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Serie Seelenschatten (Golem)

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07.10.2006
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Seelenschatten (Golem)

Seelenschatten (Golem)


Leises Hüsteln drang durch die Dunkelheit, irgendwo raschelte ein gestärkter Wollmantel. Die Geräusche prallten an der gewölbten Decke der Halle ab und flogen zurück zu einem schmächtigen Kerlchen, das in der Mitte der Halle vor einem klobigen Holztisch stand. Der Tisch war mit einer Plane abgedeckt. Einige Ausbeulungen unter der Plane ließen vermuten, dass sich darunter etwas Großes befand. Die Arena wurde rund herum von einer enormen Tribüne eingefasst. Ihre obersten Ränge verloren sich irgendwo in der Dunkelheit. Ein beliebter Platz von faulen Lehrmagiern, der aber nicht ohne Schokolade zu ertragen war. Denn die Höhenluft machte jedem Magier zu schaffen. Direkt über den Bänken befanden sich im Abstand von fünf Metern steinerne Landestege und die sechseckigen Eingänge. Von Außen betrachtet wirkte der Lehrsaal der magischen Gesellschaft wie ein riesiger, runder Turm, mit einem umgestülpten Trichter als Dach. Weit oben befanden sich die Anfluglöcher, die jetzt von schwarzen, eisenbeschlagenen Türen verschlossen waren. Die einzige Lichtquelle in der Halle war ein Sonnenstrahl, der durch die runde Öffnung der Decke schien.
Das schmächtige Kerlchen trat in das natürliche Spotlight und fühlte sich sichtlich unwohl.
Es strich nervös über seinen Rock. Konzentriert stierte es durch die Dunkelheit. Jeder Platz der Tribüne war besetzt. Dort unten, auf dem Sandboden der Arena, hatte das hagere Kerlchen den Eindruck von einer riesigen weißen Welle erschlagen zu werden. Unsicher senkte es seinen Kopf. Auf den vorderen Rängen erkannte es die griesgrämigen Gesichter der erfahrenen Magier. Sie galt es während der Werkprüfung zu überzeugen.
„Liebe Magier und Magierinnen, der Golem ist über Jahrhunderte hinweg der treue Diener des Menschen gewesen. Leider ist er wegen seiner Unfähigkeit eigenständig zu denken nicht für alle Aufgaben geeignet. Aber das wird sich jetzt ändern!“
Das Kerlchen setzte eine dramaturgische Pause.
„ Ich habe eine Formel entwickelt, die dem Golem das Denken jetzt ermöglicht!“
Der Schmächtling wedelte theatralisch mit den Armen und zog die Plane von dem großen Ding. Zum Vorschein kam ein wahrer Riese aus Lehm. Seinen Kopf zierten einige eingeritzte Locken. Würde nicht die Nase in seinem Gesicht fehlen, hätte man es durchaus als grob, aber menschlich bezeichnen können.
„ Nun liebe Magier und Magierinnen werde ich meine Theorie durch die Erschaffung eines selbständig denkenden Golems beweisen.“
Hektisch wuselte das Kerlchen um den Tisch herum und zog ein dünnes Pergamentblatt aus seiner Kitteltasche hervor. Das Blatt war bedeckt mit kryptischen Symbolen.
„ Ich werde jetzt die Formel in den Mund der Lehmfigur legen.“
Das Kerlchen schwenkte kurz die Formel durch die Luft und versenkte sie im Mund des Riesen, der auf dem Tisch lag.
„ Und sie so zum Leben erwecken.“, beendete es seine Ausführungen.
Eine Weile geschah nichts, eine sehr lange Weile. Die gesamte Magiergesellschaft starrte auf den reglosen Lehmkoloss, der unverändert still auf dem Tisch lag. Bis einer der erfahrenen Magier begann leise zu kichern, was sich schließlich zu einem schallendem Lachen steigerte. Die gespannte Erwartung Aller entlud sich in einem Gewitter aus lautem Gelächter.
