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Schwarzmagier
Schwarzmagier (2. Version)
Der Abenteurer war auf der Suche nach Gold, nach Schätzen aus vergessener Zeit. Nachdem er immer tiefer in die Katakomben hinabgestiegen war, gelangte er schließlich in einen engen und kühlen, aber trockenen Raum. Darin befand sich ein grob gezimmerter Tisch, der offensichtlich schon seit Jahrhunderten da stand und wie durch ein Wunder noch nicht zu Staub zerfallen war. Auf dem Tisch lagen verschiedene Utensilien, darunter ein bereits zerfallendes Pergament. Auf diesem stand, in einer seltsam fremdartig anmutenden und dennoch regelmäßigen Handschrift, folgendes geschrieben:
In der Nacht kommen die Kreaturen wieder: die dunklen Schatten meines eigenen Geistes. Sie kommen aus ihren Löchern, aus ihrer Welt im Inneren meiner Welt. Sie saugen die Finsternis in sich auf, doch sie schwindet dadurch nicht, sondern wird nur soviel dichter als zuvor. Ich gehe durch diese Finsternis und kann die Kreaturen sehen. Sie sehen mich auch, aber sie nähern sich mir nicht, nein: sie warten, bis ich von selbst zu ihnen komme. Ich bin keiner von ihnen, aber doch beinahe schon von ihrer Art.
Weit von hier entfernt, an einem geheimen Ort, brennt in einem Glaskolben ein blaues Feuer der Magie. Dieses Feuer habe ich entzündet, ein uralter Zauberspruch liegt darauf. Solange dieses Licht brennt, werde auch ich existieren. Werde ich vernichtet, erlischt das Licht, und wird das Licht gelöscht, sterbe ich. Dann gehe ich dahin, wo ich schon vor Jahrhunderten hätte sein sollen, wenn ich der Natur ein Mitspracherecht gelassen hätte. Doch die Natur ist etwas, über dem ich jetzt stehe.
Außer mir kann niemand die Kreaturen sehen, und das ist gut so. Sie sind eine Gefahr, das ist richtig, aber noch viel gefährlicher ist der Mensch für sie. Was nützen ihnen ihre schattenhaften Kräfte gegen die Waffen der Menschen? Es ist ein elendes Leben, das sie führen, immer am Rande des Wahnsinns, unter dem Deckmantel der Finsternis, und am Tage in den Tiefen der Erde. Wenn ich wollte, könnte ich ein Gott für sie sein, sie befehligen, die absolute Kontrolle über sie erlangen. Aber das ist nicht mein Ziel.
Mein Ziel ist es, meine Heimat zu finden. Nicht das Haus in dem ich jahrelang gelebt habe, bevor ich mich entschloß, herumzuziehen. Auch nicht den Ort, an dem ich geboren bin. Nein, was ich suche, ist meine wahre Heimat des Geistes, ein in sich verschlossener Ort, wo meine Seele ruhen kann. Ein Ort der Finsternis, soviel weiß ich schon. Und doch ist es ein Ort, an den diese jämmerlichen Schattendämonen niemals gehen können, denn eine Seele haben sie nicht.
Vielleicht ist meine Suche ohne Sinn, denn ich kann nicht mit Bestimmtheit sagen, ob ich so etwas wie eine Seele besitze. Vielleicht ist meine Rastlosigkeit nur eine Flucht in unbegründete Hoffnungen. Vielleicht ist die ewige Suche nach dem Ruhepol das einzige, was die Flamme am Brennen hält. Vielleicht...
...gehe ich eines Tages hin, hebe den Glaskolben hoch und blase das Licht aus, und plötzlich finde ich den Ort, der sich mir bisher so hartnäckig entzogen hat.
Nachdem der Abenteurer diese Worte gelesen hatte, fand er keine Ruhe mehr, denn all das, wonach er zuvor gesucht hatte, erschien ihm plötzlich ohne Wert. Was nützten ihm Gold und Edelsteine, wenn er doch eines Tages den Weg alles Sterblichen gehen müßte? Der Ausweg schien greifbar: hatte der Schwarzmagier doch einen Weg gefunden, sich den Klauen des Todes zu entziehen. Diesen Weg, so schwor sich der Abenteurer, wollte er ebenfalls beschreiten. Und wenn der Preis dafür war, das er den Schattendämonen entgegentreten solle, wohlan, dann würde er ihnen trotzen!
Er beschloß, nach dem geheimen Ort und dem magischen Feuer zu suchen. Er folgte verschiedenen Hinweisen, las regalweise Bücher über Magie. Er durchsuchte ruhelos hunderte von Burgen, Ruinen und Katakomben. Er suchte viele Wochen, Monate, Jahre lang danach. Und schließlich erhielt er den Lohn für seine Hartnäckigkeit. Keine Ruine, nein, eine natürliche Höhle barg das Geheimnis der Unsterblichkeit. Die uralte Flamme brannte noch immer in ihrem gläsernen Gefängnis.
Er wußte, was zu tun war, und war vorbereitet. Er hob den Glaszylinder an, und entließ die Flamme in die Freiheit. Er nährte sie mit dem, wovon solches Feuer zehrt, bis sie sich teilte. In einem eigens dazu mitgebrachten Glasgefäß fing er die neu entstandene zweite Flamme ein, ebenso die erste. Seitdem brennen zwei magische Feuer in diesem unterirdischen Dom aus Stein, die Lebenslichter zweier Schwarzmagier.