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Sehnsucht

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28.11.2012
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Sehnsucht

Schon lange fühlte sie sich einsam. Wie konnte sie auch anders? Alle um sie herum, die Menschen in ihrer Umgebung, liessen sie spüren, dass sie anders war. Eine Weile lang hatte sie dies betrübt, weil sie gedacht hatte dadurch nie ein normales Leben führen zu können. Doch dann, irgendwann, hatte sie die unabänderliche Tatsache akzeptier und sich nicht weiter um diese anderen Menschen geschert. Ein Schritt, der sie zwar ungezwungener, jedoch nicht glücklicher gemacht hatte.

Sanfter Wind spielte in ihren Haaren und das wohlig warme Licht der Abenddämmerung lag auf ihren gelassenen Zügen. Die Hände umfassten locker das Geländer der Bahnüberführungen, wo sie auf seine Ankunft wartete.

Eines Tages hatte sie all ihren Mut zusammen genommen und war aus ihrem trüben Alltag ausgebrochen. Und da hatte sie ihn getroffen.
Er war alles was sie sich hatte wünschen können und sie war ihm sofort mit all ihren Hoffnungen und Sehnsüchten verfallen. Nur ganz kurz hatte er sie berührt, aber diesen Augenblick der Glückseligkeit würde sie nie vergessen.
Doch leider war dies alles von kurzer Dauer gewesen. Nur ein Atemzug in der Zeitspanne eines Menschenlebens.

Beim Gedanken an ihn begann ihr sonst so unantastbares Herz schneller zu schlagen. Eine Träne floss über das von der Vergangenheit gezeichnete Gesicht. Sie bemerkte aus dem Augwinkel, wie sich ein Passant kurz nach ihr umdrehte, dann aber unbeteiligt weitereilte.

Sie hatte ihn nie wieder gesehen. Stets dachte sie an ihn. Wo sie auch war, was sie auch tat, der Gedanke an ihn begleitete sie beständig. Nicht selten hatte sie vor Verzweiflung aufgeschrien, als sie bemerkt hatte, dass es bloss wieder ein verspottender Traum gewesen war, der sie mit ihm zusammengeführt hatte.
Sie wusste, dass sie ihn um alles in ihrer kümmerlichen Welt wiedersehen musste.

Sie hatte arge Strapazen auf sich genommen, um an diesem Tag hier zu stehen. An dem Ort, an dem sie ihn bereits das erste Mal getroffen hatte, an dem er sie in die Arme geschlossen und liebkost hatte, als seien sie ein lange getrennt gewesenes Liebespaar. Er war so zärtlich gewesen, so achtsam.
In der Ferne läuteten Kirchenglocken. Sie schloss die Augen und atmete den öligen Duft ein, den die abendlichen Bahnsteige ausströmten. Nicht einmal dies konnte ihr die Empfindung nehmen, endlich am Ende der Suche angelangt zu sein.

Damals hatte sie sich vorgenommen mit niemandem über ihre Begegnung zu sprechen. Aber alle hatten bereits davon gewusst. So hatte sie immerhin ihre Gefühle und Verlangen für sich behalten wollen. Für jeden, den es interessiert hatte, hatte sie die Zufriedene gespielt. In ihrem Innern jedoch sah es aus wie eine Ansammlung von weggeworfenen Einwegartikeln, unter denen tief vergraben ihre Zuversicht lag.

Und dann kam er endlich. Sie hörte wie er nach ihr rief und öffnete die Augen. Er eilte auf sie zu, mit offenen Armen und dem lieblichsten Lächeln, das sie sich vorstellen konnte. Sie lachte kurz auf, dann ging sie ihm entgegen und sie wusste genau: Dieses Mal würde sie niemand mehr trennen können.

Der Herr im verknitterten Anzug stieg in den Zug, der wie immer Verspätung hatte und wie immer völlig überfüllt war. Er quetschte sich mit seinem Rollkoffer in das Abteil, welches nur noch Stehplätze zu bieten hatte und versuchte es sich auf irgendeine Weise bequem zu machen.
Noch bevor der Zug abfuhr, weilte er in Gedanken schon bei der Szene, die sich eine Stunde später abspielen würde: Seine junge Geliebte würde auf dem Perron auf ihn warten und er würde sie in die Arme schliessen und mit Küssen bedecken. Und dann, noch auf dem Bahnsteig, würde er ihr endlich die Frage stellen, die er ihr schon vor seiner Abreise hatte stellen wollen,. Damals hatte er dazu keinen Mut gefunden.
Seine Hand spielte mit der kleinen Schachtel in seiner Manteltasche als er eine herrenlose Zeitung erwischte. Ohne sich wirklich darauf zu konzentrieren las er den einleitenden Artikel:

„Die Patientin, welche am letzten Dienstag aus der psychiatrischen Anstalt verschwunden und als äusserst suizidgefährdet eingestuft worden war, hat sich gestern Abend am Hauptbahnhof von der Überführung gestürzt. Sie war sofort tot. Berichten zufolge war dies ihr zweiter Selbstmordversuch an ebendieser Stelle…“

 

Ich bin mir nicht sicher ob das die richtige Kategorie ist. Falls jemand der Meinung ist, das passt woanders besser hin: Bitte melden!

