Seelenschatten (Sieg den Magischen)
In einigen hundert Metern Entfernung hörte Lux Bergbanditen ein altes Lied johlen. Genug verdammte Seelen, um in die Unterwelt zurückzukehren. Lux kletterte leichtfüßig über den scharfkantigen Felsen. Die immer näher wehenden Männerstimmen nahm Lux wie den Duft einer guten Mahlzeit wahr. Bald füllte nur noch ein Gedanke Lux` volles Sein und Tun aus: Töten, Seelen verschlingen. Im nächsten Augenblick sah er sich von dem kühlem Eisblau verdammter Seelen umgeben. Schwerelos trieb er durch das Seelenmeer. Er atmete tief ein und spürte wie die Lebensgeister seinen Körper belebten. Als ein unheimliches Echo folgte ihm das Lied der Bergbanditen.
„Hau` sie in Stücke ganz klitzeklein, lass` sie dort liegen ganz allein“
Verwirrt erwachte Lux in einem notdürftig beleuchteten Raum. Die Melodie des Banditenliedes geisterte nach diesem denkwürdigen Traum noch durch seinen Kopf, der dröhnte, als hätte er alle Seelen einer Matrosenschenke verschlungen.
Langsam öffnete der Schatten die Augen. Aber nur einen Spalt, bloß nichts überstürzen.
„Was ist denn los?“, stöhnte er.
Irritiert blinzelte der Schatten. Die rußgeschwärzte Decke aus Granit starrte ihn weiterhin böse an. Lux spürte den kalten Stein unter seinen ausgestreckten Armen. An der rechten Wand hing eine brennende Fackel in der Halterung und tauchte den Raum in ein rötliches Licht. Dichter Rauch entstieg der Fackel und suchte sich einen Weg durch die Gitterstäbe auf der anderen Seite des Raumes.
„Was los ist? Das kann ich dir haargenau sagen, Bruder.“
Lux fuhr so ruckartig hoch, dass ihm schwindelte.
„Langsam, kleiner Bruder.“
Verschwommen erkannte Lux eine leptosomische Gestalt mit spitzen Ohren, die sich auf einem feuchtem Strohhaufen lümmelte.
„Wer, was bist du?“, stammelte der junge Schatten.
„Nenn` mich Matteo, Bruder“, antwortete der Spitzohrige und schob sich in eine noch bequemere Sitzposition.
„Matteo.“ Erstaunt blinzelte Lux ihn an.
Er erkannte jetzt, dass es sich bei seinem Gegenüber um einen zugegebenermaßen sehr dreckigen Elfen handelte. Einer tiefen Abscheu folgend bleckte Lux seine Zähne und knurrte leise.
Der Elf hob abwehrend seine Hände.
„Bevor du versuchst mich zu zerfleischen und ich mich aus dem Staub mache, lass mich erst mal was sagen, Bruder.“
Lux roch den Angstschweiß, der dem Elfen aus jeder Pore trat. Nachdem seine Augen sich an das schummerige Licht gewöhnt hatten, traten immer mehr verräterische Details zu Tage. Der elfenbeinerne Teint, die aparte Schönheit seiner Gesichtszüge, das lange offene Haar. Einzig seine Kleidung passte nicht recht ins Bild. Kein Elf würde sich dazu herablassen, Lumpen wie diese zu tragen. Das ausgewaschene Grün des knöchellangen Hemdes war mit eingetrockneten Blutflecken besudelt. Der Saum des Stoffes, der nicht an den Nähten mit einem groben Lederband zusammengehalten wurde, war rundherum ausgefranst. Der spitze Hut auf dem Haupt des Elfen bildete in dem braunsten Grün das Tüpfelchen auf dem I. Nur die goldene Phoenixfeder, die seitlich in seinem Hut steckte, entsprach dem elfischem Kleidungsstil.
„Ach und was willst du mir sagen? Du dummer Elf“, grollte Lux.
„Na ja, bitte fress` mich nicht Bruder?“, lächelte der Elf verlegen.
Lux stutzte und entspannte sich ein wenig. Er stand unsicher auf und betrachtete den Ort, an den es ihn verschlagen hatte, eingehender. Ein in Fels gehauener quadratischer Raum, dessen offene Seite von in allen Regenbogenfarben schimmernden Gitterstäben versperrt war.
