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Seelenschatten (Thorjan)
Seelenschatten
(Thorjan)
Träge umschwebte der moderige Geruch verrottenden Fleisches Thorjans Nase.Er streckte seine Schnauze dem Hauch des Todes entgegen. Ganz in der Nähe fände er genug Nahrung, um seinen Hunger und den seiner Gefährtin zu stillen.
Der Werwolf ließ sich von dem Felsen fallen, unter seinen Pranken knirschte der gelbe Sand. Heißer Südwind fegte durch die Schluchten des Knochengebirges, als Thorjan mühsam den gewundenen Schlängelweg hinab schlich. Feine Sandkörner setzten sich in seinem verfilztem Fell fest. Dem ehemals prächtig glänzendem Schwarz war einem verstaubtem Grau gewichen. Bei jedem Schritt zeichneten sich seine Schulterknochen als Spitze Dreiecke unter dem Fell ab. Kraftlos trottete Thorjan in eine Senke hinunter.
Seine trüben Augen streiften über einige der Verwesung nahe scheinenden Menschenleichen. Der intensive Geruch von Fäule ließ für Thorjan keinen anderen Schluss zu.
„Also dann, Augen zu und durch“, knurrte Thorjan heiser.
Angewidert begann er einige Stückchen aus einem Toten heraus zu reißen. Erst zaghaft, dann immer rabiater. Sein Hunger übermannte ihn letztendlich immer wieder. Hektisch verschlang Thorjan nach und nach große Brocken Fleisch. Bald war seine Schnauze blutverschmiert, allerdings auch sein Hunger gestillt. Zufrieden leckte er sich sein verklebtes Fell sauber. Thorjan hielt ärgerlich inne, als er witterte, dass er nicht alleine war.
Noch war niemand zu sehen, aber es war jemand in der Nähe. Ein hellmagisches Wesen, das roch er. Unruhig schritt Thorjan auf und ab. Plötzlich purzelte ein kleines Mädchen hinab in die Senke. Es lag einen Augenblick einfach da, auf ihrem Bauch.
„Vielleicht habe ich ja Glück und es ist tot.“, dachte Thorjan.
Thorjan hatte kein Glück. Als sich der Staub legte, stand das Mädchen wackelig auf seinen Beinen und rieb sich die Schulter. Erschrocken starrte es auf die Leichen um sich herum. Dann wanderte ihr Blick zu Thorjan, der auf der gegenüberliegenden Seite der Senke verharrte. Ihr erschreckter wich einem entgeistertertem Gesichtsausdruck. Argwöhnisch musterte der Werwolf den kleinen Eindringling. Nach dem Sturz hatten sich einige Locken des hellgrünen Haares aus ihrem Zopf gelöst. Verspielt tanzten einige Strähnen im Wind. Ihre fahle olivegrüne Haut verriet ihm, dass sie wohl das erste Mal das schützende Unterholz des magischen Waldes verlassen hatte. Selbst für einen Waldmenschen wirkte ihre zierliche Gestalt besonders zerbrechlich auf Thorjan. Willenlos versank Thorjan in den braunen Tiefen, diesen großen, vorwurfsvollen Seelenspiegeln. Thorjan fühlte sich unweigerlich verpflichtet etwas zu sagen.
„Verschwinde, Waldmensch.“
Es war nicht gerade das, was ihm auf dem Herzen lag, aber ein wesentlich freundlicherer Ton, als er sonst hellmagischen Geschöpfen gegenüber anschlug. Die kleine Gestalt rührte sich nicht. Thorjan knurrte ungeduldig. Seine Nackenhaare sträubten sich.
Aber wem machte er etwas vor? Sich oder diesem harmlosen, hellmagischem Mädchen?
Er war ein Wrack.
