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Schwimmen gehen

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26.07.2002
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Schwimmen gehen

Bestimmt war das Becken blau. Ich kann mich nicht mehr so genau erinnern.
Leuchtende blaue Kacheln.
Und groß.
Und tief.

Wir gehen immer am Morgen. Da sind noch nicht so viele Leute im Wasser.
Nur die älteren Damen aus dem Schwimmclub und einige kriegsversehrte Herren.
Und Mütter mit kleinen Kindern.
In der Schwimmtasche große, warme Handtücher. Mit roten Blumen in den Frottee gedruckt.
Kleine Hügelchen bilden sich auf meinen Armen und Beinen.
Schon beim Umziehen. Mit meiner Mutter in der engen Kabine.
Gänsehaut.
Ich bibbere in dem roten Badeanzug.
Dann durch die Dusche, es ist bitterkalt.
Es dauert, bis ich mich entschließe. Mit den Füßen schon auf der Treppe.
Millimeter für Millimeter steige ich tiefer.
„Du musst dich bewegen, komm schon!“
Erst schwimme ich mit den orangenen Flügelchen.
Bis mir etwas wärmer wird.
Ganz nahe am Rand, da wo die Startblöcke stehen. Mit den Nummern.
Unter mir kringeln sich die schwarzen Schlangen der Markierungslinien.
Wenn ich mich treiben lasse liegen sie still am Grund.
Dann nimmt mein Vater mich auf seinem Rücken.
Er schwimmt mit mir bis ganz nach hinten. Da wo es tief wird und dunkler. Da wo am Nachmittag die großen Jungs von den Türmen springen.
Auf der Rücktour verglitzert die Sonne das Wasser.
All die Perlen auf meiner Haut sind Silber.

Später noch ein paar Züge ohne die Flügelchen.
Fast kann ich das schon.
Wacker schlucke ich das Nass und halte mich hustend an der Oberfläche.
Ganz schön anstrengend.
Ich muss mich richtig konzentrieren um mit dem Arm- und Beinschlag nicht durcheinander zu kommen.
Trotzdem werden die Lippen wieder blau.

Das Schönste kommt immer zum Schluss.
Die Wärmehalle.
Langsam hört hier mein Zittern auf. In dem temperierten Raum, auf den Holzbänken.
Ich darf mich schon anziehen und vorher in die großen Handtücher kuscheln.
Mein Vater dreht draußen noch seine Bahnen. Wir sehen ihm durch die Fenster zu.
Bis ich wieder aufgewärmt bin.
Am nächsten Morgen werden wir wieder schwimmen gehen.

@Merlinwolf

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Merlinwolf!

Eine banale Situation, alltäglich, aber mit Deiner Art zu schreiben wird es wieder ein toller Text!
Der kurze, knappe Stil, manche wenige Details wie Perlen.
Das tägliche Schwimmen wird einem durch die Sicht des Kindes gut nahe gebracht.

Was ich faszinierend finde: Du schreibst mit keinem Wort eine Wertung, hat es Spass gemacht oder war es eine Qual, schreibst nur über die Kälte. Ich habe es überlegt, bin noch zu keinem Schluss gekommen, ich kann es so lesen oder so...

manche Bilder sind so schön, Merlin...

"Unter mir kringeln sich die schwarzen Schlangen der Markierungslinien."

"Auf der Rücktour verglitzert die Sonne das Wasser.
All die Perlen auf meiner Haut sind Silber"

und eine Kleinigkeit noch:

"Später noch ein paar Züge ohne die Ärmchen. " müsste, denke ich, Flügelchen heißen, oder?

liebe Grüße, Anne

ach ja... mein 400 bei dieser geschichte, merlinwolf, so toll ist sie!