„Wie es wohl außerhalb der Zelle aussieht?“, rätselte Lux und wankte die fünf Schritte von der Rückwand hinüber zum verriegelten Höhleneingang. Als er vorsichtig seine schwarz durchscheinende Nasenspitze durch das Gitter steckte, erstreckte sich ein endlos langer Gang vor ihm. An jeder Seite befanden sich dicht an dicht gelegene, in Fels gehauene Zellen. In dem diffusen Schein der Fackeln konnte Lux nur unterschiedlich geformte Silhouetten hinter den leuchtenden Gittern ausmachen. Aber er vermutete in jedem Felsenloch mindestens Zwei. Natürlich ahnte er nichts von den wirklichen Dimensionen des Bunkers, doch schon der Blick aus seinem Gefängnis heraus hinterließ bei ihm einen Kloß im Hals.
„Was bist du denn für ein komischer Elf und wo bin ich überhaupt?“, fragte Lux schließlich.
„Ich bin Matteo, Bruder und du befindest dich in dem Bunker der Techniker von Sare, klar?“, antwortete der Elf schleppend.
„Techni, was?“, quiekte der Schattenjunge. Sein normalerweise schwarzes Gesicht nahm einen transparenten Grauton an.
„Warum gerät meine Stimme immer zu den unpassendsten Gelegenheiten außer Kontrolle?“, seufzte Lux innerlich.
„Die Techniker sind eine Art Bruderschaft von magiehassenden Menschen. Sie haben überall auf der Oberwelt solche Festungen wie diese hier gebaut und begonnen, magische Wesen zu jagen, hier einzusperren, um dann was weiß ich mit ihnen zu machen. Aber damit ist jetzt Schluss, Bruder. Meine Freunde werden heute nacht kommen um mich zu befreien und dieses verflixte Mausoleum zerlegen. Ja Bruder, genau!“
Erschrocken zuckte Lux zusammen, als der Elf auf die Beine sprang und wütend seine Fäuste in die Luft stieß.
„Aber womit ist denn Schluss?“, krächzte Lux.
„Na mit allem. Der Unterjochung der Magie. Der Unterdrückung und Deportierung Unschuldiger. Friede den Magischen, Krieg den Unmagischen!“, schrie Matteo.
Lux betrachtete den Elfen argwöhnisch von der Seite, während dieser sich immer mehr in Rage redete. Das fanatische Glitzern in seinen Augen kannte der Schatten nur zu gut. Er hatte es oft bei seinem Onkel gesehen, wenn der eine besonders fette Seele zerriss.
„Warum befreist du dich nicht selbst? Ein Elf beherrschst doch genug Magie, um das alles hier in Schutt und Asche zu legen“, bemerkte Lux trocken.
Der Elf ließ die erhobenen Arme sinken. Er wirkte plötzlich sehr schlapp und kraftlos.
„Ich bin“, druckste er herum und wich den stechendblau glühenden Augenhöhlen des Schattenjungen aus.
„Nur ein Halbelf“, murmelte er dann.
„Ja ein dreckiges Halbblut, genauso magisch wie ein verfaultes Stück Seeglub “, grölte ein pockenübersäter Gnom aus der gegenüberliegenden Zelle herüber.
Neugierig schaute der junge Schatten durch die Gitter, als der Boden zu beben begann. Er quietschte überrascht auf und verlor nach einem weitern Stoß das Gleichgewicht. Unsanft stürzte Lux auf den unebenen Granitboden neben Matteo dem Halbelfen, der phlegmatisch im Heu lag und mit Genugtuung betrachtete, wie der Gnom immer wieder an den Wänden seiner Gefängniszelle abprallte.
„Meine Freunde sind da, Bruder“, grinste Matteo matt.
„Komische Freunde“, grummelte der Schatten.
Von der Decke lösten sich bereits kleinere Steinbrocken. Lux robbte näher an das Gitter heran. Er sah Menschen in bronzeglänzenden Rüstungen hektisch im Gang auf und ab rennen. Das breite Schwert an ihrer Hüfte nötigte ihm einiges an Respekt ab.
„So sehen also Techniker aus“, murmelte er.
