Seelentrenner
Die Tür der Krankenstation glitt hinter Captain Luke Montana zu. Der Doktor hatte ihn natürlich noch länger da behalten wollen – zur Beobachtung, wie er meinte - aber da er keine medizinischen, sondern lediglich psychologische, Bedenken vorbringen konnte, hatte Luke seine Einwände ignoriert – wie üblich. Der Neurochip, der ihm eingesetzt wurden war, verursachte dennoch ein unangenehmes Pochen in seinem Kopf. Das sollte sich auch bald legen. Und wenn nicht - tja, dann nicht. Es gab jetzt wichtigeres zu erledigen. Zum Beispiel das Kommando über sein Schiff zurück zu fordern. Captain Balthazar Kain war vom Flottenkommando offiziell als Interrims-Kommandant eingesetzt worden, aber Luke war klar, dass einige Aasgeier im Flottenkommando nicht an einen Behandlungserfolg glaubten bzw. glauben wollten, und stattdessen ein widerwärtig hohes Interesse daran hatten, sich sein Schiff unter den Nagel zu reißen. Er eilte die engen Gänge entlang, deren Wände in regelmäßigen Abständen mit Displays und Zugängen zu Wartungsschächten gespickt waren. Auf der rechten Seite aktivierten sich plötzlich die Displays in seiner Nähe. Auf ihnen erschien das Gesicht einer hübschen, jungen Frau.
»Wie ich sehe, hast du dich gegen den Rat des Doktors aus der Behandlung entlassen.«, begrüßte sie ihn.
»Die Behandlung ist abgeschlossen! Es gibt keine gesundheitlichen Probleme, und dass der Chip funktioniert, kann ich ja wohl am besten beurteilen.«, konterte er, während er weiter den Gang entlang lief. Die Displays aktivierten und deaktivierten sich dabei automatisch, entsprechend seiner Position. »Sagt wer?«, wollte das Frauengesicht wissen.
»Tyler!«, war die kurze Antwort. Mehr musste er auch nicht sagen. Michelle wusste sofort, was gemeint war. Sie ließ einen kurzen Moment verstreichen, bevor sie die nächste Frage stellte. Da sie kein Mensch war, sondern die Visualisierung der Schiffs-KI, hatte sie die Antwort in wenigen Millisekunden verarbeitet und bereits die Erwiderung formuliert. Die meisten Biolebensformen hatten jedoch ein Problem damit, wenn sie zu schnell mit ihnen redete. Auf Captain Montana traf das zwar nicht zu, aber sie ließ dennoch exakt 1,4 Sekunden verstreichen, bevor sie fragte »Und was sagen die anderen beiden?«
»Sie stimmen zu.«, grinste Luke, als er endlich den Lift erreichte. Er wollte auf dem Display im Lift die Brücke als Ziel auswählen, aber Michelle hatte das bereits für ihn erledigt und den Lift in Bewegung gesetzt.
»Davon ausgehend, dass du die Wahrheit sagst, wird Captain Kain also nicht länger das Kommando haben.«, formulierte Michelle die Schlussfolgerung ihrer Unterhaltung.
»Das würde auch passieren, würde ich lügen – was ich nicht tue. In diesem Fall würde man mich ohnehin erneut des Kommandos entheben. Also kann der Wunsch des Doktors und des Flottenkommandos, dies vorher zu verifizieren, nur ein Vorwand sein.«
»Auch wenn der Bezug zum Flottenkommando eine unzulässige Verallgemeinerung darstellt, sind deine lediglich implizit angedeuteten Argumente nachvollziehbar.«
»Natürlich. Meine Logik ist unbestreitbar.«
»Deine oder Tyler's?«
»Der Unterschied ist marginal. Dennoch hat sich das Flottenkommando bislang immer der Meinung dieser subversiven Elemente gebeugt, sodass die Verallgemeinerung keineswegs unzulässig ist.«
Der Lift hatte inzwischen die Brücke erreicht, die Luke nun betrat und – ohne die restlichen Anwesenden eines Blickes zu würdigen – direkt auf Balthazar Kain zuging. »Montana! Sollten sie nicht auf der Krankenstation sein, oder in einer Gummizelle?«, warf dieser ihm entgegen. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, meinte er es genau so beleidigend, wie es geklungen hatte.
»Die Behandlung ist abgeschlossen und die Begründung für den Entzug meines Kommandos damit hinfällig. Mit anderen Worten: runter von meinem Stuhl!«
Kain machte jedoch keinerlei Anstalten dergleichen zu tun. »Solange nicht bewiesen ist, dass ihr Dachschaden tatsächlich repariert ist, gehört dieses Schiff mir!«, brachte er stattdessen mit einer Arroganz hervor, die ihresgleichen suchte. Dabei drückte er einige Elemente auf dem in den Stuhl eingebauten Touchscreen, aber nichts passierte.
»Ich gehöre niemandem!«, dröhnte Michelle's erzürnte Stimme, deren Gesicht nun auf allen Displays auf der Brücke zu sehen war. »Der einzige Grund, dass Sie hier den Captain spielen durften, ist der, dass ich es Ihnen erlaubt habe!«, fuhr sie fort.
»Das ist unerhört!«, echauffierte sich Kain.
