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Schwibi Schwibodsons hinreißende Reise zur Rettung des Kani Hoppelson
Schwibi Schwibodson hinreißende Reise zur Rettung des Kani Hoppelson
40,7° Celsius. Das war der letzte Stand, den das Fieberthermometer lauthals piepsend verkündete. Kani Hoppelson, das zweieinachtel-jährige Riesenrammler-Zwergkaninchen-Mischlings-Weibchen, der zutiefst besorgten, dreizehn Jahre älteren Besitzerin Schwibi Schwibodson, lag danieder im kratzenden Stroh. Sein vom Stupsnäschen bis zum Hoppelhäschenschwänzchen geplagter Wuschelkörper glühte in beängstigender Weise. Einige Passanten hatten gar geschworen, ein rot pulsierendes Leuchten – gleich einer Alarmanlage – durch das grelle hellgelbe Fell schimmern gesehen zu haben.
Ein Zustand, den Schwibi nicht auf die leichte Schulter nahm. Auch nicht auf die schwere oder ein sonst wie geartetes Gelenk am oberen Armende. Vielmehr wurde in ihr ein unbändiger Wunsch und Wille nach Heilung groß, der förmlich über sie hinauswuchs. Dies bewirkte, dass sich ihr Schatten von da an stets 30 cm länger abbildete als es nach den Gesetzmäßigkeiten der Natur der Fall sein sollte. In ihren tiefbraunen Seelenfenstern war ein felsenfest entschlossener Geist zu erkennen, der ihre Pupillenränder beben ließ. Es stand fest, dass Kani Hoppelson, siebter Nachfahre des zwergwüchsigen Riesenrammlers Rambo Hoppel, Heilung erfahren musste, da ein vorzeitiges Ableben des kleinen Wonnebrockens das Herz der jungen Dame Schwibodson in unansehnliche Fetzen zerreißen würde.
So fragte sie zunächst ihren Bruder, Schwibo, was zu tun wäre, woraufhin dieser nur desinteressiert mit bereits erwähnten Gelenkpartien zuckte. Ahnungslos gab sich auch der alte Herr Schwibodson, der in fünfter Generation einen Rasenmähbetrieb leitete und insgeheim alle hasenartigen Geschöpfe als Geschäftskonkurrenz erachtete. Nach erfolglosen Anläufen stieß sie schließlich hinter einer zu selten geschnittenen Hecke mit dem merkwürdig buckligen Nachbarn Igor Igortzen zusammen. Mit einem grimmigen Wink befahl er ihr, ganz nah heran zu kommen, damit er ihr ein vermeintlich erschütterliches, aber gleichsam heilsames Geheimnis verraten konnte. Vorsichtig neigte sie ihren Kopf dicht vor seine verheißungsvollen Lippen. Igor nieste kanonenartig. Es folgte ein zweiminütiger Moment der Stille und ein Kampf der Blicke, bei dem der eine Anklagen hervor schmetterte und der andere durch nicht deutbares Augenzucken antwortete. Da dies nirgendwo hinführte, wiegelte Schwibi ab. Durch eine Geste ihres Zeigefingers bedeutete sie den Tattergreis, endlich mit seinem dunklen Wissen herauszurücken.
Drei Vesperbrote, ein angefangener Schokoriegel und eine Literflasche Milch wurden im Rucksack verstaut und für einen achtstündigen Marsch als ausreichender Proviant betrachtet. Die geradezu närrisch knapp bemessene Menge sollte später zur Hälfte von zwei heranrauschenden Raben vertilgt werden, doch ein solches Katastrophenszenario lag noch außerhalb der Vorstellungskraft Schwibis. Das verleitete sie zu sorglosem Verhalten, welches in lächerlichem Leichtsinn mündete. Querfeldein ging es los, Richtung Nord Nord-West, immer weiter fort von zu Haus. Der Alte hatte ihr Heilung für Kani in Aussicht gestellt, welche nur durch ein einzigartiges, von ihm entdecktes Serum herbeigeführt werden konnte. Drei Stationen lagen vor ihr, bei denen sie jeweils eine hoch seltene Zutat zu ergattern hatte.
Schwarz und grässlich verzerrt, von abscheulicher Architekturkunst gezeichnet und nachlässiger Instanthaltungsbemühungen gebeutelt ragte das in Schwibis erstem Eindruck Hexenhaus-artige Gebilde aus der Mitte morscher Obstbäume. Mit verstohlenem Blick lugte die in die Jahre gekommene Besitzerin aus einem glaslosen Fenster, an dem ein einzelner quietschender Fensterladen befestigt war. Die Frau im Haus wusste, Schwibi konnte sich nur wegen ihrem hochkonzentrierten Sieben-Siebotson-Apfel-Elixir in diese unliebsame Gegend gewagt haben. Ohne große Umschweife blökte sie der jungen Besucherin also entgegen: „SIEBEN ÄPFEL MUSST DU PFLÜCKEN, UM DICH ALS WÜRDIG ZU ERWEISEN!“
Schwibis Blick wanderte über ihre rechte Schulter zu einem wie ein überdimensionaler Dreizack aus dem Boden ragenden Apfelbaum, in dessen letzten Wipfeln kleine, giftgrün strahlende Früchte hingen. In schwindelerregender Höhe war bei einem Sturz der Tod gewiss, wäre nur ein Fußtritt oder Handgriff unachtsam ausgeführt. Schwibi stand wie angewurzelt und zitternd vor dem furchteinflößenden Monstrum. Ein Hauch von Abschied lag in ihren Augen, als sie sich nochmals der runzligen Hausbewohnerin zuwandte. Sie hielt einen Moment inne… dann bot sie der Alten als Alternativdeal den angefangenen Schokoriegel an. Die Alte willigte ein.
