Mitglied
- Beitritt
- 08.09.2002
- Beiträge
- 9
Schweineeimer
Wir haben die ganze Nacht darüber geredet.
Ich würde gern sagen, wir hätten die ganze Nacht darüber geredet.
Wäre ein guter Anfang, ist aber nur eine weitere billige Lüge, ein weiterer kläglicher Versuch, Klischees zu erfüllen. Ich habe niemanden, mit dem ich reden könnte.
Was ich dann gemacht habe?
Gesoffen. Früher hat das geholfen.
Mit der Nüchternheit kam dann auch der Moment der Klarheit, der Erleuchtung, vieles wurde mit einem Schlag klar.
Es funktioniert nicht mehr.
Es bleibt nur Leere, vielleicht sogar noch mehr Leere als davor.
Das Problem?
Kann man nicht sagen.
Moment, das ist bullshit, noch eine verdammte Bequemlichkeitslüge.
Ich kann es nicht sagen, jemand anderes sicherlich.
„Einfach eine elende Leere“ ist alles, was mir zu dem Thema einfällt.
Die Freunde? Könnte sein.
Mit den Jungs treff ich mich ziemlich oft, aber kann man die Freunde nennen?
Nein, höchstens Kumpels. Eher noch Saufkameraden.
Vielleicht waren sie mal Freunde, bin mir nicht sicher, auch nicht darüber, wann sich das geändert hat.
Eines Tages traf man sich halt nicht mehr zum Reden, sondern einfach so, das Interesse aneinander ließ nach, das Interesse an den Beschäftigungen stieg. Man konnte sich nicht mehr einfach so treffen, man musste bereits wissen, was wir tun würden. Und dann trafen wir uns nur noch, um uns zuzuknallen.
Freunde sind sie jedenfalls nicht mehr. Wir haben nichts gemein.
Nur den Wohnort, das in etwaige Alter und die daraus erwachsenden, Nein, daraus eiternde Tristesse.
Mit ihnen über mich reden wäre Mist, sie könnten mich nicht verstehen, wie gesagt, uns verbindet nichts außer dem Hass, und das ist keine Grundlage.
Die Liebe? Haha, sehr witzig, du Arschloch, schau weniger fern.
Welche Liebe? Ohne jetzt noch mehr Klischees zu bedienen, die Liebe meiner Erzeuger ist es nicht, und das
wäre die einzige, die mir nach Naturrecht zustehen würde.
Ich bin unliebbar. Nicht liebenswert. Weiß ich auch schon etwas länger, bisher ging es mir total am Arsch vorbei, warum sollte es also jetzt ein Problem sein?
Das Leben? Ich schätze, es wird wärmer.
So warm wie ein Haufen Scheiße nun mal ist, denn genau das ist meine Existenz. Ein Haufen Scheiße, durch Willkür oder Zufall auf die Straße geknallt, ohne dass jemand darum gebeten hätte. Ich zumindest nicht, und die Erzeuger auch nicht, immerhin daraus wurde nie ein großer Hehl gemacht.
Aber was war zuerst da? Der Haufen Kacke oder das, was ihn zu der von keiner Seite gewollten Ansammlung Dreck gemacht hat?
Eben.
Das Problem liegt demnach tiefer, wo auch immer. .
Ich kann es nicht greifen, nicht in Worte fassen, was mich dann auch noch meines verdammtes Rechtes auf Mitleid beraubt.
Mich und meine Leere kann jeder mit einem dämlichen Spruch abfertigen, irgendwas wie „Wird schon wieder werden“, Gleichgültigkeit als gerechte Strafe für selbstgebastelte Problemchen, die ja eh nur ein verzweifelter Schrei nach Aufmerksamkeit von einem vernachlässigten Einzelkind sind.
Das pisst mich an Typen wie dem Pianisten am meisten an: der Wichser hat den Freischein für Trauer gekriegt, als seine Mutter krepiert ist, er wird nie von den Arschlöchern angelabert, was denn mit ihm los sei.
