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Schwarzer Diamant
Prolog
„Dunkelheit, Sog des Vergessens, oh wie ich mich nach dir verzehre.“
Ein Lichtstrahl, blutrot von einer alten Sonne, berührt weiße Haut, glatt und scheinbar alterslos.
Wüste. Weit und unendlich. Tod. Allgegenwärtig. Ein Turm. Pfeiler im Nirgendwo. Symbol der Macht.
Sein Blick überschweift diese Leere. Keine Gefühle. Keine Regung seines fremden, kalten und starren Gesichts.
So oft war es geschehen. - Der alte Schmerz. – Ein Zucken des schmalen Mundes. Zuviel. Keine Resignation, keine Trauer konnten seine Gedanken mehr durchfluten. Die Ewigkeit hatte er, nein es, sich einst gewünscht und erhalten. Äonen von Zeitaltern des Lernens und Erfahrens folgten und vergingen so schnell.
Licht spiegelt sich auf schwarzem Diamant. – Bilder einer fernen Epoche blitzen auf und versuchen vergeblich eine alte Seele zu berühren.
Kapitel 1
Fenstervorhänge aus blauem Stoff bewegen sich in einer leichten Brise sanft hin und her. Zwei braune Augen folgen ihrem zufälligen Rhythmus und finden Gefallen an diesem simplen Vorgang.
Es ist später Morgen. Der elektronische Wecker auf dem kleinen Holznachttisch neben dem Bett zeigt einige Zahlen an, welcher ohne Beachtung eines intelligenten Blickes lautlos eine weitere Minute an die alte Zeit anreiht.
Sanft auftretende Schritte auf weichem Teppich sind zu vernehmen, die sich nach einem kurzen Moment des Verharrens aus dem kleinen Raum bewegen.
Auf dem Baum vor dem Fenster hat sich ein kleiner Vogel niedergelassen. Er putzt noch sein Gefieder, schielt dabei aber auf etwas äußerst Schmackhaftes. Er hat auf seinem Vorbeiflug eine kleine Made entdeckt, welche sich in einer noch ziemlich grünen Birne eingenistet, und nun zum ersten Mal in ihrem bisher noch so kurzen Leben die Schale durchbohrt hat.
In den letzten Wochen schaffte es dieses winzige Wesen sich ein kleines Tunnellabyrinth in der Frucht anzulegen, die nun, lang und verwunden nach langem Kauen und Bohren, besonders schmackhafte Regionen des Obstes miteinander verbanden.
Aber nun fand eine Veränderung in der kleinen Kreatur statt. Sie fühlte nur einen Drang, zwingend und unerbittlich, der sie nach draußen lockte, dazu verführte, ihre feuchten und sicheren Gänge zu verlassen, um etwas außerhalb der vertrauten Heimat zu tun. Etwas, dessen Sinn sich ihrem kaum vorhanden Bewusstsein bisher verschloss. Bestimmung.
Leises Wasserrauschen ist aus dem kleinen Haus, in dessen verwildertem Garten sich der Birnenbaum mit der bewohnten Frucht befindet, zu vernehmen.
Der Vogel dreht sich kurz zu dem nur angelehnten Fenster um, aus dem das Geräusch kam. Keine Gefahr. Das Ziel ist antaxiert. Er nähert sich mit kurzen schnellen Hüpfern seiner Beute.
Schritte auf weichem Teppich. Der Vorhang wird fast lautlos zur Seite gezogen. Der Vogel, auf dessen Brust ein Sonnenstrahl für einen Moment rote Federn zum Glühen bringt, spürt den Blick nicht, der nun auf ihm ruht.
>Bestimmung<, jubiliert ein Madeninstinkt und vergeht im selben Moment. >Hunger<, fordert ein Vogelhirn und verschlingt den Wurm. >Natur<, schlussfolgert ein junger Mann und wendet sich ab.
* * * * * * *
Es ist ein schöner Morgen. Ein dünner Wolkenfetzen schwächt für einen Moment die Sonne als er nach draußen tritt. Ein normaler Tag, wie fast alle in den letzten acht Jahren seines Lebens. Er blickt sich kurz um. Sein groß gewachsener Kater hatte sich, kurz nach dem er die Tür öffnete, durch seine Beine gedrängt und sitzt nun auf der niedrigen Backsteinmauer, die eine kleine Terrasse um den Vordereingang seines Hauses umschließt. Ein zartes Rotkelchen unter ihm am Boden hat nach einem kurzen Moment die volle Aufmerksamkeit des domestizierten Jägers in Anspruch genommen. Der geflügelte Freund, der auf einer geriffelten Terrassenfliese gerade eifrig an einem Samenkorn herumpickt, bemerkt nicht die über ihm drohende, mordgierige Gefahr.