Der Hunger hatte ihn, Thorjan den muskelbepacktem Werwolf mit der imposanten Mähne, in ein Häufchen Elend verwandelt. Es war schon ein mittleres Wunder, dass er auch heute wieder die Kraft gefunden hatte, um auf Nahrungssuche zu gehen. Bei dem Gedanken daran, wie viele Werwölfe er gekannt hatte, die ebenfalls dieses Stadium des körperlichen Verfalls durchlaufen hatten und jetzt tot waren, wurde Thorjan schwindelig. Er seufzte, gab seine albernen Drohgebärden auf und setzte sich mutlos in den Sand. Sollte ihn dieser kleine Waldmensch doch in eine bessere Welt befördern.
Das Mädchen blinzelte erstaunt, blieb jedoch unsicher auf der Stelle stehen. An seiner Schulter hatte sich ein roter Fleck gebildet, der stetig wuchs. Ohne eine Spur des Schmerzes zu verraten, ruhte sein kühler Blick weiterhin auf dem Werwolf. Thorjan ertrug die unterschwellige Anklage des Mädchens nicht mehr.
„ Ja ich esse Menschenaas, soweit ist es mit mir gekommen.“, schrie er in die Welt hinaus.
Irritiert trat das Mädchen nach hinten und verlor sein Gleichgewicht. Thorjan erkannte eine Gelegenheit, der Pattsituation zu entfliehen.
Gekonnt riss er ein Menschenbein ab, klemmte es sich zwischen die Zähne und begann den Schlängelweg hinauf zu steigen.
Er wollte leben und seine Gefährtin Rian sollte das auch. Als Thorjan an ihrer Wohnhöhle ankam, hatte sich der Wind gelegt. Er war einer von Schwefel geschwängerten Luft gewichen. Düstere Wolken ballten sich am Himmel zusammen. Ein Sturm zog auf. Erschöpft betrat Thorjan die Höhle und legte das angekaute Bein ab.
„Rian, ich bin wieder da.“, hechelte er.
Eine Windböe heulte um die Höhle. Thorjan fröstelte. Durch die schwarzen Wolken zuckte ein Blitz, gefolgt von Donnergrollen. Die Höhle wurde in weißes Licht getaucht.
Da lag Rian, ihre starren Pupillen schauten ins Nirgendwo. Thorjan eilte zu dem leblosen Fellbündel hin und stupste es mit der Nase an.
„Rian, sag doch was. Sieh nur, ich habe dir etwas zu Essen mitgebracht.“
Verzweifelt rollte Thorjan das Bein vor ihre Schnauze. Selbst der schwere Fleischgeruch weckten in ihr keine neuen Lebensgeister.
Ihr ausgemergelter Körper lag weiterhin schlaff im Sand. Thorjan stieg das Wasser in die Augen. Eine Flut übermannte ihn, die er zu lange zurückgehalten hatte. Es war schon eine ganze Weile mit Rian bergab gegangen. Angefangen hatte es damit, dass sie die Höhle nicht mehr verließ. Aber Thorjan hatte ihr immer wieder Essen gebracht, obwohl er für sich selbst kaum genug Nahrung gefunden hatte.
Sie hatte sehr unter ihrer Abhängigkeit gelitten, hatte aber schließlich alles gefressen, was Thorjan ihr vorsetzte. Trotzdem hatte Rian von Tag zu Tag an Gewicht verloren. Es war nicht mehr aufzuhalten gewesen. Letztendlich hatte Rian nicht einmal mehr die Kraft besessen, um vor ihrem Tod ihre menschliche Gestalt anzunehmen.
„Ach, meine schöne Rian, ich habe alle vermasselt.“, schluchzte Thorjan.
„Alles.“, flüsterte er.
Erneut leuchtete ein Blitz über dem Knochengebirge auf, diesmal ein besonders Schöner, Verästelter. Darunter lagen zwei Werwölfe in einer Höhle. Der Donner wagte einen neuen Anlauf, die Schallmauer zu durchbrechen.
Aber die Werwölfe schliefen scheinbar tief und fest.
Fin