Segler und drei kleine Dampfer
Segler und drei kleine Dampfer
(Autor: Ingrid Dührkop)
Vorbei sind die goldenen Zeiten, als ich noch glauben konnte, das Meer gehöre nur mir allein. Vorbei die Zeiten des unaussprechlichen Glücksgefühls, als ich, hart am Wind segelnd, begleitet vom Rauschen des Wassers am Bug und vom Harfen des Windes in der Takelage, die Wellen des Ozeans durchpflügte neuen Abenteuern entgegen.
Ich war so frei.....oh,wie stolz reckte ich meine strahlend weißen Segel dem unendlich weiten Himmel und der Sonne entgegen, wie stolz lächelte mein Spiegelbild mich an aus den unendlichen Tiefen des blauen Ozeans.
Wann geschah es, wie geschah es.....plötzlich sind sie da, die Dampfer. Eilig ziehen sie an mir vorbei und lachen über mich. Sie lachen über meine Segel und über meine altmodische Art, mich fortzubewegen.
Sie brauchen den Wind nicht und fürchten weder den Sturm noch das tosende Meer.
Ihr Herz ist ein dröhnender, klopfender Klumpen Metall und ihr stinkender Atem quillt in schwarzen Rußwolken aus ihnen hervor und verdunkelt die Sonne.
Er verdunkelt die Sonne und färbt meine Segel schwarz.
Sie ziehen an mir vorbei, in langen Reihen. Immer mehr werden es, immer mehr. Sie hören nicht das Rauschen der Wellen, sie hören den Wind nicht und sie sehen die Sonne nicht mehr, bald werde auch ich es nicht mehr können.
Ich sollte weitersegeln, der Wind steht gut, aber ich bin unendlich müde.
Im Wasser sehe ich mein Spiegelbild nicht mehr. Ein weißer Totenschädel grinst mir entgegen, mit großen schwarzen Augenlöchern, eine Vorahnung auf mein nasses Grab?
Ich werde noch ein wenig verweilen,um zu träumen. In den Rauchwolken der Dampfer sehe ich Bilder von fernen, paradiesischen Inseln, Bilder, wie ich sie einst in den Wolken gesehen habe, die nun für immer meinen Blicken entzogen sind......
„Oh, entschuldigen Sie bitte“, höre ich eine Stimme aus weiter Ferne, dann erst registriere ich, daß mich jemand angerempelt hat. Ich erwache langsam wie aus einer tiefen Trance, atme einmal kräftig aus und nehme ganz allmählich meine Umwelt wieder wahr.
Neben mir steht eine etwas füllige, ältere Dame und sieht mich erwartungsvoll an.
„Macht nichts“, murmele ich höflich und wende mich noch einmal dem Bild zu, daß mich so in seinen Bann gezogen hat.
Die Dame guckt interessiert, blättert hektisch in einem Prospekt und verkündet stolz: „Ah, hier haben wir es ja. Eine Radierung von Emil Nolde, gemalt 1910 in Hamburg, typisches maritimes Motiv des expressionistischen Künstlers. Wert ca. 13.000.- DM.
Sie betrachtet noch einmal flüchtig das Bild und wendet sich dann ab. „Naja, bisschen düster, finden Sie nicht auch?“ fragt Sie, ohne ernsthaft eine Antwort zu erwarten. „Die bunten von ihm gefallen mir besser,“ monologisiert sie weiter, „haben Sie schon den „Blumengarten“ gesehen? Der hat doch was, so kräftige Farben.“
Ein Museumsführer mit seiner Gruppe nähert sich uns. Ihr Anblick scheint die Dame neben mir mächtig aufzuregen, denn recht ärgerlich stößt sie hervor:
„Da rennen sie wie die Küken hinter der Glucke diesem Mann hinterher, hängen mit ihren Blicken andächtig an seinen Lippen, um nur ja kein Wort von seinem heruntergeleierten Vortrag zu verpassen und kriegen von den Bildern nur das mit, was er will. Das nennen sie dann Kunsterfahrung und geben zu Hause damit an.
Ich bin nicht so ein Herdentier wie die da alle.“ Sie nickt verächtlich in Richtung der eng um ihren Führer gescharten Menschengruppe, wendet sich erneut mir zu und fährt, etwas ruhiger geworden, fort: „Ich such mir selbst aus, was ich mir anschauen möchte und was nicht, dazu brauch ich keinen Leithammel und keine langweiligen Vorträge.
Außerdem....wenn ich etwas wissen will, dann habe ich ja meinen eigenen Führer dabei.“
Demonstrativ wedelt Sie mit ihrem Prospekt vor meiner Nase herum, nickt mir noch einmal kurz zu und entschwindet eilig in den nächsten Raum.
Ich stehe verloren an meinem Platz, noch immer nicht ganz in die Wirklichkeit zurückgekehrt, und ein Zitat von Caspar David Friedrich kommt mir in den Sinn:
„Die einzig wahre Quelle der Kunst ist unser Herz, die Sprache eines reinen kindlichen Gemütes. Jedes echte Kunstwerk wird in geweihter Stunde empfangen und in glücklicher geboren, oft dem Künstler unbewußt aus innerem Drang des Herzens. Schließe dein leibliches Auge, damit du mit dem geistigen Auge zuerst siehest dein Bild. Dann fördere zutage, was du im Dunkeln gesehen, daß es zurückwirke auf andere von außen nach innen.“