Mir muss die Sonne hingegen aus dem Arsch scheinen, und das 24 Stunden 7 Tage in der Woche, denn „eigentlich geht es dir doch gut“. Mich fragt jeder „Wieso tust du dir das an?“, heuchelt für einen Moment Interesse, nur um dann zu beweisen dass die Frage nur deshalb gestellt wurde, weil der Steller es sonst am Gewissen kriegt. Alles bloße Fassade, und wenn man dann anfängt über die Probleme zu reden, in der naiven Hoffnung, endlich jemanden gefunden zu haben, der versteht, wird entweder die Gute Laune-Missionierung ausgepackt oder es ist auf einmal keine Zeit mehr da.
Aber auf diese dauergrinsenden Wichser scheiße ich.
Ist aber auch eigentlich egal, es ist schon fast 4, höchste Zeit, diese ganzen wirren Mist zu verschieben und sich die Birne zuzuknallen.
Ich bin grade auf dem Weg zum Getränkemarkt als ich meinen Namen gebrüllt höre.
Ich drehe mich um und da steht der Pianist und grinst wie ein Vollidiot und ruft meinen Namen noch mal. Ich kann es nicht leiden wenn jemand so viel mit Namen rumschmeißen muss.
Ich meine, was zum Geier hat so ein Name schon zu bedeuten. Die Typen, die bei der Verhütung gepfuscht haben und einen somit in die Realität gerotzt haben, hatten davor den Film gesehen oder das Buch gelesen und einen nach dem Schauspieler mit der blödesten Frisur benannt oder, noch beknackter, sich einen dieser Namenskataloge besorgt und dann mit verbundenen Augen den Namen ausgependelt, der jetzt auf dem Geburtenschein und dem Ausweis steht. Keine sonderlich große Affäre, und nun wirklich nichts, was mehr als die Tinte wert ist, mit der der Name geschrieben wird.
Über das Wesen eines Menschen sagt er jedenfalls nichts aus. Deshalb habe ich sie mir abgewöhnt.
Der Pianist beispielsweise spielt scheinbar gut Klavier, so ne Art Wunderkind, außerdem ist er die exakte Ausgeburt all dessen, was ich mit Klavierspielern assoziiere, also ist er für mich der Pianist. Was auf seinem Ausweis steht könnte mir egaler gar nicht sein.
„Was gibt’s?“ frage ich ihn.
„Keine Ahnung, wollt dich grad anrufen...“
„Ich bin nie daheim, wie oft muss ich’s dir noch sagen?“ Er ist recht sensibel und ich genieße es an schlechten Tagen, ihn und seine verkackte Mimosen-Künstler-Seele zu kränken.
Er zögert kurz, entschuldigt sich mit verdrossenem Gesicht und fragt dann, was heut Abend so steigt.
Man muss vielleicht dazu sagen, dass er noch nicht so lange in dem Kaff wohnt und das Konzept hinter dem, was die anderen Jungs und ich tun, noch nicht ganz umrissen hat. Er glaubt immer noch, dass wir das machen um cool zu sein oder aus Spaß, was viel fälscher gar nicht sein könnte.
„Wir besaufen uns, schaun mal, ob wir irgendwo ein wenig Ärger auftreiben können, gehen alle nach Hause und kotzen morgen über die Schultische.“ erkläre ich ihm also und bereue es sofort.
Er grinst als wäre das lustig gewesen und nuschelt ein nichtssagendes „Oh Mann“ in die Gegend, gefolgt von einem „Cool, ich bin dabei.“
Das Gespräch fängt an mich zu frustrieren, also drehe ich dem Pianisten den Rücken zu und geh in den Getränkemarkt, wo ich 10 Dosen Bier kaufe und 2 Flaschen Schnaps klaue.
Ich hocke auf der Bank, schaukle ein wenig vor und zurück und nippe an meinem siebten, Nein, achten, oder war es doch erst das sechst—ach, egal, ich nippe an nem Bier, drücke de Kerl neben mir, dem Stotterer, die zweite Pulle Vodka in die Hand und frage dann den Pickligen nach den Slammern.
Der grinst, wie er es immer tut auf diese Frage, holt den Teq raus und fragt, wer dabei ist. Natürlich alle, außer dem Pianisten.
Also stehe ich auf, was nicht so leicht ist wie ich das in Erinnerung hatte, greif mir den Teq, nehme einen ordentlichen Schluck, behalte ihn im Mund, schütte Bitter Lemon nach und stelle mich auf Position.