Den Text habe ich für einen erfolglosen Wettbewerb geschrieben mit der Themavorgabe "Sehnsucht".

 

Hallo Rocksheep

Zu Beginn war mir die Erzählstimme beinah etwas hemmend. Das Kursive sind ja die Gedanken der Protagonistin, dennoch sind sie in der 3. Person gesetzt. Dies kann als Stilmittel gewollt sein, was ich aber erst am Schluss mit einiger Sicherheit annehmen konnte. Da erhielt ihre Persönlichkeit eine abschliessende Kennzeichnung. Dieser Stil ist mir nicht unbekannt. Wie ich mich schwach erinnere, war ich in der französischen Literatur mal auf Gleiches gestossen, nicht vom Inhalt her, aber vom Ausdruck.

Die Geschichte ist recht sentimental abgefasst. Die schwermütige Befindlichkeit der Protagonistin beherrscht sie vollends, ein letztlich unerfüllbares Verlangen, das sie nur auf eine Art zu stoppen vermeint. Ihr Suizid bleibt für Aussenstehende wohl weitgehend unverständlich, doch hat er für sie schon seine innere Logik, der sie eben folgt.

Eine seltsame Geschichte, doch habe ich sie gern gelesen. Ob sie in dieser Rubrik am treffendsten steht, fällt mir schwer zu beurteilen. Inhaltlich hat es aber durchaus eine gesellschaftliche Relevanz.

Nachfolgend noch ein paar Tippfehler und fehlende Kommas:

Eine Weile lang hatte sie dies betrübt, weil sie gedacht hatte[KOMMA] dadurch nie ein normales Leben führen zu können.

Doch dann, irgendwann, hatte sie die unabänderliche Tatsache akzeptier und sich nicht weiter um diese anderen Menschen geschert.

akzeptiert

Eines Tages hatte sie all ihren Mut zusammen genommen und war aus ihrem trüben Alltag ausgebrochen.

zusammengenommen

Beim Gedanken an ihn, begann ihr sonst so unantastbares Herz[KOMMA] schneller zu schlagen.

Sie bemerkte aus dem Augwinkel, wie sich ein Passant kurz nach ihr umdrehte,

Augenwinkel

Damals hatte sie sich vorgenommen[KOMMA] mit niemandem über ihre Begegnung zu sprechen.

Sie hörte[KOMMA] wie er nach ihr rief[KOMMA] und öffnete die Augen.

Und dann, noch auf dem Bahnsteig, würde er ihr endlich die Frage stellen, die er ihr schon vor seiner Abreise hatte stellen wollen,.

Komma vor dem Punkt überflüssig.

Seine Hand spielte mit der kleinen Schachtel in seiner Manteltasche[KOMMA] als er eine herrenlose Zeitung erwischte. Ohne sich wirklich darauf zu konzentrieren[KOMMA] las er den einleitenden Artikel:

Berichten zufolge war dies ihr zweiter Selbstmordversuch an ebendieser Stelle…

Zwischen Stelle und Auslassungszeichen ist ein Leerschlag erforderlich.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Hallo. Leider war ich die letzte Zeit krank, darum kommt erst jetzt eine Antwort von mir.
Vielen Dank für das Feedback! Die Kommas waren noch nie mein Freund. Entweder ich mach zuviele oder zuwenige...

Ich hatte den Text in Kursiv auch schon einmal in Präsens verfasst, um ihn irgendwie gegenüber dem Rest abzuheben und persönlicher zu machen. Aber ihn einfach mal in der Ich-Form zu schreiben, wäre vermutlich eine bessere Variante. Danke für den Input!

Eines ist mir endlich klar geworden. Irgendwie kommt bei der Geschichte nicht wirklich rüber, was ich vermitteln will. Eine kurze Erläuterung: Es sind zwei Geschichten, die miteinander nichts zu tun haben. Der Mann am Schluss ist nicht derjenige, auf den sie wartet und umgekehrt ist sie auch nicht diejenige, die er heiraten will.
Wenn die Protagonistin von "ihm" spricht ist damit der Tod gemeint und das übergeordnete Thema ist eigentlich die Todessehnsucht. Dass "er" sie schon einmal berührt hat bedeutet, dass sie schon einmal einen Selbstmordversuch unternommen hat.
Der Mann am Schluss kehrt ganz einfach heim zu seiner Geliebten.

Natürlich ist es gewollt, dass der Leser sich zuerst denkt, dass es sich bei den beiden Charakteren um ein Paar handelt. Aber ich glaubte diesen Irrtum mit dem letzten Absatz beheben zu können. Scheinbar ist es aber doch nicht so offensichtlich, wie ich als Autor dachte. Eine gute und wichtige Erkenntnis!

Vielen Dank noch einmal!
Das Schaf

 

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