Ein kurzes Händeklatschen vertreibt den Vogel. „Schäm dich Frederick. Ich hab’ dir doch eben erst dein Fresschen gegeben. Wenn du so weitermachst traut sich bald nicht mal mehr ein Spatz in unsere Nähe.“ Beleidigt ob der ihm entgangenen Beute zieht sich der angesprochene Übeltäter wieder ins Haus zurück, um dort in seinem Schlafkorb den restlichen Tag bis zum Abend zu verdösen. Nach einem genüsslichen Strecken widmet das Tier aber erst einmal noch einer kurzen Morgenwäsche.
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Zeit verstreicht.
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Der Abend ist wieder spät geworden. Ein kleines Auto braust auf einer an einem kleinen Wald entlangführenden Strasse entlang. Der Fahrer ist müde und achtet nicht sonderlich auf die vor ihm liegende Strecke.
Seine Gedanken weilen bereits zu Hause. Ein warmes Bett und ein Fellknäuel, das eingerollt zu seinen Füssen schnurrt. Beide Hände dabei um eine Tasse mit warmer Milch geschlossen. Er stellt nicht viele Ansprüche an einen angenehmen Abend. Und genau dieser ist es, der im Augenblick als einzigstes dazu in der Lage sein dürfte, die angestaute Anspannung in seinem Inneren zu lösen.
Frustriert blickt er kurz durch die Frontscheibe in den dunklen Himmel. Es würde also wieder einmal fast Nacht sein ehe er zu Hause wäre. Ein Fluchen ist zu vernehmen und eine ärgerliche Falte bildet sich zwischen seinen Augen, die aber plötzlich verschwindet.
Erstaunen entfaltet sich auf seinem Gesicht.
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Eine kleine Erdmulde in einer gewöhnlichen dunklen Nacht, auf einem nahe einem Wald gelegenen Feld. Eigentlich nichts besonderes, wäre hier nicht eine kleine Rauchsäule vorhanden, die langsam aus dieser Vertiefung emporsteigt.
Gerade eben nähert sich ein schwer erkennbarer Schemen langsam diesem Schauplatz. Neugierig beugt er sich über den Rand des kleinen Kraters um zu erspähen, was seine Aufmerksamkeit im Wagen erregt hatte. Es war eine Sternschnuppe gewesen, so lautete zumindest seine erste Vermutung, aber die Größe des himmlischen Boten war seltsam gewesen, wodurch er darauf schlussfolgerte dass sie eventuell in der Nähe niedergegangen war. Etwas das er schon lange vermisst und gebraucht hatte erfüllt ihn nun. Aufregung? Spannung? Er lächelt leise in sich hinein und lehnt sich etwas weiter vornüber, um den Gegenstand, welcher in der Mitte der Absturzstelle ruht besser ins Auge zu fassen und klettert kurz danach hinein um ihn zu bergen.
Kapitel 2
Ein Sonnenstrahl, rötlich gefärbt von einer noch morgendlichen Sonne, spiegelt sich leicht auf einer mattschwarzen Oberfläche. Das Display des kleinen Funkweckers neben dem Bett zeigt an das es Sonnabend ist. Er steht auf einem kleinen Nachtschrank. Im nahen Bett bewegt sich leicht ein Körper, kurz davor zu erwachen. Diffuse Gedanken funkeln bereits in seinen Gedanken auf, beschäftigt mit dem Erlebnis von letzter Nacht, und nehmen langsam immer klarere Formen an. Augen öffnen sich und streicheln stolz über den schwarz schimmernden Brocken aus dem All, der die Nacht über auf dem Sims des einzigen Fensters des Schlafzimmers geruht hat. Etwas besonderes war ihm widerfahren. Etwas außergewöhnliches.
Er erhebt sich, steht auf und nimmt das Stück einer fremden Welt in die Hände, wo es wieder einen kurzen Moment genauestens begutachtet, angekratzt und gewogen wird. Nach einer Weile legt er es wieder auf seinen angestammten Platz und begibt sich in die Küche.