»Ach ja? Und was willst du dagegen unternehmen?«, provozierte Montana in schroffem Tonfall, nur um nach einer kurzen Pause in neutralem Tonfall und deutlich eloquenter die Situation dazulegen. »Ich darf darauf hinweisen, dass die Bedingungen meiner temporären Beurlaubung keineswegs einen Beweis für die Wiederaufnahme erfordern, da die Nichtexistenz einer Sache nicht bewiesen sondern allenfalls falsifiziert werden kann. Darüber hinaus ist dieses Schiff nicht Eigentum der Flotte, sondern dieser lediglich unterstellt.«
Noch-Captain Kain grummelte mürrisch, zeigte sich aber ansonsten unbeeindruckt von der kleinen Ansprache. »Nichts was Sie sagen könnte mich umstimmen. Ich habe meine Anweisungen...«
»Dafür zu sorgen dass ich kalt gestellt bleibe?«, fragte Montana obwohl er die Antwort schon kannte.
»Ja!«, entfuhr es Kain lautstark, bevor er sich Bewusst wurde, was er da gerade gesagt hatte. Erst als auf Luke Montana's Gesicht ein hämisches Lächeln auftauchte, das hab dich sagte, versuchte er seine Aussage zu relativieren. »Solange Sie nicht geheilt sind. Was Sie nicht sind, solange Sie den Beweis schuldig bleiben.«
Montana schnaubte abfällig. »Elegant zurück gerudert. Aber diese Diskussion führt zu nichts!«, stellte er fest, bevor er Kain einen Injektor an den Hals hielt und abdrückte. Mehr als »Was zum...« brachte dieser nicht mehr heraus, bevor er das Bewusstsein verlor und auf dem Stuhl zusammen sackte. Die restlichen fünf Besatzungsmitglieder auf der Brücke hatten ihre Arbeit unvermittelt eingestellt und ihre Blicke ruhten auf Luke. Keiner sagte etwas. Sie kannten und respektierten Captain Montana lange genug und jeder wusste was als nächstes passieren musste.
»Da der Neuro-Chip es mir gestattet, meine multiplen Persönlichkeiten unter Kontrolle zu halten, übernehme ich das Kommando. Die Details haben Sie ja der vorangegangenen Diskussion entnehmen können. Lieutenant Kobart – bringen Sie Ex-Captain Kain in sein Quartier und postieren Sie eine Wache davor! Fähnrich Karth – Kurs nehmen auf ST-M-214! Wird Zeit in ein paar Ärsche zu treten.«
ST-M-214
Eine plötzliche Erschütterung riss Admiral Weichmann aus dem Schlaf. Genau genommen, war es die Kombination aus der Erschütterung, dem lauten Knall von der Explosion, die sie vermutlich verursacht hatte, und dem darauf folgenden Alarm. Er sprang aus dem Bett und suchte hastig ein paar Sachen zum Anziehen zusammen. Er hatte das Oberteil seiner Uniform noch nicht ganz an, als er bereits zur Schlafzimmertür hinaus eilte. Nach zwei Schritten blieb er allerdings unvermittelt stehen. Das lag daran, dass im - der Schlafzimmertür zugewandten – Sessel seines Wohnquartiers jemand saß und mit einer DW-500 Repulsorkanone auf ihn zielte.
»Ich dachte mir doch, dass ich dich hier finde!«, sagte die Gestalt im Sessel.
»Montana? Sind Sie das?«, fragte Weichmann nach. Obwohl er sich relativ sicher dabei war, konnte er ihn im Halbdunkeln nicht richtig erkennen.
»Sie sind ja ein Blitzmerker! Vielleicht haben Sie dann auch schon eine Ahnung warum ich hier bin!?«, war die ruhige Antwort, die aber einen frostigen Unterton enthielt, der dem Admiral einen Schauer über den Rücken laufen ließ. Vielleicht lag es aber auch daran, dass er in der Tat eine Ahnung hatte, was den Captain her geführt hatte.
»Die Wachen werden jeden Moment hier sein.«, versuchte Weichmann Zeit zu gewinnen.
»Sehe ich so aus, als würde mich das interessieren? DU hast Kain damit beauftragt mich kalt zu stellen! Und ich hatte dich ausdrücklich davor gewarnt, nichts dummes zu tun.« Die Ruhe war aus seiner Stimme gewichen und offenbarte nun blanken Zorn.
»Und willst du mich deswegen umbringen?«, stotterte Weichmann.
»Deswegen? Wohl kaum – sonst hätte ich das nämlich schon getan! Ich will Antworten! Wer hat mir das eingebrockt? Wer hat den Seelentrenner aktiviert um mir die Psycho-Macke zu verpassen?«
»Hey, du weißt, wir haben das Artefakt zerstört und...« Ein Schuss aus der Repulsorkanone unterbrach ihn abrupt.
»Erzähl keinen Scheiß!«, brüllte Montana. Er sparte sich den klischeehaften Hinweis Oder der nächste Schuss geht nicht daneben. Es war unnötig, dass Offensichtliche festzustellen.
»Na schön, es war D'suram! Wende dich an ihn – wenn du ihn in dem Chaos finden kannst.«
Luke Montana hatte sich wieder entspannt zurück gelehnt. »Welches Chaos?«, fragte er mit einer Ruhe, als wäre nichts gewesen. Ein paar Klicks auf dem Computer an seinem Handgelenk später verstummte der Alarm. »Glaubst du tatsächlich, ich würde die Station angreifen um dich in die Finger zu bekommen?«
Der Admiral blieb stumm. »Hatte ich auch nicht gedacht. Und was D'suram angeht...«
»Er kann dir alles erklären!«, beteuerte Weichmann.
»Er hat es bereits erklärt!«, konstatierte Montana kalt - die DW-500 immer noch auf den Admiral gerichtet.
Dann drückte er ab.