- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 2
Sehnsucht
Ein scheinbar undurchdringlicher Nebel verschleierte Thomas’ Blick, als er montagmorgens seine Augen öffnete. Der Wecker dröhnte in seinen Ohren.
„Scheiße, schon wieder Montag!“, war das Erste das ihm in den Sinn kam. „Wie kann das Wochenende schon vorbei sein?“
Langsam streckte er seine Hand aus und schaltete den Wecker ab. Als er sich bereit machte aufzustehen, ließ ihn seine völlige Demotiviertheit erneut in die Kissen sinken. Bis ihn ein erneuter Weckruf endgültig aus seinen Träumen riss.
Als er frühstückte hingen ihm seine langen fettigen Haare ins Gesicht, welches durch seine jugendliche Akne von Narben gezeichnet war. Während er die zweite Tasse Kaffee hinunterschüttete, sinnierte er über seine Kollegin Sabine. Eine wunderbare Frau Mitte zwanzig. Thomas rechnete sich noch immer Chancen bei ihr aus, obwohl sie fast täglich von ihrem Freund erzählte. Immerfort sprach sie von der großen Liebe und einer baldigen Heirat. Sei’s drum. Bald würde sie ihm gehören. Sie konnte ihn nicht weitere fünf Jahre ignorieren.
Etwas zu spät machte Thomas sich auf den Weg. Niemand zwang ihn dazu, aber er tat es trotzdem, genau wie jeder Andere. Das Bedürfnis in seinem Leben einen gewissen Wohlstand zu haben, trieb alle irgendwann in die Arme der Unternehmer, die immerzu versuchten den letzten Cent aus einem herauszuquetschen, um sich dann nach jahrelanger gemeinsamer Arbeit ohne jegliche Rücksicht von nicht mehr rentablen Subjekten zu trennen. Egal. Auf ihn traf das nicht wirklich zu. Er brauchte den Wohlstand nicht. Das Geld welches er verdiente, versauerte auf seinem Bankkonto. Seine Freunde hatten sich alle von ihm abgewandt. Eines Tages hatten sie ihn einfach nicht mehr angerufen und Thomas hatte ebenfalls davon abgesehen. Vermutlich waren sie auch nie richtige Freunde gewesen. Thomas einziger Antrieb war Sabine und nichts anderes. Es begann zu regnen. Schon wieder Regen. In den letzten Tagen hatte es stets geregnet.
Als er vor Nässe triefend durch die Eingangstür trat, befürchtete Thomas wie immer nur das Schlimmste. Und genau wie er erwartet hatte, sah er auch schon seine Arbeitskollegin, die den Platz neben ihm in Anspruch nahm. Sie war immer freundlich zu ihm, doch Thomas verspürte nicht die geringste Ehrlichkeit in ihren Worten und dafür hasste er sie. Lieber wäre er den ganzen Tag beschimpft worden, als sich ihre vorgetäuschten Freundlichkeiten anzuhören. Diese alte Schachtel konnte einem doch noch immer jeden Tag versauen. Hatte er ihr nicht erst gestern den Schirm geklaut, damit sie sich im strömenden Regen eine Erkältung oder besser noch den Tod holt? Thomas suchte in seinen Hosentaschen nach einem harten Gegenstand, den er diesem wandelnden Scheißhaufen auf den Schädel donnern konnte. Ah, da war was. Aber wie konnte ihm eine Errektion in dieser Situation weiterhelfen? Egal. Mit ihren 55 Jahren konnte es ohnehin nicht mehr lang dauern, bis sie endlich den Weg unter die Erde fand.
Endlich an seinem Arbeitsplatz angekommen, versuchte Thomas möglichst so zu wirken, als könnte er jeden umbringen, der den Fehler machte in seine Nähe zu kommen. Gleichzeitig versteckte er die Beule in seiner Hose unter dem Schreibtisch. Ein weiterer unendlich langweiliger Arbeitstag hatte begonnen. Sein einziger Segen war Sabine, die sich wie immer perfekt herausgeputzt hatte und auf die er den ganzen Tag ein Auge hatte. Ihr blond gelocktes Haar fiel wie ein Wasserfall auf ihre Schultern. Ein sanftes Lächeln kräuselte ihre Lippen und gab ihrem perfekt proportionierten Gesicht mit der unendlich reinen Haut das gewisse Etwas. Heute hatte sie eine offenherzige Bluse gewählt, die mit ihrem strahlenden Weiß das engelsgleiche Bild vervollständigte. Abgesehen von Sabine gab es an diesem Tag wie immer keinen Lichtblick. Keiner sprach mit ihm, obwohl er schon bald seine bösartige Maske ablegte. Nur seine altersschwache Sitznachbarin gab einige nichts sagende Floskeln von sich. Thomas hatte viel Mühe der blöden Kuh zuzuhören, ohne ihr eine Schere in den Schädel zu treiben. Glücklicherweise war der Tag bald um und er machte sich bereit die Firma zu verlassen.
Thomas kam direkt hinter Sabine, die einen atemberaubenden Hüftschwung an den Tag legte, aus dem Gebäude. Es regnete noch immer in Strömen. Auf der anderen Straßenseite wartete ihr Freund, der wohl in irgendetwas vertieft war und sie deshalb nicht bemerkte. Thomas sah aus den Augenwinkeln mit welcher Sehnsucht sie auf ihren Liebsten zuging. Sabine lief hastig über die Straße, um möglichst schnell bei ihm zu sein, doch dadurch übersah sie ein Auto. Der Fahrer des Wagens machte auch keine Anstalten auszuweichen oder zu bremsen. Thomas sah alles genau, doch als er gerade anfangen wollte einen warnenden Schrei auszustoßen, hielt er inne. Wozu sollte er sie retten, wenn sie dann doch dieses Arschloch heiraten würde. Thomas wandte sich ab, wissend dass sich heute zumindest eine Person noch schlechter fühlen würde, als er selbst. Das Heulen der Sirenen begleitete ihn auf dem Heimweg.