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Seifenblasen
Seifenblasen
Als Fritz zehn Jahre alt war, lag er an heiteren, schönen Sommertagen in der Wiese, beobachtete die kleinen, weißen Wolken, die im Spiel des Windes ständig ihre Form veränderten, einmal die Gestalt eines Tieres, dann eines Ungeheuers und schließlich das einer Landkarte annahmen, und bewunderte deren fortwährende Verwandlung während sie über den Himmel zogen.
Aber Fritz beschränkte sich nicht nur auf die Beobachtung der vorbeiziehenden Wolken, nein er hatte noch eine zweite Beschäftigung, die ihn begeisterte. Er schabte von der Seife seiner Mutter einige Späne ab, vermischte sie mit Wasser, blies das Gebräu durch ein dafür geeignetes Röhrchen in die Luft und blies immer neue, kleinere oder größere Seifenblasen gen Himmel, deren Oberfläche in vielen, sich laufend wechselnden Farben glänzten, sich eine Weile vom Wind treiben ließen, oft weit hinauf zu den Wolken aufstiegen, dass man glauben konnte, sie hätten den Himmel erreicht und schließlich lautlos zerplatzten.
Oft geschah es dass ihn irgendetwas bedrückte, ihn quälte oder dass er einen besonderen Wunsch hatte, den er gerne erfüllt haben wollte. Dann schickte Fritz diesen kunstvollen Gebilden immer einen persönlichen Wunsch nach, der ihm am Herzen lag und erwartete dass die bunten Seifenbällchen dieses Anliegen weit forttragen würden, da hinauf, wo sie einer einfangen, festhalten und sein Begehren Wirklichkeit werden lassen würde. Wenn aber eine dieser glitzernden Wunderwerke unhörbar platzte und sich auflöste, glaubte er, dass nun der Wind die Aufgabe übernehmen würde, seine Phantasien weiter zutragen, die bisher in der funkelnden Hülle eingeschlossen gewesen waren, dorthin, wo es einen gab, der alle Sehnsüchte, alle Wünsche erfüllte.
Obwohl er noch so jung war, gab es soviel Dinge, die ihn bewegten, ihm Sorgen bereiteten und vor allem dachte er immer wieder darüber nach, was die Zukunft, für sein junges Leben noch bereithielt und all diese Fragen legte er in die schillernden Bällchen und ließ sie vom Wind weit hinauf, bis zu den Wolken tragen.
Etwas machte ihn besonders bange: Er fürchtete, seine Eltern könnten sich trennen, sich scheiden lassen, denn manches Mal, wenn er schon zu Bett gegangen war, sprachen sie sehr laut miteinander. Sie stritten um Dinge, die er nicht verstand und er fürchtete, dass er dann verlassen in der Welt dastehen könnte und ihn dann niemand haben wollen werde. Dann konnte er nicht schlafen, Albträume quälten ihn dann, und er sah sich allein und ohne jeden Schutz auf der Welt.
Da musste es schon eine ganz besonders schöne Seifenblase sein, der er den Wunsch auf den Weg mitgab, seine Eltern sollten sich nicht streiten, sollten sich ewig lieben, beisammen bleiben und ihn nie verlassen. Dann schaute er hoffnungsvoll dem Bällchen nach, das zu einer Riesenkugel geworden war, die im Sonnenlicht schillernd leuchtete, und das der Wind weit fort trug, hinauf in die Höhe, so hoch hinauf, dass man glauben konnte, es hätte das Firmament erreicht und man gar nicht mehr sehen konnte, als es schließlich platzte. Dann war er sicher, dass es an der richtigen Adresse angelangt war, dass ihm jemand da oben seinen Wunsch, der ihm doch so wichtig war, erfüllen werde.