Ich warte bis alle haben, halte drei Finger hoch, genauso alle anderen, und zähle langsam nach unten. Und bei 0 haut jeder seinem rechtem Nebenmann so hart in die Fresse wie er kann.
Ich habe den Pickligen links von mir, eine gute Wahl, der Typ kann schlagen wie kein Zweiter, die Faust jagt meine Oberlippe gegen die Zähne, der Geschmack von Blut mischt sich mit dem des Teqs und ich schaffe es gerade noch zu schlucken bevor meine recht Backe gegen den Asphalt klatscht und ein feuchtes Geräusch macht.
Ich sehe nach rechts und kriege grad noch mit, wie der Sammler einen Zahn auf den Boden spuckt, ihn aufhebt, in seine Brusttasche packt und mir zufrieden grinsend die rechte Hand entgegenstreckt.
„Donnerwetter, heute war da ja echte Leidenschaft dahinter.“ Sagt er, reibt sich die Backe und zieht mich hoch.
„Und jetzt in die Kneipe“ meint der Säufer und macht sich auf den Weg, ohne auf uns zu warten.
Ich hasse Kneipen aus tiefstem Herzen.
Der Geruch allein macht mich krank, die Wärme, die einem im Winter entgegenströmt, das weit hinaus schallende Gelächter die Musik, die immer zu laut oder zu leise ist, die unfähigen und patzigen Bedienungen...aber das schlimmste, der für meinen Hass ausschlaggebende Faktor, sind die Leute in Kneipen.
Kleine Jungs, die Bier eigentlich nicht leiden können, aber trotzdem ein paar trinken, um cool zu sein, nur um dann unter die Bank zu kotzen und plötzlich gar nicht mehr cool zu sein.
Kleine Mädchen mit 3 Kilo Schminke und knallengen Hosen, die die besoffenen Pickelfressen beeindrucken wollen, indem sie Ultra Lights rauchen und zwar so, als ob sie vorm Spiegel geübt hätten.
Die Gangs und harten Jungs. Saufen nur Tequila, lachen weniger, rauchen mehr, haben nen Blick direkt aus den Bogart-Filmen und zetteln auch mal ne Schlägerei an, ein paar von ihnen haben wohl auch ne Vorstrafe.
Besoffene Wichser in meinem Alter, die sich schmutzige Witzchen erzählen und über Fußball diskutieren.
Und natürlich die Alten: einsam und versoffen, meinen, in Leuten wie mir ihre Nachfolger gefunden zu haben, die sie dann mit ihren punktlosen Geschichtchen volllabern können.
Wenn ich das alles so sehr hasse, wieso geh ich dann rein?
Frag ich mich des öfteren. Ich schätze, es hat mit der Geselligkeit zu tun, im Schein der billigen Neonlampen, an einen klebrigen Tisch gedrängt und 5 Bier intus fühle ich manchmal ein tiefes Gefühl der Zusammengehörigkeit mit den andern. Ein schönes Gefühl, auch wenn ich weiß, dass es nicht halten wird.
Und es ist eine Art Garantie, dass ich nicht wieder alleine mit einer Pulle Vodka durch die Dunkelheit ziehe und mir all zu schmerzlich klar wird, wie scheiß unerfüllt ich doch bin, dass ich eigentlich genau so gut sterben könnte.
Frag mich manchmal, wieso ich es damals nicht einfach zu Ende gebracht habe, als nicht mehr viel gefehlt hätte. Schätze es war die vermeintliche Einsicht, dass sich aus dem Leben doch noch etwas machen ließe und man es nicht so einfach wegschmeißen sollte. Klang damals richtig, mit einem Blick auf meinen jetzigen Zustand scheint es schon fast sarkastisch, auf jeden Fall falsch.
Also, die erste Runde, dazu gibt es Mist Labern im Staffelsystem. Erst erzählt der Säufer von irgendwas, das keinen interessiert, dann macht der Snob weiter, dann der Stotterer. Ich halte die Fresse und schütte alle paar Minuten weiter Bier in mich hinein.
Dann hol ich mir nen Whiskey, kipp den runter, die ewige Litanei des irrelevanten Small-talks geht weiter.
Ich höre nicht mehr zu, bin zu sehr mit anderem beschäftigt, bis ich sie sehe.
