- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 5
Seelenschatten (Yorak)
Lange Zeit lag Yorak vollkommen reglos in der Felsenkuhle, neben seinem Kameraden Salem. Rüstung an Rüstung. Eine leichte Berührung an Salems Ellenbogen verursachte leise Kratzgeräusche. Yorak versteifte sich. Wenn die Bergbanditen sie zu früh entdeckten, wäre alles umsonst gewesen.
Salem beugte sich zu Yorak herüber und wölbte seine gepanzerte Hand seitlich am Mund. So wurden seine Worte nicht vom nächtlichen Wind davongeweht.
„Keine Panik. Bei dem Lärm, den dieses Pack macht, könntest du den Technikereid in voller Lautstärke herunterleiern und keiner würd’ s bemerken“, raunte er.
Yorak grinste. Salem hatte es immer wieder verstanden ihm die Angst zu nehmen.
„Sag, weißt du welches magische Biest wir diesmal einfangen sollen?“, flüsterte Yorak ihm zu.
„Ich hab` gehört, wie sich unser Gruppenführer mit dem Kommandanten über einen Schatten unterhalten hat. Und rate mal wo der rum rennt!“ Die linke Augenbraue Salems bildete für einen kurzen Augenblick einen spitzen Bogen.
In dieser Dunkelheit war seine Mimik kaum zu erkennen, aber Yorak kannte Salem gut genug, um sie sich vorstellen zu können.
Er lächelte innerlich als er an Salems Unmut, den er bei den Worten des Kommandanten empfunden haben musste, dachte.
„ Hier im Knochengebirge?“, vermutete Yorak.
„ Genau ins Schwarze getroffen. Das Knochengebirge, die hässlichste Einöde von ganz Oberwelt. Genug Sandkörner um die gesamte Hautfläche unter unserer Technikerrüstung zu bedecken. Es kratzt mich jetzt schon an tausend Stellen.“, fluchte Salem.
Yorak schwieg. Natürlich spürte auch er schon seit geraumer Zeit ein unangenehmes Prickeln auf seiner Haut, aber er konnte diesen Ort deswegen nicht hassen. Er hatte seine Kindheit hier verbracht. Bis das Ungeheuerliche geschehen war. Die magischen Quellen des Gebirges versiegten. Alle sieben. Anfangs hatte seine Familie es für eine Dürre gehalten. Eine Dürre, die irgendwann endete. Doch das hatte sie nicht getan. Die saftigen Wiesen des Gebirges waren vertrocknet, selbst die Bäume hatten sich in Gerippe aus totem Holz verwandelt. Es hatte nicht mehr genug Wasser gegeben, um die Ziegenherde seiner Familie aus dieser lebensfeindlichen Einöde in die Grasebene zu führen. Alle Tiere waren elendiglich verdurstet. Seine Familie hatte beschlossen in die nächstgelegene Stadt zu ziehen. Yorak hatte den kräftezehrenden Marsch mit Mühe und Not überstanden. Seine zwei Jahre jüngere Schwester Tahli hatte nicht so viel Glück gehabt. Sie war gerade vier gewesen. Nur mit einigen Lumpen am Leib, waren sie in der Stadt eingetroffen. Seine Eltern hatten es nicht mehr vermocht ihr einziges Kind zu ernähren, geschweige denn ihm eine Unterkunft zu bieten. Aber am ersten Tag in Sare war seinem Vater ein Kommandant aus der Technikerbruderschaft begegnet. Bereitwillig hatten die Techniker das arme Kind aufgenommen. Als Yorak das erste Mal die in das Knochengebirge gehauene Festung der Techniker betreten hatte, war er von ihrer enormen Größe schier überwältigt worden. Hunderte von kleinen Türen und offenen Räumen grenzte an den Innenhof. Erstaunt hatte er das geschäftige Treiben in ihnen beobachtet. Dort hatte ein Alchemist neue Gifte gebraut, weiter hinten hatte ein Schmied auf einen Amboss eingeschlagen, in einer stillen Ecke hatten einige Zeichner gesessen und über den Entwurf einer neuen Maschine gebrütet. Jetzt war Yorak sich sicher gewesen, dass die Gerüchte um die Bruderschaft stimmen mussten. Die Techniker waren anscheinend besessen von der Idee, alle magischen Hilfsmittel durch mechanische Konstruktionen zu ersetzen.
Seit seiner Initiierung hatte Yorak seine Eltern nie wieder gesehen. Aber das hatte keine Rolle gespielt. Er hatte einen Auftrag zu erfüllen. Den Auftrag eines jeden Technikers. Die Magie vernichten, ausrotten mit Stumpf und Stiel. Der Führer der Technikerbruderschaft hatte Yorak schon früh gelehrt, dass alles Unglück auf die Magie und magische Wesen zurückzuführen sei. Auch die Dürre im Knochengebirge.
Yorak starrte in die Senke zu den singenden Bergbanditen herunter. Sie feierten so selbstgefällig ihre Greueltaten, saßen um das riesige Lagerfeuer herum und fraßen sich an dem gestohlenem Wild satt. Er verabscheute diese Art von Menschen. Salem stupste ihn unvermitttelt an.
