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Sei stark!
Und schon wieder saß ich hier. Auf dem kalten Steinboden, in einem kleinem Raum ohne Fenster, nur mit einem kleinen Licht, das an der Decke hing und immer wieder flackerte. Die Wände waren kalt und brüchig, man sah, dass die graue Tapete an vielen Stellen abging. Vor mir nur eine Tür, die verschlossen war. Warum tat er das? Warum sperrte er mich schon wieder hier ein? Alleine, verlassen. Meine Tränen liefen meine Wangen runter und tropften auf den Boden. Ich war unruhig, sehr unruhig, jeder Muskel in meinem Körper zuckte, es fühlte sich so an, als würde jede Ader in meinem Körper anschwellen, doch mein Kopf war leer. Es schossen mir so viele Gedanken durch den Kopf, dass ich keine von den Gedanken richtig wahrnehmen konnte, also fühlte es sich so an, als würde ich gar nichts denken, komplette Leere. Was hatte ich ihm angetan? Was sollte ich jetzt tun?
Wie schon so oft stemmte ich meine zittrigen Hände auf den Boden, drückte mich leicht hoch und versuchte mich an der Wand hoch zu zerren. Als ich dann letztendlich mit zitternden Knien auf beiden Beinen stand, wurde mir schwindelig. Das Flackern des Lichts wurde plötzlich noch viel schlimmer, mein Atem wurde immer schnappartiger, die Tränen schossen mir förmlich nur noch aus den Augen. Ich fühlte mich so verletzlich und alleine. Dann, wie auf einen Schlag, hörte ich auf zu weinen und sah zur Tür, war dahinter ein Geräusch? Auf einmal wurde mir ganz anders, ich versuchte mich so zusammenzureißen wie noch nie, ich hielt meine Hand vor meine Augen, um zu schauen, ob ich noch zitterte - nein. Also atmete ich noch einmal ganz tief durch und fing an, meinen ersten Schritt Richtung Tür zu machen. „Annabelle jetzt reiß dich zusammen, dann bist du wieder ganz schnell hier draußen“, sagte ich die ganze Zeit zu mir. Ich kam an der Tür an und hielt mich erst einmal an ihr fest, ich fühlte mich so schwach, aber ich musste jetzt stark sein. Ich klopfte ganz leise zweimal an die Tür und flüsterte noch mit einer leicht weinerlichen Stimme: „Lass mich hier raus!“.
Meine Hand glitt langsam zum Türgriff und ich versuchte sie runter zu drücken - immer noch abgeschlossen. Die Tränen schossen mir wieder in meine Augen, doch ich wischte sie schnell weg. Sei stark! Noch einmal versuchte ich ihm zu sagen, dass ich raus will, aber dieses Mal mit mehr Kraft und Überzeugung: „Lass mich jetzt hier raus, ich habe keine Angst vor dir, du kannst mir nichts tun, ich war hier schon zu oft und habe es jedes Mal geschafft hier raus zu kommen, okay?“.
Ich hörte ein leises „Klick“ und versuchte wieder die Tür aufzumachen. Tatsächlich, sie war offen! Schnell öffnete ich die Tür ganz und rannte raus, ich wusste nicht wohin, einfach nur weg von hier und von ihm. „Er kann mir nichts tun, ich bin stärker!“ Ich rannte so schnell ich konnte; ich merkte nach einer kurzen Zeit, wie die Kraft in meinen Beinen mich verließ, und dass ich weniger Luft bekam, also setzte ich mich einfach hin, meine Beine mit den Armen umklammert, das Kinn auf meinen Knien. Alles um mich herum war leise, ich hörte nur meinen schnellen Herzschlag und spürte meinen Atem auf meinen Beinen.
Wo war ich denn überhaupt? Ich sah auf und erkannte eine Straße, Häuser und Laternen, sonst nichts, Menschenleere. Dann entdeckte ich den Mond und die Sterne. Ich hatte sie lange nicht mehr so hell leuchten gesehen. Ich versank in meinen Gedanken. Das Universum, ich habe Millionen Fragen dazu, aber es gibt einfach keine Antworten drauf.
