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Seiltänzer

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01.11.2012
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Seiltänzer

Es war dieses unbeschreibliche Gefühl zwischen Leben und Tod. Ein Gefühl, welches die Seele zu zerreißen droht. Man balanciert auf einem hauchdünnen Seil, quer über dem Abgrund gespannt, auf jeder Seite ein rettender Fels. Man muss nur die Knie beugen und auf eine Seite springen, in Sicherheit, sich für eine entscheiden. Doch man sprang nicht ab. Jedes Mal, wenn man versucht, auf eine der beiden Seiten zu gelangen, stößt man nur gegen eine große, unsichtbare, feste Wand, die einem das so nahe Ziel unendlich weit vorkommen lässt, weiter als das Universum. Also geht man weiter, Schritt für Schritt, kein Ende in Sicht, nur darauf bedacht nicht hinunter zu fallen, in den schwarzen, unbekannten Abgrund, der sich endlos in die Tiefe erstreckt. In die Hölle.
Kaltes, schmutziges Wasser tropfte auf meine Wange, zog eine bräunliche Schliere der bleichen Haut hinunter und sammelte sich schließlich in einer Lache auf dem kalten Granit. Die Luft war stickig, verbraucht und voller Staub, die in meiner Lunge eine klumpige Schicht bildete, die sich mit jedem Atemzug vergrößerte. Seit Stunden kam die Luft nur noch mit einem tiefen Röcheln aus meiner Kehle, hörte sich an, als würde ich jede Sekunde ersticken. Darauf wartete ich, auf den Tod. Sollte er doch kommen und mich holen, es war mir egal. Ich fürchtete ihn nicht. Seine Hand, die mich packen und in seine Welt ziehen würde, war mir im Moment ein willkommenes Weihnachtsgeschenk, auf das ich schon mein ganzes Leben gewartet hatte. Aber er kam nicht, er ließ mich alleine, ließ mich leiden und jedes Mal wenn ich einatmete, wurde mein Körper aufs Neue mit nötiger Luft versorgt. Nicht wenig zum Leben, doch bei weitem zu viel zum Sterben.
Dieser Albtraum sollte endlich ein Ende finden. Ich wollte nichts sehnlicher, als in meinem Bett aufzuwachen und das Gesicht in den weichen Daunen vergraben. Dem Wecker den Mittelfinger zu zeigen, ihn quer durch das halbe Zimmer zu schleudern, in der Hoffnung, er gehe kaputt, mich herumzudrehen und nochmals einzudösen.
Jedoch war dies kein Traum. Es war zu Real, zu viele Details und bei weitem zu viel Schmerz anstatt, dass ich auch nur den kleinsten Funkten Hoffnung hegen könnte. Die Tatsache, dass ich vielleicht irgendwann wieder die Sonne erblicken könnte, war genauso wahrscheinlich, wie als würde man tausende kleiner Buchstaben in die Luft werfen und dann einen lesbaren Text auf dem Boden bekommen. Man kann sich damit abfinden.
Es war zu viel Staub in der Luft. Mein Körper krümmte sich zusammen und ich musste reflexartig husten, die Fremdkörper wieder dahin zurückbefördern wo sie herkamen. Es tat weh, meine Lungen fühlten sich an, als würden sie ein einziges großes Feuer sein, dessen Flammen an meiner Kehle leckten. Salzige Tränen vermischten sich mit dem Wasser.
„Holt mich hier raus!“, wollte ich schreien. Ich wollte, dass das Echo meine Worte durch das ganze Geröll tragen würde, in der Hoffnung, am anderen Ende würde mich jemand hören, Hilfe schicken oder mir zumindest einen schnellen Tod bereiten. Doch nur ein klägliches Krächzen kam aus mir heraus, welches in einem niedergeschlagenen Wimmern endete. Nicht einmal um gegen die Felswand zu schlagen hatte ich Kraft; in keinster Weise konnte ich auf mich aufmerksam machen.
Langsam hob ich meine Augenlieder an, blinzelte die Schliere weg, die mir die Sicht erschwerte, bis ich wieder ein klares Bild erkennen konnte. Meine Taschenlampe lag keine fünf Meter von mir entfernt, spendete ein schwaches Licht, das immer kleiner zu werden drohte. Die Batterien ließen nach. Nicht mehr lange, und ich würde in vollkommener Dunkelheit hier liegen.
Wie viel Zeit mir wohl noch blieb? Eine halbe Stunde? Weniger vielleicht? Die neuen Batterien, die ich eigentlich hatte gegen die alten austauschen wollen, lagen Zuhause auf meinem Schreibtisch. Dabei hasste ich Dunkelheit. Selbst wenn ich schlief, mussten selbst die Rollläden immer einen Spalt offen bleiben, damit das Licht der Straßenlaternen mein Schlafzimmer ein wenig erleuchtete.