Hab keine Ahnung wie sie heißt, hab nie viel mit ihr geredet und sie hält mich im besten Fall für diese Version von „verrückt“, die dauerbesoffen und „lustig drauf“ heißt, und im schlechtesten Fall für nen totalen Psychopathen.
In gewisser Weise ist sie das einzige, was meinen Tag aufhellt, aber nur ein klein wenig. Als ich sie das erste mal sah war da tatsächlich dieses besondere Gefühl, keine Ahnung, was es war.
An dem Tag kurvte ich mit dem Snob durch die Gegend, auf seinem Roller, auf dem Weg zu irgendwas eben, hatte wahrscheinlich damit zu tun, sich zuzudröhnen, jedenfalls saß ich hinten drauf, dachte wahrscheinlich an gar nichts, starrte die Leute an, wie sie an mir vorbeischossen, ein paar erwiderten den Blick, ein paar nicht.
Und dann hab ich sie gesehen, und irgend etwas in mir regte sich, irgendwo zwischen einem schmerzhaftem Stich und einer warmen Umarmung, und ich wusste, in ein paar Sekunden würde sie auch an mir vorbeijagen, aus meinem Leben raus, und ich würde sie wahrscheinlich nie wiedersehen.
Ist nichts so, als ob ich damals viel zu verlieren gehabt hätte.
Scheiße, ist nicht so, dass sich das inzwischen geändert hätte.
Also bin ich gesprungen.
Für den Bruchteil einer Sekunde bin ich geflogen, die Schwerkraft außer Kraft. Nichts was mich hielt, nichts, auf dem ich stand, vollkommen kontaktlos. Oder zumindest fast. Ihr Gesicht hab ich nicht aus den Augen gelassen, und ich glaube, oder bilde es mir jetzt, in diesem Moment zumindest, ein, dass sie den Blick erwiderte.
Dann kam die Landung. Ich klatschte auf den Boden, alles überschlug sich, drehte sich, ich hörte den Helm krachen als er auf den Asphalt aufschlug, alles wie durch Kissen. Dann lag ich still.
Kein Schmerz, nicht mal einen Deut davon, und auch keinerlei Interesse daran, wie mein Körper aussah.
Ich bin aufgestanden so gut es ging, mein rechtes Bein hielt nicht richtig, aber es war mir egal. Sie war nur noch ein paar Schritte entfernt, und ich humpelte auf sie zu, fummelte mir dabei am Hemd rum und versuchte, mir eine Kippe aus der Brusttasche zu ziehen. Drei Anläufe.
Dann stand ich auch schon vor ihr, ihr Gesichtsausdruck enttäuschte mich zwar, das übliche Gemisch aus Erstaunen und Schreck, aber ihre Augen...es jetzt zu beschreiben würde nichts bringen, belassen wir es dabei, dass sie verdammt schön waren.
„Alles okay?“ hat sie wohl gefragt, aber das merkte ich erst eine halbe Ewigkeit später.
„Hallo...hast du zufällig Feuer?“ war meine Frage, auch nicht wirklich besser.
Was danach passiert ist, weiß ich nicht mehr, ich bin wohl ohnmächtig geworden, erst ein paar Stunden später wieder aufgewacht, mit ein paar großen Pflastern im Gesicht und einer Schiene am Bein. Der Säufer ist irgendeine Art von Lehrling beim Arzt.
Seitdem habe ich sie ein paar mal gesehen, aber sie nie mich.
Übrigens kein Wunder, als geborene Erfüllung des Durchschnitts falle ich keinem Menschen dieser Welt in einer Menge auf.
Ein Gutes haben Erinnerungen, sie halten einen den entscheidenden Schritt von der Realität fern: ich habe den größten Teil des Selbstmitleidmonologs des Schönen verpasst, obwohl er scheinbar für mich bestimmt war. Bei derartigen Oden falle ich oft in eine Automatik, höre eigentlich nicht zu, nicke aber an den richtigen Stellen.
Autopilot.
Von den letzten paar gelallten Sätzen kann ich erraten, dass es wohl darum ging, wie sehr er unter seinem Aussehen leidet. Der Typ ist direkt aus der Werbung geklaut, komplett mit wallenden schwarzen Haaren, Waschbrettbauch und der Sorte Fresse, die immer arrogant aussieht und nach der sich 9 von 10 Frauen auf der Straße umdrehen.
