steckt.
Hm, XXL-Version finde ich jetzt nicht so arg schön beobachtet (ich wusste beim ersten Lesen gar nicht, auf was du dich beiziehst - und zwar nicht, weil ich hier überfolgen hätte). Der Text könnte sehr gewinnen, wenn du dir all diese Gefühlszustände und Reaktionen noch mal genauer anschaust.

Das Gewitter am Schluß erinnert mich an die s/w Krimis der 40er. Bissl trashig. Ich weiß nicht, ob das eine bewusste Referenz war; falls nicht, ist es symbolisch imA ziemlich drüber.

Mich würde sehr interessieren, was dir für diese Geschichte als Prämisse diente.

Vielleicht kannst du ja mit meinen Anmerkungen etwas anfangen. Sie sind absolut als Ansporn gemeint, nicht negativ.
Ich wünsche dir viel Spaß beim Frickeln, Schreiben und Kommentieren und wäre neugierig, was aus dieser Geschichte noch werden könnte.

P.S. Der Titel suggeriert eine Relevanz und einen Vergleich, den das Geschehen dann nicht einhalten bzw. erreichen kann. Weder, was die Handlungen / Konsequenzen angeht, noch, was den Prota angeht. Ich glaube gar nicht, dass du es nötig hast, hier so einen Marketinghammer aufzufahren. Für den brauchtest du eher einen ganzen Roman zum Thema.

Über das OK war ich übrigens auch gestolpert.

Herzlichst,
Katla

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Katla ,

vielen Dank für die offene Kritik. Das ist nichts, was ich auf die Schnelle umsetzen kann. (Bis auf die Zeitfehler. Darüber bin ich selbst gestern auch gestolpert.)

Mit dem Ende bin ich tatsächlich auch nicht so richtig zufrieden. Eigentlich bin ich mit der ganzen Geschichte nicht sehr glücklich.

Die Prämisse? Ich wollte versuchen, eine Geschichte zu schreiben, die einen inneren Konflikt und einen Handlungsbogen hat, die sich zuspitzt das ist mir aber nicht wirklich gelungen.

Ich werde mir mal Deine Links anschauen und hoffe, dass ich noch ein bisschen lernen kann.

Liebe Grüße, Gerald

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @C. Gerald Gerdsen ,

ich freue mich, dass ich dich nicht entmutigt habe - und zum Lernen sind wir ja alle hier. Es wär doch auch irgendwie langweilig, wenn es nix mehr zum Verbessern und Feilen gäbe. :)

Mit dem Ende bin ich tatsächlich auch nicht so richtig zufrieden. Eigentlich bin ich mit der ganzen Geschichte nicht sehr glücklich.
Jeff VanderMeer sagt (in seinem wirklich wunderbaren, nicht präskriptiven Wonderbook): wenn das Ende nicht funktioniert, läge es sehr oft daran, dass der Anfang nicht funktioniert. Das finde ich einleuchtend und es passt definitiv auf diesen Text.

Du nimmst einen Prota, der sehr unsympathisch ist. Er ist nicht unsympathisch, weil er arbeitslos, Alki oder sogar nazi ist, sondern, weil dein Erzähler ihn offensichtlich selbst verachtet (zumindest am Anfang) und es da keinerlei Anknüpfungspunkte gibt. Bis du am Ende bist, hat man zu viel Langweiliges und Negatives von ihm gelesen, als dass einen das jetzt groß interessiert.

Wenn du sagst, ich schaffe es nicht, eine überzeugende Innensicht eines Rassisten zu schreiben, könntest du als Prota z.B. den Bruder oder die Freundin von Sven nehmen. (Und haben die eigentlich alle dort norwegische Namen?! :susp:) Die könnten hilflos mitansehen, wie Sven da reingezogen wird, und da würde man anders mitgehen. Ich hab das sogar in der eigenen Familie: einer der beiden Risse, die da Leute trennen, hat mit (Alt)Nazis zu tun. Da war ein unverbesserlicher, stramm-Nazi Großvater, aber dann nach seinem Tod plötzlich meine älteste Tante, die vorher in Theaterkreisen mit hauptsächlich schwulen Freunden unterwegs war. Ich hab daher - wie meine Mutter - seit 35 Jahren keinen Kontakt mehr zu ihr, weiß aber von anderen Familienmitgliedern, dass sie sich bis heute in der absolut faschistischen Ecke verortet. Ihre Entwicklung liesse sich aber aus ihrer Kindheit und ihrer späteren Position innerhalb der Familie herleiten - das sind ziemlich komplexe Entwicklungen, und Vergleichbares finde ich in diesem Text eben nicht. Bei dir ist das 1:1 aus einem isolierten Erlebnis hergeholt und sonst nicht weiter emotional verankert.
Es gibt ja keinen Zwang, dass dein Prota nun selbst der Rechte in dieser Geschichte sein muss.

Im Grunde beginnt ja jede Geschichte mit einem Versprechen an die Leser. Du entwirfst etwas (einSetting, Szenario, Figuren) und entwickelst daraus etwas, das du am Ende befriedigend einlösen musst.

Hast du eine Figur wie deinen Prota, bliebe dir: ihn unsympathisch zu machen, aber irgendwie interessant (so vllt. wie Serienkiller oft in der Popkultur stilisiert werden). Dann kannst du ihn bestrafen (poetic justice, nicht mein Ding, aber viele mögen das glaube ich durchaus) oder ihn tragisch scheitern lassen. Die Variante "scheitern" zumindest hast du hier vllt. probiert.

