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- 02.07.2001
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-sechsunddreissig-
Es regnet, goss wie aus vollen Kannen, gewissermassen. Und stuermisch war es auch und der Wind fegte Plastiktueten und braune Blaetter durch die Strassen, Fensterlaeden klapperten, irgendwo fiel eine Tuer laut ins Schloss, ein Klang, als koennte keine Macht der Welt sie je wieder oeffnen.
Herr P. hatte sich in einer engen Telefonzelle untergestellt und wartete. "Schlimmer wird es nimmer" murmelte er vor sich hin und tappte dabei rhythmisch mit seinem Fuss in die Pfuetze, die sich um um ihn gebildet hatte. "Schlimmer wird es nimmer" sagte er und ein greller Blitz erleuchtete den naechtlichen Himmel. Herr P. zaehlte: "Eins, zwei, drei, vier, fue...", da krachte auch schon der Donner. Ein dumpfes Grollen, Rollen, wie ein Kanonenlaut, dann ein Brechen, Bersten, ein langes Abklingen und wieder nur der Regen, der laut auf das Dach der Telefonzelle trommelte. "Schlimmer wird es ... immer". Herr P. versuchte sich zu erinnern, warum er eigentlich hier war. In dieser Stadt, in dieser Strasse, zu dieser Zeit. Katharina hatte ihn gebeten, zu kommen, sich ein letztes Mal mit ihr zu treffen, "die Dinge ein fuer alle mal zu klaeren", wie sie gesagt hatte. Das war nun bald drei Jahre her.
Am Anfang hatte er geglaubt, er haette sich in der Uhrzeit geirrt. Als er gegen drei an diesem Nachmittag im Juli am verabredeten Punkt ankam, war sie nicht da. Er hatte gewartet, bis zum Abend, dann war ihm eingefallen, dass er sich vielleicht im Tag geirrt hatte. So suchte er sich ein billiges Hotelzimmer, blieb die eine Nacht und stand am morgen wieder dort am Treffpunkt. Aber Katharina kam nicht. Niemand kam. Keine Nachricht von ihr. "Vielleicht", so ueberlegte er "vielleicht habe ich mich erneut im Tag geirrt?". Das letzte Gespraech mit ihr erschien ihm jetzt unheimlich lange her zu sein, ein verschwommener Traum, er erinnerte sich nur undeutlich an einzelne Worte, nicht daran, wie sie Datum und Uhrzeit gesagt hatte.
So blieb er eine weitere Nacht in der Stadt und dann noch eine und noch eine. "Vielleicht habe ich mich im Monat geirrt? Wer weiss?" Es wurde Winter und Herr P. brachte jeden Tag an dem Treffpunkt zu. Wenn er hungrig wurde, sprach er ein voruebergehendes Kind an, bat es, ihm etwas aus dem naheliegenden Kiosk zu holen, belohnte es mit reichlich Trinkgeld und war zufrieden, den Punkt der Verabredung fuer keinen Augenblick verlassen zu haben. Er trank wenig, um nicht allzu oft auf die Toilette zu muessen, kam in aller Fruehe, blieb bis spaet in die Nacht und hinterliess immer, bevor er ging, eine kurze Nachricht fuer Katharina: "Bis morgen!".
"Vielleicht", so ueberlegte er kurz vor Weihnachten "vielleicht habe ich mich im Jahr geirrt." Und weil er nun gar nichts mehr wusste, die Erinnerung voellig verschwommen und durcheinander war und ihm nur noch sein Versprechen, bei diesem letzten Treffen da zu sein ganz gegenwaertig war, blieb er. Ein Jahr, zwei Jahre, nun war es Mitte Maerz, das dritte Jahr fast rum, Herr P. wartete noch immer.
Erneut ein Blitz, der Donner gleich danach, Herr P. fuhr zusammen. "Und wenn sie nun nicht kommt?" Dieser Gedanke war vor ein paar Monaten aufgetaucht und hatte ihn sehr erschreckt. Kstharina war immer zuverlaessig, immer puenktlich gewesen. Und dann schien ihr doch wirklich was an diesem Treffen zu liegen! Immerhin hatte sie es doch vorgeschlagen. Davon war Harr P. ueberzeugt, auch wenn er sich nicht mehr richtig erinnern konnte, ob sie oder er es gewesen war, der zuerst das Gespraech auf ein letztes Treffen gebracht hatte.
Das Gespraech selbst hatte stattgefunden, das stand fuer ihn fest. Seltsamerweise konnte er sich nicht mehr erinnern, wie. Persoenlich? Am Telefon? Im Traum? Er sah ihr Gesicht, so blass, gestuetzt durch viele weisse Kissen. Dazu der Geruch und das grelle Krankenhauslicht. Sie hatte es in sein Ohr gefluestert. "Wirst Du da sein, mein Liebster?" hatte sie gesagt. Ganz deutlich, die Augen geschlossen. Er hatte es versprochen. Er wuerde da sein. "Da" - es war offensichtlich, was sie meinte. Diese Stadt, diese Strasse, hier waren sie sich immerhin zum ersten Mal begegnet. Dann hatte sie ihn ganz sanft auf die Wange gekuesst, er hatte sich verabschiedet - "Bis morgen!" - , war am naechsten Tag wieder gekommen und hatte von der Schwester erfahren, dass sie nicht mehr da war. "Wirst Du da sein", der Treffpunkt, Herr P. hatte sich auf den Weg gemacht.
Nun stand er hier, in der Telefonzelle auf die der Regen trommelte. Und dann wusste er es, ganz ploetzlich. Nach beinahe drei Jahren begriff er endlich. Erneut ein Blitz, der Donner schon etwas ferner. Herr P. oeffnete die Zellentuer, schaute kurz in den Himmel aus dem dicke kalte Regentropfen in sein Gesichr fielen und lief langsam in die Nacht hinaus.