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Seelische Wunden die sichtbar sind

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22.01.2002
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Seelische Wunden die sichtbar sind

Sie hatte ihn geliebt. Sie hatte ihm vertraut, wie sie noch nie einem Mann zuvor Vertrauen entgegengebracht hatte. Und sie wurde enttäuscht, wie sie es noch niemals zuvor erlebt hatte.

Er wusste das sie Angst vor ihrem Geburtstag hatte. Jedes Jahr aufs neue versuchte sie diesen Tag zu ignorieren. Doch es half nichts. Immer endete es mit einem negativen Erlebnis.
Entweder kurz vor oder danach ging eine Freundschaft oder Beziehung in die Brüche.
Und in diesem Jahr war es genau an ihrem Ehrentag.
Er warf sie aus seiner Wohnung und sagte ihr, sie solle sich nie wieder bei ihm blicken lassen.

Als sie zu Hause war, zündete sie eine Kerze an, öffnete eine Flasche Sekt und gratulierte sich selbst zu ihrem neuen Leben als Single.

Sie hatte nicht damit gerechnet das er sich entschuldigen würde und war irritiert über seine Hartnäckigkeit als er ihr versuchte klar zu machen, er möchte die Beziehung nicht beenden.

Nach einigen Monaten gab sie nach und ließ sich wieder auf ihn ein. Sie machte ihm klar, wenn er sie noch einmal so aggressiv aus seiner Wohnung schmeißen würde wäre es endgültig vorbei. Er versprach ihr, dass das nie wieder vorkommen würde.

Ein Jahr später, kurz nach ihrem Geburtstag, war er brutaler als jemals zuvor.
Als er die Tür hinter ihr zuschlug suchte sie noch den Fehler bei sich.
Am nächsten Morgen, als sie die blauen Flecken auf ihrem Körper entdeckte, wurde ihr klar, dass sie ihm diese zweite Chance nicht hätte geben dürfen.
Er hatte sie nicht nur seelisch verletzt sondern auch körperlich.

Alles in ihr war eine einzige große Leere. Wie eine Maschine stand sie morgens auf, ging zur Arbeit, kam nach Hause, legte sich schlafen und begann den nächsten Tag wie den letzten.
Erst Wochen später setzte sie sich mit ihrem Leben auseinander. Sie konnte es wieder zulassen nachzudenken.
All die Gefühle und Gedanken, die sie verzweifelt versucht hatte zu verdrängen, kamen hoch wie bittere Magensäure.
Wie ein Film sah sie ihr Leben vor sich ablaufen. Sie wurde wütend, enttäuscht und traurig zugleich.
Was hatte sie falsch gemacht, dass sich alles wiederholte?
Er war der einzige, dem sie jemals ihre Ängste, ihr gesamtes Leben, erzählt hatte. Er wusste mehr über sie als jeder andere.
Sie fragte sich, ob er anders reagiert hätte wenn er weniger über sie gewusst hätte.
Weshalb hatte er sie vergewaltigt obwohl er genau wusste, dass sie ähnliches schon mal durchgemacht hatte?
Wieso hatte er ihr versprochen, er würde sie an ihrem Geburtstag niemals so enttäuschen wie sie es so oft in ihrem Leben erlebt hatte?
Warum hatte er sie ein zweites mal aus seiner Wohnung geworfen, obwohl er gesagt hatte, das würde er nie wieder tun?
Sie wollte nicht mehr nachdenken. Es machte sie kaputt. Sie hatte keine Energie mehr sich den Kopf zu zerbrechen.
Alkohol. Das würde bestimmt helfen zu vergessen, abzuschalten, irgendwann einschlafen um nicht durchzudrehen.
Es war der falsche Weg. Das wusste sie genau. Und doch schüttete sie eine Flasche Bier nach der andern in sich hinein. Am liebsten hätte sie eine Flasche gegen die Wand geschmissen um ihren Aggressionen Luft zu machen. Ihr Ziel wäre das Bild gewesen welches er ihr geschenkt hatte. Er hatte diese Fotografie selbst gemacht und sie hatte immer gesagt wie sehr ihr dieses Bild gefällt. Für sie war es damals ein Beweis seiner Liebe als er ihr das Bild gab.
Sie war sich jedoch der Konsequenzen bewusst, wieviel Scherben entstehen würden durch die zerbrochene Flasche und das Glas des Bilderrahmens. So suchte sie nach einer anderen Möglichkeit um ihren seelischen Schmerz zu beenden. Ihr Blick fiel auf die Kronkorken der Bierflaschen.
Körperliche Schmerzen zufügen um die seelischen zu vergessen. Das wäre doch eine Möglichkeit.
Sie zog den Ärmel ihres Pullovers nach oben, nahm den Kronkorken und zog ihn, ohne viel nachzudenken, mit aller Kraft die sie hatte über ihren Arm. Der Schmerz war im ersten Augenblick so unerträglich, dass ihr die Tränen in die Augen schossen und sie den Kronkorken fallen ließ. Nach wenigen Minuten jedoch spürte sie nichts mehr. Wieder drohte sie an ihren Gedanken zu verzweifeln und fügte sich erneut Schmerzen zu bis ihr Arm blutüberströmt war. Erst als sie keine freie Stelle mehr fand, die nicht schon Striemen aufwies, hörte sie auf.

