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Seelen(t)raum
Einsam sitzt du an deinem ovalen Küchentisch. Den Kopf auf die Hände gestützt, ruhig atmend, die Augen feucht nach oben gerichtet. Deine Gedanken sind zum Greifen nahe und doch möchte ich sie nicht greifen.
Ich möchte sie nicht greifen, weil sie mir weh tun.
Wieso tust du das?
Das Haus ist leer. Kein Geräusch durchdringt deine Stille. Du bist es, die diese Stille provoziert; du bist es, die diese Stille erst so unerträglich macht.
Ich könnte schreien, deinen Namen rufen. Kein Ton von mir würde dich erreichen.
Weißt du, dass ich hier bin?
Oder ist das gerade der Grund, warum du mich aussperrst? Aussperren, ausgesperrt werden? Gefangen sein und doch die Macht haben, zu entscheiden auf welcher Seite man stehen will.
Ich trete zu dir, will dir in deine Augen schauen, aber sie verweigern mir den Eintritt. Ich schüttle dich an deinen Schultern. Du lässt dich nicht schütteln.
Jeden Tag das gleiche Bild, jeden Tag das gleiche Ritual. Ich kenne meine Aufgaben, kenne deine Reaktionen.
Werde ich heute wieder sterben müssen?
Ich will nur ein Wort hören, das dich erreicht. Möchte nur ein Zeichen von dir.
Ist es das?
Ich habe kaum noch Hoffnung. Wenn das letzte Licht meiner Hoffnung erloschen ist, so wirst du mit mir sterben.
Heute könnte es so weit sein. Heute könnten wir beide sterben.
Bist du bereit, um zu sterben?
Dein Blick berührt meine Augen; sie verschwimmen, drohen zu ertrinken. Wortlos erhebst du dich von deinem Stuhl und trittst zu dem Fenster. Du legst deine Hände auf der Fensterbank ab. Nur das Glas der Fensterscheibe trennt dich vom Regen auf der anderen Seite. Regentropfen prallen gegen diese, schreien leise auf, sterben und rinnen in einem Faden herunter.
Ich stehe hinter dir. Ich bin dir so nahe, dass du meinen Atem spüren müsstest. Dein Haar glänzt, du bist wunderschön. Und doch kann ich dich nicht ansehen, ohne leiden zu müssen.
Ich würde es tun.
Meine Arme legen sich sanft um dich; du lässt es geschehen.
Lässt du es geschehen, weil es dir gefällt, oder weil du glaubst, du würdest dich verletzen wenn du dich wehrst?
Schau, ich bin vorsichtig. Schau, ich kann dich ein wenig drücken, ohne, dass dir etwas passiert. Spürst du die Wärme?
Wollen wir es versuchen? Nur einmal?
Wir stehen an deinem Fenster, schauen dem Regen zu. Du zitterst. Ich halte dich fest in meinen Armen. Meinen Kopf habe ich auf deiner Schulter abgelegt. Die Haut meiner Wange berührt dein Gesicht. Wie zart es doch ist.
War es gerade ein Seufzer von dir, der an mein Ohr gedrungen ist? Meine Hände gleiten an deinen Armen herunter, legen sich auf deine Hände.
Du lässt es geschehen, dass meine Finger in sie gleiten können.
Nur ein kleines Stückchen.
So stehen wir da. Betrachten, wie die Regentropfen sich auf der Scheibe niederlassen und an ihr herunterrutschen. Ich meine den Wind im Haus hören zu können.
Eine kleine undichte Stelle im Mauerwerk?
Du rollst deine Finger und damit auch meine ineinander. Du führst meine Arme um dich herum. Willst, dass ich dich festhalte.
Kuschelst du dich an mich? Kannst du dir vertrauen und es gleichzeitig genießen?
Wir müssen diesen Schritt gehen!
Wenn ich dich dazu auffordere, wirst du dich mir entziehen. Wir könnten auch ewig so stehen bleiben und darauf hoffen, dass es sich niemals ändern wird.
Wären wir dann glücklich?
Du wirst dich gleich zu mir umdrehen, mir in die Augen schauen. Und ich werde sofort deine Gedanken, deine Gefühle verstehen können. Du wirst deine Augen schließen wollen, aber es wird nur eine Träne aus ihnen heraustreten und über deine Wange fließen. Du weißt und wirst es immer wissen, dass ich diese Träne niemals gehen lassen werde.
Ich werde dich loslassen müssen, um mit meinem Finger deine Träne aufzufangen. Ich werde dich dabei anlächeln...
und möchte mich nur dieses eine Mal zurücklächeln sehen...