Oder du machst aus ihm den Sympathieträger, den Underdog bzw. den intelligenten Neonazi / Identitären, dessen postitives Bild du dann aber irgendwie brechen müsstest, um einen antirassistischen Text zu bekommen (das klänge ja sonst nach Verherrlichung, also konterproduktiv).

So richtig hast du aber nix davon. Ich denke auch, dass der Erzähler (oder der Autor) seinen Hauptprotagonisten nicht verachten oder bloßstellen darf. Das ist die Haltung, die ich dann als Leser habe. Und dann kann ich nicht mitgehen - aber das muss ich, denn er ist ja die Figur, aus dessen Sicht du irgendwie andererseits erzählen willst.

Ich räume meine Wohnung auch nicht immer auf, weil es fünftausend interessantere Dinge gibt als Hausarbeit und dann ist der Tag vorbei. So, wie du deinen Prota da beschreibst, ist das aber so ein furchtbarer Luscher, da sehe ich jetzt kein Identifikationsmerkmal.

Dann wäre eine Frage: Führst du mit dem Intro in die Story ein?
- Ja, was den Prota angeht: Alki, arbeitslos, Nazi (Mitläufer oder mehr, finde ich relativ schwammig bzw. inkonsistent)
- Nein, was das Hauptthema angeht: das ist seine politische / rassisische Haltung (bzw. eher: sein Umfeld, und warum bewegt er sich darin? Nur wegen einem Erlebnis? Da sollten bessere Gründe kommen.) Der Anfang weist auf ein Suchtproblem, Verwahrlosungsproblem. Das ist aber kein Grund, Rassist oder Gewalttäter zu werden. Daher wäre es sinnvoll, du entscheidest dich für einen nachvollziehbaren Grund und stellst diesen an den Anfang. Am besten einen Grund, mit dem du gegen Ende einen guten Dreh hinbekommst, der nicht übers politische Knie gebrochen wirkt, sondern noch halbwegs realistisch / nachvollziehbar wäre.

Die Prämisse? Ich wollte versuchen, eine Geschichte zu schreiben, die einen inneren Konflikt und einen Handlungsbogen hat, die sich zuspitzt
Das ist eine Aufgabenstellung (aufs Handwerk bezogen), aber keine Prämisse.

Die Prämisse hat etwas mit der Grundstruktur und der implizierten Aussage des Textes zu tun. Eine Prämisse wäre auch nicht: Ich will einen antirassistischen Text schreiben, sondern der Kern deiner Story, als eine zugrundeliegende Meta-Ebene. Was die hier sein soll, kann ich aber schwer sagen.

Ich werde mir mal Deine Links anschauen und hoffe, dass ich noch ein bisschen lernen kann
Ganz bestimmt. Dieser Text ist eigentlich super, um was draus zu machen, weil er nicht zu komplex und nicht zu lang ist, zudem nicht zu viel Personal hat und vom Setting her begrenzt ist.

Zum Ende: Du kannst ja das Gewitter mal streichen. Funktioniert die Szene immer noch, brauchst du die Krücke nicht und das ganze wird ernsthafter, weniger trashig (klar kann Gewitter funktionieren: bei Gothic Tales, überhaupt Geistergeschichten, Bergsteiger-Drama, Schiffsuntergang etc. - also da, wo das Wetter als Symbol zum Genre gehört oder wirklich einen Einfluß aufs Geschehen hat; in einer Stadt am Supermarkt sehe ich das allerdings nicht).

Funktioniert das Ende ohne das Gewitter für dich noch weniger, zeigt es, dass du die Szene nicht überzeugnd gestaltet hast. Dann ist nicht das Gewitter das eigentliche Problem, sondern nur das Symptom.

Eine Sache noch: Mich irritierte das 90er-Jahre Bild des Nazis. In den 80ern waren das 'Rocker', ganz in hellen Jeans mit konservativem Haarschnitt oder Glatze. Dann kamen die Skins, die du hier beschreibst. Seit irgendwas wie 15+ jahren sehen die Neonazis aber anders aus. Teilangeglichen an den schwarzen Block, Haare unten rasiert und oben länger, gegeelt oder gescheitelt. Spielt dein Text in den 90ern oder hat es was damit zu tun, dass sich auf den Dörfern noch die ältere Skinhead-Form gehalten hat?

So, das sind selbstverständlich auch nur meine 5 Cent und meine Meinung. Vielleicht sind da aber ein paar Ideen, die dich deinen Text mit fremden Augen betrachten lassen.

Ganz herzliche Grüße,
Katla

 

Hallo @Katla,

Danke für die vielen Überlegungen und das detaillierte Feedback.

So langsam sehe ich, wo das Problem liegt. Ich hatte eigentlich keine richtige Geschichte, nur eine wage Idee über einen Neonazi zu schreiben, der sich am Ende unentschiedet. Der Auslöser dazu war die Tochter der Opfer (das tauchte während des Schreibens auf).

Und ich fand die Idee mit dem umgefallenen Baseball-Schläger am Anfang irgendwie 'unterhaltsam'. Aber ich glaube, das müsste ich noch mal kräftig überarbeiten.

Mal sehen, ob ich das hinkriege.

Vielen Dank und herzliche Grüße,
Gerald

 

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