Er bemühte sich wieder um eine Beziehung mit ihr.
Sie konnte verstehen warum er nicht anders reagieren konnte, warum er so war wie er war. Genau deshalb konnte sie ihm auch immer wieder verzeihen.
Sie liebte ihn noch und doch wollte sie nie wieder mehr als eine Freundschaft. Er hatte sie zu sehr verletzt als das sie ihm noch mal vertrauen könnte.
Mit einer Freundschaft kam er jedoch auf Dauer nicht klar.
Unwissend verletzte er sie aufs neue. Vielleicht auch vollkommen berechnend. Es interessierte sie jedoch nicht mehr warum er irgendwas sagte oder tat was sie nicht nachvollziehen konnte. Sie hatte einen Weg gefunden mit Situationen klar zu kommen.

Alles was sie an ihn erinnerte warf sie in eine Kiste.
Ihre Gedanken konnte sie nicht darin verbannen. Doch jeder Tropfen Alkohol, jede Tablette die sie schluckte um zu vergessen, jede neue Wunde an ihrem Körper, verringerte den Schmerz wenigstens für einige Stunden.

Ihren nächsten Geburtstag würde sie alleine verbringen. Niemand würde sie enttäuschen, niemand würde sie verletzen.

Und vor allem würde endlich niemand mehr danach fragen wie die Narben auf ihrem Arm zustande kamen.

 

Hi!
Eigentlich finde ich deine Geschichte sehr gut. Wenn man die falsche Person zu sehr liebt, kann einen die Angst vor der Trennung mehr kaputt machen als die Schmerzen, die von außen kommen. Na ja. Etwas ähnliches wurde hier glaube ich schon einige male diskutiert. Irgendwie kommt es mir vor, als würden alle nur noch übers Sich-selbst-verletzen schreiben. :confused: :sad: :susp:

Trotzdem, ich mag deine Geschichte! Ich finde, du hast die Gefühle sehr gut beschrieben.

Gruß
Alexis

 

Du hast schon recht das es zu viele Geschichten gibt in denen "sich selbst verletzen" vorkommt.
Eigentlich wollte ich auch nie solch eine Geschichte anderen zu lesen geben. Es hat sich jedoch dann anders ergeben als ich dachte.

Trotzdem hat es mich gefreut, daß du sie gelesen hast und dich dazu geäußert hast.

Gruß
L.o.C.

 

Hallo Lady,

ich habe nach dem Durchlesen der Geschichte lange darüber nachdenken müssen.

Ich habe einmal einen Psychologiedozenten gefragt, wie er seine Tätigkeit genau definieren würde. Er hat ein Weilchen überlegt und dann gesagt: "Weißt du, eigentlich bin ich ununterbrochen damit beschäftigt, Wunden zu heilen, die die Menschen sich selber zufügen."

