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Seelenschatten (Gris)
Träge drehte sich ein blauer Planet im unendlichen, schwarzen Raum. Er bewegte sich in mehr oder weniger gleichmäßigen Kreisen um einen riesigen Feuerball. Seit den Anfängen seiner Existenz folgte er dieser unsichtbaren Kraft, die ihn zu diesem heißen Gefährten hinzog und gleichzeitig abstieß.
„War das Liebe?“, sinnierte der Planet über die Jahrmillionen hinweg.
In seinen Wassern brodelte bald das Leben, eine Atmosphäre bildete sich, Lava blubberte aus Schloten, es bildeten sich erste Inseln, Steinplatten verschoben sich, brachen auseinander, schoben sich ineinander und es entstanden erste Kontinente mitsamt Gebirgen.
Doch die Veränderungen auf seiner Oberfläche tangierten den blauen Planten wenig. Er wanderte, paralysiert von seinem brennenden Nachbarn, den Pfad seiner Erleuchtung. Nach einigen mehr Jahrmillionen Umkreisung in frischer Verliebtheit wandelte sich die gegenseitige Vertrautheit in eine Art gegenseitiges Ertragen. Sein feuriges Gegenüber bemängelte immer öfter seine schiefe Laufbahn und überhaupt war er viel zu oval. Auch der blaue Planet empfand nicht mehr die Bewunderung, wenn er das Flammenmeer betrachtete. Dem Gefühl war öde Leere gewichen. Während des letzten halben Jahrhunderts hörte sich der blaue Planet nun schnippische Bemerkungen über seinen „zu breiten Äquator“ an. Natürlich kommunizierten die Planeten nicht über akustische Signale, sondern durch fein abgestimmte Oberflächenveränderungen. So kräuselte sich die Oberfläche des Feuerplaneten besonders schnippisch. Der blaue Planet überlegte, sich im nächsten halben Jahrhundert oder besser noch im gesamten Jahrhundert dunkel zu bewölken und von der gelben Nervensäge zu trennen, als plötzlich drei winzige Kometen im schwarzen Raum erschienen. Sie kreuzten seine Laufbahn, sausten vorbei an dem Großen, Gelben und tauchten schließlich in seine Exosphäre ein. Der blaue Planet spürte, wie die Flammen der drei Planetenkinder durch seine Atmosphären züngelten. Er war derart gerührt über den unerwarteten Nachwuchs, dass er seinen Groll sofort vergaß. Von erneuter Schwärmerei ergriffen, umkreiste der blaue Planet den brennenden Feuerball voller Elan weitere Jahrmillionen. Nichts ahnend, was sich während dieser Zeit unter seiner Atmosphäre zutrug. Nachdem das Trio sich der Planetenoberfläche näherte, verlor das sie umgebende Feuer in dem eisigen Wind den Kampf und zum Vorschein kamen drei golden gefiederte Vögel. Ihre Flügel waren eng am Körper angelegt, so schossen sie dem urzeitlichen Meer entgegen. Sie passierten die Mesosphäre, stürzten durch die Stratoshäre und erreichten glühenden Schnabels die Troposphäre. Es folgten drei laute Klatscher. Ein Wal schnappte empört nach Luft. Helle Dampfwolken waberten zu ihm herüber. Er zwinkerte noch einmal und tauchte vorsichtshalber ab. Selbst unter Wasser schien er heute nicht in Sicherheit zu sein. Drei merkwürdige Fische schossen aus der Tiefe an seiner Nase vorbei, in Richtung Wasseroberfläche. Der Wal klickerte entrüstet. Je mehr sich die Fische den Sonnenstrahlen der Oberfläche näherten, desto heller glänzten ihre Schuppen. Die Fische sprangen kraftvoll durch die Wasseroberfläche und breiteten ihre weiten Flossen aus, meinte der Wal zu erkennen. Er staunte über die Fische, die durch Luft schwammen wie durch Wasser. Sie zogen immer weitere Kreise, bis sie für den Wal nur noch immer kleiner werdende Punkte waren.