Konnten sie denn nicht ahnen, wo ich war? Fußabdrücke von mir mussten doch das halbe Gelände säumen und schließlich im Stollen verschwinden. Doch dann gab es nur noch eine Richtung, in die man würde gehen können, bis das Resultat der Steinlawine sich vor einem Auftürmte und den Weg in eine Sackgasse verwandelte. Man müsste die Steine nur noch wegschaffen.
Doch wo waren sie? Ich hätte es längst hören müssen, wenn man versucht hätte mich zu befreien. Doch die einzigen Geräusche waren mein Atem und das Klatschen von Wassertropfen auf meine Wange. Immer wieder, ein gleichmäßiges Platsch, das mir schon ein wenig tröstlich vorkam, mir zeigte, dass die Welt doch noch nicht stehen geblieben war. Doch es kam mir auch so unendlich Laut vor, als wäre es an einer Vielzahl von Verstärkern angeschlossen, die keine zehn Zentimeter von mir entfernt standen und das Geräusch gegen mein Trommelfell drückten.
Es wäre wohl das Beste, wenn ich endlich aufhörte, von fluffigen Happy-Ends zu träumen oder davon, dass gleich der mysteriöse Unbekannte aus seinem Raumschiff ausstieg und den großartigen Held spielte. Ich war erwachsen, diese Kinderträume konnte ich mir wirklich sparen, doch tief in mir regte sich dieser Drang, an das Gute zu glauben. Er war gefangen in der Kiste voller Kindlichkeit und versuchte stark daraus auszubrechen. Aber es war falsch. Mit aller Kraft klammerte ich mich darum und wollte die Kiste verschlossen halten. Nie würde ich mich absichtlich noch mehr verletzen, wenn doch immer alles anders kam, als man es gehofft hat. Lieber an dem festhalten, was auch der Realität entsprach, ob man es nun wollte oder nicht.
Von einer Sekunde auf die andere schien das Licht noch schwächer zu werden. Meine Augenlieder senkten sich wieder, dieses Drama wollte ich mir nicht auch noch mit ansehen müssen.
Lieber balancierte ich weiter auf meinem nicht enden zu wollenden Seil entlang. Die unerreichbaren Seiten unterschieden sich wie Tag und Nacht, die eine wirkte fröhlich, munter, einladend, vertraut. Es war als wäre sie ein alter Bekannter, bei dem man keinerlei Bedenken hegte, auf ihn zuzugehen und sich mit ihm zu unterhalten, zu lachen, einen Kaffee trinken zu gehen und über die guten alten Zeiten zu sprechen. Die andere war dunkel, wie die Nacht. Sie anzusehen gab mir das Gefühl, als wäre sie der neue Wohnort, in den man gerade erst gezogen war. Unbekannt und doch etwas, was das Interesse des Menschen weckte; man wollte hingehen und es erkunden, noch neutral in der Entscheidung, ob man es nun mag oder auch nicht. Ein volles Risiko.
Mein Seil war mein Weg, spaltete sich in zwei verschiedene Richtungen. One way. Einen musste ich nehmen, und diese Entscheidung konnte ich nicht wieder rückgängig machen. Unschlüssig stand ich vor der Trennung, konnte keinen von beiden betreten, als würde mir das nötige Visum fehlen. Die Grenzen waren geschlossen.
Vertrautes drang an meine Ohren, doch es schien noch sehr weit weg. Rufe. Schreie. Krach. Dann meinen Namen, immer wieder. Mal hoch, mal tief, mal kannte ich die Stimme, mal nicht.
Sie waren zu spät. Die Kraft blieb nicht einmal mehr um noch meine Augen ein weiteres Mal zu öffnen, geschweige denn genügend Luft in mir zu behalten, sie zu Worten zu formen und in die Welt zu tragen. Es war gar nichts mehr da.
Die Schranken verschwanden, zumindest auf einer Seite. Das Visum war da.
Mutig winkelte ich die Beine an, ging leicht in die Hocke und schätzte die Entfernung ab, die ich überwinden musste. Eine der unsichtbaren Mauern fiel in sich zusammen. Man schien mich längst zu erwarten.
Sollte ich bleiben, weiter auf dem Seil balancieren?
Noch mehr Krach, Menschen schrien sich Anweisungen zu: ein unverständliches Wirrwarr an Worten.
Die Zweifel waren nicht willkommen. Das Seil zog sich, wurde dünner, das Stehen auf ihm schwerer.
Konnte ich denn etwas falsch machen?
Tief durchatmend spannte ich meine Muskeln an, sprang, und die Nacht legte ihre beschützenden Flügel um mich.