Meine Gedanken wurden gestört von einer sehr vertrauten Stimme: „Annabelle! Annabelle, oh Gott, was machst du denn hier draußen, es ist schon so spät, komm‘ bitte wieder zurück ins Haus! Was ist denn los, Annabelle?“ Ich drehte meinen Kopf zur Seite und sah direkt in das Gesicht von meiner Mutter, die auf mich zugelaufen war. Ich sah sie einfach nur an, ich wollte ihr so viel sagen, ich wollte weinen, ich wollte, dass sie mich in den Arm nahm, aber kein Wort kam aus mir heraus, ich sah sie einfach nur an, stand langsam auf. Ich setzte mein schönstes Lächeln auf und sagte, dass bei mir alles okay sei und ich nur die Sterne beobachten wollte. Sie sah mich fragend an und meinte: „Ich merke doch, dass etwas nicht stimmt, ich sehe doch die Tränen in deinen Augen!“. Ich konnte ihr nicht vom ihm erzählen, es ging nicht, sobald ich ihr von ihm erzählte, würde alles noch viel schlimmer werden. „Nein Mama, es ist alles in Ordnung, habe nur ein wenig Stress mit einer Freundin gehabt und wollte kurz nachdenken“. Ich sah an ihrem Blick, dass sie mir nicht glaubte. Sie sagte zu mir: „Komm zurück ins Haus, ich mache dir einen Tee und dann gehst du schlafen, es ist schon sehr spät und du musst morgen früh aufstehen!“. „Nein danke, ich möchte keinen Tee, ich möchte jetzt einfach nur schlafen gehen.“ Meine Mutter nahm mich am Arm und lief mit mir die Einfahrt zu unserem Haus entlang.
Wir lebten hier mit meiner jüngeren Schwester und unserem Hund. Bei unserem Haus angekommen, griff meine Mutter in ihre Jackentasche, um den Hausschlüssel rauszuholen, und schloss die Haustür auf. In unserem Haus drinnen lief ich schnell die Treppe hoch, den Gang im ersten Stock entlang bis zu meiner Zimmertür. Bevor ich diese öffnete, sah ich noch einmal um mich herum. Neben meinem Zimmer war das Zimmer von meiner kleinen Schwester. Ich sah sie kaum, weil sie immer nur mit Freunden draußen war. Ich ging in mein Zimmer hinein. Ich hatte das kleinste Zimmer im ganzen Haus, aber ich wollte das so. Ich brauchte nicht viel Platz, mir reichte mein Bett, daneben ein kleiner Tisch und mein Kleiderschrank. Außerdem wollte ich genau dieses Zimmer haben, denn es hatte so eine schöne Aussicht. Wenn man hinausblickte, sah man einen kleinen Teich mit vielen Blumen und Bäumen außen herum. Wenn es Nacht war, konnte man den Mond sich in dem Teich spiegeln sehen, deshalb wollte ich dieses Zimmer, um den Mond zu sehen und die vielen Sterne.
Ich setzte mich aufrecht auf mein Bett hin und beobachtete einen Vogel, der draußen von Baum zu Baum flog, im Mondlicht. Plötzlich war ich wie erstarrt, kletterte jemand am Haus zu meinem Fenster hoch? Oh nein, er kommt wieder! Was will er diesmal von mir? Schnell zog ich meine blaue Bettdecke über meinen Kopf, dann fühlte ich mich sicher. So konnte er mich nicht erreichen, dachte ich. Und wieder bekam ich dieses Gefühl von Leere und Einsamkeit, mein Herz schlug ganz schnell. Mir wurde total heiß und schwindelig.