Der Schatten drehte sich zu Matteo um und spottete:„Ich werd` jetzt in einem von diesen Technikern herausspazieren. Also viel Spaß noch, Halbelf.“
Er stemmte sich in die Höhe, nahm Anlauf und schlug mit voller Wucht gegen die Gitterstäbe. Stöhnend hielt er sich sein schmerzendes Knie.
„Wieso kann ich nicht durch die Gitterstäbe gehen?“, presste er hervor.
„Oh, hab` ich vergessen die magiesicheren Gitterstäbe zu erwähnen, Bruder?“, grinste der Halbelf hämisch.
„Du blöder Elf“, schrie Lux und stürzte sich auf ihn. Er packte ihn am Hals und würgte den Halbelfen, der entsetzt quiekte. Misstrauisch hielt Lux inne. Plötzlich war die Umgebung so still. Die Techniker erstarrten in ihrem hektischem Treiben vor seiner Nase, selbst der fiese Gnom hüpfte nicht mehr quer durch seine Zelle. Irgendetwas war anders. Die Gitter, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Der regenbogene Glanz löste sich auf, stattdessen traten verrostete Eisenstangen zum Vorschein. „Ha!“, triumphierte Lux.
Seine schmale Gestalt löste sich in pechschwarzem Nebel auf und schwebte durch die Gitterstäbe hinein in den unglücklichen Techniker, der ihm am nächsten war. Augenblicke später brach die Hölle los. Riesige Trolle zertrümmerten ihre Gitter und was ihnen auch sonst noch in den Weg kam. Kobolde liefen um ihr Leben, Irrlichter schwebten in Panik durch die Gänge, Feuerdämonen versuchten die Granitmauern zu entzünden, Zombies fielen über die Lebenden her, Einhörner galoppierten davon. Die Techniker schlugen schwertschwingend eine Schneise in die Meute aufgebrachter magischer Geschöpfe, in der Hoffnung, dem wütenden Mob zu entkommen. Bis auf einen kräftigen Blondschopf, der leer vor sich hin stierte.
Von dem Chaos, das ihn umgab, ahnte der Schatten nichts. Er tauchte immer tiefer in den Geist seines Opfers ab. In seinen Augenhöhlen blitzte das blaue Licht kampfeslustig auf. Er passierte das Bewusstsein von Yorak.
„So heißt du also Techniker. Aber nicht mehr lange“, grinste Lux während er immer mehr an Geschwindigkeit zunahm.
Erinnerungen aus Gegenwart und Vergangenheit rauschten an ihm vorbei, die der Schatten nur als verschwommene Bilder wahrnahm. Als er auf dem Boden des Unterbewusstseins aufprallte, erzitterte der gesamte Raum.
„Was bist du?“, keuchte der Techniker.
„Ich bin ein allmächtiger Schatten und ich werde dich, Yorak, jetzt unterjochen!“, brüllte Lux. Den schrägen Kiekser am Ende des Satzes überging er diesmal lässig. Er streckte seinen nebelhaften Leib in die Länge und wölbte sich über das unterbewusste Abbild des verängstigten Yorak, der sogleich in Ohnmacht viel.
„Och, Stumpenkacke. Nicht mal ein bisschen beißen konnte ich“, maulte Lux.
Zügig breitete er sich im Geist des Bewusstlosen aus und übernahm seinen Körper.
Durch die Augen des Technikers schaute der Schatten auf eine wilde Schlacht, die zwischen den ausgebrochenen magischen Wesen und den Technikern tobte.
„Warte, Bruder“, rief der Halbelf und wich einem wild um sich beißenden Werwolf aus.
„Wieso sollte ich?“, erwiderte Lux kaltschnäuzig und wandte sich ab.
„Es ist wichtig, dass du hier schnell verschwindest, Bruder. Es gibt nämlich eine...“ Ein erneuter Ansturm der Techniker drängte Lux endgültig von dem Halbelfen fort. Trotzig zog er das ihm imponierende Schwert und bahnte sich einen Weg durch die langen Gänge, eine schmale Treppe hinunter auf den Innenhof der Festung.