„Guck mal da oben!“
Yorak legte seinen Kopf in den Nacken. Hoch über ihnen zog ein Phoenix seine Kreise. Sein goldenes Gefieder schimmerte im Mondlicht. Er bewegte sich über eine weitere Spitze des Gebirges und entfernte sich langsam. Eine melancholische Weise drang an Yoraks Ohren.
„Wunderschön, aber doch eine Bestie.“, grummelte er.
Yorak bemerkte, dass seine Kameraden unruhig wurden. Die Plättchen der nebeneinander befindlichen Rüstungen rieben sich immer mehr gegeneinander. Das metallische Kratzen wurde immer lauter. Bei acht zappelnden Technikersoldaten war es ein Wunder, dass die Bergbanditen sie nicht schon längst bemerkt hatten. Ihr Gruppenführer zögerte den Angriff diesmal ungewöhnlich lange heraus. Aber Yorak verstand seine Vorgehensweise. Um den Schatten einzufangen, war eine Ablenkung nötig. In diesem Fall die verdammten Seelen dieses Abschaumes, der dort unten arglos sein letztes Gelage feierte. Um den Schatten zu locken, mussten sie zuschlagen kurz bevor er eintraf. Denn die Seelen durften nicht hinabfahren, bevor der Schatten hier war. Wenn das Monster diese Unmenge an Seelen sah, würde er alle Vorsicht fahren lassen und sie hätten ein leichtes Spiel mit ihm.
Yorak schaute auf seinen Magiepott, der mit einem Lederband am Handgelenk befestigt war. Aus rot leuchtenden Linien auf schwarzem Untergrund bildete sich eine Karte der Umgebung. Ein weißer Punkt wanderte über die roten Zacken. Daneben stand in grünen Lettern: Phoenix, 120% magisches Potential.
Ein Überschuss an Magie von 20%. Der Punkt näherte sich dem Metallrand des runden Gehäuses und verschwand. Auf der linken Seite erschien ein schwarzer Punkt. 30%.
„Der Schatten.“, hauchte Yorak.
Bewegung geriet in die Truppe.
„ Zum Angriff Männer!“, brüllte der Truppenführer.
Yorak sprang zeitgleich mit seinen Kameraden von der Klippenkante. Sie landeten in einem Hexenkessel aus schreienden Banditen und herumfliegenden, brennenden Holzscheiten des Lagerfeuers. Yorak nutzte das Entsetzen der Banditen und streckte mit einem Schwerthieb gleich zwei nieder. Er genoss das Niedermetzeln dieses Abschaums. Nach dem ersten Schrecken zogen die übrigen Banditen ihre Säbel, Dolche, Schwerter und Speere. Sie liefen bis zu einer Felsmauer und bildeten ein bis an die Zähne bewaffnetes Grüppchen. Mit dem Rücken an der Wand. Wie erbärmlich. Yorak lachte auf. Sein Freund neben ihm grinste.
„Attacke!“, schrie der Gruppenführer unnötigerweise.
Yorak rannte an der Spitze des Stoßtrupps, direkt neben Salem. Ein besonders großer und muskulöser Bandit schrie ebenfalls auf und rannte mit schwingendem Säbel auf sie zu. Wahrscheinlich war es der Anführer der Bande, denn der Rest der Männer folgte ihm bedingungslos.
Yorak sprang behände über die Reste des Lagerfeuers. Der erste Säbelhieb des Anführers verpasste ihn nur um Millimeter, den Zweiten fing Yorak mit seiner gepanzerten Hand ab, gleichzeitig rammte er dem schwitzenden Banditen das Schwert in den Bauch, zog sein Schwert seitlich heraus und köpfte mit der gleichen Bewegung den Unglücklichen, der das Pech hatte gerade nahe genug zu stehen.Die Bergbanditen waren vollkommen perplex. Sie wussten, dass es ein harter Kampf werden würde, aber mit Giebert ihrem listigen Anführer hatten sie noch alle Situationen gemeistert. Doch jetzt war alle Hoffnung verloren.
Gegen einen Techniker in Rüstung, kam selbst der stärkste und wendigste Mensch nicht an. Da half nur List oder Magie. Der Legende nach soll ein einziger Techniker, in Rüstung wohlgemerkt, eine Armee von 20.000 Mann erschlagen haben.
Als der Kampf ein Ende fand, mangels Gegner, stand Yorak in einer Blutlache zwischen fünf Bergbanditen. Seine ehemals bronzene Rüstung war mit einem dicken Blutfilm überzogen. In seinen strohblonden Haaren klebte ebenfalls der rote Lebenssaft. Yoraks Atem ging schwer, nicht weil ihn dieses kleine Intermezzo besonders angestrengt hatte, sondern weil ihn der Gestank toter Körper anwiderte. Er blickte hinüber zum Gruppenführer, der ebenso besudelt zwischen einigen Leichen stand, um den nächsten Befehl entgegen zu nehmen.
„Alle hinter den Felsen da!“, flüsterte der Gruppenführer.