„Hatte er nicht Besseres zu tun als unfreundlichen Artgenossen nachzustarren?“, ärgerte sich der Wal und bereitete sich auf einen erneuten Tauchgang in die Tiefsee vor.
In luftiger Höhe perlte das Meerwasser vom goldenen Gefieder der drei Vögel.
„Ah, es ist doch immer wieder schön eine entstehende Welt zu besuchen“, pfiff Einer und spreizte behaglich seine Schwanzfedern. Sein Gefieder war von einem besonders dunklem Gold.
„Wohl wahr, Lumis, wohl wahr“, trällerte der Vogel neben ihm.
Verschwörerisch schauten sie sich zu dem Nachzügler um. Der blassgoldene Phoenix schaute verträumt einer Echse nach, die auf einem Fels döste.
„Glaubst du, Gris ist schon soweit?“, nahm Omo das Gespräch wieder auf. Lumis zögerte.
„Es wird sich zeigen“, antwortete er schließlich.
Schweigend überflogen sie das rauhe Meer, ursprünglich bewachsene Küsten. Hier und da erregten grobe Felsen ihre Aufmerksamkeit.
Es zeigte sich nach einigen Weltumrundungen. Gris sank auf das Meer nieder und wartete bis Lumis und Omo ihm folgten. Einige Minuten später glitten die Drei durch tiefe Wellentäler.
„Bist du sicher, dass das der richtige Platz für dein Land ist?“, fragte Lumis.
„Dieser Ort hat mich gerufen. Er wünscht sich mehr Leben“, antwortete Gris.
„Wenn das so ist, solltest du ihm den Wunsch erfüllen“, flötete Omo und erhob sich in die Luft.
Lumis lächelte dem jungen Phoenix aufmunternd zu und folgte Omo. Ihre langen Schwanzfedern hinterließen goldene Kondensstreifen am Himmel.
Gris schaute den Beiden nach. Er wusste, dass sie später zurückkommen würden um sein Werk zu bestaunen. Genauso wie er wusste, dass sie beim ersten Eintauchen in dieses Meer einem riesigen Fisch begegnen würden. Die Zukunft war für ihn ein offenes Buch. Auch Lumis und Omo besaßen die hellseherische Gabe. Sie war dem Phoenix sozusagen angeboren. Deshalb beschloss Gris, sich besonders viel Mühe bei der Erschaffung seines ersten Landes zu geben und die Erwartungen von Lumis und Ommo zu übertreffen. Es gab wenig Überraschungen im Leben eines Phoenix und eine Ewigkeit vorhergesehener Ereignisse kann sehr lang werden. Die Schöpfung neuer Landstriche in Eigenregie bot dem Phoenix die Gelegenheit, seine Freunde und sich selbst mit gewagten Einfällen zu überraschen.
Gris schwang sich in die Luft. Er schlug kräftig mit seinen Flügeln, seine Schwanzfedern spreizte er zu einem Fächer. Er dehnte sich immer weiter aus. Sein Schatten warf den Umriss einer mittelgroßen Insel auf das Meer. Aus seinen Daunen rieselte Sternenstaub, vermengt mit Phoenixzauber. Gris wirkte wie ein schwebendes Korallenriff während der Algenblüte. Tausend silberne Körnchen fielen der dunklen See entgegen. Aus tausend funkelnden Teilchen wuchs sein Land hervor.
Es begann nicht wie gewöhnliche Inseln am Meeresgrund zu wachsen, sondern bildete eine schwimmende Landmasse auf der Meeresoberfläche. Ein Gebirge ragte in der Mitte der Insel empor, dahinter bildete sich ein Sumpf, Seenplatten und ein Fluß. Am Rand der Insel entstanden Wälder und ein ellenlanger Sandstrand. Vor dem Gebirgszug schlug silbernes Gras seine Wellen, ein kleiner Vulkan durfte auch nicht fehlen. Aber die Insel begnügte sich nicht damit, auf dem Wasser zu wachsen. Sie bildete einen Unterbau, einer Pfahlwurzel ähnlich und von Grotten zersetzt. So schwamm es sich viel leichter über See.