Dort rannte er geradewegs in den nächsten Tumult hinein. Mehrere Dämonen, einige Trolle und vier Werwölfe prügelten sich mit einem größeren Technikerverband. Die friedliebenden magischen Geschöpfe nutzten das allgemeine Chaos und strömten durch das zerborstene Haupttor hinaus in die Freiheit. Sein Wirtskörper wurde hin und her gestoßen, Lux hatte große Mühe ihn auf den Beinen zu halten. Er kämpfte sich in dem erschöpftem Yorak Schritt für Schritt zum rettenden Haupttor hin.
„Nur noch ein paar Meter“, ächzte der Schatten.
Als plötzlich die Stimme des Halbelfen über den Hof hallte: “Sieg den Magischen!“
Lux riss den Kopf des Technikers hoch und sah Matteo auf der Festungsmauer stehen, mit einer magischen Brandbombe in der geballten Faust.
Instinktiv übertrug Lux die Energie seiner geraubten Seelen auf den Körper seines Wirtes und katapultierte ihn durch das Haupttor, bevor das magische Feuer im Hof explodierte und jedes nichtmagische Wesen verzehrte. Er rutschte unsanft über den sandigen Boden, suchte verzweifelt nach Halt, kugelte im nächsten Moment aber auch schon unkontrolliert den steilen Abhang hinunter.
Benebelt nahm Lux wahr, dass er vor einer kleinen Gruppe magischer Wesen gelandet war. Matteo der Halbelf trat hinter einem riesigen Golem hervor.
„Du bist also ohne meine Warnung durchgekommen“, stellte er nüchtern fest.
„Du dämlicher Halbelf hast wohl nur Stumpenmist im Hirn!“, fluchte Lux und wollte sich aufrappeln, doch die Glieder seines Wirtskörpers versagten. So zappelte er nur albern mit den Armen und Beinen des Technikers und blieb hilflos, wie ein Käfer auf dem Rücken, liegen.
„Ich denke, dir fehlt die Übersicht. Wir befinden uns im Krieg. Die maschinenliebenden Techniker wollen alle Magischen vernichten. Wir sind die letzte Verteidigungslinie der Magie. Denn wir ergeben uns nicht wehrlos, wir kämpfen. Diese Mission, das Befreien Magischer aus dem Bunker, war erst der Anfang. Der Funke, der das Feuer entfacht. Aber es wird ein reinigendes Feuer sein. Schließ dich dem Untergrund an. Wir sind die Magischen. Gemeinsam schlagen wir den Feind in die Flucht, Bruder“, beendete der Halbelf seine Rede.
Lux betrachtete skeptisch das kunterbunt zusammengewürfelte Grüppchen. Matteo war über und über mit grünem Ruß beschmiert, an dem Golem hingen noch einige Holzsplitter. Anscheinend hatte er das Haupttor zerschmettert. Auf dem Kopf des Golems ruhte ein hellgoldener Phoenix, das einzige magische Wesen unter ihnen, das die Felsen derartig hätte beben lassen können. Der Kobold neben ihm war wahrscheinlich für die Konstruktion der Bombe verantwortlich. Selbst der unbedarfte Schatten hatte schon von dem Genius dieser knollennasigen Erfinder gehört. Einige Striemen in dem blassen Gesicht des rothaarigen Vampirs deuteten darauf hin, dass er sich wohl unter die Techniker gestürzt und für die Ablenkung gesorgt hatte.
Lux bezweifelte, dass diese selbsternannten Guerillas es mit einer Horde wütender Techniker aufnehmen könnten. Denn das würden restlos alle Techniker der Oberwelt sein, wenn sich herumsprach, was in dem Bunker von Sare geschehen war.
„Wir müssen verschwinden, bevor die übrigen Techniker rauskommen, Bruder“, wandte Matteo sich zum Gehen.
Lux hebelte Yorak in die Höhe und schaute auf die Festung zurück, die sich im grünen Schein des magischen Feuers deutlich vor den Felsen des Knochengebirges abhob. Dichte Rauchwolken hüllten das Gemäuer ein, das merklich in sich zusammengesackt war. Erstickte bis panische Schreie zerrissen die Stille der mondhellen Nacht.
„Dann ist es also Krieg“, dachte der junge Schatten und taumelte der Untergrundgruppe hinterher, einer ungewissen Zukunft entgegen.
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