Ich habe diesen Satz nie vergessen.

Kein Mensch ist eine Insel. Das ist richtig. Aber deine Protagnonistin hat dem anderen eine so große Macht über ihr eigenes Leben zugestanden, dass es nur noch von ihm abhängt, ob es ihr gut oder schlecht geht. Sie hat die Kontrolle völlig in fremde Hände gelegt und ist jetzt auf dem Weg, das einzusehen.

Dennoch lese ich aus der Geschichte auch Positives heraus. Es gibt einen Punkt, so tief unten, dass es in keine andere Richtung mehr weitergeht als zwangsläufig wieder nach oben. Deine Protagnonistin mag noch nicht dort angekommen sein. Doch ich fühle, sie ist unterwegs dorthin.

Die Geschichte hat mir irgendwie wehgetan (obwohl ich von diesen Problemen nicht betroffen bin, noch jemanden kenne, der es ist). Aber so soll es wohl auch sein.

Gruss
P.

[Beitrag editiert von: Pipilasovskaya am 21.03.2002 um 10:57]

 

@Pipilasovskaya

Danke für Deine Meinung zu meiner Geschichte.
Ob es nach oben geht mit der Protagnistin ist eine gute Frage. Vielleicht sollte ich mal so ne Art Fortsetzung schreiben.

Sie hat die Kontrolle völlig in fremde Hände gelegt und ist jetzt auf dem Weg, das einzusehen.

Nach diesem Satz von Dir habe ich mir die Geschichte noch mal durchgelesen. Leider mußte ich erkennen, Du hast tatsächlich recht damit, daß sie die Kontrolle wohl tatsächlich völlig in fremde Hände gelegt hat.
Hey, du bringst mich hier auf vollkommen neue Gedankengänge zu meiner Story (Was natürlich positiv gemeint ist).


@Lord

Beklemmend authentisch?
Scheint so, als hätte ich es tatsächlich mal geschafft eine Geschichte zu schreiben, in der der Leser/die Leserin Situationen nachvollziehen kann.
Und wieso "Sorry"?

 

Hi L.o.C.!

Gut geschrieben ist sie ja, Deine Geschichte. Aber mir fehlen ein bisschen die Hintergründe.

Wodurch ist es denn so weit gekommen, wenn die Protagonistin ihm doch so vertraut hat? Hat sie das nicht früher bemerkt oder dachte sie, er werde sich schon ändern?

Das Selbst-Verletzen kann ich in dem Fall auch nicht ganz nachvollziehen, obwohl ich es in den anderen Geschichten hier, die dasselbe Thema behandeln, schon kann.
Weil die Protagonistin vorher schon auf ihn eine Wut hat, aggressiv ist - diese leitet sie doch nicht plötzlich, um das schöne Bild nicht zu zerstören, um und findet etwas, womit sie sich praktischerweise selbst verletzen kann. Nein, da fehlt mir der gefühlsmäßige Übergang, mit praktischem Denken hat die Sache nämlich nicht viel zu tun und daher ist es für mich zumindest unglaubwürdig.

So, als wolltest Du krampfhaft mehr Mitleid auf die Protagonistin lenken, finde ich aber schlecht gemacht.

Sorry.

Formulierungen und Rechtschreibung sind OK.

Liebe Grüße
Susi

 

Hallo Lady.