Gris schüttelte die letzten Körnchen aus seinem Gefieder und schrumpfte langsam auf Normalgröße zurück. Er setzte sich auf die höchste Spitze des Gebirges und betrachtete stolz sein Werk. Die frischgeborene Insel erstrahlte in den kräftigen Farben ungezügelter Natur. Doch etwas fehlte noch.
Die Samen. Ohne sie konnte selbst auf einer von einem Phoenix erschaffenen Welt keine Magie entstehen. Gris pickte unter seinen vorderen Brustfedern. Dort hatte er sieben Samen untergebracht, nahe beim Herzen. Sie lagerten nur umgeben von starken Gefühlen gut. Gris Federspitzen kribbelten vor Vorfreude. Lumis und Omo würden Augen machen, wenn sie die erste magische Insel aller Zeiten sehen würden. Er klemmte sich die sieben Samen zwischen seinen Schnabel und spürte die angenehme Wärme, die von den Samen ausging. Schwungvoll wirbelte er seinen Schnabel nach oben und warf die Samen in die Höhe. Sie hingen einen Moment schwerelos in der Luft und schienen sich von Gris zu verabschieden. Dann schossen sie in alle Himmelsrichtungen davon, an den für sie bestimmten Ort.
Einen kurzen Augenblick überzog perlmutener Schimmer die Insel.
„Jetzt ist dir Magie eingehaucht“, murmelte Gris. Er platzte fast vor Stolz. Er sah, dass da hinten schon Lumis und Omo im Anflug waren. Sie boten ihm dasselbe Bild, wie in seiner Vision. Lumis segelte einige Fluglängen vor dem pummeligen Omo, der angestrengt hinterher keuchte. Sie landeten rechts und links neben ihm auf der Bergspitze.
„Gris, ich bin beeindruckt“, flötete Lumis.
„Ist das Magie?“ Omo wendete sich hin und her und reckte seinen Kopf bis er fast vom Fels fiel.
„Ja, ich habe Etwas ausgesät.“ grinste Gris.
„Rück schon damit `raus, wie heißt das gute Stück?“, drängelte Omo.
„Oberwelt, soll der Teil über dem Meeresspiegel heißen und ,nun ja, der Teil darunter Unterwelt.“ Der junge Phoenix errötete leicht, als er die strengen Mienen seiner erfahrenen Begleiter bemerkte.
Kurzes Schweigen trat ein.
„Ihr hattet dieselbe Vision, oder?“, vermutete Gris.
„Ein Phoenix gleitet über ein Schlachtfeld dahin, magische und nichtmagische Wesen bekämpfen sich bis aufs Messer, es folgt ein greller Lichtblitz und dann Nichts“, rezitierte Lumis.
„Ja genau“, erwiderte Gris matt.
„Na schön es wussten doch sowieso alle. Wieso darüber reden?“, quiekte Omo.
„Weil eine Entscheidung getroffen werden muss.“
Aus Lumis Gesicht wich jede Milde.
„Es ist deine Schöpfung Gris. Also betrifft unsere Voraussage nur dich. Wenn du hier bleibst, wird das für dich irgendwann böse enden. So unglaublich das auch klingt“, folgerte er.
„Wenn ich auf ewig flüchte, wann lebe ich dann?“, raunte Gris.
Omo schaute Lumis verzweifelt an. Lumis verstand den jungen Phoenix. Er breitete seine Flügel aus und flog der schwerelosen Ewigkeit entgegen. Omo zögerte kurz.
„Mach `s gut, Kleiner“, zwitscherte er und stupste Gris spielerisch in die Seite. Dann erhob sich Omo plump in die Lüfte und schloss sich dem alten Phoenix an. Einige Steine lösten sich von der Spitze und kullerten dem Boden der Schlucht entgegen.
Gris tat einen tiefen Atemzug am ersten Tag seines Lebens. Eine Wolke in einer Form die Gris noch nie zuvor sah, zog an ihm vorbei. Er freute sich auf den Anfang, das Dazwischen und das Ende. Auf ein Leben.
Fin