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Seht, welch Liebe hat uns der Vater erwiesen.
Der Vater zog kraftvoll an der Schnur, die von der Decke hing. Eine Luke zu einem neuen, dunklen Raum öffnete sich. Er steig hinauf, betätigte den Lichtschalter und schloss die Dachluke hinter sich. Eine einzige Glühbirne in der Mitte des Raumes. Halterung und die Fassung waren nicht zu sehen, als er ins Licht blickte. Der schwebende Feuerball beleuchtete einen Tisch, einen alten Esszimmerstuhl, zwei Fachbodenregale und die darauf fein säuberlich sortierten Werkzeuge. Im Keller befand sich eine weitere Werkstatt. Doch zwischen dem Warmwasserboiler und dem Heizofen war es dort zu heiß und zu stickig. Im Keller erledigte er die unliebsamen Aufgaben. Hier hingegen verbrachte er große Teile seiner Freizeit. An einem Tag malte Bilder von Wolken vor blauem Himmel. Am nächsten baute er bergige Landschaften mit Flüssen und verzierte sie mit Büschen, Bäumen, Blumen und Gräsern. Dann schnitzte die verschiedensten Tiere. Meistens modellierte er winzig kleine Figuren, die alle ein bisschen aussahen wie er. Nur Sonntags kam er nicht hierher. Die Häuser seiner Kinder und Freunde, die Zimmer seiner Enkel und Nachbarskinder, die Kindergärten und Schulen der Nachbarschaft sind voll von seinen Schöpfungen. Alles von ihm steckt in jedem einzelnen von ihnen. Denn nur hier oben, zwischen den Wolken, war er wirklich er selbst. Abgesehen von der Birne, den Werkzeugen und dem Raum an sich ist alles hier sein Werk. Stuhl, Tisch und Regale.Stoffreste, Holz- und Metallspäne. Haare, Schweißflecken und Bluttropfen. Selbst der Staub, der im Kreis um die Birne herumwirbelt, ein Gemisch aus Stoff, Holz, Metall, Haar, Schweiß, Blut und Hautpartikeln ist sein unbeabsichtigtes Werk. Und alles davon ist seinen Gedanken entsprungen, aus seiner Kraft geschaffen und mit seiner Liebe erfüllt. All die Gedanken, die er zu Denken verpasst hatte. All die Kraft, die er nicht aufgebracht hatte. All die Liebe, von der er nicht wusste, wie man sie weitergab. Er fühlte eine brennende Enge im Brustkorb und fragte sich, wieso niemand seine Hingabe bemerkte. Kalter Schweiß rann von seiner Stirn. Er hatte seinen ältesten Sohn seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Bald würde er wiederkommen, hoffte er. Es hing ein Bild von ihm um seinen Hals, ein weiteres hängt an drei Nägeln über der Esszimmertür. Der Vater erinnerte sich daran, wie er ihm das Fischen beigebracht hatte. Doch er spürte nichts mehr, als er den Holzfisch in seiner linken Hand betrachtete. Mit tränenden Augen ließ er seine allerletzte Schöpfung fallen, verließ den Dachboden eilig und vergaß dabei das Licht zu löschen. Kraftlos, unbedacht und ungeliebt rotierte der Staub um das schwebende Licht im Dunkel, nahezu ewig weiter.