Und das stört ihn, macht ihn richtig fertig.
Niemand sieht sein Inneres, lallt er, und keiner versteht ihn, alle unterschätzen ihn nur, da wäre so viel mehr hinter der Hülle, eine tiefgründige, sensible Seele, all der Scheiß.
„Ich bin kurz pissen.“ ist alles, was mir dazu einfällt, dann noch „Aber deine Probleme möchte ich haben.“, wahrscheinlich nicht das netteste und verständnisvollste, was ich im Repertoire hätte, aber scheiß drauf, all die Nettigkeit und all das Verständnis haben mich zu dem Loser gemacht, der ich bin.
Nach den ersten paar Schritten Richtung Klo muss ich feststellen, dass der Alk immer schneller wirkt, die Schritte jetzt schon leicht unbeholfen sind. Scheiß drauf, habe mich vor niemandem zu rechtfertigen.
Ich komme an ihrem Tisch vorbei, und kann einfach nicht anders, als ihre Augen anzustarren. Sie fesseln mich. Irgendwas an ihnen macht mich glauben, dass sich darin all die Dinge verstecken, nach denen ich mich sehne, die mich zum kompletten Menschen machen würden.
Dann erst merke ich, dass sie mich bemerkt hat, mein Starren bemerkt hat, und sie sieht auf und sie lächelt, zumindest glaube ich, ein Lächeln zu sehen als ich durch die Tür Richtung Klo gehe, grade noch so im Augenwinkel.
Ohne mein Zutun fängt mein Gesicht an zu grinsen, und in meinem Magen breitet sich eine komische Wärme aus. Die 3 Meter bis zur Klotür bin ich zufrieden, Nein, froh, aber dann trete ich durch sie und ein Blick in den Spiegel bringt mich auf den Boden zurück.
„Red dir nix ein.“ gibt mein Spiegelbild mir einen Rat.
Nicht dass ich unsagbar hässlich wäre, aber eben da fängt es schon wieder an: Durchschnitt. Hässlichkeit wird oft auch mit Faszination verbunden, eine Fresse wie meine, oder wie die von Millionen anderen, zieht nicht an und stößt nicht ab, eine ganz simple Unattraktivität, schätze ich mal.
Dauert einen Moment bis mir klar wird dass ich mich selbst angaffe. Das passiert mir verdammt oft, und nicht aus Eitelkeit. Nein, mein Gesicht scheint sich mit jedem Blick ein wenig zu verändern, es gibt Tage, da halte ich mich fast für schön, und es gibt Tage, da halte ich mich fast für hässlich. Aber im Ende bleibt es immer bei absolutem Mittelmaß.
Also pisse ich, wasch mir die Hände, flüstere meinem Spiegelbild „Versager“ zu und gehe zurück.
Die Zeit vergeht. Der Alk sickert ein, die natürliche Auslese oder was auch immer geht ihre Wege, indem sie ein paar der Wichser an meinem Tisch kotzen lässt, und ein paar wanken heim.
So ist es immer, und immer sind der Säufer und ich die letzten beiden.
„Noch einen?“ fragt er, ich schüttle fürs erste den Kopf, irgendwann ist auch mein Appetit gedeckt.
„Bin noch mal pissen, schätz ich.“ sage ich und stehe auf, die Schritte sind nicht direkt sauber und mein Magen pumpt.
Bin fast bei der Tür angelangt als mir ich mich frage, ob sie noch da ist, drehe mich also um, da sitzt sie wirklich noch, ich starre wieder, vielleicht, bitte bitte, dreht sie sich noch mal um, aber Nein, ihre Augen bleiben auf die andere an ihrem Tisch gerichtet, komm schon, ich könnte sie ansprechen, warum eigentlich ni
Irgendwas knallt mir voll ins Gesicht, kann mich nicht halten, klatsche gegen die Wand.
Bevor ich weiß, was los ist, ist einer über mir, dauert ne Sekunde, dann erkenn ich den Gewinner. Arschteure Klamotten, das Haar sieht, wie immer, so aus, als wären nicht nur er sondern auch die halbe Armee seiner uniformen Kumpel gründlich reingekommen, die Fresse ein Bericht von „Immer Glück gehabt“.