Als Fritz zu einem Jüngling herangewachsen, nun siebzehn geworden war, blies er schon lange keine bunten Seifenblasen in die Luft. Sie hatten ihn enttäuscht, denn alle seine Wünsche, die er ihnen mitgegeben hatte, waren unerfüllt geblieben, seine Eltern hatten sich, trotz seiner sehnlichsten Wünsche, sie mögen zusammenbleiben, getrennt und er war bei seiner Mutter geblieben und bei ihr aufgewachsen. Zuerst hatte ihn ja sein Vater jeden zweiten Sonntag abgeholt, aber diese Begegnungen waren immer seltener geworden, er war weggeblieben, er hatte seinen Vater kaum mehr zu Gesicht bekommen und mit der Zeit hatte sich nur mehr ein blasses Bild von ihm in sein Gedächtnis eingeprägt. Er lebte mit seiner Mutter in einer Stadtwohnung, in der ihm nur ein kleiner Balkon, der auf die Hofseite ging, erlaubte, das Ziehen der weißen Wolken zu beobachten, das ihn als Kind immer so fasziniert hatte und er vermisste die Wiesen seiner Kinderzeit. Nun ging langsam seine Schulzeit zu Ende, aber bisher hatte kein Fach sein besonderes Interesse gefunden und er hatte keine rechte Vorstellung, was er einmal zu seinem Beruf machen sollte. Er wünschte sich, er sollte ihm Freude machen und er sollte gut leben können mit ihm und Fritz war verliebt in ein junges Mädchen. Er erträumte sich ein Leben mit ihr und ersehnte sich nichts mehr, als mit ihr eine glücklichere Ehe führen zu können, als dies seinen Eltern gelungen war. Seinen Kindern sollte erspart bleiben, sich einmal zwischen Vater und Mutter entscheiden zu müssen.
Als er in einer Lade, in der allerlei Krimskram aufbewahrt wurde, herumkramte, entdeckte er jenes kleine Gefäß mit dem Röhrchen aus dem er als Kind so gerne die kleinen Kunstwerke in den Himmel hatte steigen lassen. Längst hatten die Seifenblasen das Magische für ihn verloren und doch konnte er nicht widerstehen. Ein kleines, nostalgisches Lächeln spielte um seine Lippen, als er begann, so wie damals, kleine Schuppen von der Seife zu schaben und die ersten bunten Kugeln in die Luft zu blasen. „Wie viele meiner Wünsche, die ich ihnen anvertraut habe, waren in der Zwischenzeit schon geplatzt?“ dachte er dabei.
Es war ein kalter Oktobertag und der Wind riss heftig an den Bäumen. Viele seiner Gebilde zerstoben schon bald, nachdem er sie in die Luft geblasen hatte, aber einige stiegen, so wie damals, als er in der Wiese gelegen war, getragen durch eine Windböe, weit hinauf in den Himmel. Und als das erste große schaumgeborene Etwas in schwankenden Bewegungen zum Firmament aufstieg, formte sich in seinem Kopf, ohne dass er es eigentlich gewollt hätte, der Satz: „Ich wünsche mir …. „,
Die Seifenblase, die er zuletzt aus seinem Röhrchen geblasen hatte, war besonders schön gelungen. Im heftigen Herbstwind hielt sie sich prächtig und stieg höher und höher, bis er sie kaum mehr wahrnehmen konnte. Erst dann zerplatze sie in viele kleine Bläschen, denen er lange nachblickte.
Jahre waren vergangen. Vieles in seinem Leben war anders gekommen, als er es sich erhofft hatte. Fritz hatte seine Jugendliebe geheiratet und er lebte so schlecht und recht mit seiner Frau zusammen. Mit seinem Beruf konnte er seinen Unterhalt bestreiten, aber Freude empfand er keine bei seiner Arbeit. Sein Sohn war gerade sieben Jahren alt, und ihm sehr ähnlich. Er war, so wie er selbst ein Träumer, überließ alles dem Zufall oder einem guten Geist, der sein Geschick leiten würde und glaubte, dass sich alles irgendwie von selbst regeln würde.
Bei einem Ausflug entdeckte er, wie sein Sohn in der Wiese lag, die Wolken beobachtete und bunte Seifenblasen in die Luft sandte. Er verwendete dasselbe Röhrchen, das er offenbar in der Lade mit dem Krimskram gefunden haben musste.
Fritz lächelte. Sollte er ihn aufklären, dass bunte Bällchen, die in der Sonne glänzen nur Seife sind, zerplatzen und man für die Erfüllung seiner Wünsche schwer arbeiten muss? Er tat es nicht. Er wollte ihm seine kindlichen Illusionen nicht rauben und vielleicht hatte ja sein Sohn mehr Glück im Leben als er.