Zermartert von der sengenden Mittagshitze schleppte sich Schwibi auf das große Feld der tausend Weizenhalme. Hier forderte sie die zweite Zutat ein: eine Prise des Sechs-Kammer-Halm-Mehls. Mittig auf dem Feld schwang der Eigentümer der Ländereien, Berthold Bärlauchson, eine todbringende Sense. Von einem Bauern erwartete Schwibi weitere körperliche Höchstarbeit im Austausch für das meist unter der Hand gehandelte Spezialmehl. Doch zu ihrer Überraschung pflegte dieser hochgewachsene Mann mit der aufgequollenen Knollennase ein Faible für tiefgründige Rätsel. Nachdem Schwibi ihr Anliegen kommuniziert hatte, trug er ihr ein solches auf, um an das gewünschte Pflanzenpulver zu gelangen: „Wer hat ein leben Lang sein Kreuz zu tragen, ein amputiertes Bein und kann trotzdem der kleinsten Fliege was zu Leide tun?“
Unsere kleine Heldin grübelte und grübelte. Zwar lag die Antwort eine mit einer Krähe in einen Kampf geratene, siebenbeinige Kreuzspinne direkt auf der Hand, doch die Hitze hatte Schwibi dermaßen zugesetzt, dass sie im Inneren ihres Kopfes nur noch ein wummerndes Flimmern wahrnahm. Sie öffnete mit verängstigtem Blick den Mund und begann: „Ähm… darf ich die Belohnung mal sehen? Ich möchte sicher gehen…“ Berthold kramte in einer Tasche und zog einen Beutel mit fei…SCHWIBI RANNTE WIE DER WIND. Mit einem dem alten Sack entrissenen Beutel in der Hand und einem schadenfrohen Grinsen über das ganze Gesicht.
Es dämmerte bereits als Schwibi am Wegrand vor dem Turm der Verdammnis stand. Viele waren hineingegangen, aber alle wieder herausgekommen. Schließlich war der Turm nur zwei Meter fünfzig hoch und beherbergte klägliche 17 Treppenstufen im Inneren. Dies tat jedoch alles rein gar nichts zur Sache, die Schwibbl di Doo – wie sie später im Volksmund liebevoll genannt wurde – verfolgte. Aber genau gegenüber vom Turm der Verdammnis lag der See der Erleuchtung. Ein hyperaktiver, ziegenbarttragender Tagedieb namens Tuni Tunixon jagte dort einer Horde von Glühwürmchen nach.
Glühwürmchenextrakt, das im Dunkeln leuchtete. Das war die letzte zu ergatternde Zutat. Der tagediebische Tunichtgut verfügte über diese Zutat in großer Fülle. Sie war für ihn lebenswichtig, denn er fand nachts vom See, an dem er all seine Tage verbrachte, nicht mehr durch den finsteren Wald zurück zu seinem Häuschen. Also sammelte er eine gehörige Portion in Gläsern, die er lichtspendend auf dem Heimweg vor sich hielt. Außer ihm kannte jedoch keiner das Geheimnis der Extraktion des wundersamen Serums. 250 Glühwürmchen forderte der nichtsnutzige Sonderling von dem Mädchen; im Austausch gegen einen Tropfen Extrakt. Ein aussichtloses Unterfangen. Also entschloss sich Schwibi auf andere Weise Licht ins Dunkel im Leben des Tuni Tunixon zu bringen. Auf die Nachfrage, warum er die ganzen Glühwürmchen denn brauche, schilderte dieser ihr nämlich das Problem, woraufhin sie ihm wiederum zum Kauf einer Taschenlampe riet. Tuni hatte zuvor nie etwas von diesen eigenartigen Geräten gehört, da er aufgrund seiner tagesfüllenden Aufgaben des am See Seins und des Glühwürmchenfangens keine Zeit für Schulbildung oder jegliche andere Aktivitäten gehabt hatte; seit seinem Lebensbeginn. Von der Idee Schwibis sichtlich angetan und hellauf begeistert strahlte Tunixon wie eins seiner unzähligen gefangenen Tierchen. Ein ganzes Fläschchen des umworbenen Tropfens wanderte daraufhin in den Besitz der kleinen Wandersfrau.
Sorgenvolle Gedanken plagten Schwibi auf dem Heimweg, den sie in doppeltem Tempo beschritt. Sie wusste ja um die ernste Situation Kanis und so beschleunigte sie ihren Gang von Minute zu Minute. In den frühen Morgenstunden erreichte sie völlig entkräftet das traute Heim. In hastiger Eile vermischte sie alle Zutaten, zerstampfte sie und fügte – wie ihr aufgetragen – einen Schuss Milch hinzu. Die Rettung nahte. Nur noch wenige Minuten und sie würde ihren Kani wieder in die Arme schließen und wie immer viel zu fest drücken können. Rasch füllte sie das Gemisch in eine Pipette und hastete nach draußen. Auf den letzten Meter schwebte Schwibi geradezu dem schwindelgeplagten Häschen entgegen. Es war noch nicht zu spät. Kani lebte. Sofort führte sie die Pipette an sein Schnäuzchen und tröpfelte einige Tropfen des Heiltranks in seinen Rachen. Kani war auf der Stelle tot. Hinter dem Gartenzaun stand der Bucklige, der die Szenerie bestaunt hatte und winkte wie wild mit fröhlichster Miene.