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Eine kleine Küche. Ein runder Tisch steht unter einem niedrigen Fenster, welches nach Osten zeigt. Es ist geöffnet und lässt einen leichten, noch kühlen Lufthauch mit den halblangen Haaren des Mannes spielen, der hier Platz genommen hat. Eine dampfende Tasse steht vor ihm. Zeige- und Mittelfinger spielen mit dem Henkel während die Augen auf die Landschaft vor dem Fenster fixiert sind. Das Haus in dem er wohnt befindet sich ein ganzes Stück außerhalb einer winzigen Stadt, die man eigentlich schon fast als Dorf bezeichnen könnte. Man kann nur einige kleine Häuser von hier aus erkennen, was auch nur dadurch möglich ist, weil sein Heim auf einem kleinen Hügel liegt.
Aus seinem Körbchen schielt Frederick gerade zwischen zwei schmalen Augenschlitzen zu seinem Herrn hinüber. ‚Heute ist wohl einer dieser ruhigen Tage, sonst wäre er jetzt schon längst fort.’, geht es durch seinen rotbraun bepelzten Kopf. Er döst wieder ein.
Die dickbauchige Tasse wandert an zwei leichtgeöffnete Lippen, die sich nach einem tiefen Schluck genüsslich in die Länge ziehen. Sie verweilt in einer Position auf Augenhöhe und wird dann vorsichtig an eine Wange gedrückt, langsam und das angenehme Gefühl von Warme genießend. Augenblicke später wird noch ein Schluck aus ihr genommen und sie wieder abgestellt.
* * * * * *
Baumkronen schwanken sanft im Wind. Ein Wald. Kleine Äste auf dem Waldboden brechen. Dort liegende Blätter rascheln, durch den Schritt von Füßen aufgewühlt. Befreites Durchatmen. Einmal. Zweimal.
Er reißt im Vorbeigehen ein Blatt von einem Brombeerbusch ab, zerknüllt es zwischen seinen Fingern und genießt den Chlorophyllgeruch. Er schnippt es wieder fort.
Ein kurzer Blick nach oben durch das locker zusammenhängende Dach von Tannennadelzweigen. Ein Muster heller Flecken bildet sich auf seinem Gesicht. Ein kurzes Blinzeln folgt.
Der Wald liegt schon ein gutes Stück hinter ihm. Vor ihm erstreckt sich das Meer. Er geht bis unmittelbar zur Wassergrenze. Kleine Wellen spülen leise rauschend ans Ufer. Der Strand ist übersät mit runden abgeschliffen Steinen, sowie kleinen weißen und rosafarbenen Muscheln. Eine kurze Weile wandert er die Küste entlang und blickt hin und wieder auf den Horizont jenseits des großen Wassers. Die diffuse Silhouette eines Schiffes lässt sich in der Ferne erblicken. Ob nun Dampfer oder Segelboot ist nicht festzustellen.
Der Wind flaut etwas auf und der Himmel verhängt sich immer weiter mit graumelierten Wolken. Regen steht bevor. Der Wanderer zieht sich die Kapuze seines graubraunen Anoraks über den Kopf und macht sich auf den Nachhauseweg.
* * * * * *
Das kleine Haus liegt eingelullt in schwarzer Nacht. Die Mondscheibe vermag die schwarze Bewölkung nicht zu durchdringen. Schwere Regentropfen prasseln aufs Dach und gegen Fenster. Alle Lichter im Inneren sind gelöscht, die Ausnahme bildet eine kleine Nachttischlampe im Schlafzimmer. Eine Buchseite wird leise raschelnd umgeblättert.
Ein Roman. Phantastik. Nach einer halben Stunde legt er ihn müde neben sich.
Vom herannahenden Schlaf verschleierte Augen streicheln ein letztes Mal den geborgenen schwarzglitzernden Schatz. Die Lampe erlischt.
Kapitel 3
Eine schwarze Struktur verformt sich. Bildet rhomboide und ovale Formen aus, prüft Luftzusammensetzung und Gravitationsfeld mit nadeldünnen Fühlern. Eine Lebensform wird wahrgenommen. Onyxfarbene Tentakel bringen ein dunkles Etwas langsam schleifend zu dem sachte atmenden Körper. Ein kurzer Fall. Weicher Teppichboden dämpft den Sturz. Es schleppt sich weiter.
Darian träumt. Eine weite Ebene. Er ist der Einzige auf einem weiten Feld, bewachsen mit kurzstoppeligem dunkelgrünem Gras. Unendlichkeit schimmert in jeder Richtung. Keine Grenzen. Rennen. Erschöpfung spürt er nicht. Arme werden dem niedrig stehenden tiefvioletten Himmel entgegengestreckt. Man kann ihn fast erreichen. Fast.
