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- 08.01.2004
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Seelenfarben
Es gab Momente in ihrem Leben, da wollte sie die Wände in ihrem Zimmer rosa malen, rosa mit blauen Schmetterlingen. Manchmal hatte sie das Gefühl, als könnte sie das Licht spüren, auf den Strahlen der Sonne surfen, zu dem Flüstern des Windes tanzen. Und doch kam immer von irgendwo her ein Stoß, der sie die Augen öffnen ließ und sie blickte verloren in eine graue Welt.
Als sie ein Kind war träumte sie von Anerkennung, von Liebe durch ihre Mutter, immer wieder hatte sie konsequent gelernt, aufs Spielen verzichtet, damit ihre Mutter, deren Intelligenz keine Früchte tragen konnte, die selbst, bedingt durch die damalige Zeit, in der es für ein Mädchen keine berufliche Zukunft gab, ohne Beruf dastand, stolz auf sie sein konnte.
Aber dies traf nicht ein, ihre Leistungen wurden als selbstverständlich angesehen und oft, zu oft hörte die den Satz, dass man sich um sie keine Gedanken machen müsste.
Keine Gedanken.
Später war dieser Schmerz nicht mehr greifbar, konnte nicht an irgendetwas geknüpft werden, er war einfach da, genauso wie die Sehnsucht, die Sehnsucht nach Liebe.
Einer Liebe, die nicht nur körperlich war, die auch im Geiste stattfand. Sie wünschte sich so sehr jemanden, der ihr nah war, der die Welt mit ihren Augen sehen konnte, der genau wie sie den Wind erzählen hörte, der das Besondere in ihr sah, dem sie ihre Liebe schenken konnte.
Sie gab zu schnell, zu viel...
Nie hatte sie gelernt zu fordern, jeder Versuch aufzubegehren endete mit einer Niederlage.
Mit einer Narbe in ihrem Herzen, einem blauen Fleck auf ihrer Seele.
Sie lernte damit zu leben.
Sie lernte sich zu hassen.
Zog sich zurück in ihre Welt, freute sich auf die Nächte, im Reich ihrer Fantasie. Hier konnte sie den zarten Staub der Schmetterlinge fühlen. Umarmten Gedanken sie wie ein Tuch. Tanzte sie im goldenen Sonnenlicht. Der Regen erzählte ihr zarte Geschichten von fernen Ländern. Im Geiste diskutierte sie mit dem Meer, mal stürmisch, mal sanft.
Jedes Erwachen tat weh, schürte in ihr die Angst zu verlieren.
An einem warmen Sommertag ging sie am Strand spazieren. Ein anstrengender Arbeitstag lag hinter ihr, um so mehr genoss sie die hier nun allmählich einkehrende Ruhe, die Badegäste verließen den Strand um in einem der naheliegenden Restaurants zu Abend zu essen.
Sie hatte keinen Hunger, hungrig war nur ihre Seele. So öffnete sie den Haarknoten und ließ den Wind mit ihren Haaren spielen, tauchte mit den Füßen in das kühle Nass, sah der langsam untergehenden Sonne zu.
„Herrliche Farben.“
„Oh, ja“, antwortete sie ohne sich umzudrehen, „und jedes Mal anders.“
„Wie wir selbst“, nun sah sie zur Seite, erblickte einen alten Mann. Mit hochgekrempelten Hosen aus denen weiße dünne Beine hervorragten, einem Stock auf den er sich stützte stand er neben ihr im Wasser. Er hob leicht den Kopf und blinzelte ihr entgegen.
„Ja, ja“, schien er ihre nicht gestellte Frage beantworten zu wollen.
„Wir Menschen, sind auch voller Farben, und jeden Tag anders, mal gut gelaunt wie die goldene Sonne, mal bedrückt, geheimnisvoll wie das grüne Meer, mal entschlossen, mutig wie ein blauer Himmel.“
Sie lächelte, „So hab ich es noch nie gesehen.“
„Nein?“, er schüttelte leicht den Kopf, „als ich Sie hier stehen sah, konnte ich förmlich alle Farben in Ihnen spüren“, setzte er hinzu und ging fort.
Leicht erstaunt und doch fasziniert folgte sie ihm. Schweigend gingen sie eine Weile nebeneinander her, bis sie schließlich all ihren Mut zusammen nahm und hervor stieß,
„Sie konnten meine Farben spüren?“
Er nickte leicht, stützte sich beim Gehen auf seinen Stock und atmete schwer, abrupt blieb er stehen sah sie an, schien in ihrem Gesicht zu forschen.
„Was sehen Sie, wenn Sie mich sehen?“, fragte er sie unvermittelt.
Ohne lange zu überlegen antwortete sie
„Braun, ein warmes erdenverbundenes braun.“
„Aha, braun. Heute morgen war es wohl eher noch ein vulkanartiges rot.“
„Waren Sie wütend?“, unterbrach sie ihn.
„Natürlich, wütend auf meinen Körper, der nicht mehr so will wie ich, wütend auf die Erkenntnis alt zu werden, so viele Dinge nicht getan zu haben, doch jetzt bin ich wieder eins mit mir, deshalb braun.“
Sie schluckte und fragte sich heimlich welche Farbe er wohl in ihr sah. Langsam gingen sie weiter. Die Schaumkronen der Wellen kitzelten, wenn sie auf ihrer Haut zerplatzten, die Sonne war jetzt ganz verschwunden, kühle Dunkelheit nahm den Strand in Besitz.
„Für mich wird es Zeit, mich zu verabschieden“, meinte ihr Begleiter plötzlich und ergriff ihre Hand, „danke für den schönen Abend....... das Besondere macht vielen Menschen Angst, aber lassen Sie es zu ....., hassen Sie sich nicht.........“, mit diesen Worten ließ er sie stehen, verschwand in der Dunkelheit, der feuchte Sand verschluckte seine Schritte doch der Wind trug noch einmal seine Stimme zurück.
„Rosa, ich sah für Sie ein sehnsuchtsvolles zartes Rosa.“
©A.R.