Das schmächtige Kerlchen krümmte sich innerlich unter der Woge des Spottes, die über ihn hereinbrach. Nachdem der Sturm sich legte, wischte sich einer der erfahrenen Magier noch eine Träne aus dem Augenwinkel und sagte: „Lehrmagier Ibel du hast es nicht nur nicht geschafft einen Golem zu erwecken, du hast auch noch den Mund viel zu voll genommen. Du bist durchgefallen.“ Die alten Magier nickten grimmig, die Zipfel ihrer weißen Hüte wippten vergnügt auf und ab.
„ Aber bei der Probe hat es noch funk…“, begann Ibel zu stottern, wurde aber durch ein Schnaufen hinter seinem Rücken unterbrochen. Er drehte sich um und sah
drei Meter über sich zwei rot glühende Kulleraugen.
„Argl.“, keuchte Ibel erstaunt.
„Argl.“, wiederholte der Golem.
„ Oh nein, verdammt das wollte ich nicht.“, fluchte Ibel.
Ibel hörte von den obersten Plätzen vereinzelte Gluckser.
Unter Magiern war es bekannt, dass ein Golem das erste Wort seines Schöpfers als Rufnamen annehmen musste. Es war eine magische Gesetzmäßigkeit, die sich nicht umgehen ließ und Anlass für amüsante Geschichtchen und Witzeleien zwischen den Mitgliedern der Magiergesellschaft. Nicht selten erwachte ein Golem zum Leben und irritierte seinen Schöpfer dermaßen, dass ihm Ausrufe wie: „Ach du Schreck“, „Wah.“ oder „Es Lebt!“ aus dem Mund purzelten. Weil ein Golem ein sehr sensibles Gemüt hatte, schossen in Sare die Selbsthilfegruppen für schreckbenannte Golems wie Pilze aus dem Boden. Später sollte dem Golem Argl in einer der Gruppen drei Ohs und vier Ahs begegnen, aber das war eine andere Geschichte.
Im Moment sah sich Argl einem ernsthafteren Problem gegenüber. Er wusste nicht was er tun sollte. Er sah sich von lauter kleinen Wichten umringt. Sie trugen alle dieselbe Tracht. Einen langen weißen Kittel, der von einer roten, golddurchwirkten Kordel zusammengehalten wurde. Darunter lugte eine braune eng anliegende Hose hervor und Sandalen aus grünem, schuppigem Leder. Ihre Häupter bedeckte ein weißer Hut, an dessen Rand sich eine mehr oder weniger reich bestickte Borte befand. Ärmel und Saum des Kittels waren auf die gleiche Weise geschmückt.
Die Wichte schienen von ihm irgendetwas zu erwarten.
Argl beschloss, sich an den hageren Wicht, der direkt vor ihm stand, zu wenden. Schließlich war er sein Schöpfer, der wusste bestimmt was zu tun sei.
„ Schöpfer, sage mir, was ist meine Aufgabe.“, hallte seine dumpfe Stimme durch den Saal.
„Nichts weiter. Du bist mein gelungenes Experiment und das war` s.“, grinste Ibel.
Argl schaute den Lehrmagier verdutzt an.
„ Seht ihr, der Golem ist nicht explodiert. Das ist der Beweis.“, richtete er sich triumphierend an die Menge.
„Es ist allgemein bekannt, dass ein gemeiner Golem ohne Aufgabe sich selbst zerstört. Aber dieser hier nicht, denn er ist ein denkender Golem.“, führte Ibel aus.
„ Entschuldige, Schöpfer. Könntest du mir bitte sagen was ich jetzt tun soll?“, fragte Argl erneut. Sein zweiter Anlauf versetzte die Wichte in wahre Begeisterungsstürme. Sie sprangen von ihren Sitzen, applaudierten und pfiffen.
„ Du bist frei dahin zu gehen und das zu tun, was du willst.“, antwortete sein schmächtiger Schöpfer. Argl hatte Schwierigkeiten ihn über den tosenden Beifall hinweg zu verstehen, aber er verstand die Geste seiner ausladenden Arme umso besser.
Enttäuscht wandte sich Argl ab und schritt durch die Saalwand hinaus ins Freie. Dass er auch einen Teil der Tribüne zertrümmerte, bemerkte er gar nicht. Der Jubel der Magier übertönte die Entsetzensschreie der fast Zerquetschten. Er verfolgte ihn bis auf die Straße.
Argl hielt inne.
Ihm wurde bewusst, dass dieser Schritt seine erste eigene Entscheidung war für seinen Weg in eine ihm fremde Welt. Der Weg seines Lebens.