 

Yessy schrieb über der Geschichte:

--ein vorab: Ich wusste nicht so recht, in welche Rubrik ich das hier zuordnen sollte. Wenn es also nicht wirklich passt, bitte ich das zu entschuldigen--

Kein Problem, die Rubrik Sonstige ist genau für solche Geschichten gedacht, die sich nicht eindeutig einem Genre zuordnen lassen. Solche Zusätze aber bitte immer in einen Extrabeitrag unter der Geschichte posten, der erste ist ausschließlich der Geschichte selbst vorbehalten.

 

Hey Yessy,

und Willkommen hier.

Also, ich komm da nicht mit klar. Das ist so ein hin und her und zurück und überhaupt geht da so viel durcheinander. Vielleicht bin ich nicht deine Zielgruppe, ich kann so Gedankentexten auch selten was abgewinnen, weil es meist so Gedanken sind, die mir nichts neues erzählen, es sind eben so Gedanken, die sich Menschen eben machen.

Aber der Reihe nach:

Jedes Mal, wenn man versucht, auf eine der beiden Seiten zu gelangen, stößt man nur gegen eine große, unsichtbare, feste Wand, die einem das so nahe Ziel unendlich weit vorkommen lässt, weiter als das Universum.

Was? Also mit Seil und rettendem Fels und Abgrund, da konnte ich dir noch folgen. Das hier verstehe ich nicht. Also, Du willst doch sicher sagen, dass das Seil so unendlich lang ist, dass man den Fels der Sicherheit nie erreicht. Aber was soll dann die Wand dazwischen? Oder versteh ich komplett nur Bahnhof?

zog eine bräunliche Schliere der bleichen Haut hinunter

Hier ist der Satz kaputt. auf der bleichen Haut, über die Haut - irgendwas fehlt

Seine Hand, die mich packen und in seine Welt ziehen würde, war mir im Moment ein willkommenes Weihnachtsgeschenk, auf das ich schon mein ganzes Leben gewartet hatte.

mich packt (ist ja nur eine Hand)
Sie hat ihr ganzes Leben auf den Tod gewartet? Auch als Kind? Sitzt den ganzen Tag da und wartet auf den Tod? Es fällt mir wirklich schwer, mir so jemanden vorzustellen.

Dieser Albtraum sollte endlich ein Ende finden. Ich wollte nichts sehnlicher, als in meinem Bett aufzuwachen und das Gesicht in den weichen Daunen vergraben.

aufwachen
Und was denn jetzt, Alptraum oder Weihnachtsgeschenk? Ich komm hier nicht mit.

„Holt mich hier raus!“, wollte ich schreien.

Eben hat sie sich noch damit abgefunden zu sterben. Die macht mich fertig :).

Langsam hob ich meine Augenlieder an, blinzelte die Schliere weg,

Die singen ja nicht, die Augen - Augenlider

Er war gefangen in der Kiste voller Kindlichkeit und versuchte stark daraus auszubrechen. Aber es war falsch. Mit aller Kraft klammerte ich mich darum und wollte die Kiste verschlossen halten.

Das verstehe ich gar nicht.

Meine Augenlieder senkten sich wieder, dieses Drama wollte ich mir nicht auch noch mit ansehen müssen.

nochmal ansehen? Welches Drama hat sie denn gesehen?

Lieber balancierte ich weiter auf meinem nicht enden zu wollenden Seil entlang. Die unerreichbaren Seiten unterschieden sich wie Tag und Nacht, die eine wirkte fröhlich, munter, einladend, vertraut. Es war als wäre sie ein alter Bekannter, bei dem man keinerlei Bedenken hegte, auf ihn zuzugehen und sich mit ihm zu unterhalten, zu lachen, einen Kaffee trinken zu gehen und über die guten alten Zeiten zu sprechen. Die andere war dunkel, wie die Nacht. Sie anzusehen gab mir das Gefühl, als wäre sie der neue Wohnort, in den man gerade erst gezogen war. Unbekannt und doch etwas, was das Interesse des Menschen weckte; man wollte hingehen und es erkunden, noch neutral in der Entscheidung, ob man es nun mag oder auch nicht. Ein volles Risiko.

Nehme es mir nicht übel, aber ich komme da nicht mit.
Sie ist da im Zugzwang, will sie ans Leben glauben und kämpfen und hoffen, wie sie da in ihrem Stollen liegt, oder soll sie sich dem Gedanken hingeben, jetzt ist aus. Das ist doch, was du erzählst. Dieses Schwanken. Aber was ist das jetzt? Wieso haben die rettenden Seiten des Seils jetzt unterschiedliche Farben. Der Abgrund darunter ist doch das Pardon, oder? Und was soll das mit bekannt und unbekannt? Willst du mir sagen, ein Wohnortwechsel das selbe ist wie sterben, weil man nicht weiß, was einem dort erwartet. Das kann ich jetzt nicht glauben, dass das so gemeint sein soll.

Einen musste ich nehmen, und diese Entscheidung konnte ich nicht wieder rückgängig machen.

Moment. Sie liegt in einem Stollen verschüttet. Sie hat null Einfluss darauf, ob sie gerettet wird oder nicht. Sie kann da nix entscheiden.

Unschlüssig stand ich vor der Trennung, konnte keinen von beiden betreten, als würde mir das nötige Visum fehlen. Die Grenzen waren geschlossen.

Das will jetzt literarisch schön sein, oder? Es klingt so, naja, gewollt eben. Und es erfüllt auch keinen Zweck.

Sollte ich bleiben, weiter auf dem Seil balancieren?

Vorher ist vollkommen klar, sie schafft es nicht. Die anderen kommen zu spät. Und jetzt kann sie doch noch mal das Ruder rumreißen, wenn sie nur will?

Also, dass sind so meine Gedanken zu deinem Text. Nehme was Dir sinnvoll erscheint, den Rest entsorge :).

Beste Grüße Fliege

 

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