Er kuckt in meine Richtung, geht die zwei Schritte zu mir und sagt „Hey sorry, alles okay?“
Und ich blicke in diese Fresse, die alles ist was ich nie sein werde, Erfolg, Popularität, Schönheit, Kacke, wahrscheinlich auch noch besondere Intelligenz, und sieh da, er ist sogar nett zu kleinen Tieren und Losern wie mir, und in mir explodiert ein irrsinniger Hass und ich vergesse vollständig, dass ich kotzen wollte und hau ihm mit aller Kraft voll in die Fresse.
Das bloße Geräusch, ein wenig feucht und auch, als ob man einen Tisch tritt, zaubert ein Grinsen auf mein Gesicht während ich ihn zurücktaumeln sehe, die Hände vors oh so dreckkackeschöne Gesicht gehalten, und ich hoffe, dass ich irgendwas kaputt gemacht habe, und am liebsten würde ich aufstehen und ihm einen echt filmreifen Tritt nachgeben, direkt auf die wohlgeformte Nase oder auch das sicher großzügig bemesse Gehänge, aber ich komm noch nicht mal auf die Beine, zu besoffen, und dann knallt der Fuß seines Kumpels gegen meine Brust und ich krieg keine Luft mehr und dann kotz ich doch, direkt über die sauteuer aussehenden Lederschuhe des Arschlochs und auch über seine modisch state-of-the-art-Hose und wenn ich jetzt lachen könnte, dann wäre es das schönste Lachen, zu dem ich dieses Leben fähig wäre, aber keine Luft, und dann knallt mir irgendwas gegens Kinn und ich seh noch den Säufer anlaufen und dann bin ich kurz weg.
Können nur 2 Minuten gewesen sein oder so, ich steh wieder, der Säufer und der Gewinner halten mich, glaub ich, und ich hör die Stimme des Gewinners, und der Wichser versucht wirklich, Jesus und Gandhi in einem zu sein. „Hey, Mann alles wieder in Ordnung. Tut mir echt leid wegen der Tür, hab dich einfach nich gesehen...lass uns den Scheiß einfach vergessen, ich zahl dir noch n Bier und dann is die Sache begraben, okay?“
Ich dreh meinen Kopf in seine Richtung und der blöde Arsch hat nicht mal richtig Nasenbluten, nur seine Stirn sieht ein wenig rot aus und auf die Lippe hat er sich wohl gebissen, aber das ist einfach nicht genug, und ich hau seinen Arm von meiner Schulter weg und schubs ihn und brüll „Fick dich, du dummes Arschloch. Du hast alles und ich, ich, was hab ich, hä, du blöder Wichser? Du kannst mich mal mit deinem Bier und deiner scheiß Freundlichkeit, du verkackter Wichser.“ und dann hol ich noch mal aus und ziel auf seine Nase, irgend einer Trophäe brauch ich heute noch, und ich mein Arm fliegt auf ihn zu und ich seh ihn noch den seinen hochnehmen und
„Kacke, was geht mit dir?“ Der Säufer. Frische Luft, bisschen kalt.
„Ich mein, ich weiß dass du nich ganz dicht bist und einen hängen haste auch, aber scheiße, was hat er dir denn getan. Ich kenn ihn noch vom Kindergarten, er is echt ganz okay.“
„Leck mich.“ Die linke Seite meiner Fresse fühl sich irgendwie taub an und meine Lippe ist feucht.
„Deine Antwort auf alles, hä? Fick dich doch, ich hab heut keinen Bock mehr auf diene Scheiße!“ Er geht ein paar Schritte, greif dann in seinen Rucksack und wirft mir zwei Dosen Bier vor die Füße. „hier, brauchst ja noch was zu tun heut...aber heb dir eins vielleicht für morgen auf.“ Er geht und ich schmeiß ihm die eine Dose nach, treff natürlich nicht, sie knallt irgendwo auf die Straße.
„Scheiße.“ sag ich, bin wohl irgendwo vor der Kneipe, und ich könnte für nen Moment heulen. Dann steh ich auf und les die Dose von der Straße auf, hat ne Beule, hält aber noch.