Seichte Gewässer
Wir sind die am höchsten entwickelte Spezies dieses Planeten. Wir haben die Sprache entdeckt und das Bewusstsein, die Fähigkeit, unsere Umgebung zu gestalten und schließlich die Fähigkeit, uns selbst zu verändern. Wir hatten uns auf das Meer zurückgezogen, als das Festland unbewohnbar wurde. Wir passten uns diesem neuen Lebensraum perfekt an, wie wir uns überall anzupassen vermochten, denn wir hatten ja Zeit. Wir hatten gelernt, in den tieferen Gewässern des Zeitstromes zu schwimmen, die nur langsam vorwärts rollten.
Schließlich fanden wir sogar die Pfade zwischen den Sternen, die verschlüsselten Pforten des Lichts. Wir entwickelten die absolute Sprache, die perfekte Kommunikation, den Gesang der Welten. Wir wurden die Herrscher der Wege, die fantastischen Wanderer, für die es keine Grenzen gab. Für Ewigkeiten lebten wir so und vergaßen die kleine Welt, aus der wir stammten.
Dann tauchten sie plötzlich auf, sie stießen völlig unerwartet in unsere Gebiete vor und begannen uns zu jagen. Ihre Körper waren winzig und schwach und sie benötigten komplizierte Apparaturen, um dort zu überleben, wo wir schwerelos schwebten. Sie jagten uns, um unseren toten Körpern unsere Geheimnisse zu entlocken. Sie verstanden rein gar nichts von unseren Wegen, ihr Bewusstsein war so eng und klein, dass sie nicht eines unserer Worte fassen konnten.
Doch sie waren schnell und wir passten uns nur langsam an, so dass sie viele unserer Art vernichteten, bis wir der Bedrohung überhaupt erst gewahr wurden. Nun haben wir uns zurückgezogen in die tiefen Gewässer, wohin sie noch nicht gelangt sind, und warten. Wir warten auf die Zeit, auf die Veränderung, wie so oft zuvor. Wir warten auf den neuen Ton im Gesang der Welt, der uns wieder verändern wird. Wir warten auf den Tag, an dem wir auch diese Gefahr überwunden haben werden.
Doch einstweilen beobachten wir sie, wie sie nach uns suchen, nach unseren Geheimnissen, unseren Fähigkeiten, ohne diese überhaupt verstehen zu können. Wir beobachten sie und studieren sie, denn auch von ihnen können wir lernen, können wir einen Weg zu dem finden, was wir selbst sind. Denn ihre Sprache, auch wenn sie primitiv und klanglos ist, hat einen neuen Namen für uns gefunden, der noch nie zuvor gesungen wurde. Sie nennen uns „Wale“.