>Fortbestand<. Atomare Strukturen lösen sich voneinander und dringen in lebendiges Fleisch ein.
Schwarze Blitze zucken über purpurnen Zenit. Sturmwind schleudert den Menschen von seinen Beinen. Das Gras welkt, wird spröde und von heftigen Böen ausgerissen. Orkanwinde heben ein zerbrechliches Wesen empor in schwarzdurchzuckte Höhen.
* * * * * *
Ein heftiges Keuchen reißt den gerade noch ruhig daliegenden Körper empor. Schwindelgefühl erfasst seinen Geist. Seltsame Gedanken und Gefühle durchströmen ihn. Er setzt sich auf die Bettkante und stützt seine Stirn in die Handflächen. Wankend erhebt er sich. War es gestern Abend zu spät geworden ? Eine gute Tasse starken dunklen Kaffees würde jetzt Abhilfe schaffen, da ist er sich sicher.
Ein Wasserkessel entlässt pfeifend einen Schwall heißen Dampfes. Frederick erwacht und blickt missgelaunt zu der Quelle des penetrant lauten Geräuschs hinauf.
„Alles in Ordnung mein Guter. Gleich hast du wieder deine Ruhe.“ Der Sprecher nimmt den Topf von der Herdplatte und gießt das dampfende Wasser durch einen halb mit Kaffee gefüllten Filter in eine Tasse.
Der alte Kater blickt noch einmal zu der nun am Küchentisch sitzenden Person hinüber und beschließt, die Augen wieder zu schließen.
Das Schwindelgefühl hat nachgelassen. Er reibt sich kurz die mit leichtem pochenden Schmerz erfüllten Schläfen. Der Traum der letzten Nacht ist schon fast verschwommen. Undeutliche Gedankenfetzen schwarzen sturmdurchpeitschten Pandämoniums sind die letzten Boten des Alptraums. Er tritt vor die Tür und versucht seinen Kopf freizubekommen.
Ein tiefes Durchatmen. Frische morgenjunge Luft füllt seine Lungen aus und er streckt die Arme weit von sich. Ein zufriedenes entspanntes Seufzen erklingt.
Plötzlich lässt ein leises zittriges Zwitschern die Person in eine Ecke der Terrasse blicken, auf der sie steht. Das kleine Rotkelchen vom Vortrag ist die Quelle des jammervollen Lauts. Tödliche Unaufmerksamkeit war die Ursache, Jagdinstinkt der Grund. Gierig schlagen sich zwei Fänge in den Nacken des Vogels. Hände reißen das Raubtier fort. Zornig fauchend krallt das Tier nach seinem Herrn, verschwindet dann aber schnell in die Wohnung.
Kleine Blutstropfen quellen nacheinander wie lose aufgereihte Perlen aus der dünnen Kratzspur an seinem Unterarm hervor. Blick nach unten. Klebrige Federn bedecken notdürftig einen zerfetzten Hals.
Der Kadaver wird an einem zarten Beinchen aufgehoben und im Haus in einen Mülleimer geworfen. Eifersüchtige schmallinsige Augen unter dem Küchentisch verfolgen den Vorgang.
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Jahre verstreichen. Fliegen langsam wie eine angepustete Pusteblume von dannen. Verwunderung. Begreifen. Einmaligkeit. Schrecken. Entsetzen. Einsicht. Akzeptanz.
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Hinter einer breiten Glasfront steht eine einzelne Person. Ein Wolkenkratzer beherbergt das geräumige und geschmackvoll möblierte Büro. Weit droben. Die Aussicht ist immer wieder aufs Neue zu genießen.
Es ist spät geworden. Am Horizont hat sich der Himmel darangemacht, mit rosa- und orangefarbenen Tönen den Abend zu zeichnen. Darian streicht eine störende Falte aus seinem Einteiler. Ein Gleiter schwebt lautlos in mittlerer Entfernung am Fenster vorbei.
Ein leises Klingeln deutet an, das noch eine Nachricht auf seinem Computer eingetroffen ist. Ein kurzes Lächeln zeigt, dass ihm das jetzt egal ist.
Sein Weg führt ihn nach unten. Fort. Seine Seele vibriert mit einer Ekstase, die nicht in einem einzigen Leben erblühen kann.
Fort in eine glückliche, lange Zukunft. Dahin gehen seine kaum den Boden berührenden Schritte. Seiner Bestimmung und dem Ende aller Zeiten entgegen.