Fin

 

Hi A.Merg,
es bessert sich - die Geschichte hier ist kurz, aber flüssig. Ich finde sie witzig, wenn ich auch der Meinung bin, dass deine Magier zu schnell einlenken - nicht explodieren ist ja nicht gleich intelligent. Außerdem kann ich nicht glauben, dass sie so dumm sein sollten, einen möglicherweise intelligenten Golem in die Freiheit zu entlassen.
Am Anfang hast du ein paar schiefe Bezüge drin, den mit der Tribüne und der Schokolade zum Beispiel. Das klingt, als würden die Leute die Tribüne essen wollen. Mich stört auch so ein bisschen, dass du erst relativ spät eine Perspektive findest - sicher, das ist eine Grundproblematik, weil dein Protagonist am Anfang noch gar nicht da ist, aber diese Draufsicht ist nicht eben dazu geeignet, Interesse im Leser zu erwecken. Hier fände ich es witziger, wenn du aus der Perspektive deines Zauberlehrlings schreiben würdest, vor allem, weil der Leser dann ja seine Angst (zu versagen etc.) live mitbekommt. Ansonsten hab ich den Text aber gern gelesen.

gruß
vita
:bounce:

 

Hi vita,
das freut mich, dass es sich bessert:D

Der Sinn der Schokoladenbemerkung war eigentlich die Höhe der Tribüne nochmal zu unterstreichen. Weil Schokolade essen ja gegen die Höhenkrankheit (Übelkeit, Schwindel etc.) hilft.
Denkst du das sollte ich drin lassen oder ganz rausnehmen?

Was verstehst du unter Perspektive finden?
-In Bezug auf eine Kg kann ich damit jetzt gar nichts anfangen.
Aber ich versuche die Kg witziger zu machen und schreibe sie irgendwann nochmal aus der Sicht des Lehrlings ;)

Gruß
A.Merg

 

Hallo A.Merg,

Der Anfang ist sehr gut gelungen, das Ende fand ich aber zu schnell. Nachdem vorher ein paar witzige Einlagen waren, hätte ich mir auch ein witzigeres Ende erwartet.

Bezüglich Perspektive, finde ich auch, dass die Geschichte am besten aus der Sicht von Ibel erzählt werden soll.
Hinweis zur Perspektive:
Zuerst beschreibst du alles aus der Sicht des allwissenden Erzählers (auktorial)
Dann z.B:

Ibel hörte von den obersten Plätzen vereinzelte Gluckser.
wird die Geschichte aus Ibels Sicht erzählt, und zum Schluß aus der des Golems.
Das ist ein bißchen viel an Perspektivenwechseln in einer Kurzgeschichte. Ich glaube, es gibt da eine Regel, die sagt: Nur eine Perspektive- wenn man das durchbrechen will, dann muss es schon einen guten Grund geben


Der rauhe Stoff kratzte
Ich habe eine Formel entwickelt, die dem Golem das Denken jetzt ermöglicht
streichen

L.G.
Bernhard

 

Hallo Bernhard,
Danke, dass du meine Kg gelesen hast und für die hilfreiche Kritik.

Auktorial, das ist mal was Neues für mich. Muss ich mir unbedingt merken.

Du hast recht, ich neige generell zu häufigen Perspektivwechseln. Wahrscheinlich weil ich immer alle Ideen auf einmal in eine Kg quetschen möchte. Bei der nächsten Kg versuche ich mich auf eine Sichtweise zu beschränken.
-A.Merg dachte, dass das ein hartes Stück Arbeit werden würde.;)

Ich denke, wenn ich die Geschichte aus der Sicht von Ibel schreibe ist auch ein "langsameres" Ende besser drin. Vielleicht ist es sogar witzig. Lass dich mal überraschen.

L.G.
A.Merg

 

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