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Seelendiebin

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31.07.2002
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Seelendiebin

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Ich weiß eigentlich nicht mehr, ob ich mich noch unter die Leute mischen darf. Wenn Sie erst erfahren, dass ich eine Mörderin bin, werden sie mich verachten. Sie alle, diese glubschäugigen Wesen, die mich ernüchternd anstarren, sind mir noch immer nicht gleichgültig. Und dabei war es gerade das, was ich mir wünschte. In der Gleichgültigkeit mein Zuhause finden. Charlene ist nie etwas gleichgültig gewesen.

Sie hielt mich an Fäden und stahl mir meine Gedanken. In meiner Fantasie ist Charlene eine Diebin. Sie stiehlt Seelen wie ein armes Bauernmädchen Äpfel vom Markt. Ich habe sie nie verstanden. Ich wollte sie auch nie verstehen.

Vielleicht gibt es sie, diese Gleichgültigkeit in mir, nach der ich mich so sehne. Ich möchte alleine sein, gar nichs mehr denken, und doch haften diese Erinnerungen an mir, und ich werde sie durch nichts los. Auch wenn ich dieses Haus, diese Gegend, dieses Land verließe, die Gleichgültigkeit wäre immer einen kleinen Schritt schneller.

Ach, gib es auf, es lohnt nicht, darüber nachzudenken. Aber wieso kann ich es nicht? Wieso kann ich nicht aufhören, mich an ihr Gesicht zu erinnern? Ich möchte mich nicht mehr an Ihren Duft erinnern, Rosen oder Veilchen, bei einer Toten macht es keinen Unterschied.
Ihre Haut ist kalt.
Wie der tote Mond mich anlächelt, ich traue ihm nicht. Genausowenig wie ich den Menschen trauen werde, die mich fragen werden, warum? Ich liebe dieses Wort, warum, es gibt kein einziges Wort, das mehr ausdrückt in den Momenten des Schmerzes. Charlene, hörst du mich, wenn du erwachst am jüngsten Tag, dann denke an dieses Wort und schreie es hinaus. Warum. So wie ich es tat, als du mich in die Irre geführt hattest.

Ich werde nicht mehr an dich denken, ich will es nicht. Ich werde neu beginnen, irgendwo. Ich werde zur Zauberin. Ich werde Liebe mir fangen mit einem Netz. Ich werde keine Motten mehr ins Licht locken, sondern Falter, die mich mit ihren pudrigen Flügeln erheitern. Ich trage noch immer den Mut des ersten Tages in mir. Ich werde deine Leiche, deine Augen, deine noch immer roten Lippen vergessen, diese Tür schließen und mich neu erfinden.
Du glaubst mir nicht, Charlene. Ich spüre deine toten Blicke. Du hast einen Geistkörper, der mir folgen will. Doch ich bin dir nicht länger untergeben, ich werde mich frei machen von allem. Ich meine, es ist an der Zeit für eine neue Version des altbekannten Liedes. Ich höre immer noch deine Stimme, glockengleich, rein, fast schwebend. Engel du . Verzeih mir meine Liebe, Charlene.

[ 02.08.2002, 15:52: Beitrag editiert von: Mondelfe ]

 

Hallo Mondelfe,
ein sehr prosaischer Text, der sehr schön die Zahlen 30 und 18 vereint.
Geradezu spielerisch umgarnst du den Tod und die Zahlen 30 und 18.

Wenn du dich über diese Zahlen wunderst, dann solltest du in einer gelangweilten Minute, so wie ich es gerade eben tat, deinen Text überprüfen und "ich" und "mich" zählen. So oft kamen die darin vor.

Gott sei Dank war der Text selber nicht langweilig, ich habe ihn dreimal gelesen und trotz der Anhäufung von "ich" und "mich" halte ich ihn für gut.

 

Hallo André,

danke für deinen Kommentar. Du hast genau das getroffen, was ich schon ahnte. Zu oft "Ich". Freue mich, dass er dir trotzdem gefallen hat.

 

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