 

hi merlin,
in einem punkt stimme ich mit anne überein, du hast einen guten schreibstil mit einigen wirklich schönen ausdrücken.
auch mir ist es aufgefallen, das mit der wertung. der prota soll ein kind sein, dafür gibt es textbezüge - trotzdem spricht das kind nicht wie ein kind. ein kind, das so emotionslos redet, ist entweder geistesgestört, das glaube ich in deiner geschichte aber nicht, weil dafür die notwendigen symbole fehlen, oder es hatte keine freude am badetag, das würde aber der folgende satz dementieren:

Das Schönste kommt immer zum Schluss.
mir gehen jetzt die argumente aus, so dass ich mir nicht sicher bin, welche intention deine geschichte hat. ich vermute, dass du dem leser einen kontrovers geben wolltest, ein kind als kleiner erwachsener, denn sonst wäre deine geschichte ja nicht mehr als ein schulaufsatz. dann ist aber der oben zitierte satz zu viel.
ansonsten ist die beobachtung sehr detailiert. ich habe eine kleine tochter im alter von deinem prota, die kleine friert auch fürchterlich in einem städtischen schwimmbad. die schwarzen bahnlinien schlängeln sich auch in ihrer welt, und am liebsten geht sie am ende ins warme babybecken :) *hach* *seufz*!
also, merlin, ich bin neugierig auf die auflösung *smile*.
bis dann
barde

 

Hallo Merlinwolf,

das Kind ist begierig darauf, sich in der Wärmehalle in die Handtücher zu kuscheln, den Vater von dort beim Schwimmen im dunklen, weil tiefen, Wasser zu beobachten. Es weiß, dass morgen wieder Schwimmen gegangen wird, aber auch die Wärme danach in dieser Halle wird wieder sein. Dieses Gefühl wird herbei gesehnt. Irre ich?

Kurz, prägnant, schön. Autor: Merlinwolf.

Liebe Grüße - Aqua

 

Servus Merlinwolf!

Eine kleine meisterhafte Kindheitserzählung. Beispiel, für so vieles, das wir unser ganzes Leben erfahren werden. Empfindungen die unweigerlich damit verbunden sind, wenn wir zurückdenken.

Ich hatte beim Lesen sehr schnell den Geruch von Chlor in der Nase. Die kringelnden schwarzen Schlangen der Markierungslinien unter dir, ließen sogar das wellende Wasser erkennen. Man schaut nach unten und sieht die eigenen Füße zerinnen. Viel Atmosphäre hast du da geschaffen.

Lieben Gruß an dich - Eva

 

Ja ich finde deinen Schreibstil wirklich beeindruckend. Er ist kurz und erzählt trotzdem alles. Du minimierst den Inhalt auf eine Winzigkeit, was ja die wahre Schwierigkeit beim Schreiben der Kurzgeschichten ist. Sicher war jeder schon mal in einer solchen Situation...
Gut aber was mich noch ein klein wenig stört ist die Folge, die dieser Tag auf das Kind hat. Sicher ist es gut geschildert, was das Kind dort fühlt aber probier mal noch einen kleinen Blick in die Zukunft zum Schluss zu wagen, denn einen 2. Teil dieser Geschichte wirst du ja nicht mehr rausbringen. Darum beende deine Geschichte mit einem Blick in die Zukunft, damit der Leser weiß in welche Richtung die Folge dieses Tages geht... auf Deutsch: "lass den Leser nicht ganz und gar im Dunkeln"
Aber sonst einfach fantastisch...

 

Liebe Leute, erstmal Dank an euch alle für das aufmerksame Lesen!
@ Maus - du hast recht, die "Ärmchen" müssen "Flügelchen" sein und ich habe mich sehr gefreut über deine lieben Worte
@ Barde - auch dir ein Dank für deine Worte, die Lösung liegt in der Erinnerung . Eine Wertung liegt in der beschriebenden Welt und in diesem einen Satz "Das Schönste kommt immer zum Schluß".
Anders kann ich es nicht sagen.
@ Aqua - ja, die warme Halle, mit ihren Bänken aus honigfarbendem Holz, vielleicht war ich drei oder vier Jahre alt. Danke*
@ schnee.eule - es freut mich, dass du das Chlor gerochen hast und das Wasser erkennen konntest, das ist es, was ich möchte, Bilder und Gerüche und Geräusche mit den Worten formen.
@ saschakahlfuss - wer weiß, ob es Teil 2 gibt, je mehr ich drüber nachdenke...
Aber ernst, einen Blick in die Zukunft kann es nicht geben, das würde meinen Stil brechen. Der Leser bleibt nicht im Dunkeln, er darf in der Realität dieser Worte verweilen und es selber weiterdenken.
Anders geht es bei mir nicht, zumindest in dieser Geschichte. Freu mich, dass du dir Gedanken gemacht hat über die Worte.
Ein frohes neues Schreibjahr wünsche ich
*********Merlinwolf************

 

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