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schwarzweiß
schwarzweiß
von M. Glass
Mama streitet sich schon wieder mit Papa. Es hört nicht auf. Der Streit dauert, schwillt ab und entflammt erneut. Es hat keinen Sinn mehr. Mama will weg und zwar mit mir. Mein Wille ist nicht von Bedeutung und so verlassen wir Papa und ziehen nach Regensburg, einer Metropole im Vergleich zu Sumpfing, meinem bisherigem Wohnort, der nur um die fünfzig Bewohner hatte.
Sumpfing war ein wirklich kleiner Ort mit einigen Häusern. Sie alle waren nicht aufwendig gestaltet und sie hatten alle weiße Wände, die Ziegeln auf den Dächern waren stets rot. Die Bauern hatten selbstverständlich Scheunen und nur das Dach vom alten Sepp schien grün, da sich das Moos auf den Ziegeln absetzte. Es war ruhig und jeder kannte jeden und ich genoss es immer, Bertha und Tante Emilia im Morgengrauen ein GUTEN MORGEN zuzurufen, immer wenn ich zum Schulbus ging. Sogar den Busfahrer konnte ich für mich gewinnen. Zuletzt hat er extra für mich einen Sitzplatz in der ersten Reihe frei gehalten. Rudi war immer nett, ich mochte ihn.
Der Übertritt vom Kindergarten in die Grundschule war nicht schlimm. Man musste etwas mehr lernen, aber das war es dann auch. Fritz, Herman, Michael und Johanna kamen auch aus Sumpfing und noch weitere Kinder waren mir bekannt. Es war immer lustig und wir haben in den Pausen immer Himmel und Hölle gespielt.
Doch dann, eines Tages stürmt Mama in mein Klassenzimmer. Sie schlägt die blasse Holztür auf, blickt auf die weiße Wand, die von unseren Zeichnungen teilweise verdeckt war und packt mich am Arm. Ich wurde all den bleichen Gesichtern entrissen. Nach kurzer Absprache mit dem Lehrer, zerrte sie mich aus dem Raum und schleppte mich weiter bis ins Auto.
Dort hielt sie einen kurzen Moment inne, bis sie dann ihren Kopf aufs Lenkrad fallen ließ und in Tränen ausbrach. Als ich unsicher nachfragen wollte, was denn los sei, schrie sie mich an, ich solle doch meinen Mund halten. Anschließend sind wir losgefahren und wir haben erst wieder angehalten als wir in unserer neuen Bleibe waren. Ich habe die ganze Fahrt über aufs Klo gemusst, da ich es gewohnt war kurz nach dem dritten Gong der Toilette einen Besuch abzustatten. Ich habe mich jedoch nicht getraut, Mama zum Anhalten zu zwingen.
Ich habe oft geweint und wenn ich nicht geweint habe, dann habe ich zugesehen, wie Mama geweint hat. WENIGSTENS MUSS ICH NICHT IN DIE SCHULE, habe ich mir gedacht. Es war ein kleiner Trost, der nutzlos war im Bezug auf all das Schlechte was mir widerfahren war. Ich verlor all meine Freunde, konnte nicht mehr mit meinen Spielsachen spielen, konnte nicht mehr in das Fußballtraining am Freitag Abend gehen, konnte meinen Vater nicht mehr sehen, konnte mein Zimmer nicht mehr betreten, konnte Oma und Opa nicht mehr besuchen. Es war sehr schlimm.
Als wir dann aus dem Hotel Forstheim in unsere neue Wohnung, wenn man das so nennen kann, eingezogen sind, habe ich erst die Veränderungen bemerkt. Die Straßen waren voller Autos, es gab Häuser, die die Wolken berühren konnte, es gab Mengen von Menschen die auf den Straßen hin und her eilten, es gab so vieles was ich vorher noch nie gesehen hatte. Ich hatte Angst.
Mama musste arbeiten, weil Papa nicht zahlen wollte. Ich war oft allein. Früher war Mama immer für mich da. Jetzt muss sie häufig Überstunden machen und sich in die neue Stelle einarbeiten. Das war der Grund, warum ich das erste Mal alleine zur Schule gehen musste. Es gab keine netten Damen, denen man ein GUTEN MORGEN entgegen rufen konnte, kein Rudi, nicht einmal einen Bus, der auf mich wartete. Ich war verloren.
Und da kam er. Der Junge, den sie Neger nannten. Er war stets gut gekleidet gewesen in den letzten drei Wochen, als ich die neue Schule besuchte. Wäre er etwas anders gewesen, hätte man seinen Stil richtig gut gefunden. Aber er war anders. Er hatte schwarzes Haar und seine Augen waren schwarz, doch was noch viel schlimmer war: Er war schwarz. Sein Gesicht, seine Arme, sein Bauch, seine Füße. Alles an ihm war schwarz. Ich habe es im Sportunterricht selbst gesehen. Ich konnte es kaum glauben.