Ich machte erst ein Auge langsam auf und dann das zweite. Die Sonnenstrahlen beleuchteten mein ganzes Zimmer. Ich sah mich in meinem Zimmer um und dann zum Fenster raus. Was war passiert? Wahrscheinlich bin ich einfach eingeschlafen oder vielleicht in Ohnmacht gefallen? Keine Ahnung. Mein Bauch war zugeschnürt, wie fast jeden Morgen. Ich stand langsam auf, um aus meinem Zimmer raus und in das Bad gegenüber von meinem Zimmer zu gehen. Dort sah ich erst mal in den Spiegel, eine gefühlte Ewigkeit. Ich sah diese Person vor mir und ich schwieg sie an, genauso wie sie mich anschwieg. Ich atmete ganz tief durch und sagte: „Und wieder ein neuer Tag in dieser Hölle!“. Ich machte den Wasserhahn an und spritzte mir ein wenig Wasser ins Gesicht. Noch einmal sah ich in den Spiegel und sah diese unglückliche Person vor mir, ich erkannte sie nicht! War diese Person vor mir nicht immer die Glückliche? Er hatte einfach alles verändert und ich konnte niemandem etwas von ihm erzählen, was er mit mir macht, es würde mir keiner glauben oder mich als verrückt abstempeln; wahrscheinlich sogar nie wieder ein Wort mit mir reden.
Ich ging mit hängenden Schultern aus dem Bad heraus, die Treppe runter in die Küche. Dort war meine Schwester, die sich schnell zwei Brötchen belegte. „Was machst du?“, fragte ich sie. „Ich muss mich beeilen, ich treffe mich gleich mit paar Freunden, dann gehen wir zur Schule, danach wollen in die Mall gehen, ich esse die Brötchen einfach auf dem Weg“, antwortete sie gehetzt. Darauf meinte ich: „Ist es nicht nervig, jeden Tag in die Mall zu gehen? Ich meine, ihr geht ja nicht jeden Tag dort shoppen, soviel Geld hast du gar nicht!“. Meine kleine Schwester meinte nur frech: „Annabelle, du verstehst das nicht, natürlich kaufen wir da nicht jeden Tag ein, es geht einfach ums Sehen und Gesehen werden, was mit Freunden machen, Jungs kennenlernen, aber das wirst du nie verstehen, wenn du immer nur Zuhause oder in der Schule bist!“ Sie ging mit einem siegessicheren Lächeln zur Tür raus.
Autsch, wollte sie mir etwa sagen, ich hätte keine Freunde? Ich hatte vielleicht nicht solche Freunde, mit denen ich jeden Tag in die Mall gehen würde, aber trotzdem hatte ich zwei Leute, mit denen ich mich verstand. Ich machte mir schnell ein Brot und rannte die Treppe wieder hoch in mein Zimmer.
Dieser Satz von meiner Schwester ließ mich nicht los: „Aber du wirst das nicht verstehen, wenn du nur Zuhause bist!“. Wieso sollte ich raus gehen? Dann würde er mich eh finden, ich konnte nicht vor ihm weg. Ich würde es niemals zulassen, dass er mich draußen fand, jeder würde es mitbekommen und alle würden mich schräg anschauen und mir nicht helfen können, dann blieb ich lieber in meinem Zimmer, wenn auch alleine. Warum passierte mir das. Seitdem er immer wieder bei mir auftauchte und Schlimmes mit mir anstellte, ging es mir immer schlechter. Er war hartnäckig und wollte mich nicht in Ruhe lassen, vor allem immer in den Momenten, wenn es mir nicht gut ging, wo ich mich wertlos fühlte, alleine, nicht verstanden, anders als Andere , tauchte er auf und machte meine Lage noch schlimmer. In diesen Momenten bekam ich nichts mehr mit. Ich konnte nichts mehr wahrnehmen, mein Kopf war so voll, aber gleichzeitig so leer. Mein ganzer Köper war schwach und anders, ich hatte das Gefühl, ich müsste losrennen, einfach weg, aber gleichzeitig fühlte es sich so an, als würde ich zusammenbrechen. Vor allem, wenn er direkt vor mir stand. Er war riesig, fast schon unmenschlich, wie groß er war, und es führte kein Weg an ihm vorbei, außer man hörte auf zu weinen. Oder ich sah ihm direkt ins Gesicht und sagte ihm, dass er mir nichts tun konnte, aber wie soll das bitte gehen, wenn er mich im schlimmsten und schwierigsten Moment erwischte. Wie sollte ich stark sein, wenn ich längst schon am Boden lag? Im Endeffekt schaffte ich es mich aufzurappeln, aber statt dass er mir half aufzustehen, nahm er seine riesige Hand, legte sie auf meinen Kopf und drückte mich wieder zu Boden. Er war stark, aber nicht so stark, dass ich ihn nicht bekämpfen konnte!