Der Schatten musste also schon sehr nahe sein. Yorak schloss sich zügig dem bluttriefenden Trupp an. Er kauerte sich neben Salem an den Rand des porösen Steins.
So war für Yorak der Blick in die Senke frei.
Der Platz war regelrecht verwüstet worden, das vorher lichterloh brennende Lagerfeuer war erlöschen. Einige Hölzer glommen noch orangerot in der Dunkelheit. Die Räuber selbst sahen aus, als hätte sie jemand durch den Fleischwolf gedreht und achtlos, wie Spielzeugpuppen weggeworfen. Plötzlich hörte Yorak ein leises Pfeifen und der Schatten landete in der Mitte der Senke. Er musste sich vom Felsrand direkt in die zehn Meter tiefer liegende Senke fallen gelassen haben. Yorak schaute den Schatten verblüfft an.
Der drehte sich gerade um seine eigene Achse und betrachtete wohl das Blutbad, das die Technikergruppe veranstaltet hatte. Anscheinend beunruhigte den Schatten das aber nicht, denn im Moment ergriff ihn die schiere Gier. Er bleckte seine phosphorisierenden Zähne beim Anblick der vielen verdammten Seelen, die den toten Körpern entstiegen. Mit einem Satz war die Bestie bei der erstbesten Leiche und saugte schließlich alle Seelen nach und nach in sich hinein. Ab und zu biss er eine besonders widerspenstige Seele mit seinen leuchtenden Zähnen in Stücke. Um die schmale Schattengestalt entstand ein Feuerwerk aus grellblauem Licht.
Yorak war dieses Wesen unheimlich. Es war magisch und ein Dämon. Er verstand nicht wieso diese klägliche Gestalt dazu fähig war, so eine enorme Energie zu entfesseln. Yorak hasste diesen schwarzen Quälgeist, wie er ihn in Gedanken nannte. Niemand sollte ohne Rüstung stärker sein als er.
„Männer, haltet euch bereit. Auf meinem Befehl…“,flüsterte der Führer.
Yorak sah in die Augen seines Gruppenführers und nickte.
Er hielt das Schocknetz fester und grinste Salem breit an.
„Los!“, brüllte der Kommandant
Der Schatten merkte auf und blickte auf eine Wand aus blitzendem Schocknetzgeflecht, die sich immer schneller schloss.
„Aargh!“ Brennende Helligkeit jagte durch seine Glieder, als sich das Netz um seinen Körper legte.
„Macht das weg!“, kreischte er. Die Schmerzen ließen seine Arme und Beine unkontrolliert zucken.
„Seht nur es wehrt sich.“ Griente Salem während er, wie der Rest der Truppe, den ihm zu geteilten Pflock in den Boden rammte. Yorak trat einen Schritt vom Netz weg. Jetzt war es an allen Seiten mit Pflöcken im Boden verkeilt. Dem Dämon blieb keine Möglichkeit mehr zur Flucht.
„Es tut weh.“, keuchte das Ungeheuer.
Gleißendes Licht tanzte vor seinen Augen. Er spürte seinen Körper nicht mehr. Nur noch die Augen und quälende Helle.
„Was geschieht hier?“, dachte es.
Das Schattenwesen trat in einen schweren Dämmerzustand über.
„…Muss die Augen aufhalten,…wach bleiben.“
Dunkelheit umfing den Schatten.
Yorak blickte abschätzig auf das schwarze Bündel hinab. Er spürte die Hand von Salem auf seiner Schulter.
„ Das wäre erledigt. Ein weiterer Gast für den Bunker. Und wir können wieder nach Sare heimkehren, uns erholen.“ Salem lächelte zufrieden vor sich hin.
Yorak schaute ihn schief von der Seite an und streifte grob seine Hand ab.
„Aber was wird aus ihm? Sicher hat er auch Familie, eine kleine Schwester.“
Die Erinnerung an den unmenschlichen Tod seiner Schwester quälte Yorak immer noch sehr.
Der Gruppenführer merkte auf, als er Yoraks Worte vernahm.
„Novize Yorak, es mangelt ihnen wohl immer noch an der richtigen Einstellung. Jedes magische Wesen, ob halbmagisch oder vollmagisch, ist ein Monster, das nur den Tod verdient. Damit das endlich in ihren Dickschädel reingeht, schieben sie ab der Ankunft in Sare im Bunker Wache.“, blaffte der Führer den erschrockenen Yorak an.
„Aber.“, gab der zögernd von sich.
„ Antreten in Wachturm 245b.“
Unter Wutgeschnaube drehte sich der Gruppenführer um und gab das Signal zum Aufbruch.
Niedergeschlagen blickte Yorak auf den Boden. So bemerkte er auch nicht den wunderschönen Morgenhimmel, der sich in einem zarten Orange-Rosa präsentierte. Der gelbe Sand knirschte unter den Füßen der Truppe, als sie den gewundenen Schlängelweg hinaufstiegen. Ein beschwerlicher Rückweg stand ihnen bevor, aber es schien ein schöner Tag zu werden.
Fin