Deine Geschichte hat mir ganz gut gefallen (so weit einem eine Geschichte mit so einem Inhalt gefallen kann). Sie ist kurz und bündig geschrieben und läßt sich dadurch gut lesen, ohne das man dabei wichtige Details "überliest". Ich habe jedenfalls mit der Protagonistin mitgefühlt, auch wenn ich sie überhaupt nicht nachvollziehen kann. Mag daran liegen, das ich männlichen Geschlechts bin, aber warum zur Hölle hat sie nicht einfach die verdammte Bierflasche gegen das Bild geworfen? Ist vielleicht extrem gefühlskalt das zu sagen, aber irgendwie find ich sie ist selbst schuld an ihrer Situation. Was läßt sie sich auch immer wieder mit dem Deppen ein der ihr im Endeffekt doch immer wieder weh tut? Sie kommt mir vor wie ein geprügelter Hofhund der seinen Instinkten folgend immer wieder zu seinem Herrchen zurückkehrt, das ihn ja eigentlich geprügelt hat. Ich denke all diese Fragen meinerseits Zeigen, daß ein wenig mehr über das Innenleben der Protagonistin nicht unbedingt geschadet hätte.

So long

Signore Salami

[Beitrag editiert von: SignoreSalami am 21.03.2002 um 14:51]

 

Hallo Lady,

freut mich, wenn ich Euch einen neuen Impuls vermitteln konnte ;) . Ich hoffe sehr, dass Eure Protagonistin es schafft, anstatt sich selbst zu vernichten. Wäre schade um sie, sie kommt sehr sympathisch rüber.

Bin schon sehr gespannt auf die Fortsetzung!

@SignoreSalami& Häferl:

(sorry, eigentlich heisst es ja: Ladies first).
Natürlich ist der Zwang, sich selber etwas anzutun, für die meisten Menschen nicht leicht nachzuvollziehen. Ihr dürft aber nicht vergessen, dass dies eine Zwangshandlung ist, die nicht vom rationellen Verstand und von der Logik gesteuert wird. Das Bedürfnis, sich selbst zu verletzen, kann zweierlei Bedürfnisse befriedigen: Erstens überdeckt oder betäubt der körperliche Schmerz den seelischen, der oft als quälender empfunden wird, so dass die Verletzung als erleichternd empfunden wird. Zweitens sucht die Wut der Protagonistin ein Ventil, sie muss den Körper verlassen. Da sie den Verursacher immer noch so sehr liebt, dass sie die Schwelle ihn (oder auch nur sein Bild) zu verletzen, nicht überschreiben kann, bestraft sie sich stellvertretend selbst. Vielleicht auch dafür, dass sie ihre Gefühle für diesen Mann nicht abschalten kann, obwohl ihre Selbstachtung ihr vielleicht sagt, dass sie das eigentlich müsste.

Als Versuch, Mitleid auf die Protagonistin zu lenken, kann ich das eigentlich nicht sehen. Aber wie immer gewichtet jeder Leser die Geschichte von seinem eigenen Standpunkt aus.

Gruss
P.

 

@SignoreSalami& Häferl

Danke erst mal für's lesen und kritisieren meiner Geschichte.
Ihr sprecht beide den Punkt an, daß euch etwas mehr Hintergrundinformationen zu der Protagonistin fehlt.
Ich wollte eigentlich versuchen mit wenigen Worten viel auszusagen.
Mag sein, daß ich womöglich tatsächlich zu wenig an Hintergrundinformationen geliefert habe, aber war beabsichtigt.
Deshalb steht meine Geschichte ja auch unter "Seltsam" und nicht unter "Alltag" oder wo anders.
Trotzdem werde ich mir noch mal Gedanken machen über eure Kritiken. Schließlich muß das geschriebene ja auch den Leser ansprechen und nicht nur dem Autor gefallen.


@Pipilasovskaya

Du bist aber nicht zufällig Psychologie Studentin, oder? *g*
Ich danke dir jedenfalls dafür das du dich nochmals geäußert hast. Es ist hilfreich für mich zu wissen, daß meine Geschichte doch nicht so ganz unverständlich ist wie ich schon anfieng zu glauben.

 

Hallo Lady,

nein, ich bin weder Psychologie- noch Stundentin.

Ich war vor meiner jetzigen Tätigkeit als kfm. Angestellte allerdings examinierte Krankenschwester und bin von Berufs wegen u.a. auch mit Borderlinern und unter Zwangsneurosen leidenden Patienten in Kontakt gewesen.

Bye
P.

 

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