Er blickte mich traurig an. Mit gesenktem Kopf ging er die Straße entlang und stieg eine Treppe empor. Er sprang in einen Zug und ich habe es ihm nachgemacht. Er bemerkte wohl, dass ich ihn verfolgte, doch es schien ihn nicht weiter zu stören. Es war bestimmt nicht das Schlimmste, was ihn zugestoßen ist in der letzten Zeit.
Er wurde jeden Tag verprügelt von den harten Jungs, wie sie sich zu nennen pflegten. Sie nahmen ihm immer das Pausenbrot weg und hin und wieder musste er einen Schein herausrücken. So konnte er sich ein paar Hiebe ersparen. Er sitzt im Klassenzimmer ganz allein. Keiner will sich neben ihn setzten. Keiner will sein Freund sein. Er hat schwarze Hautfarbe. Das lehnten alle ab, für mich war es einfach nur fremd. Zuvor habe ich dunkelhäutige Menschen nur im Fernseher gesehen. Wenn sich ihm einer zuwendet, dann nur, um ihn eben als Neger, Nigger, Blackie oder Dreckiger zu beschimpfen.
Ich wollte auf keinen Fall mit ihm tauschen und das tat ich auch nicht. Ich habe ihn dann schließlich ersetzt.
Oftmals musste ich mir selbst etwas zu essen machen, weil Mama in der Arbeit war. Manchmal kam ich erst sehr spät heim, weil ich den Zug verpasste und dann habe ich mich mit meiner Mutter gestritten. Ich habe selten gelernt. Ich habe um ehrlich zu sein, fast nie irgendetwas gelernt und das hat sich bis auf eine einzige Ausnahme in allen Fächern gezeigt. Nur in Mathe konnte mir keiner etwas vormachen. Das konnte ich einfach. Ich war ein Naturtalent.
Mama betonte sehr oft, wie arm wir doch wären, wie schlecht es uns ginge und ich habe es zuerst gar nicht wahr genommen, doch als ich nicht die neusten Spiele bekam, wie all die anderen, die neusten Handys, wie all die anderen, die neusten Klamotten, wie all die anderen, da habe ich es dann bemerkt. Sehr schnell lachte man über meine schlechten Noten und über meinen Gammellook, wie sie meine Bekleidung nannten. Ich wollte oftmals gar nicht erst in die Schule gehen und später musste ich mir dann sehr viele fiese Schimpfwörter und Beleidigungen gefallen lassen. Es war nicht schön. Der Schwarze stellte von nun an kein lustiges Opfer mehr dar und so war ich die Zielscheibe der Klasse.
Doch eines Tages da sprach mich der schwarze Junge auf einmal an. ICH BIN ÜBRIGENS NOGABI. Ich erwartete irgendeine böswillige Äußerung, aber stattdessen hat er mich gefragt, ob ich ihn doch in Mathe helfen könne.
Nach dem immer noch schrecklichen Schultag brachte mich Nogabi mit zu sich. Angekommen, erwartete mich eine edle Vorstadtvilla mit einem sehr gepflegtem Garten und eben noch weitere schwarze Gesichter. Zuerst hatte ich ein wenig Angst, doch diese Angst wurde mir schnell genommen, als ich das leckere Essen von Frau Tendai verputze. Wir schlenderten in sein Zimmer, das größer war als unsere jetzige Wohnung. Ich erklärte ihm geduldig den Sachverhalt, den er nicht verstand und danach zeigte er mir so einiges.
Er präsentierte mir sein neues iPhone, seinen neuen PC und was er noch so alles hatte. Sein Zimmer glich einem Schlaraffenland für mich und als könnte er meine Gedanken lesen, fragte er mich, ob ich nicht etwas haben wolle, da ich ja so arm sei. Der Spruch ließ mich erst etwas zornig werden und ich reagierte ablehnend. Ich wollte doch nicht zugeben, dass ich arm bin. Doch dann fiel mir doch so einiges ein. Er gab mir ein paar alte Hemden. Auch wenn sie alt waren, waren sie die dann die schönsten, die ich je hatte. Frau Tendai guckte etwas erstaunt, als ich dann mit den ganzen Wertsachen aus ihrem Haus herausspazierte, doch ein Blick zu ihrem Sohn genügte und sie wusste, dass es in Ordnung war.
Wir wurden Freunde. Nicht nur Freunde, die sich hin und wieder treffen, um Mädchen aufzureißen oder ins Kino zu gehen. Nein. Wir lernten zusammen und wir aßen zusammen. Wir verbrachten eigentlich unsere ganze Zeit gemeinsam. Doch der springende Punkt war eine Gemeinsamkeit, die uns zusammen schweißte. Sowohl er als auch ich wurden gehänselt, beschimpft, beleidigt, gemobbt.
Doch nachdem sich unsere Freundschaft festigte und ich meine Noten wieder auf Vordermann brachte und nebenbei mit schönen Klamotten glänzte, wurden die Gesichter meiner Mitschüler lang. Kamen sie nun auf die Idee Nogabi zu ärgern, so habe ich sie davon abhalten können, indem ich als Weißer für einen Farbigen sprach. Kamen sie nun auf die Idee mich zu ärgern, so hat Nogabi sie davon abhalten können, indem er als Reicher für einen Armen sprach.